Der andere Blick fürs Theater: Ria Endres
Als Theaterautorin hat sich Ria Endres schon früh einen Namen gemacht. Bereits während ihrer Studienzeit in Würzburg hat sie für die Bühne gearbeitet und ab 1985 eigene Stücke geschrieben. Ihr zweites Stück Acht Weltmeister wurde schließlich mit dem Dramatikerpreis des „Bundes der Theatergemeinden“ ausgezeichnet. Seitdem produziert sie immer wieder neue Dramen, deren letztes, Die Fernsehphilosophin (2006), allerdings noch der Uraufführung harrt (eine Hörspielfassung u.d.T. Denken leicht gemacht wurde 2005 im SWR gesendet).
Ria Endres verfolgt in ihrer Theaterproduktion ein entscheidendes Ziel: den ‚anderen Blick‘ auf althergebrachte (zumeist männliche) Denk- und Ordnungssysteme zu schärfen. „Man könnte sagen, die Weise, die ganze Welt aus dem Detail heraus zu begreifen – wie in den Mimima Moralia [Theodor W. Adornos] – war schon dieser andere Blick. In dem Sinn waren das Weibliche und das Männliche identisch. Die Frau war nicht ausgeschlossen.“[1]
In ihren Stücken kommt dieser ‚andere Blick‘ dann zum Ausdruck: als Leidenswahn, Karrieresucht, Verrücktheit, Krankheit oder Tod – mithin Symptome der Nicht-Identität der Frau in der Moderne.
Das Weibliche und das Männliche
In Der Kongreß (1985) z.B., das am Vorabend eines Frauenkongresses spielt, werden die Rollen von Mutter (Maman) und Tochter (Vera) getauscht, was letztlich tödlich für die Tochter endet. Dadurch, dass keine wirkliche Frauensolidarität im Kulturbetrieb existiert, die Mutter als leidgeplagte Autorin, die der Ruhm zu einem Monstrum gemacht hat, gezeichnet ist, kann es keinen glücklichen Ausgang für die Mutter-Tochter-Symbiose geben. Als Managerin der Mutter – und damit Teil des Kulturbetriebs – muss die Tochter sterben, bekommt sie ab, was der Mutter angetan wurde, nur konsequenter und zwangsläufiger.
Das Stück Acht Weltmeister (1987) wiederum behandelt rein männliche Verhaltensmuster. Beobachtet von einer Videokamera unternehmen acht Männer auf dem Dach eines Hochhauses den aberwitzigen und dennoch alltäglichen Versuch, einen Weltrekord im „Zu-Acht-auf-einer-Parkbank-Sitzen“ aufzustellen. Obwohl alles vorhanden ist, was es zu einem guten Wettkampf braucht – glänzende Stimmung, Teamgeist, perfekte Organisation und Sponsoren –, fehlt der Sinn für dieses becketthafte Geschehen, dieses Warten auf Godot in zwei Reihen auf einer Bank.
Absurde Wettkämpfe und häusliche Rituale
Ria Endres beabsichtigt dabei nicht, Männer als Männer bloßzustellen, sondern sie „eine Verrücktheit durchexerzieren zu lassen, die sofort abgebrochen werden müßte“, um zu zeigen, wie eng die „Schrauben schon angezogen sind“ in einer Welt des Weltmeister-Werdens-um-jeden-Preis:[2] Selbst der Tod eines Mitkämpfers hindert die übrigen nicht, buchstäblich über Leichen zu gehen („zu sitzen“)! Das Stück ist zugleich eine Parabel über die Kopflosigkeit unserer Gesellschaft.
Aus deutschem Dunkel (1988), das dritte Stück Endres', versteht sich folgerichtig als „Bilderbogen“: eine offene Dramaturgie, weiträumige Spiel- und Projektionsflächen, in denen sich eine Lebensgeschichte, die Geschichte der Freundinnen Nelly und Peggy, ihrer Liebe, Trennung und ihres Todes, symbolhaft abspielt.[3] Hier ist auch viel von Ria Endres' eigener Kindheit und Jugend dargestellt, wobei die frühkindliche Erziehung Nellys und ihr Verhältnis zur bairischen Sprache den wohl unmittelbarsten biographischen Bezugspunkt abgeben:
Bei den Großeltern finden die häuslichen Rituale statt, die auch sehr grausam sind. Das ist das Dörfliche, Bayerische, Bäuerliche, Dumpfe, Brutale, das ich auch erlebt habe. Der Opa hat eine dörfliche Reduktionssprache, die insofern männlich ist, als sie sich in kurzen, harten Befehlen ausdrückt, während die Oma eine verrückte Alte ist, die einfach nicht beachtet, wie er spricht.[4]
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[1] Das Schöne am Theater ist sein Anachronismus. Gespräch mit Ria Endres. In: Roeder, Anke (Hg.) (1989): Autorinnen: Herausforderungen an das Theater. Frankfurt/M., S. 93-108, hier S. 96.
[2] Ebda., S. 98.
[3] Ebda., S. 100.
[4] Ebda., S. 103.
