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Über den Schriftsteller Ernst Augustin

In diesen Tagen erscheint die Kulturzeitschrift Literatur in Bayern erstmals in ihrem 30. Jahr. Die noch druckfrische Jubiläumsausgabe enthält neben Beiträgen von Gerd Holzheimer – der auch Herausgeber ist –, Gert Heidenreich und Thomas Lang (u.a.) diese einführende Betrachtung der Münchner Künstlerin und Autorin Brigitta Rambeck über den großen Schriftsteller Ernst Augustin. Brigitta Rambeck, die unter anderem mit dem Schwabinger Kunstpreis augezeichnet wurde, leitet seit Jahren den literarischen Seerosenkreis in München.


Grand Old Man

Ernst Augustin, im selben Jahr wie Martin Walser und Günter Grass geboren, wird als der „Grand Old Man der deutschen Literatur“ bezeichnet und gilt zugleich doch immer noch als „Geheimtipp“. Das heißt: Seine Popularität entspricht nicht der oft geradezu hymnischen Akzeptanz durch die Literaturkritik, die seine Werke gern in die Nähe der Kafka´schen Denkungsart sowie der surrealistischen Phantasiewelt rückt.

Viele Preise hat er erhalten, bereits für seinen ersten Roman (Der Kopf, 1962) den  Hermann-Hesse-Preis, dann u.a. den Kleist-Preis, den Mörike-Preis und alle wesentlichen literarischen Auszeichnungen seiner Wahlheimat-Stadt München: den Literaturpreis der Landeshauptstadt, den Tukan-Preis sowie den vielleicht intimst-Münchnerischen Literaturpreis, gestiftet von Ernst und Franzi Hoferichter (2008). In München ansässig muss man für diesen Preis sein, dazu beseelt von Weltoffenheit und Humor. Münchner ist Augustin seit 1961 (Kriterium 1), allerdings mit umfangreichen Aushäusigkeiten rund um den Erdball (Kriterium 2), und sein bei allem Tief- und Hintersinn stets omnipräsenter Humor (Kriterium 3) oszilliert quer durch sein Gesamtwerk, vom surrealen „Nonsense“ über tief schürfende, psychologisch „unterfütterte“ Ironie bis hin zum liebevollen Lächeln augenzwinkernder Weisheit.

Geboren 1927 in Schweidnitz im Riesengebirge, dort und – seit 1934 – in Schwerin aufgewachsen, studierte Ernst Augustin in Rostock Medizin und promovierte 1952 in Ost-Berlin über Das elementare Zeichnen bei den Schizophrenen, was für den späteren Schriftsteller nachhaltig aussagekräftig ist, denn „in den meisten seiner Romane bewegen sich die Protagonisten zwischen überschäumender Einbildungskraft und drohendem Wahnsinn.“ (Matthias Schnitzler)

Medizinisch arbeitete Augustin zunächst als Unfallchirurg in Wismar, dann als Assistenzarzt für Neurologie und Psychiatrie an der Ost-Berliner Charité, bis er 1958 aus der DDR floh. Erste Station: Afghanistan, wo er drei Jahre lang ein amerikanisches Krankenhaus leitete. Zurück in Deutschland war er als Stationsarzt an der Münchner Universitäts-Nervenklinik tätig. Wenig später zog er sich aus dem Klinikalltag zurück und arbeitete als psychiatrischer Gutachter in München, sofern er nicht unterwegs war, beruflich oder privat. Pakistan, Indien, die Türkei, die Sowjetunion, England, die USA und nicht zuletzt Südamerika waren Ziele unter vielen, und mancherorts richtete er sich sogar eine eigene Wohnstatt ein, vorübergehend oder auch von Dauer wie zum Beispiel direkt am Hafen von London. Eigentlich wollte er ja Architekt werden. Das Londoner Haus, im Innenraum gestaltet wie ein Schiff, hat Ernst Augustin, ebenso wie sein Münchner Domizil, gemeinsam mit seiner kongenialen Frau, der Malerin Inge Augustin, weitgehend eigenhändig gestaltet: als Spiegelbild seiner inneren Befindlichkeiten und Bedürfnisse.

Häuser als Lebens- und Seelenräume spielen auch in seinen Büchern eine essentielle Rolle, so bereits in seinem frühen Roman Raumlicht: Der Fall Evelyne B (Suhrkamp, 1976) und in dem letzten großen Prosawerk Robinsons blaues Haus (Beck Verlag, 2012), das es auf Platz 1 der SWR-Bestenliste und auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte.

Aufgrund einer mißglückten Operation erblindete Ernst Augustin kurz vor Vollendung dieses „autobiographischen Romans“ fast völlig. Gefragt, ob sich dadurch sein Schreibstil verändert habe, antwortete er: „Ja. In Robinsons blaues Haus ist mir alles sehr farbig geraten, von der Schilderung der Südsee bis zum Spiegelhaus hoch oben auf einem New Yorker Wolkenkratzer. Das ist die optische Sehnsucht des Blinden.“ Nicht nur die Sehnsucht, auch die Trauer des Autors über den Verlust der sichtbaren Wirklichkeit wird in diesem Roman spürbar.

Ernst Augustins jüngste Veröffentlichung ist Das Monster von Neuhausen, ein Bravourstück ebenso haarsträubender wie komischer Erzählkunst, vom Verlag angekündigt als „das Protokoll der Verteidigung eines monströsen Bluttäters, der aus Gründen verletzten Ehrgefühls auf das Schrecklichste überreagiert. (...) Hier scheint ein Verteidiger seine eigene Verteidigung zu verteidigen. Er vollbringt das Kunststück, das vermeintliche Monster überhaupt erst zum 'Monster' zu machen. Es ist eine Idylle, eine Gerichtsprozessidylle“.