Carry Brachvogels Ende
Ob Carry Brachvogel und Eva Gräfin von Baudissin, die früheren Kolleginnen und Freundinnen, nach 1933 noch Kontakt hatten, ist nicht überliefert. Nachdem Carry Brachvogel 1933 Berufs- und Publikationsverbot erhalten hat, wird es einsam um sie.
Und so verschwindet Carry Brachvogel ab 1933 Schritt für Schritt aus der literarischen Welt. In Kürschners Literaturkalender von 1936 ist sie nicht mehr verzeichnet. Fortan teilt sie ihr weiteres Schicksal mit ihrem Bruder Prof. Dr. Siegmund Hellmann, damals ein bekannter Historiker und Mediävist, der in engem Kontakt zu Max Weber steht. Auch er erhält 1933 Berufs- und Publikationsverbot; seine Professur in Leipzig, die er seit 1923 innehat und seine Bezüge werden ihm entzogen. Siegmund Hellmann zieht zu seiner Schwester Carry und seiner Nichte Feodora in die Herzogstraße 55. Am 17. Juli 1942 erhalten die 78-jährige Carry Brachvogel und der 70-jährige Prof. Dr. Siegmund Hellmann ein Schreiben der Gestapo München mit der Mitteilung, dass ihr Vermögen beschlagnahmt worden sei, und der Anweisung, sich ab dem 20. Juli in ihrer Wohnung in der Herzogstraße 55 für einen „Abwanderungstransport“ bereitzuhalten. Am 21. Juli erscheinen Gestapo-Beamte und holen die beiden Geschwister ab. Beide werden in einen Omnibus verfrachtet. Die Fahrt geht über Milbertshofen. Von dort schickt Carry Brachvogel noch eine Postkarte an ihre Tochter. Es ist ihr letztes Lebenszeichen:
Liebe, geliebte Feo, ich schreibe nach einem guten Abendessen und dto Kaffee! Morgen früh geht es weiter, von Th. [Theresienstadt] höre ich nur Gutes. (Dein Kuchen zum Kaffee war herrlich!) Bekannte sah ich bisher nicht. – Vermiete nun nur so rasch und gut wie möglich, – Hoffentlich ist bei euch alles in Ordnung?? Mache keine weiteren Versuche, – sie sind zwecklos! Sei mutig, lies keine Zeitung. Wir grüßen euch vielmals! Deine alte zuversichtliche Mama.
Vier Monate nach ihrer Ankunft kommt Carry Brachvogel am 20. November 1942 in Theresienstadt um, ihr Bruder Siegmund nur wenig später am 7. Dezember 1942. Erst nach Kriegsende 1945 erfahren die Familien Brachvogel und Hellmann, dass beide 1942 in Theresienstadt zu Tode gekommen sind.
Die Suche der Frau nach einer neuen Identität in einer sich wandelnden Gesellschaft war ein zentrales Thema von Carry Brachvogels Schaffen als Autorin und Feuilletonistin – so wie für viele Autorinnen der Jahrhundertwende. Als Repräsentantinnen der bürgerlichen Frauenbewegung und Gründerinnen des Münchner Schriftstellerinnen-Vereins unterschätzten sie und Emma Haushofer-Merk dabei nicht die Bedeutung politischer und ökonomischer Voraussetzungen für eine wirkliche Gleichberechtigung der Geschlechter. Das Ziel gerechter und gleichberechtigter Entlohnung war eine zentrale Forderung des Münchner Schriftstellerinnen-Vereins. Carry Brachvogel, Emma Haushofer-Merk und all ihre Mitstreiterinnen haben schon damals propagiert und antizipiert, was heute noch immer aktuell ist.
Sie waren herausragende Frauen Bayerns. Modern und emanzipiert in ihrer Lebensweise und als Münchner Schriftstellerinnen und Frauenrechtlerinnen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts weit über Bayerns Grenzen hinaus bekannt. Mit ihrem Lebensstil, ihren Ideen und politischem Engagement sind sie und ihre Ansichten noch immer aktuell. Finanzielle Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Frauen waren ihre zentralen Ideen, die sie nicht nur in künstlerischen Werken verarbeiteten, sondern auch im realen Leben verankert wissen wollten.