Der andere Blick fürs Theater: Ria Endres>
Als Theaterautorin hat sich Ria Endres schon früh einen Namen gemacht. Bereits während ihrer Studienzeit in Würzburg hat sie für die Bühne gearbeitet und ab 1985 eigene Stücke geschrieben. Ihr zweites Stück Acht Weltmeister wurde schließlich mit dem Dramatikerpreis des „Bundes der Theatergemeinden“ ausgezeichnet. Seitdem produziert sie immer wieder neue Dramen, deren letztes, Die Fernsehphilosophin (2006), allerdings noch der Uraufführung harrt (eine Hörspielfassung u.d.T. Denken leicht gemacht wurde 2005 im SWR gesendet).
Ria Endres verfolgt in ihrer Theaterproduktion ein entscheidendes Ziel: den ‚anderen Blick‘ auf althergebrachte (zumeist männliche) Denk- und Ordnungssysteme zu schärfen. „Man könnte sagen, die Weise, die ganze Welt aus dem Detail heraus zu begreifen – wie in den Mimima Moralia [Theodor W. Adornos] – war schon dieser andere Blick. In dem Sinn waren das Weibliche und das Männliche identisch. Die Frau war nicht ausgeschlossen.“[1]
In ihren Stücken kommt dieser ‚andere Blick‘ dann zum Ausdruck: als Leidenswahn, Karrieresucht, Verrücktheit, Krankheit oder Tod – mithin Symptome der Nicht-Identität der Frau in der Moderne.
Das Weibliche und das Männliche
In Der Kongreß (1985) z.B., das am Vorabend eines Frauenkongresses spielt, werden die Rollen von Mutter (Maman) und Tochter (Vera) getauscht, was letztlich tödlich für die Tochter endet. Dadurch, dass keine wirkliche Frauensolidarität im Kulturbetrieb existiert, die Mutter als leidgeplagte Autorin, die der Ruhm zu einem Monstrum gemacht hat, gezeichnet ist, kann es keinen glücklichen Ausgang für die Mutter-Tochter-Symbiose geben. Als Managerin der Mutter – und damit Teil des Kulturbetriebs – muss die Tochter sterben, bekommt sie ab, was der Mutter angetan wurde, nur konsequenter und zwangsläufiger.
Das Stück Acht Weltmeister (1987) wiederum behandelt rein männliche Verhaltensmuster. Beobachtet von einer Videokamera unternehmen acht Männer auf dem Dach eines Hochhauses den aberwitzigen und dennoch alltäglichen Versuch, einen Weltrekord im „Zu-Acht-auf-einer-Parkbank-Sitzen“ aufzustellen. Obwohl alles vorhanden ist, was es zu einem guten Wettkampf braucht – glänzende Stimmung, Teamgeist, perfekte Organisation und Sponsoren –, fehlt der Sinn für dieses becketthafte Geschehen, dieses Warten auf Godot in zwei Reihen auf einer Bank.
Absurde Wettkämpfe und häusliche Rituale
Ria Endres beabsichtigt dabei nicht, Männer als Männer bloßzustellen, sondern sie „eine Verrücktheit durchexerzieren zu lassen, die sofort abgebrochen werden müßte“, um zu zeigen, wie eng die „Schrauben schon angezogen sind“ in einer Welt des Weltmeister-Werdens-um-jeden-Preis:[2] Selbst der Tod eines Mitkämpfers hindert die übrigen nicht, buchstäblich über Leichen zu gehen („zu sitzen“)! Das Stück ist zugleich eine Parabel über die Kopflosigkeit unserer Gesellschaft.
Aus deutschem Dunkel (1988), das dritte Stück Endres', versteht sich folgerichtig als „Bilderbogen“: eine offene Dramaturgie, weiträumige Spiel- und Projektionsflächen, in denen sich eine Lebensgeschichte, die Geschichte der Freundinnen Nelly und Peggy, ihrer Liebe, Trennung und ihres Todes, symbolhaft abspielt.[3] Hier ist auch viel von Ria Endres' eigener Kindheit und Jugend dargestellt, wobei die frühkindliche Erziehung Nellys und ihr Verhältnis zur bairischen Sprache den wohl unmittelbarsten biographischen Bezugspunkt abgeben:
Bei den Großeltern finden die häuslichen Rituale statt, die auch sehr grausam sind. Das ist das Dörfliche, Bayerische, Bäuerliche, Dumpfe, Brutale, das ich auch erlebt habe. Der Opa hat eine dörfliche Reduktionssprache, die insofern männlich ist, als sie sich in kurzen, harten Befehlen ausdrückt, während die Oma eine verrückte Alte ist, die einfach nicht beachtet, wie er spricht.[4]
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[1] Das Schöne am Theater ist sein Anachronismus. Gespräch mit Ria Endres. In: Roeder, Anke (Hg.) (1989): Autorinnen: Herausforderungen an das Theater. Frankfurt/M., S. 93-108, hier S. 96.
[2] Ebda., S. 98.
[3] Ebda., S. 100.
[4] Ebda., S. 103.