Politik und Gesellschaft

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Die enthüllte Wahrheit im Kreis der Künste und Wissenschaften, Illustration in Diderots ENCYCLOPÉDIE von 1772.

Politischer Kontext

Dass seine und die weltpolitische Geschichte zusammenhängen, bekräftigt Jean Paul in seiner SELBERLEBENSBESCHREIBUNG: »Es war im Jahr 1763, wo der Hubertsburger Friede [das Ende des Siebenjährigen Krieges zwischen Österreich/Sachsen und Preußen] zur Welt kam und gegenwärtiger Professor der Geschichte von sich«. Auch später meldet sich Jean Paul immer wieder als politischer Schriftsteller zu Wort.

Während Jean Paul in Schwarzenbach seine »Winkelschule« betreibt, sorgen die revolutionären Ereignisse in Frankreich in den kleinen deutschen Feudalstaaten für Unruhe: Frankreich erhält 1791 eine neue Verfassung und wird konstitutionelle Monarchie mit Gewaltenteilung, Markgraf Alexander von Brandenburg-Ansbach tritt sein Fürstentum Bayreuth an Preußen ab und zieht sich nach England zurück. Die Hinrichtung König Ludwigs XVI. im Januar 1793 und die folgende Terrorherrschaft Robespierres erschüttern Jean Pauls Glauben an die Französische Revolution. In seiner 1801 erscheinenden Schrift ÜBER CHARLOTTE CORDAY wird er die Bluttat an dem Jakobinerführer Jean Paul Marat als legitimen Tyrannenmord rechtfertigen.

Unter dem Druck der napoleonischen Kriege, die 1803 zum Reichsdeputationshauptschluss und zur Neuordnung des Deutschen Reiches führen, verfolgt Jean Paul, der sich republikanische Verhältnisse erhofft, das politische Zeitgeschehen mit Zustimmung. Das ändert sich auch in der Folgezeit nicht. Zwar muss er selbst militärische Einquartierungen seiner Wohnung tolerieren, nachdem französische Truppen im Oktober 1806 Bayreuth besetzt haben. Seine Überzeugung aber, dass Napoleon den Weg zu einem geeinten Deutschland im Rahmen einer europäischen Ordnung freimacht, bleibt unerschüttert. Dies schlägt sich in seiner ersten explizit politischen Schrift FRIEDENS-PREDIGT AN DEUTSCHLAND (1808) nieder.

Erst mit dem verhängnisvollen und verlustreichen Russlandfeldzug 1812 ändert sich Jean Pauls Wunschbild. In den Notizbüchern schreibt er: »Er [Napoleon] ist jetzo nicht ein Wolf in Lämmergestalt, sondern eine Hyäne in Hundegestalt.« Als dieser zweimal nach Bayreuth kommt, nimmt er von Napoleon keine Notiz.

[Jean Paul, FRIEDENS-PREDIGT AN DEUTSCHLAND, 6. Kapitel]

Aus dem Kriege, als aus einem bloßen Loseziehen der Gewalt und des Faust-Unrechts, trägt man leicht ein Stück dieser willkürlichen Gewalt in den Anfang des Friedens aus Gewohnheit hinein; zu oft ist der Friedensschluß selber nur die letzte Schlacht, und die Taube mit dem Ölblatt gleicht oft den zwei Tauben, welche man in England den Verwandten nach der Hinrichtung zufliegen läßt, zum Zeichen, daß der ihrige keine Gnade gefunden. Der Krieg verfälscht mit seinen Gewalts-Bewegungen auf einige Zeit die Gewissens-Regungen, wie das Erdbeben die Magnetnadel irrig und lügend macht. Aber wie der zufällige Wind nur den ersten Faden des Spinngewebes anklebt und bestimmt, und darauf an diesen das Kunsttier die andern ganz geometrisch knüpft: so kann, was die Gewalt gründet, nur das Gesetz bewahren und beschirmen, und was Seneka von Gott in Rücksicht der Naturgesetze sagte: semel jussit, semper paret, gilt von dessen Statthaltern. Der Tempel der Bellona und des Vulkans durften nicht innerhalb der römischen Mauern sein. Zum Glücke darf man sagen, daß schon in einigen neugegründeten Staaten der Friede sich immer mehr vom Kriege reinigt und die Fürsten gleich der Gerechtigkeit nach dem Einstecken des wilden geschwungenen Schwertes mit stillerer Hand die Waage halten.

