Frank Wedekind: Kammerspielrede
Bereits nach Kriegsbeginn wird nicht nur gegen ausländische Dichter Front gemacht – auch der Münchner Dramatiker Frank Wedekind wird in der Presse mit Schmähartikeln überhäuft und dessen Aufführungen von der Zensur für unerwünscht erklärt, da seine Stücke bei ihrem Sensualismus kein völkisch-nationales Denken erkennen lassen. Wedekind reagiert darauf mit einer patriotischen Rede während eines von den Münchner Kammerspielen organisierten „Vaterländischen Abends“ am 18. September 1914. In der Vorankündigung heißt es:
Die Ansprache, die Frank Wedekind der vaterländischen Feier am Freitag vorausschicken wird, besteht aus zwei Teilen: „Vom deutschen Vaterlandsstolz“ und „Deutschland bringt die Freiheit“. Jüngere Münchner Autoren: Joh. R. Becher, Klabund und H. Harbeck, werden eigene Gedichte selbst vortragen, die unter der Einwirkung der gegenwärtigen Zeit entstanden sind.
(zit. n. Schneider, Uwe [2000]: Krieg, Kultur, Kunst und Kitsch, S. 80)
Wedekind nimmt viele der von seinen Schriftstellerkollegen verwendeten propagandistischen Kriegsworte in seinen Vortrag auf, z.B. die Phrase, Deutschland sei der Krieg aufgezwungen worden, oder die „treue Waffenbrüderschaft zwischen den Volksklassen“. Seine Rede mag aber nur vordergründig ‚patriotisch’ gewesen sein: „Mundgerechte Parolen für die Zensur, sarkastischer Kommentar zur eigenen Existenzbedingung als Künstler und zynische Beschreibung der kulturellen Verhältnisse im Deutschen Kaiserreich zugleich läßt sich mit gutem Grund konstatieren.“ (Schneider, Uwe [2000]: Krieg, Kultur, Kunst und Kitsch, S. 83) So ist es mehr als doppelbödig, wenn er die „42-Zentimeter-Geschosse“ als „die lautesten Verkünder der Überlegenheit deutscher Geistesarbeit“ preist oder sich in eine Reihe mit den deutschen Künstlern stellt, die „vor allen anderen Berufen Zeugnis dafür ablegen, daß wir im monarchischen Deutschland uns eines freieren Wirkens erfreuen, als es uns das republikanische Amerika heute böte“. Dass Wedekind mit seinen Textkonstruktionen national-liberale und konservative Kreise gewinnen kann, erweist sich im Nachhinein als eine „bewußt gesteuerte Fehlrezeption“ (Schneider, Uwe [2000]: Krieg, Kultur, Kunst und Kitsch, S. 87). Die durch Doppeldeutigkeit geschickt getarnten Aussagen kommen auch grammatikalisch zum Ausdruck, wenn Wedekinds Eintreten für eine „gesetzliche soziale Fürsorge“ beim Feind in einen antimonarchischen – da demokratisch verfassten – Standpunkt plötzlich umschwenkt:
Leiser und menschlicher naht dem Feind unsere gesetzliche soziale Fürsorge, die er sich trotz seiner demokratischen Verfassung bis heute noch nicht erkämpft hat. Ihr [!] werden wir es zu danken haben, wenn sich im Westen wie auch im Osten gerade die freiheitlichen Elemente zuerst zu einer friedlichen Verständigung mit Deutschland bereit finden.
(Frank Wedekind: Deutschland bringt die Freiheit, http://www.literaturkritik.de/public/artikel.php?art_id=939)
Wedekinds enigmatische Rede wird am 27. September 1914 im Berliner Tageblatt unter dem Titel Deutschland bringt die Freiheit abgedruckt.
(Vinçon, Hartmut [1987]: Frank Wedekind, S. 92f.)
