Das Eigenleben der Liebe
In Gert Hofmanns letztem Werk, Die kleine Stechardin, heißt es: „Nun, jeder versuchte auf seine Art, sich von der Welt ein Bild zu machen und sie seinem Kopf anzupassen“. Der Roman hat die Liebesbeziehung des Physikers Georg Christoph Lichtenberg zu seinem 23 Jahre jüngeren Hausmädchen zum Inhalt. Lichtenberg registriert eine Veränderung in seinem Kopf. Eigentlich hatte er immer den Kopf voller Bücher. Sein Interesse galt dem Geheimnis der Sprache: Ein Wort drückte nicht nur das Wesen eines Dings aus, sondern auch seine Verwandtschaft und Beziehung zu anderen Wörtern. Und dann gab es den Ton, der dem Wort Unter- und Nebenbedeutungen verlieh. Wie konnte man ihn mitschreiben? Wie ließ sich Leben in Sprache abbilden? Wie konnte man die Sprache atmen lassen?
Doch seit einiger Zeit nimmt Maria Stechard immer mehr Platz in seinem Kopf ein. Er befürchtet, dass sein Kopf nicht groß genug für das sein wird, was vor ihm liegt. Auf die Frage der Stechardin, was denn vor ihm liege, gibt er keine Antwort.
Es gibt noch einen anderen Gedanken, der den scheuen buckligen Lichtenberg mit großer Gewalt überfällt: der Gedanke an die Liebe. Er erzählt der kleinen Stechardin von seiner ersten Liebe. Davon will sie nichts wissen, dafür aber anderes: was schwer ist und was leicht ist, ob alle Wörter ein „dahinter“ haben, ob man sich selbst versteht. Er lehrt sie lesen und schreiben, und sie hilft ihm, sich an die Welt anzuklammern, damit er nicht davon herunterrutscht -- eine Gefahr, die mit dem Alleinsein verbunden gewesen und nun gebannt ist. Lichtenberg ist nicht mehr allein, seit die junge Stechardin bei ihm im Haus lebt. Ihre Liebe hat viele Facetten. Lichtenberg liebt mit aller Zärtlichkeit, Gier, Kleinlichkeit und Unschuld, die der Mensch zur Verfügung hat. Dabei verändert sich die Welt.
„Jedenfalls zog Lichtenberg sie an sich heran und zu sich herunter und sagte: Jetzt muss ich dir was sagen! Er keuchte und zog sie ganz nahe. Du wirst es nicht glauben, was ich dir sage, sagte er.
Ich glaub dir alles, sagte das Kind.
Du wirst’s mir nicht glauben, sagte er, aber mir ist, als hätte ich gar keinen Buckel mehr!
Was für einen Buckel, fragte sie.“
(Die kleine Stechardin)
Weitere Kapitel:
In Gert Hofmanns letztem Werk, Die kleine Stechardin, heißt es: „Nun, jeder versuchte auf seine Art, sich von der Welt ein Bild zu machen und sie seinem Kopf anzupassen“. Der Roman hat die Liebesbeziehung des Physikers Georg Christoph Lichtenberg zu seinem 23 Jahre jüngeren Hausmädchen zum Inhalt. Lichtenberg registriert eine Veränderung in seinem Kopf. Eigentlich hatte er immer den Kopf voller Bücher. Sein Interesse galt dem Geheimnis der Sprache: Ein Wort drückte nicht nur das Wesen eines Dings aus, sondern auch seine Verwandtschaft und Beziehung zu anderen Wörtern. Und dann gab es den Ton, der dem Wort Unter- und Nebenbedeutungen verlieh. Wie konnte man ihn mitschreiben? Wie ließ sich Leben in Sprache abbilden? Wie konnte man die Sprache atmen lassen?
Doch seit einiger Zeit nimmt Maria Stechard immer mehr Platz in seinem Kopf ein. Er befürchtet, dass sein Kopf nicht groß genug für das sein wird, was vor ihm liegt. Auf die Frage der Stechardin, was denn vor ihm liege, gibt er keine Antwort.
Es gibt noch einen anderen Gedanken, der den scheuen buckligen Lichtenberg mit großer Gewalt überfällt: der Gedanke an die Liebe. Er erzählt der kleinen Stechardin von seiner ersten Liebe. Davon will sie nichts wissen, dafür aber anderes: was schwer ist und was leicht ist, ob alle Wörter ein „dahinter“ haben, ob man sich selbst versteht. Er lehrt sie lesen und schreiben, und sie hilft ihm, sich an die Welt anzuklammern, damit er nicht davon herunterrutscht -- eine Gefahr, die mit dem Alleinsein verbunden gewesen und nun gebannt ist. Lichtenberg ist nicht mehr allein, seit die junge Stechardin bei ihm im Haus lebt. Ihre Liebe hat viele Facetten. Lichtenberg liebt mit aller Zärtlichkeit, Gier, Kleinlichkeit und Unschuld, die der Mensch zur Verfügung hat. Dabei verändert sich die Welt.
„Jedenfalls zog Lichtenberg sie an sich heran und zu sich herunter und sagte: Jetzt muss ich dir was sagen! Er keuchte und zog sie ganz nahe. Du wirst es nicht glauben, was ich dir sage, sagte er.
Ich glaub dir alles, sagte das Kind.
Du wirst’s mir nicht glauben, sagte er, aber mir ist, als hätte ich gar keinen Buckel mehr!
Was für einen Buckel, fragte sie.“
(Die kleine Stechardin)