Aufklärung

„Aufklärung“ kann man als Übergangsepoche zwischen Früher Neuzeit und Moderne betrachten. Immanuel Kant (1724-1804) beantwortet die Frage, was „Aufklärung“ sei, mit dem „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Während die deutsche Kultur im 17. und 18. Jahrhundert noch innerlich zersplittert ist, beginnen aufklärerische Ideen wie Toleranz, Optimismus, Weltbürgertum und philosophische Allgemeinbildung zu wirken. Die Literatur der Aufklärung entfaltet sich dabei im Umkreis von Pietismus und Empfindsamkeit zwischen 1720 und 1785 und ist durch Gattungen gekennzeichnet, die die Belehrung über Vernünftiges oder Unvernünftiges zum Ziel haben (Fabel, Dialog, Satire, Epigramm, Idylle, Komödie und bürgerliches Trauerspiel). Wichtige deutsche Dichter sind u.a. Brockes, Gellert, Gleim, Gottsched, Lessing und Wieland.

Jean Paul wird mit dem Gedankengut der Aufklärung schon früh vertraut. Bereits mit 13 Jahren lernt er den jungen Kaplan Völkel kennen, der ihn mit deren Philosophie bekannt macht. Das beginnt mit der leicht angestaubten WELTWEISHEIT (1733) von Gottsched, gedeiht aber vor allem mit den Schriften von Nösselt und Jerusalem, beides führende Theologen der Aufklärung, der sog. Neologie. Daneben wird Pfarrer Vogel für Jean Paul prägend, auch weil dessen Bibliothek Werke verschiedener Wissensgebiete umfasst und den Jungen von der Strenggläubigkeit des Vaters endgültig abbringt.

Auf dieser Grundlage betreibt Jean Paul seine ersten literarischen Versuche. Er exzerpiert die Literatur, die er liest, und stellt eigene philosophische Betrachtungen an, die die Formen des alten Glaubens kritisieren. Unter dem Einfluss von Leibniz´ Naturphilosophie (Lehre von der „besten aller Welten“) entwickelt Jean Paul schließlich seine Vorstellungen von der Natur: der Trennung von Geist und Materie setzt er einen Spiritualismus entgegen, der alle Lebensbereiche des Menschen durchzieht. Von solchem aufklärerischen Harmoniegedanken entfernt hat sich jedoch der spätere Satiriker Jean Paul, dessen einfache Skepsis im Dienst der Wahrheitsfindung einer schonungslosen Gegenwartskritik weicht.

[Brief von Jean Paul an Christian Otto, 1. Mai 1803]

Mein poetisches System hat sich weit von meinem alten und der Bewunderung für Leute wie Wieland, Haller, Ramler, Gesner etc. verloren; und ist sehr Schlegelisch geworden. In meiner Aesthetik sollen 2 gleich scharfe und gerechte und wahre und dadurch partheifreie Abhandlungen gegen und für die neue Parthei auftreten; denn jede Wage hat 2 Schalen.

Adel und Armut

Während sein Vater seine Stelle einer einflussreichen Gönnerin, der Freifrau von Plotho aus Zedwitz, verdankt, versucht Jean Paul sich als einer der ersten »freien«, von Mäzenen unabhängigen Schriftsteller in Deutschland. Der Preis dafür ist hoch: Zeitlebens hat Jean Paul mit der Armut zu kämpfen.

Schon als Schulabgänger ist er auf die Fürsprache seines Hofer Gymnasialrektors angewiesen, der ihm ein Armutszeugnis ausstellt, damit er in Leipzig Theologie studieren kann: »Da Armut niemandem zur Unehre gereicht, der nach Reichtum an Tugend trachtet, braucht der wahrlich nicht zu erröten, der um dies Zeugnis gebeten hat, der vortreffliche Jüngling Johann Paul Friedrich Richter, ein Sohn des ehemaligen Schwarzenbacher Pastors, ein armer, ja ärmster Mensch.« Im November 1784 verlässt er wegen Überschuldung fluchtartig Leipzig und muss sich zur Tarnung die Papiere seines Freundes Hermann ausleihen. Zurück in Hof ist die Armut nicht geringer. Jean Paul schreibt Satiren, obwohl er dafür keine Abnehmer findet. Erst der damit verbundene Misserfolg, der frühe Tod zweier Freunde und des jüngeren Bruders bringen ihn dazu, den Ratschlägen seiner Verleger zu folgen und fortan Romane zu schreiben.

