Friedrich Hebbel: Agnes Bernauer, 1855

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Titelblatt der Erstausgabe der Bayerischen Staatsbibliothek

Friedrich Hebbel: Agnes Bernauer. Ein deutsches Trauerspiel in fünf Aufzügen. Verlag von Tendler & Comp., Wien 1855.

Standortsignatur: P.o.germ. 588 wg

urn:nbn:de:bvb:12-bsb10110589-9

„Eben, abends um 8 Uhr, schließe ich den ersten Akt der Agnes Bernauer, den ich vor acht Tagen begann. Längst hatte ich die Idee, auch die Schönheit einmal von der tragischen, den Untergang durch sich selbst bedingenden Seite darzustellen, und die Agnes Bernauerin ist dazu wie gefunden“, notiert Hebbel am 30. September 1851 in seinem Tagebuch (Tgb. 4941)1. Seit 1845 beschäftigt ihn die Idee von der „Tragödie“ der Schönheit. Eine attraktive Frau erwartet gemäß seinen Vorstellungen ein düsteres, gewaltsames Schicksal: „Sie glaubt, ihre Schönheit müsse ihr Glück machen, [...] doch die Anträge, die man ihr macht, deuten alle aufs Hurenhaus, keiner auf ein gräfliches Schloß“ (Tgb. 3289)1.

Hebbel findet einen historischen Stoff, in dem er die Tragik der Schönheit historisch wie mythisch fundieren kann. „Mein neues Stück behandelt einen merkwürdigen Vorgang der Bairischen Geschichte und spielt großentheils zu München“, schreibt er am 12. Dezember 1851 an den Intendanten des Münchner Hof- und Nationaltheaters, wo Agnes Bernauer 1852 uraufgeführt wird.

Der Mythos von der schönen Bernauerin hat bereits viele Bearbeiter auf den Plan gerufen, und auch nach Hebbel nehmen sich Künstler wie Carl Orff oder Franz Xaver Kroetz des Themas an.

Agnes Bernauer (um 1410/11-1435) stammt aus bescheidenen Verhältnissen – gemäß der Überlieferungstradition gilt sie als Tochter eines Baders. Ihre Schönheit ist legendär: „Man sagt, das sy so hubsch gewesen sey, wann sy roten wein getrunken hett, so hett man ir den wein in der kel hinab sechen gen“, so der Chronist Veit Arnpeck noch 14932. Agnes lernt den Herzogssohn Albrecht von Bayern-München bei einem Turnier kennen. Bald nach der heimlichen Heirat (um 1432/33) zieht sie mit ihm ins Schloss nach Straubing. Herzog Ernst misst der Affäre des Sohnes – „ain liebhaber der zarten frawen“ (Chronist Ulrich Füetrer)2 – zunächst keine Bedeutung bei. Die Situation eskaliert, als Abrecht sein Erbe antreten soll. Der Vater sieht das Herzogtum Bayern-München samt dem Straubinger Land gefährdet. Von Albrecht erwartet er eine standesgemäße Heirat und legitime Erben.

Auch bei Hebbel kollidiert die Staatsräson mit dem individuellen Glück. Herzog Ernst entfernt Albrecht mit einer List von Agnes. Kanzler Preising bedrängt Agnes, sich von Albrecht zu trennen, damit sie ihr Leben rettet. Sie weigert sich. Daraufhin lässt Herzog Ernst sie bei Straubing in der Donau ertränken. Herzog Ernst zu Preising: „Es gibt Dinge, die man, wie im Schlaf tun muß. Dies gehört dazu. Das große Rad ging über sie weg – nun ist sie bei dem, der's dreht. Jetzt handelt sich's denn um ihn!“ (5. Akt, 6. Szene). Der zunächst aufbegehrende Albrecht versöhnt sich letztendlich mit seinem Vater. Für Agnes wird ein Totendienst gestiftet.

