Zu Carry Brachvogels Wirken – Die Frau und der Krieg

Im Mai 1915 übernimmt Carry Brachvogel bis nach Kriegsende zusammen mit der Künstlerin Eda Metger die Leitung der Nähstube des Vereins für Fraueninteressen, die am 1. Oktober 1914 als Lehrwerkstätte eröffnet worden ist. Zeitweise sind hier bis zu 150 Arbeiterinnen beschäftigt. Für diesen „Heimatdienst im Weltkrieg“ wird der Schriftstellerin später das Bayerische Ludwigskreuz verliehen.

In ihrem literarischen Schaffen rückt nun das Verhältnis der Frau zum Krieg in den Vordergrund. Über ihre Einstellung zu Beginn des Krieges gibt ein Essay von 1914 Die Frau und der Krieg Auskunft. Hier beschäftigt sie sich mit dem geschichtlichen Verhältnis von Frau und Krieg und erläutert die neuen Aufgaben, die der deutschen Frau nun obliegen: Während es den Männern vergönnt sei, für ein höchstes Gut streiten und sterben zu können, bleibe diese Hingabe der Persönlichkeit den Frauen versagt. Von jeher sei der Frau im Krieg nur eine passive Stellung zugekommen, als Wartende oder als Siegerbeute. (Den Mythos von den Amazonen und Penthesilea hält sie eher für eine Fabel.) Der erste Schritt zu einer „weiblichen Beziehung zum Krieg“ sei vollzogen worden, als man die organisierte Verwundetenpflege männlicher Ordensgemeinschaften auf die Frauen übertragen und damit zugleich die Krankenschwester zu einer romantischen Lichtgestalt gemacht habe, während sich der Rest der Frauenwelt mit Handarbeiten habe beschäftigen müssen. Und so sei denn auch „Scharpie zupfen“ (Leinen wird in kleine Fäden gezupft) während des 1870er-Krieges das Symbol für die weibliche Kriegstätigkeit gewesen.

Carry Brachvogel findet, dass der aktuelle Krieg den Frauen eine neue Entwicklungsstufe und neue Verantwortung ermögliche. Als wichtigste Aufgabe der Frauen sieht sie nun die Schaffung von Arbeit an:

Während der Mann im Feld mit uniformierten Feinden streitet, bekämpft sie daheim, bewehrt mit einer großzügigen Organisation, die inneren Feinde, die den äußeren zu Hilfe kommen möchten: Arbeitslosigkeit, Hunger und Not. Gleichviel ob es ihr vergönnt ist, ganz selbstständig oder nur als dienendes Glied in diesem unblutigen und doch so schweren Feldzug mitzustreiten, – überall ist sie am Platze, ist sie sich der großen Verantwortung bewußt, die jetzt auf ihren Schulter liegt. Sie weiß, daß es sich jetzt um ganz andere Werte handelt als um Verbandszeug oder gestrickte Socken, daß sie jetzt mit dazu berufen ist, den gewaltigen Kampf auszufechten, in dem unsere Heere Tag für Tag unter dem Granatfeuer stehen. Arbeit zu schaffen und so die große Not fernzuhalten, die uns zu einem übereilten Frieden zwingen könnte, das ist heute die ehrenvolle Aufgabe, vor der sich die deutsche Frau gestellt ist.

(Carry Brachvogel: Die Frau und der Krieg. In: Aus unserer großen Zeit. Frauenworte. Zum Besten vom Roten Kreuz. J. F. Lehmann's Verlag, München, S. 10-13, hier S. 12f.)

Nach über einem Jahr Kriegserfahrung findet am 1. und 2. Oktober 1915 im Festsaal des Münchner Künstlerhauses am Lenbachplatz die „Kriegstagung süddeutscher Frauen“ statt. Hier treffen sich Vertreterinnen der Frauenverbände aus Baden-Württemberg, Hessen und Bayern zum Erfahrungsaustausch. Durchgeführt wird die Veranstaltung vom Münchner Verein für Fraueninteressen. In den Vorträgen werden sozialpolitische Probleme erörtert, die durch den Krieg entstanden sind, z.B. die Notwendigkeit der Hinterbliebenenfürsorge und einer Berufsberatung für die zunehmende Zahl erwerbstätiger Frauen. Die Frauen nutzen diese Tagung auch dazu, die Unentbehrlichkeit ihrer Leistungen zu demonstrieren.

Nicht unerwähnt sei, dass es innerhalb der Frauenwelt auch andere Haltungen zum Krieg gibt. So tagt in Den Haag vom 28. April bis zum 1. Mai 1915 der „Internationale Frauenkongress“, an dem über 1.100 Delegierte aus zwölf Ländern teilnehmen, auch aus Ländern, die Krieg gegeneinander führen. Aus Deutschland sind hier Frauen des „radikalen Flügels“ der Frauenbewegung vertreten, unter ihnen auch Anita Augspurg, die in München 1894 einstmals den Verein für Fraueninteressen mitgegründet hatte. Dieser Kongress protestiert gegen den Krieg als einen „Wahnsinn“, der „nur durch eine ‚Massenpsychose‘ möglich gewesen sei“. Er fordert die Regierungen zu Friedensverhandlungen auf, stellt Friedensgrundsätze auf und verlangt eine politische Gleichberechtigung der Frauen.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

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Aus unserer großen Zeit. Frauenworte. Zum Besten vom Roten Kreuz, München 1914, Titelblatt und Inhaltsverzeichnis. In diesem Buch finden sich den Krieg unterstützende Texte und Gedichte bekannter Münchner Schriftstellerinnen. © Privatarchiv Ingvild Richardsen