Gleichwohl bleibt Jean Paul der, der er ist: ein Unterprivilegierter aus der Provinz, der lange Zeit zu Fuß gehen muss, während andere längst mit der Kutsche fahren. Goethe und Schiller im herzoglichen Weimar werden über sein Außenseitertum noch spotten.

Dass Jean Paul nicht nur in seinen Schriften, sondern auch im Leben ein Anwalt der Armen ist, zeigt sein Engagement im November 1804. Nachdem ein Feuer in der Bayreuther Vorstadt ausgebrochen ist, bei dem viele Leute obdachlos werden, formuliert er einen Spendenaufruf und geht selber sammeln. Im Winter übernimmt er dann zeitweise die Verwaltung der Speise- und Arbeitsanstalt für die Armen, zusammen mit dem Assessor Christian Sigismund Krause (1758-1829).

Für seine eigene Familie kommt diese Verbundenheit indes zu spät. Vor allem die Mutter muss nach dem Tod ihres Mannes unter der materiellen Not leiden. Sie, die »nichts, nichts, nichts auf der Erde gehabt [hat]«, stirbt am 25. Juli 1797.

[Jean Paul an Großfürstin Anna Feodorowna, Bayreuth, 15. Oktober 1805]

Die 3te obwol für mich schon 1 Jahr alte Neuigkeit ist, daß ich eben so lange ein Vorsteher der R[umfordischen] Suppen-Anstalt bin. Denken Sie sich mich im Winter im Mantel neben dem großen Suppenkessel stehend und meinen Hund neben meinen Stiefeln - wir beide versuchen die Suppe - ich allein schreibe die Porzionen auf und gebe sehr Acht. Aber ach, auch auf den hungrigen frierenden Jammer umher, ob ich gleich vielleicht eben aus einem schriftstellerischen Eden herkomme.

Ehe und Liebe

Ende Juli 1810 geraten Jean Paul und Karoline in eine Ehekrise, die sich an unterschiedlichen Auffassungen in der Kindererziehung entzündet. Gegenüber seinem Schwiegervater bezeichnet er Karoline als »Engel in Gesellschaft, gegen Mann, Kinder und Hausgenossen eine Furie«, und bittet ihn um Hilfe. Dieser ermahnt seine Tochter, ihre Heftigkeit zu zügeln - indes die Krise schwelt weiter, weil Jean Paul in Erziehungs- bzw. Gesundheitsfragen der Kinder immer das letzte Wort behält und sich in alles einmischt. Das geht so weit, dass er, bevor er auf Reisen geht, sogenannte »Haushalts-Zettel« hinterlässt, deren Anweisungen seine Frau in seiner Abwesenheit befolgen soll.

Karoline nimmt ihr Schicksal nur scheinbar gelassen auf: »dem despotischen Männerwillen der in der Liebe die Gleichheit der Seelen nicht gestatten will, dem kann ich mich wohl stumm ergeben, weil es das Verhängnis so will - aber die Resonanz der Liebe kann da nicht erklingen es stockt das geistige Blut« (an Jean Paul in Nürnberg, 13.06.1812). Dennoch gehen die ehelichen Konflikte auch an Jean Paul nicht spurlos vorüber. Um sich Heiterkeit zu verschaffen, beginnt er im Frühjahr 1811 ein FREUDEN-BÜCHLEIN ODER ARS SEMPER GAUDENDI zu schreiben. Seit einigen Jahren führt er zudem ein Notizheft mit »Lebensregeln«, worin er allerlei Einsichten und Gedanken einträgt, darunter auch »Ehe-Vorsätze«. Insgesamt formuliert er 11 Vorsätze, so z.B. »Mehr deutliche Handlungen als starke Empfindungen« (1.); »Komme nicht bei jedem kleinen Kindergeschrei gerannt; bis sichs zu größerem entwickelt« (4.); »Schweigen besser als Reden« (5.); »Zurückgang der Kinder nicht tadeln« (6.); »Wenn ich nicht da bin: machen sie alles gut; warum stör´ ich sie denn mit meinem Wesen« (10.); »Gleich Aussöhnen nach Zürnen« (11.).

Jean Pauls Gefühle für Sophie Paulus bleiben davon jedoch unberührt. Auf Karolines Entdeckung hin bricht im November 1817 eine gewaltige Eifersuchtsszene im Hause Richter aus, so dass Jean Paul von der Wohnung fernbleibt und mit Karoline nur mehr schriftlich kommuniziert. Allein in der Rollwenzelei findet er ein dichterisches »Asyl«.

