Rainer Werner Fassbinder als Dramatiker [3]: Melodrama
Die Entdeckung der Mittelklasse- und Mittelwesten-Melodramen des Hollywood-Regisseurs Douglas Sirk 1971 bedeutete einen Einschnitt im Schaffen von Rainer Werner Fassbinder. Die Distanz zu Stoff und Figuren wurde aufgegeben, das Gefühl für die Darstellung des Sirkschen „Imitation of life“, wonach diejenigen, die sich glücklich glauben, als illusionär lebende Personen gezeichnet werden, entsprechend geschärft. Aber nicht nur in der Ausbreitung des Gefühlsspektrums wiesen seine Filme und Theaterstücke von nun an in eine neue Richtung, auch in der Übernahme stilistischer Merkmale des Melodramas kamen neue Techniken hinzu: emotionale Musik, pathetische Bekenntnisdialoge und symbolische Gesten, unglaubwürdige Zufälle in der Handlungskonstruktion.
In Sirks Liebeskonzeption fand Fassbinder seine Auffassung von Liebe bestätigt: „Nach Douglas Sirks Filmen scheint mir die Liebe noch mehr das beste, hinterhältigste und wirksamste Instrument gesellschaftlicher Unterdrückung zu sein.“ (Interview Süddeutsche Zeitung vom 8. März 1979) Das Melodrama als die Tragödie der Gottlosen mit seinen gesellschaftlichen Zwängen kam Fassbinders skeptischer Haltung gegenüber der Geschichte geradezu entgegen. Zu seinen eigenen Melodramen zählen neben Bremer Freiheit, das auch volksstückhafte Elemente enthält, vor allem Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1971), unter den Filmen sind es u.a. Händler der vier Jahreszeiten, Martha, Faustrecht der Freiheit und Ich will doch nur, daß ihr mich liebt (1971-76).
Angst essen Seele auf und Die bitteren Tränen der Petra von Kant
Aufklärungsabsicht und Melodram, eigene Geschichte und Filmerfahrung hat Fassbinder erfolgreich im Film Angst essen Seele auf (1973/74) integrieren können. Die etwa 60-jährige Putzfrau Emmi (Brigitte Mira) begegnet in einer Kneipe Ali (El Hedi Ben Salem), einem mindestens 20 Jahre jüngeren Marokkaner, der als Automechaniker arbeitet:
Sie ziehen zusammen und heiraten, was Emmis Kinder, ihre Nachbarn und Arbeitskolleginnen derart vor den Kopf stößt, daß sogar der Besitzer eines Tante-Emma-Ladens sich schließlich weigert, sie weiterhin zu bedienen. Als sie nach einem gemeinsamen Urlaub zurückkehren, verwandelt sich zwar die soziale Ablehnung in zuvorkommende Ausbeutung, aber dafür bekommt die Beziehung jetzt erste Risse und Ali trifft sich wieder mit seiner alten Geliebten (Barbara Valentin). Eines Abends bricht er in Emmis Armen wegen eines offenen Magengeschwürs zusammen. Der Arzt kann wenig Hoffnung auf eine vollständige Genesung machen: Der „ganz besondere Streß“ mache die Gastarbeiter zu einer gefährdeten Risikogruppe.[1]
Die Geschichte wird linear-einfach, fast schematisch erzählt. So schildern aufeinander folgende Einstellungen die Reaktionen der Umwelt auf das Liebespaar. Dabei scheint Fassbinder dem Melodram und dessen Künstlichkeit treu zu bleiben, bedenkt man, dass die Stimmen der Figuren nachsynchronisiert sind und das Spiel der Schauspieler fast mechanisch wirkt. Vom klassischen Melodrama unterscheidet sich Fassbinders Film allerdings, da die melodramtypische Verbindung des Lebens als Qual sich praktisch umkehrt – Emmi und Ali haben schon bald selbst mit einer Beziehungskrise zu kämpfen, die durch das Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit verursacht wird und die Möglichkeit eines Zusammenkommens von innen heraus konterkariert.
Mit Die bitteren Tränen der Petra von Kant betonte Fassbinder demgegenüber die ausgestellte Künstlichkeit der Gefühle auf der (Theater-)Bühne. Der Filmkritiker Michael Töteberg kommt zu dem Ergebnis, dass dieses Drama sich in den dekorativen Innenräumen und Oberflächenreizen einer „mit pathetischen Worten und lasziven Gesten beschworenen lesbischen Beziehung“ derart verliert, dass eine eindeutige gesellschaftskritische Aussage nicht zu treffen sei:
Am Schluß steht ein Akt der Auflehnung: Die stumme, bislang treu ergebene Dienerin verläßt die mondäne Welt der Modeschöpferin. Doch das Melodram überdeckte diese kritische Ebene des Stückes.
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[1] Elsaesser, Thomas (2001): Rainer Werner Fassbinder. Berlin, S. 444f. Zu den Sirkschen Melodramen vgl. ebda., S. 436ff.
