Der kurze Sommer der Pandemie in Bamberg
Bienvenuti a Bamberga, empfängt mich ein Plakat über dem Abgang vom Bahnsteig. Oder auch: Grüß Gott im fränkischen Rom. Es ist ein warmer Tag im frühen Juli dieses noch mäßig warmen, in anderer Hinsicht jedoch exzessiven Sommers 2020. Unter der Nase spüre ich Schweißperlen, ab und zu läuft eine die Rinne hinab und benetzt den Amorbogen, ein leicht metallischer Geschmack entsteht auf meinen Lippen. Ich lasse den großen Koffer nach vorn kippen, packe den Griff an der Längsseite und trage ihn die Treppen hinab, durch den Untergang und auf der anderen Seite hinauf, rolle ihn, hochkant wieder, durch die Bahnhofshalle. Auf dem Platz vor mir stehen Busse, eine Straße führt vom Bahnhof geradeaus in die Stadt, eine andere parallel zu den Gleisen leitet den Verkehr nach rechts und links ab – ein vertrautes Bild, eine erste leichte Orientierung in der mir nur flüchtig bekannten Stadt. Auf dem Vorplatz nehme ich nach knapp drei Stunden Zugfahrt endlich meine Maske ab, suche ein frisches Papiertaschentuch und wische mir den Schweiß vom Gesicht. Gute zwanzig Minuten werde ich brauchen, um in die Villa Concordia zu gelangen. Da sie nun befreit ist, gehe ich der Nase nach.
Die Luitpoldstraße ist von klassizistischen Bauten geprägt, die Gehwege nicht sonderlich breit, aber auch nicht sonderlich bevölkert. Auf der anderen Straßenseite, das Kino Odeon bietet ein Programm an, Narziss und Goldmund kommt als einer der Filme, die im März gerade noch anliefen und dann im schwarzen Maul des Lockdowns verschwanden. Kurz vor dem Kinostart traf ich mich mit einem Redakteur des Münchener Online-Filmmagazins artechock zu einer Videokritik an dem Film, da überlegten wir schon, ob es noch angemessen sei und wir gesund genug, um uns bei diesem Dreh gegenüber zu sitzen. Ich erinnere mich an die Pestszenen im Film, die, abgesehen von der guten Maske, doch etwas pauschalierend ausfallen.
Mein Smartphone lotst mich über den Schönleinsplatz vorbei an einer Gruppe kreisroter Figuren auf dem Rasen, eine Skulptur des chinesischen Künstler Wang Shugang. Die acht hockenden Figuren sind lebensgroß und scheinen sich mit einem ewigwährenden Mönchslächeln zu taxieren, von der Stadtbevölkerung werden sie, wie ich später erfahre, salopp als die „Scheißerla“ bezeichnet. Durch einen kleinen Hof mit einer langen Reihe von Café-Tischen schiebe ich meinen Koffer, vorbei am Neubau des Theaters auf den Schillerplatz und in Richtung der Nonnenbrücke. Im Vorbeigehen fällt mein Blick auf eine Tafel an einem sehr schmalen alten Stadthaus: E.T.W. Amadeus Hoffmann lebte hier. So bestätigt sich meine wissenschaftlich nicht belegbare These, dass man bei der Ankunft in einer neuen Stadt oft die wichtigen Dinge gleich und per Zufall findet. Auf der Straße fahren eine Menge Autos; es geht gegen drei und die beunruhigend ruhige Zeit, in der wir mehr oder weniger zu Hause saßen, ist – erst einmal? – vorüber.
Da ich noch keine kleinen Schleichwege kenne, um die Minutensparbüchse des Wegeoptimierers zu füllen, folge ich dem schräg am Berg lehnenden S der Hauptstraße. Oben stoße ich auf eine Kreuzung, dort warte ich lange, sehr lange, an einer Ampel. Links beginnt offenbar die Fußgängerzone mit ihren Freischankflächen auf einem kleinen Platz, der – wie auch sonst – mit Kopfsteinpflaster belegt ist. Rechts zweigt die Judengasse ab, in die ich einbiege und die ihrerseits in die Concordiastraße mündet. Am Ende der Straße, die mit großen Steinen so unregelmäßig gepflastert ist, dass das Prinzip der Rollkoffers an seine Grenzen stößt, liegt ein dreihundert Jahre alter, barocker Palast, von einem Waffenhändler aus ockerfarbenem Sandstein errichtet: die Villa Concordia. Hier sollte ich für ein halbes Jahr zu Gast sein, doch die ersten Monate, den April, den Mai, den Juni, hat die Pandemie verschluckt. Ein rechter Allesfresser ist sie. Ich möchte ihr ins Gesicht lachen, mahnten nicht Tausende Tote mich zum Ernst. Maske auf, rein ins Haus.