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Ob Carry Brachvogel und Eva Gräfin von Baudissin, die früheren Kolleginnen und Freundinnen, nach 1933 noch Kontakt hatten, ist nicht überliefert. Nachdem Carry Brachvogel 1933 Berufs- und Publikationsverbot erhalten hat, wird es einsam um sie.
Und so verschwindet Carry Brachvogel ab 1933 Schritt für Schritt aus der literarischen Welt. In Kürschners Literaturkalender von 1936 ist sie nicht mehr verzeichnet. Fortan teilt sie ihr weiteres Schicksal mit ihrem Bruder Prof. Dr. Siegmund Hellmann, damals ein bekannter Historiker und Mediävist, der in engem Kontakt zu Max Weber steht. Auch er erhält 1933 Berufs- und Publikationsverbot; seine Professur in Leipzig, die er seit 1923 innehat und seine Bezüge werden ihm entzogen. Siegmund Hellmann zieht zu seiner Schwester Carry und seiner Nichte Feodora in die Herzogstraße 55. Am 17. Juli 1942 erhalten die 78-jährige Carry Brachvogel und der 70-jährige Prof. Dr. Siegmund Hellmann ein Schreiben der Gestapo München mit der Mitteilung, dass ihr Vermögen beschlagnahmt worden sei, und der Anweisung, sich ab dem 20. Juli in ihrer Wohnung in der Herzogstraße 55 für einen „Abwanderungstransport“ bereitzuhalten. Am 21. Juli erscheinen Gestapo-Beamte und holen die beiden Geschwister ab. Beide werden in einen Omnibus verfrachtet. Die Fahrt geht über Milbertshofen. Von dort schickt Carry Brachvogel noch eine Postkarte an ihre Tochter. Es ist ihr letztes Lebenszeichen:
Liebe, geliebte Feo, ich schreibe nach einem guten Abendessen und dto Kaffee! Morgen früh geht es weiter, von Th. [Theresienstadt] höre ich nur Gutes. (Dein Kuchen zum Kaffee war herrlich!) Bekannte sah ich bisher nicht. – Vermiete nun nur so rasch und gut wie möglich, – Hoffentlich ist bei euch alles in Ordnung?? Mache keine weiteren Versuche, – sie sind zwecklos! Sei mutig, lies keine Zeitung. Wir grüßen euch vielmals! Deine alte zuversichtliche Mama.
Vier Monate nach ihrer Ankunft kommt Carry Brachvogel am 20. November 1942 in Theresienstadt um, ihr Bruder Siegmund nur wenig später am 7. Dezember 1942. Erst nach Kriegsende 1945 erfahren die Familien Brachvogel und Hellmann, dass beide 1942 in Theresienstadt zu Tode gekommen sind.
Die Suche der Frau nach einer neuen Identität in einer sich wandelnden Gesellschaft war ein zentrales Thema von Carry Brachvogels Schaffen als Autorin und Feuilletonistin – so wie für viele Autorinnen der Jahrhundertwende. Als Repräsentantinnen der bürgerlichen Frauenbewegung und Gründerinnen des Münchner Schriftstellerinnen-Vereins unterschätzten sie und Emma Haushofer-Merk dabei nicht die Bedeutung politischer und ökonomischer Voraussetzungen für eine wirkliche Gleichberechtigung der Geschlechter. Das Ziel gerechter und gleichberechtigter Entlohnung war eine zentrale Forderung des Münchner Schriftstellerinnen-Vereins. Carry Brachvogel, Emma Haushofer-Merk und all ihre Mitstreiterinnen haben schon damals propagiert und antizipiert, was heute noch immer aktuell ist.
Sie waren herausragende Frauen Bayerns. Modern und emanzipiert in ihrer Lebensweise und als Münchner Schriftstellerinnen und Frauenrechtlerinnen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts weit über Bayerns Grenzen hinaus bekannt. Mit ihrem Lebensstil, ihren Ideen und politischem Engagement sind sie und ihre Ansichten noch immer aktuell. Finanzielle Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Frauen waren ihre zentralen Ideen, die sie nicht nur in künstlerischen Werken verarbeiteten, sondern auch im realen Leben verankert wissen wollten.