[Karoline an Jean Paul, Bayreuth, 11./12. November 1817]

Nun entwickeltest du sogar nach und nach selbst was und wie Du für das bedeutendste Mädchen empfunden habest. Zwar beruhigtest du mich von Zeit zu Zeit so daß mein Schmerz sich immer wieder auflösete allein nachdem Du sogar seit 14 Tagen sie in Rücksicht ihres Briefstyls herabgesetzt hattest und ihre sehr gemäßigten Gesinnungen mich vollends in Sicherheit gewiegt hatten, schreibst du ihr so aufregend daß sie von Stein sein müste, wenn sie entweder nicht in Glut ausbräche, oder in Schmerz nicht unterginge. Das süße »Du« sagt man nur in höchster Liebe, dieses Wort gehört nur mir und deinen Kindern. Zweitens die so auszeichnende Dedikation enthält eine Stelle wo Du sie auf das künftige Leben hinweißt in Rücksicht dessen was du ihr sein kannst, daß ich nicht weiß welche Empfindung als »Liebe« Dir, dem ernsten Manne diese Äußerungen eingeben können. Du sonderst so scharf »eheliche Liebe« von diesem Gefühl und versicherst mich daß diese für mich von ganz anderer Art wäre - aber glaubst du daß das genug für mein Herz ist, daß du mich für einen treuen Hausüberrock hältst der einem am gemüthlichsten erwärmt wenn man die Fußkleider ausgezogen hat? Nein du bist mein höchstes Gut - entweder muß ich vernichtet werden, oder ich muß auch dir das Erste Theuerste sein.

Jean Paul und die Musik

Musik spielt bei Jean Paul eine wichtige Rolle. Oft wird seine Poesie vom Leser als musikalisch empfunden, andererseits hat Jean Paul selbst Musik sehr geschätzt und ihr einen höheren Rang zugebilligt als der Literatur. In den von Ernst Förster herausgegebenen DENKWÜRDIGKEITEN (1863) äußert er: »Ich habe eine unendliche Sehnsucht, mich in Tönen auszudrücken, wenn ich mich schon durch Worte ausgedrückt habe.«

Tatsächlich ist die Musikalität seiner Sprache und Werke von vielen hervorgehoben worden, auch von Komponisten. Robert Schumann etwa gibt zu, mehr Kontrapunkte aus Jean Pauls Romanen gelernt zu haben als aus allen Musiklehren. Schon als 18-Jährigem dienen ihm die Polymeter (Streckverse) aus den FLEGELJAHREN (Leseprobe) als Vorbild für das musikalische Fantasieren; sein Buchexemplar versieht er mit Nummern am Rand, deren Textstellen ihn zu dem Klavierzyklus PAPILLONS inspirieren. Mehr beiläufig würdigt Gustav Mahler Jean Paul. Seine erste Sinfonie in D-Dur von 1889 trägt anfänglich den Beinamen DER TITAN (vgl. Leseprobe).

Marcus Boshkow liest aus Jean Pauls SELBERLEBENSBESCHREIBUNG:

Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie Jean Paul Musik dichterisch reflektiert. Zum Kolorit einer Szene wählt er gern Töne sanfter Instrumente wie Flöten, Harmonika oder Äolsharfen. Wenn es z.B. heißt, »die Mondnacht der Flöte zeigte eine blasse schimmernde Welt, die begleitende Musik zog den Mondregenbogen darein«, so wird »durch die metaphorischen Überblendungen von Instrument und Nachtlicht und Orchester und Tageslichterscheinung ein quasi-musikalischer Effekt des Entgegenständlichens, Verschwimmens [...] und Zusammenstimmens erzeugt.« (Helmut Pfotenhauer) Im Hinblick auf die poetische Landschaftsmalerei setzt Jean Paul deshalb auf die musikalischen Landschaften, die jegliche Anschauung und Fasslichkeit übersteigen.

Seine Beteiligung am Musikleben ist dagegen punktuell. In Hof hört er Carl Stamitz, in Weimar, Berlin und Leipzig erlebt er Konzerte und Opern oder besucht die wöchentlichen Singabende bei Thibaut in Heidelberg. Mehr Zeit bringt er mit dem poetischen Fantasieren am eigenen Klavier zu.