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Bienvenuti a Bamberga, empfängt mich ein Plakat über dem Abgang vom Bahnsteig. Oder auch: Grüß Gott im fränkischen Rom. Es ist ein warmer Tag im frühen Juli dieses noch mäßig warmen, in anderer Hinsicht jedoch exzessiven Sommers 2020. Unter der Nase spüre ich Schweißperlen, ab und zu läuft eine die Rinne hinab und benetzt den Amorbogen, ein leicht metallischer Geschmack entsteht auf meinen Lippen. Ich lasse den großen Koffer nach vorn kippen, packe den Griff an der Längsseite und trage ihn die Treppen hinab, durch den Untergang und auf der anderen Seite hinauf, rolle ihn, hochkant wieder, durch die Bahnhofshalle. Auf dem Platz vor mir stehen Busse, eine Straße führt vom Bahnhof geradeaus in die Stadt, eine andere parallel zu den Gleisen leitet den Verkehr nach rechts und links ab – ein vertrautes Bild, eine erste leichte Orientierung in der mir nur flüchtig bekannten Stadt. Auf dem Vorplatz nehme ich nach knapp drei Stunden Zugfahrt endlich meine Maske ab, suche ein frisches Papiertaschentuch und wische mir den Schweiß vom Gesicht. Gute zwanzig Minuten werde ich brauchen, um in die Villa Concordia zu gelangen. Da sie nun befreit ist, gehe ich der Nase nach.
Die Luitpoldstraße ist von klassizistischen Bauten geprägt, die Gehwege nicht sonderlich breit, aber auch nicht sonderlich bevölkert. Auf der anderen Straßenseite, das Kino Odeon bietet ein Programm an, Narziss und Goldmund kommt als einer der Filme, die im März gerade noch anliefen und dann im schwarzen Maul des Lockdowns verschwanden. Kurz vor dem Kinostart traf ich mich mit einem Redakteur des Münchener Online-Filmmagazins artechock zu einer Videokritik an dem Film, da überlegten wir schon, ob es noch angemessen sei und wir gesund genug, um uns bei diesem Dreh gegenüber zu sitzen. Ich erinnere mich an die Pestszenen im Film, die, abgesehen von der guten Maske, doch etwas pauschalierend ausfallen.
Mein Smartphone lotst mich über den Schönleinsplatz vorbei an einer Gruppe kreisroter Figuren auf dem Rasen, eine Skulptur des chinesischen Künstler Wang Shugang. Die acht hockenden Figuren sind lebensgroß und scheinen sich mit einem ewigwährenden Mönchslächeln zu taxieren, von der Stadtbevölkerung werden sie, wie ich später erfahre, salopp als die „Scheißerla“ bezeichnet. Durch einen kleinen Hof mit einer langen Reihe von Café-Tischen schiebe ich meinen Koffer, vorbei am Neubau des Theaters auf den Schillerplatz und in Richtung der Nonnenbrücke. Im Vorbeigehen fällt mein Blick auf eine Tafel an einem sehr schmalen alten Stadthaus: E.T.W. Amadeus Hoffmann lebte hier. So bestätigt sich meine wissenschaftlich nicht belegbare These, dass man bei der Ankunft in einer neuen Stadt oft die wichtigen Dinge gleich und per Zufall findet. Auf der Straße fahren eine Menge Autos; es geht gegen drei und die beunruhigend ruhige Zeit, in der wir mehr oder weniger zu Hause saßen, ist – erst einmal? – vorüber.
Da ich noch keine kleinen Schleichwege kenne, um die Minutensparbüchse des Wegeoptimierers zu füllen, folge ich dem schräg am Berg lehnenden S der Hauptstraße. Oben stoße ich auf eine Kreuzung, dort warte ich lange, sehr lange, an einer Ampel. Links beginnt offenbar die Fußgängerzone mit ihren Freischankflächen auf einem kleinen Platz, der – wie auch sonst – mit Kopfsteinpflaster belegt ist. Rechts zweigt die Judengasse ab, in die ich einbiege und die ihrerseits in die Concordiastraße mündet. Am Ende der Straße, die mit großen Steinen so unregelmäßig gepflastert ist, dass das Prinzip der Rollkoffers an seine Grenzen stößt, liegt ein dreihundert Jahre alter, barocker Palast, von einem Waffenhändler aus ockerfarbenem Sandstein errichtet: die Villa Concordia. Hier sollte ich für ein halbes Jahr zu Gast sein, doch die ersten Monate, den April, den Mai, den Juni, hat die Pandemie verschluckt. Ein rechter Allesfresser ist sie. Ich möchte ihr ins Gesicht lachen, mahnten nicht Tausende Tote mich zum Ernst. Maske auf, rein ins Haus.