Info
07.06.2010, 16:31 Uhr
Peter Czoik
Text & Debatte

Rainer Werner Fassbinder als Dramatiker [1]: antitheater

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/redaktion/klein/fassbinder_rw_500.jpg
Fotografie 1974 (Bayerische Staatsbibliothek/Timpe)

Der Name Rainer Werner Fassbinder wird grundsätzlich mit seinem filmischen Œuvre in Verbindung gebracht, wie auch das Verhältnis von Film- und Theaterarbeit bei ihm deutlich zugunsten des Films ausfällt. Seine Theaterwerke sind für die kritische Rezeption jedoch nicht weniger bedeutend, zumal sich Fassbinder von Anfang an mit beiden Medien auseinandergesetzt hat.

Zwei Selbstaussagen stehen dabei in spürbarem Kontrast zueinander: einmal Fassbinders Bekenntnis zum Theater als Voraussetzung fürs Filmeschaffen („Ich glaube, wenn man Filme macht, muß man vom Theater etwas verstehen“); dann die bewusste Abwertung des Theaters vor dem Hintergrund weiterer stofflicher Gestaltungsmöglichkeiten: „Ohnehin habe ich nie besonders viel vom Theater gehalten, das sowieso nicht. Das einzige, was mich beim Theater berührt hat, daß man dort auf eine andere Art mit Menschen zusammenarbeiten konnte.“ (Interview Frankfurter Rundschau, 31.1.1976)

Das für Fassbinder typische Stilmittel, in seinen Filmen die Möglichkeiten der Kamera zu scheuen und dafür Techniken des Theaters einzusetzen, ist in dem frühen Stück Katzelmacher (1969) beispielsweise ein auffälliges Verfahren. Doch wäre es kurzschlüssig, daraus rein dramenbezogene Techniken oder Inhalte abzuleiten.[1] Fassbinders Dramen sind per se nicht als Lesetexte gedacht, sondern für ganz bestimmte Schauspieler entworfen und von vornherein in einer bestimmten Theatertradition verankert. Dafür sprechen nicht zuletzt die sparsamen Regieanweisungen sowie die fragmentarische Form mancher Texte.

Zu den prägenden Einflüssen bzw. Merkmalen gehören das von Fassbinder und Theaterfreunden 1968 ins Leben gerufene sog. „antitheater“ sowie die an Horváth, Fleißer und Brecht anknüpfende Gattung des neuen kritischen Volksstücks.

„antitheater“

„Das Theater der Grausamkeit als Lehrstück“ betitelt Michael Töteberg einen Aufsatz über Rainer Werner Fassbinder und meint damit die Symbiose aus Artauds und Brechts Theaterästhetik, die die frühen experimentellen Dramen Fassbinders eingehen.[2] Das „antitheater“ hat in der Tat wie keine andere deutsche Avantgardebühne Geschichte geschrieben, indem es beide Strömungen zu einem neuen Typus entwickelte, der die Gegensätze – Theater als Ritual, Provokation und Schock (Artaud), Theater als nüchterne Erziehung zum politischen Denken (Brecht) – besser als das amerikanische Living Theatre zu vereinigen wusste.

Vier Theaterstücke Fassbinders weisen in Schreibtechnik und Inszenierungspraxis weitgehend Übereinstimmung auf: Preparadise sorry now, Anarchie in Bayern, Werwolf und Blut am Hals der Katze sind Lehrstücke, die gesellschaftliche Mechanismen beispielhaft darstellen und Gewaltverhältnisse im Alltag grell ausleuchten. Die Rollen sind nur angedeutet, die szenische Situation wird anzitiert, so dass der Zuschauer sie praktisch füllen kann. Man spricht vom „Baukastenprinzip“, wobei die Szenenanordnung zwischen den Stücken sogar variieren kann (so realisiert in der Hamburger Thalia-Aufführung von Preparadise sorry now, die Blut am Hals der Katze, Berlin Alexanderplatz und die Filmfassung von Katzelmacher zitiert). Wichtigstes Kriterium ist allein der Zusammenhang der verschiedenen Komplexe untereinander sowie der inhaltlich-formale Bezug der Materialgruppen.

Das „antitheater“ war als Opposition zum subventionierten Theaterbetrieb gedacht und hatte stets mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. In der Münchner Müllerstraße angesiedelt, bot es knapp 50 Zuschauern Platz und ähnelte mehr einem Bauernschuppen als einem Theater. Hervorgegangen aus dem Münchner Action-Theater korrigierte es die einseitige religiös-eifernde Ausrichtung am Living Theatre und bewahrte es so vor der damals grassierenden Revolutionsromantik. Nichtsdestotrotz war auch dem „antitheater“ kein langer Erfolg beschieden: 1971 löste es sich auf, nachdem Fassbinder sich mehr dem Melodrama zuwandte und die Theaterkommune in die rastlos filmende Fassbinder-Gruppe überging.

----------------------------------------------------

[1] Vgl. die Bemerkung von Torsten Bügner: „Filmische Darstellungsweisen haben auf das dramatische Werk von Rainer Werner Fassbinder ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Einfluß ausgeübt. So ist sein erster großer Erfolg im Theater, Katzelmacher (1968), weder analytisch noch kontrapunktisch konzipiert, sondern besteht aus einer Aneinanderreihung von Bildern. Gesprächsfetzen werden in Analogie zur filmischen Auf- und Abblende eingefangen, Konversationen abrupt unterbrochen, ohne daß eine Kulmination oder ein Ziel in Sicht gewesen wäre.“ (Ders. [1986]: Annäherungen an die Wirklichkeit. Gattung und Autoren des neuen Volksstücks. Frankfurt/M., S. 114f.)

[2] In: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur 1989, H. 103, S. 20-34.