Ypsilon minus

Der 1927 geborene promovierte Physiker Herbert W. Franke begann 1957 parallel zu seiner wissenschaftlichen Arbeit seine Laufbahn als Schriftsteller. Sein umfangreiches Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Von 1973 bis 1997 hatte er an der LMU München einen Lehrauftrag für „Kybernetische Ästhetik“ (später „Computergrafik-Computerkunst“) inne. In seinem 1976 veröffentlichten Roman Ypsilon minus beschreibt er eine Stadt im Jahr 2000, in der ein technologisches Überwachungssystem die totale Kontrolle über alle Lebensbereiche ausübt. Ben Erman, der Protagonist, arbeitet im zentralen Meldeamt der namenlosen Stadt als Rechercheur, der die Einstufung der Einwohner in verschiedene Klassen vornimmt. Den Menschen, die von der vorgeschriebenen Norm abweichen oder abzuweichen drohen, wird die Indexnummer Ypsilon minus zugeteilt. Schon „falsche Antworten bei Befragungen, eine ungünstige Auswahl des Lesestoffs“ bergen das Risiko der Stigmatisierung als „nichtangepasst“. Eines Tages fordert ihn das Computersystem auf, sich selbst zu kontrollieren.

Als erstes ging Ben die medizinischen Daten durch. Hier war alles vermerkt: seine Klon-Gruppe, seine Geburtsdaten, sein Wachstumskoeffizient, seine Impfungen und Immunisierungen, die Fluorierung seiner Knochen und Zähne, die Pigmentierung seiner Haut. [...] Er war gesund, und wieder erinnerte er sich daran, dass die Genugtuung darüber nicht die war, die man einem Fremden gegenüber aufbringt. Daran war nichts zu ändern: Er war es selbst, den er untersuchte, und was dabei herauskam, war ihm prinzipiell nicht gleichgültig.

Ben Erman weiß nicht, ob es sich um einen Computerfehler handelt oder einen bewussten Angriff auf seine Existenz. Als er mit der Kontrolle seiner eigenen Person fortfährt, macht er eine verstörende Entdeckung.

Nach zwei Stunden stand es fest: In seinem Leben fehlten drei Jahre. Der Nachweis dafür war nicht einfach gewesen – es bedurfte der ganzen Raffinesse eines bewährten Rechercheurs, um versteckte Anzeichen auf etwas Ungewöhnliches herauszufinden.

In den Akten war alles lückenlos verzeichnet: „medizinische Daten, Testergebnisse, Wiederholungskurse, Prüfungen, Verbrauch an elektrischem Strom, das Freizeitverhalten, die Auswahlindices für Sport-, Spiel- und Unterhaltungssendungen“. Die Angaben waren vollständig, konsistent und homogen.

Gerade hier aber lag der Schlüssel zur Überprüfung: Es waren genau drei Jahre, in denen der Homogenitätsgrad geradezu auffallend hoch war. Es gab kein herausstechendes Ereignis, nichts, das irgendwelche Folgen hinterlassen hätte, keinerlei Anhaltspunkte für Erinnerungen. [...] Selbstverständlich versuchte Ben, sich an diese Zeit zu erinnern. Aber sie lag zehn Jahre zurück, und was bedeuten da drei Jahre ohne herausragende Geschehnisse?

Doch Ben Erman ist im Laufe seiner Autoanalyse zunehmend misstrauisch geworden, erkennt, dass Protokolle gelöscht worden sind und startet einen Versuch, seine Erinnerungsblockade mit Hilfe von Drogen zu lösen.

Zunächst hatte Ben keine Angst vor dem Eingriff in sein Gedächtnis gehabt. Die Methode war längst klinisch erprobt, und sie wurde oft genug in den Routinefällen angewandt, wenn es darum ging, vergessenen Wissensstoff wachzurufen. [...] Als er in seine Koje kroch, merkte er, dass sich sein Gesichtsfeld schon einzuengen begann, und so warf er sich samt den Kleidern aufs Bett, und in dem Augenblick versank die Wirklichkeit auch schon in einem diffusen Nebel von Bildern und Gestalten.

Irgendwann entdeckt er, dass er in der fraglichen Zeit Mitglied einer Gruppe von widerständigen Programmierern war, die das zentrale Computersystem außer Kraft setzen wollten, und erkennt das volle Ausmaß der Gefahr, in der er sich befindet.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt

Sekundärliteratur:

Porträt Herbert W. Franke in der AVA International



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Buchcover, Heyne Verlag.