Zur Rezeption
Das Buch wird ein großer Erfolg, erscheint in mehreren Auflagen und erfährt Mengen an Rezensionen. Der Münchner Schriftsteller Jakob Wassermann (1873-1943) schreibt in der Wiener Zeit:
In Marie-Elisa dagegen tritt uns eine moderne Frau mit einer nahezu gewaltsamen Deutlichkeit entgegen. Losgelöst von allen Litteraturkonventionen, wirkt es in erster Linie nicht als Kunstwerk, sondern als eine Proklamation neuen Lebens. Ohne den geringsten Willen zu einer Tendenz ist es doch die schärfste Präzision der sogenannten Frauenfrage, die ich kenne. Der Grundgedanke, eigentlich banal, wie eben alle Wahrheiten, welche durch das Leben sanktioniert wurden, banal sind, ist kein anderer als: Gatte suche die Seele deines Weibes und nimm sie in dich auf, damit ihr beide ein einziges Wesen werdet. Nichts anderes geht in diesem seltenen Buch vor, als das Suchen des Mannes nach seinem Weib, nichts wird geschildert, als das Weibwerden der jungen Marie-Elisa und ihr angstvolles Zusehen, auf welchen Irrwegen der Geliebte geht, wie er ihr innerlich nicht mehr nahe kommen kann, wie er an ihrem Herz gleichsam vorbeigeht, wie er an sich selbst herumdeutelt, bis sie ihm verzweifelt zuruft – und das ist wie die Peripetie in einem Drama – deine Fehler hast Du gefunden, aber dein Weib hast du nicht gefunden. Dies ist das Buch einer Frau, vielleicht das bezeichnendste, das in der neuen Litteratur vorhanden ist. Keine Zeile könnte von einem Mann herrühren. Es ist von einer sittlichen Größe, die reinigend wirkt gleich der frischen Morgenlust am See, und eben diese Größe im Sittlichen und die ungewöhnliche Konsequenz, womit hier ideale Forderungen wie eine Kriegskontribution eingezogen und erfüllt werden, machen dies Buch so frauenhaft, abgesehen von dem sanften und seltsam vibrierenden Stil. Fein gesehen sind die Nebenfiguren und voll Duft und Klarheit die Landschaft. Alles in allem: e i n n e u e s B u c h .
(Egidy 1898: Marie-Elisa. Pierson 3. Aufl., S. 313f.)
Weitere Kapitel:
Das Buch wird ein großer Erfolg, erscheint in mehreren Auflagen und erfährt Mengen an Rezensionen. Der Münchner Schriftsteller Jakob Wassermann (1873-1943) schreibt in der Wiener Zeit:
In Marie-Elisa dagegen tritt uns eine moderne Frau mit einer nahezu gewaltsamen Deutlichkeit entgegen. Losgelöst von allen Litteraturkonventionen, wirkt es in erster Linie nicht als Kunstwerk, sondern als eine Proklamation neuen Lebens. Ohne den geringsten Willen zu einer Tendenz ist es doch die schärfste Präzision der sogenannten Frauenfrage, die ich kenne. Der Grundgedanke, eigentlich banal, wie eben alle Wahrheiten, welche durch das Leben sanktioniert wurden, banal sind, ist kein anderer als: Gatte suche die Seele deines Weibes und nimm sie in dich auf, damit ihr beide ein einziges Wesen werdet. Nichts anderes geht in diesem seltenen Buch vor, als das Suchen des Mannes nach seinem Weib, nichts wird geschildert, als das Weibwerden der jungen Marie-Elisa und ihr angstvolles Zusehen, auf welchen Irrwegen der Geliebte geht, wie er ihr innerlich nicht mehr nahe kommen kann, wie er an ihrem Herz gleichsam vorbeigeht, wie er an sich selbst herumdeutelt, bis sie ihm verzweifelt zuruft – und das ist wie die Peripetie in einem Drama – deine Fehler hast Du gefunden, aber dein Weib hast du nicht gefunden. Dies ist das Buch einer Frau, vielleicht das bezeichnendste, das in der neuen Litteratur vorhanden ist. Keine Zeile könnte von einem Mann herrühren. Es ist von einer sittlichen Größe, die reinigend wirkt gleich der frischen Morgenlust am See, und eben diese Größe im Sittlichen und die ungewöhnliche Konsequenz, womit hier ideale Forderungen wie eine Kriegskontribution eingezogen und erfüllt werden, machen dies Buch so frauenhaft, abgesehen von dem sanften und seltsam vibrierenden Stil. Fein gesehen sind die Nebenfiguren und voll Duft und Klarheit die Landschaft. Alles in allem: e i n n e u e s B u c h .
(Egidy 1898: Marie-Elisa. Pierson 3. Aufl., S. 313f.)