Rainer Werner Fassbinder als Dramatiker [3]: Melodrama>
Die Entdeckung der Mittelklasse- und Mittelwesten-Melodramen des Hollywood-Regisseurs Douglas Sirk 1971 bedeutete einen Einschnitt im Schaffen von Rainer Werner Fassbinder. Die Distanz zu Stoff und Figuren wurde aufgegeben, das Gefühl für die Darstellung des Sirkschen „Imitation of life“, wonach diejenigen, die sich glücklich glauben, als illusionär lebende Personen gezeichnet werden, entsprechend geschärft. Aber nicht nur in der Ausbreitung des Gefühlsspektrums wiesen seine Filme und Theaterstücke von nun an in eine neue Richtung, auch in der Übernahme stilistischer Merkmale des Melodramas kamen neue Techniken hinzu: emotionale Musik, pathetische Bekenntnisdialoge und symbolische Gesten, unglaubwürdige Zufälle in der Handlungskonstruktion.
In Sirks Liebeskonzeption fand Fassbinder seine Auffassung von Liebe bestätigt: „Nach Douglas Sirks Filmen scheint mir die Liebe noch mehr das beste, hinterhältigste und wirksamste Instrument gesellschaftlicher Unterdrückung zu sein.“ (Interview Süddeutsche Zeitung vom 8. März 1979) Das Melodrama als die Tragödie der Gottlosen mit seinen gesellschaftlichen Zwängen kam Fassbinders skeptischer Haltung gegenüber der Geschichte geradezu entgegen. Zu seinen eigenen Melodramen zählen neben Bremer Freiheit, das auch volksstückhafte Elemente enthält, vor allem Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1971), unter den Filmen sind es u.a. Händler der vier Jahreszeiten, Martha, Faustrecht der Freiheit und Ich will doch nur, daß ihr mich liebt (1971-76).
Angst essen Seele auf und Die bitteren Tränen der Petra von Kant
Aufklärungsabsicht und Melodram, eigene Geschichte und Filmerfahrung hat Fassbinder erfolgreich im Film Angst essen Seele auf (1973/74) integrieren können. Die etwa 60-jährige Putzfrau Emmi (Brigitte Mira) begegnet in einer Kneipe Ali (El Hedi Ben Salem), einem mindestens 20 Jahre jüngeren Marokkaner, der als Automechaniker arbeitet:
Sie ziehen zusammen und heiraten, was Emmis Kinder, ihre Nachbarn und Arbeitskolleginnen derart vor den Kopf stößt, daß sogar der Besitzer eines Tante-Emma-Ladens sich schließlich weigert, sie weiterhin zu bedienen. Als sie nach einem gemeinsamen Urlaub zurückkehren, verwandelt sich zwar die soziale Ablehnung in zuvorkommende Ausbeutung, aber dafür bekommt die Beziehung jetzt erste Risse und Ali trifft sich wieder mit seiner alten Geliebten (Barbara Valentin). Eines Abends bricht er in Emmis Armen wegen eines offenen Magengeschwürs zusammen. Der Arzt kann wenig Hoffnung auf eine vollständige Genesung machen: Der „ganz besondere Streß“ mache die Gastarbeiter zu einer gefährdeten Risikogruppe.[1]
Die Geschichte wird linear-einfach, fast schematisch erzählt. So schildern aufeinander folgende Einstellungen die Reaktionen der Umwelt auf das Liebespaar. Dabei scheint Fassbinder dem Melodram und dessen Künstlichkeit treu zu bleiben, bedenkt man, dass die Stimmen der Figuren nachsynchronisiert sind und das Spiel der Schauspieler fast mechanisch wirkt. Vom klassischen Melodrama unterscheidet sich Fassbinders Film allerdings, da die melodramtypische Verbindung des Lebens als Qual sich praktisch umkehrt – Emmi und Ali haben schon bald selbst mit einer Beziehungskrise zu kämpfen, die durch das Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit verursacht wird und die Möglichkeit eines Zusammenkommens von innen heraus konterkariert.
Mit Die bitteren Tränen der Petra von Kant betonte Fassbinder demgegenüber die ausgestellte Künstlichkeit der Gefühle auf der (Theater-)Bühne. Der Filmkritiker Michael Töteberg kommt zu dem Ergebnis, dass dieses Drama sich in den dekorativen Innenräumen und Oberflächenreizen einer „mit pathetischen Worten und lasziven Gesten beschworenen lesbischen Beziehung“ derart verliert, dass eine eindeutige gesellschaftskritische Aussage nicht zu treffen sei:
Am Schluß steht ein Akt der Auflehnung: Die stumme, bislang treu ergebene Dienerin verläßt die mondäne Welt der Modeschöpferin. Doch das Melodram überdeckte diese kritische Ebene des Stückes.
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[1] Elsaesser, Thomas (2001): Rainer Werner Fassbinder. Berlin, S. 444f. Zu den Sirkschen Melodramen vgl. ebda., S. 436ff.