Sigi Zimmerschied: Das großartig schlechte Gewissen

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(c) Franziska Schrödinger

Wenn Gott ein schlechtes Gewissen hat, dann entsteht ein Kabarettist. Und das hat er ganz selten. Dann aber wird das Danebenleben zum Überleben.

(Quelle: Sigi Zimmerschied: Die Stachelbeersträucher von Saigon. Satiren. München. 2013)

Besonders groß muss dieses schlechte Gewissen gewesen sein im Fall vom Urheber der These Sigi Zimmerschied, Jahrgang 1953. Seines Zeichens legendärer Passauer Bühnenfuror. Unverwechselbar in seiner archaischen Sprachgewalt, kompromisslosen Deutlichkeit und mimischen Ausdruckskraft.

Sein kabarettistisches Erwachen Ende der 1970er-Jahre hängt für Zimmerschied zudem unabdingbar zusammen mit der durch CSU, Kirche und Passauer Neue Presse bedingten geistigen Enge seiner Geburtsstadt:

Mit diesen Einflusskoordinaten würde wahrscheinlich sogar New York zu einem Vorort von Unterhaching gerinnen.

(Quelle: Ebda.)

Dagegen beginnt Zimmerschied in den Siebzigerjahren gemeinsam mit Bruno Jonas und Rudolf Klaffenböck mittels Satire Widerstand zu leisten.

Was soll sich ein Satiriker mehr wünschen, als dass das, was er macht, verunsichert und polarisiert? Das unterscheidet ihn ja vom Trauzeugen.

(Quelle: Hochkeppel, Oliver [2015]: Gott kann man nicht lästern. Interview mit Sigi Zimmerschied. In: Süddeutscher Zeitung vom 17./18. Januar.)

Sein 2010 begonnenes Bühnenprogramm „Lachdichter“ etwa dreht sich um Zimmerschieds seitens des Bayerischen Rundfunks vielfach abgelehnte, subversive Fernsehdrehbücher mit seinen Steckenpferd-Attacken auf die katholische Kirche und versuchter „Beamtendestabilisierung“. In Reißwolf aus dem Jahr 2011 plaudert ein erpresserischer Aktenvernichter aus dem Nähkästchen. Abgründe im Kleinen wie größeren Ganzen stets zur Genüge inbegriffen.

In einer Ode an München in seiner Buchwerkschau Die Stachelbeersträucher von Saigon verrät Zimmerschied, dass er es dort im August, wenn er traditionell einen Monat lang im Fraunhofer Theater spielt, nur deshalb aushält, weil nahezu alle Münchner weg sind.

Mein Kernthema ist der konturlose, schwammige, sich auf nichts einlassende Opportunist. Das ist eine Geisteshaltung, die mich am meisten berührt, entsetzt, aufrüttelt, zur Aufarbeitung zwingt.

(Quelle: Rabenstein, Edith [2013]: Sigi Zimmerschied wird 60, URL: http://www.pnp.de/region_und_lokal/stadt_und_landkreis_passau/passau_stadt/1031733_Immer-auf-Menschensuche.html, 06.08.2015)

Das unvergleichliche Zimmerschied-Bühnenerlebnis, seine packenden Kammerspiele, in denen er mit seinen banal-abgefeimten Jedermann-Biedermännern – wie dem „Ihobs“, dem „Scheißhaussepp“ und dem „Multiple Lois“ – dem Publikum leibhaftig wie gruselig auf die Pelle rückt, belegen: Gut für das Kabarett, nicht zuletzt für jenes in München, dass der Schöpfer seinerzeit ein schlechtes Gewissen hatte.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Thomas Steierer