(Vinçon, Hartmut [2014]: Frank Wedekind und der Erste Weltkrieg, http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=19610)
Weitere Kapitel:
Bereits nach Kriegsbeginn wird nicht nur gegen ausländische Dichter Front gemacht – auch der Münchner Dramatiker Frank Wedekind wird in der Presse mit Schmähartikeln überhäuft und dessen Aufführungen von der Zensur für unerwünscht erklärt, da seine Stücke bei ihrem Sensualismus kein völkisch-nationales Denken erkennen lassen. Wedekind reagiert darauf mit einer patriotischen Rede während eines von den Münchner Kammerspielen organisierten „Vaterländischen Abends“ am 18. September 1914. In der Vorankündigung heißt es:
Die Ansprache, die Frank Wedekind der vaterländischen Feier am Freitag vorausschicken wird, besteht aus zwei Teilen: „Vom deutschen Vaterlandsstolz“ und „Deutschland bringt die Freiheit“. Jüngere Münchner Autoren: Joh. R. Becher, Klabund und H. Harbeck, werden eigene Gedichte selbst vortragen, die unter der Einwirkung der gegenwärtigen Zeit entstanden sind.
(zit. n. Schneider, Uwe [2000]: Krieg, Kultur, Kunst und Kitsch, S. 80)
Wedekind nimmt viele der von seinen Schriftstellerkollegen verwendeten propagandistischen Kriegsworte in seinen Vortrag auf, z.B. die Phrase, Deutschland sei der Krieg aufgezwungen worden, oder die „treue Waffenbrüderschaft zwischen den Volksklassen“. Seine Rede mag aber nur vordergründig ‚patriotisch’ gewesen sein: „Mundgerechte Parolen für die Zensur, sarkastischer Kommentar zur eigenen Existenzbedingung als Künstler und zynische Beschreibung der kulturellen Verhältnisse im Deutschen Kaiserreich zugleich läßt sich mit gutem Grund konstatieren.“ (Schneider, Uwe [2000]: Krieg, Kultur, Kunst und Kitsch, S. 83) So ist es mehr als doppelbödig, wenn er die „42-Zentimeter-Geschosse“ als „die lautesten Verkünder der Überlegenheit deutscher Geistesarbeit“ preist oder sich in eine Reihe mit den deutschen Künstlern stellt, die „vor allen anderen Berufen Zeugnis dafür ablegen, daß wir im monarchischen Deutschland uns eines freieren Wirkens erfreuen, als es uns das republikanische Amerika heute böte“. Dass Wedekind mit seinen Textkonstruktionen national-liberale und konservative Kreise gewinnen kann, erweist sich im Nachhinein als eine „bewußt gesteuerte Fehlrezeption“ (Schneider, Uwe [2000]: Krieg, Kultur, Kunst und Kitsch, S. 87). Die durch Doppeldeutigkeit geschickt getarnten Aussagen kommen auch grammatikalisch zum Ausdruck, wenn Wedekinds Eintreten für eine „gesetzliche soziale Fürsorge“ beim Feind in einen antimonarchischen – da demokratisch verfassten – Standpunkt plötzlich umschwenkt:
Leiser und menschlicher naht dem Feind unsere gesetzliche soziale Fürsorge, die er sich trotz seiner demokratischen Verfassung bis heute noch nicht erkämpft hat. Ihr [!] werden wir es zu danken haben, wenn sich im Westen wie auch im Osten gerade die freiheitlichen Elemente zuerst zu einer friedlichen Verständigung mit Deutschland bereit finden.
(Frank Wedekind: Deutschland bringt die Freiheit, http://www.literaturkritik.de/public/artikel.php?art_id=939)
Wedekinds enigmatische Rede wird am 27. September 1914 im Berliner Tageblatt unter dem Titel Deutschland bringt die Freiheit abgedruckt.
(Vinçon, Hartmut [1987]: Frank Wedekind, S. 92f.)
(Vinçon, Hartmut [2014]: Frank Wedekind und der Erste Weltkrieg, http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=19610)