[Jean Paul, FLEGELJAHRE, Ende]

»Du sollst es sogleich hören in dein Bett hinein«, versetzte Vult, nahm die Flöte und ging, sie blasend, aus dem Zimmer - die Treppe hinab - aus dem Hause davon und dem Posthause zu. Noch aus der Gasse herauf hörte Walt entzückt die entfliehenden Töne reden, denn er merkte nicht, daß mit ihnen sein Bruder entfliehe.

Choralbarbeitung zu »Jesu, du mein liebstes Leben«:

 

Maschinenmensch

Dem mechanistischen Weltbild um 1800 begegnet Jean Paul mit Skepsis und Ironie. Von Platner und Reimarus beeinflusst, geht er in Opposition zum französischen Materialismus, indem er das Lebendige als das Organische und das Maschinelle als das Tote anerkennt. Jean Paul kennt aber auch die zeitgenössische Automatentechnik und die Angst der Menschen vor dem lebendigen Toten. In diesem Sinne ist für ihn die Frage nach der »technischen Reproduzierbarkeit« des Menschen nicht erledigt, im Gegenteil: Der Autor stellt mehrfach unter Beweis, dass seine Kenntnisse ihn zu Vorwegnahmen künftiger technischer Möglichkeiten befähigen.

Künstliche Verdoppelungen des Menschen begegnen dem Leser auf Schritt und Tritt. Mit der »neuen angenehmen Frau von bloßem Holz, die ich längst erfunden und geheirathet« (AUSWAHL AUS DES TEUFELS PAPIEREN), demonstriert Jean Paul nicht nur ein Klischee, das seine Gesellschaft von wirklichen Frauen erwartet, sondern verweist zugleich auf die moderne Transplantationsmedizin. Schoppe im TITAN (Leseprobe) arbeitet mit einem Wachsfigurenkabinett und illustriert die sozialen Zwangsverhältnisse des Feudalismus. Marggraf im KOMET (Leseprobe) liebt die Wachsbüste einer Prinzessin und zeigt, dass er Schein und Sein nicht zu trennen vermag. Und in der »Kriegserklärung gegen den Krieg« (DÄMMERUNGEN FÜR DEUTSCHLAND) spekuliert Jean Paul unter dem Eindruck der napoleonischen Feldzüge über eine chemische bzw. physikalische Kriegsmaschinerie, die einen Krieg am Morgen beginnt und am Abend beendet.

Jean Paul greift in die zeitgenössische Diskussion um Maschinen auf seine Art ein, »indem er die Empörung über die Behauptung, daß Menschen Maschinen seien, hinter sich ließ, und der Sorge darum, daß Menschen zu Maschinen werden, Platz machte« (Käte Meyer-Drawe). In seiner frühen Satire »Der Maschinen-Mann nebst seinen Eigenschaften« beschreibt er, wie der Maschinenmann alles nur durch Maschinen verrichtet: Er bedient sich einer Schreib-, Rechen- und Haarzopfflechtmaschine, speist mit Hilfe von Kaumaschinen, unterhält sich mit von Würfeln komponierter Musik und legt die Beichte mit einer Sprachmaschine ab.

[Jean Paul, AUSWAHL AUS DES TEUFELS PAPIEREN, »Der Maschinen-Mann nebst seinen Eigenschaften«]

Er hatte das Gelübde der Karthäuser getan, nicht zu reden; wie die Franziskaner das, kein Geld zu betasten; deswegen war ihm ein Sprecher, der seine Zunge vertrat, so sehr als jenen ein Mann vonnöten, der wie bei Blinden das Geld einstreicht - er hatte daher bekanntlich eine Kempelesche Sprachmaschine auf dem Bauche hängen. Ich sah ihn oft, wie er vor dem Beichtstuhl und vor dieser Maschine stand und seine Beichte abspielte - wie er als Bruder Redner in Freimaurerlogen Reden und Gefühle orgelte, die nachher meines Wissens in den öffentlichen Druck kamen - wie er einmal verflucht anlief, da er vor etlichen hundert Kirchenpatronen, nämlich Bauern, eine Probepredigt ablegen wollte, und die Patrone [...] ihn beinah wegen der Vermutung erschlugen, er verwahre und führe den Gottseibeiuns im Kasten und er predige - und überhaupt habe ich ja das Wichtigste von seiner Biographie, die ich jetzt mit wahrem Vergnügen dem Saturn mitteile, nicht aus seinem Munde, sondern aus seiner Hand, die mir alles aufrichtig vorspielte.