Als Sohn eines Maurers verlebt Hebbel, 1813 im damals dänischen Dithmarschen geboren, eine Kindheit in ärmlichen Verhältnissen. Während seines Dienstes beim Kirchspielvogt Mohr hat er Gelegenheit, in dessen Büchern zu stöbern. Erste Gedichte entstehen, die er unter anderem in den Neuen Pariser Modeblättern veröffentlicht. Durch den Kontakt mit der Verlegerin kommt er 1835 nach Hamburg. Es folgen weitere entbehrungsreiche Jahre. Hebbel zieht nach München, von wo er 1839 zu Fuß nach Hamburg zurückwandert. Das Jahr 1840 bringt die Geburt seines ersten unehelichen Sohnes und die Uraufführung der Tragödie Judith. Mittlerweile in Kopenhagen, erhält Hebbel 1842 ein Stipendium vom dänischen König, das ihm einen Parisaufenthalt ermöglicht. Auch ein zweites uneheliches Kind kann ihn nicht zur Heirat motivieren. Über Stationen in Italien und Frankreich gelangt er 1845 nach Wien. Die Heirat mit seiner dortigen Bekanntschaft, der Burgschauspielerin Christine Enghaus bringt ihm finanzielle Sicherheit für sein literarisches Schaffen. In den folgenden Jahren entstehen weitere Dramen, darunter Agnes Bernauer und die Nibelungen. In Wien wird ihm die ersehnte öffentliche Anerkennung zuteil. Er stirbt dort im Alter von 50 Jahren.

Links: Die Gartenlaube (1873), Verleger Ernst Keil. Leipzig. Bild aus S. 454. Mitte: Plakat für die Agnes-Bernauer-Festspiele 2015 in Straubing. Rechts: X. A. Hartleib, Agnes-Bernauer-Kapelle in Straubing, handkolorierter Holzstich vor 1850 (Foto: Johann Sporschil, Geschichte der Deutschen, Regensburg 1850)

In München werden Agnes Bernauer und ihr Autor zunächst gut aufgenommen. Der Intendant Franz Dingelstedt berichtet: „Ich hatte mir vorgenommen, noch vor der Agnes Bernauer deren Verfasser in Scene zu setzen. [...] Alle Salons thaten sich vor ihm auf; auch die Apartements der beiden Könige, Max und Ludwig. Hebbel war der Mann des Tages, er ging aus einer Hand in die andere“3. Die Stimmung schlägt jedoch um und Hebbel reist ab. Aus Wien erreicht Dingelstedt folgende Briefäußerung Hebbels: „Mögen die edlen Bavaren Bier trinken und auf die Fremden fluchen; ich werde sie nicht wieder incommodiren“3.

Bis zur Zeit des Nationalsozialismus spielt das Drama eine untergeordnete Rolle im Repertoire deutscher Bühnen. Im „Dritten Reich“ jedoch boomen die Aufführungen. Man feiert den Vorrang von Staat und Volk vor dem Schicksal des Einzelwesens. In den Nachkriegsjahren scheut man zunächst Aufführungen der nationalsozialistisch kontaminierten Tragödie. Doch mit der Zeit erfährt das Drama eine Rehabilitierung, und Agnes wird nicht nur in Hebbels Version, sondern auch in den Straubinger und Vohburger Festspielen, weiteren Bearbeitungen und Memorabilien als bayerische Königin der Herzen gefeiert.

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1 Friedrich Hebbel: Werke. Hg. von Gerhard Fricke, Werner Keller u. Karl Pörnbacher. 5 Bde. Hanser, München 1963-1967.

2 Marita A. Panzer: Ermordung der Agnes Bernauer. In: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ermordung_ der_Agnes_Bernauer, (18.10.2016).

3 Franz Dingelstedt: Literarisches Bilderbuch. Hofmann, Berlin 1878, S. 224ff.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Birgit Ziegler-Stryczek

Sekundärliteratur:

Ceynowa, Klaus; Gilcher, Birgit; Ziegler-Stryczek, Birgit (2016): Erstausgaben im digitalen Gewand. Die App „Deutsche Klassiker“ der Bayerischen Staatsbibliothek, in: Bibliotheksmagazin. Mitteilungen aus den Staatsbibliotheken in Berlin und München 1, S. 12-17.

 

Weiterführende Links:

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Friedrich Hebbel, Porträt von Carl Rahl (1851)
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