Politisches Spätwerk

Mit Napoleons desaströsem Russlandfeldzug (1812) und seiner Abdankung im Zuge der Befreiungskriege (1813) ändert sich Jean Pauls politische Haltung. Auch setzt seine Suche nach einem geregelten Einkommen wieder ein, da Fürstprimas Carl Theodor von Dalberg (als Statthalter Napoleons in Deutschland) gleichfalls abdanken muss und Jean Paul ab 1814 keine Zahlungen aus dessen Pensionskasse mehr erhält.

In seiner kleinen politischen Flugschrift MARS UND PHÖBUS. TRHONWECHSEL IM J. 1814 stimmt er in den Chor der begeisterten Deutschen ein und spricht von »Wiedergeburt der Freiheit« und »Völkerauferstehung«. Der alten Astrologie folgend, steht das Jahr 1813 im Zeichen des Kriegsgottes Mars, während 1814 auf den Sonnengott (Phöbus) hindeutet. Diese Konstellation nimmt Jean Paul zum Anlass einer politisch-scherzhaften Betrachtung: er lässt beide Götter einen Silvesterball der Menschen besuchen und hierbei den Thronwechsel feiern. Die Götter werden dabei von Narren begleitet, die politische Spötteleien zum Besten geben - die vergangene Herrschaft Napoleons wird dementsprechend mit Häme bedacht. Aus einer Wolke verkündet schließlich die verstorbene preußische Königin Luise den Beginn einer neuen friedvollen Zukunft.

Das zweite politische Spätwerk Jean Pauls, die POLITISCHEN FASTENPREDIGTEN WÄHREND DEUTSCHLANDS MARTERWOCHE (1817), nimmt sich demgegenüber verhaltener aus. Den Auftakt bilden die »Nachdämmerungen für Deutschland« und setzen Jean Pauls geschichtsphilosophische DÄMMERUNGEN FÜR DEUTSCHLAND (1809) programmatisch fort. Weitere Kapitel sind mit »Dämmerungsschmetterlinge oder Sphinxe«, »Doppelheerschau in Großlausau und in Kauzen samt Feldzügen« oder »Nachsommervögel gegen das Ende des Jahrs 1816« überschrieben. Darin verteidigt Jean Paul die deutsche Provinz gegenüber dem französischen Zentralismus, wenngleich auch die Kleinteiligkeit in Deutschland satirisch verspottet wird. Den politischen Optimismus wie in MARS UND PHÖBUS lässt Jean Paul aber wieder verfliegen: Nicht in der Welt gebe es Hoffnung, sondern nur Leid, erst jenseits dieser Welt bestehe wieder Hoffnung.

[Jean Paul, POLITISCHE FASTENPREDIGTEN WÄHREND DEUTSCHLANDS MARTERWOCHE, Erste Nachdämmerung]

Endlich sprach der Aufsatz im Jahr 1809 noch von Deutschlands politischen Chaos. - Aber dies ist noch da; die Spaltungen haben sich nicht ausgeglichen, sondern wieder gespalten und ausgedehnt. Indes wie soll es Einförmigkeit der Meinungen geben als unter einem Großsultan oder unter einem Kaiser von China? Nur in Staaten wie beider Gewalthaber bewegt das geistige Blut, die Meinung, sich nicht, sondern steht fest, aber fault und zersetzt nichts als sich selber. Eine Demokratie ohne ein paar hundert Widersprechkünstler ist undenkbar; was ist aber Deutschland anders als ein Staatenbund von körperlichen Monarchien und einer geistigen Demokratie, oder doch unter einem Amphiktyongericht auf dem Druckblatte und an der Wirttafel? - Sogar Irrtümer und Verfinsterungen, welche den Zwiespalt begleiten, sind in der Tiefe der Stände Nebel, welche bloß betauen und belustigen. Nur wenn sie die Höhe der Stände besuchen, sind sie steigende Nebel, welche den heitern Himmel nicht anders zurückgeben als unter Regen und Blitz. So nehmen auch die Heuchelei, der Geiz, der Zorn, der Leichtsinn, die Voreile, die Lässigkeit erst auf den Thronen eine giftige Natur an, wie Pflanzen, die im Tale wenig schaden, auf den Bergen sich so giftig bilden, daß das Eisenhütlein droben nur in der Hand gehalten schon vergiftet.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Peter Czoik & Katrin Schuster