Stammtisch. Eine Glosse von Harald Beck

Vierundfünfzig Treffer zeigt die Suchanzeige des Literaturportals für das Wort „Stammtisch“ an und scheint unsere Erwartung zu bekräftigen, dass der Stammtisch etwas originär Bayrisches ist. Harald Beck über ein Wort, das über die Jahrzehnte Karriere gemacht hat.
*
Namen wie Oskar Maria Graf, Josef Mitterer, Georg Queri, Sigi Sommer und Frank Wedekind verweisen auf die gute Verträglichkeit von Literatur, Bier und Rauch. (Karl Valentin berichtet, dass Mitterer täglich seine 5-6 Maß Bier trank und zehn Virgina rauchte.)
Ein Blick in die Geschichte des Wortes aber belehrt uns eines Besseren, sowohl was literarische Heimeligkeit als auch seine Herkunft betrifft. Die ersten dokumentarischen Belege aus den Jahren 1835 und 1838 kommen von weither: aus Breslau, dem heutigen Wrocław.
Im Breslauer Erzähler von 1835 erfahren wir: „An dem zahlreich besetzten Stammtische eines Wirthshauses vor dem Sandthor wurde vorigen Montag Abends die Breslauer Zeitung desselben Tages vorgelesen, und über jeden Artikel kritisiert.“ Drei Jahre später heißt es im Morgenblatt für die gebildeten Stände: „dass unter [den Gästen] am sogenannten Stammtische in der Nähe des Hausthrons die ältesten, bewährtesten Besucher eine Art Aristokratie bilden.“ Das Getränk dieser Stammtische war der Breslauer Schöps, ein obergäriges Weizenbockbier.
Wie der Google Ngram Viewer für deutschsprachige Dokumente bestätigt, dauert es einige Jahrzehnte, ehe das Wort heimisch wird und Karriere macht.
In Bayern teilt die Illustrirte bayerische Volkszeitung erstmals 1876 mit „– und an dem Stammtisch geht es lebhaft zu, so daß man unsere Anwesenheit kaum bemerkt.“
Die Münchner Neuesten Nachrichten von 1889 klären schließlich über die Wortbedeutung auf:
Die Frage, was ein Stammtisch sei, wird von einem „Fachmann“ wie folgt beantwortet: ‚Ein Stammtisch ist in einem bestimmten Lokale ein bestimmter Tisch in einem bestimmten Winkel, in dem zur bestimmten Stunde bestimmte Gäste auf ihren bestimmten Plätzen sich niederlassen, um bei Vertilgung einer bestimmten Menge eines bestimmten Getränkes aus bestimmten Gläsern über bestimmte Themata zu sprechen und dann zur bestimmten Stunde aufzubrechen, weil man zur bestimmten Zeit zu Hause bestimmt erwartet wird.‘
Im Süddeutschen Postillon von 1898 findet sich schon ein erster wie authentisch „mitgeschnittener“ Stammtischbeitrag:
Erst nachher is Ruah und Fried’n auf d’r Welt, wenn mir Bayrisch-Badriotisch’n ganz alloa am geistig’n Stammtisch für Poletik und Sozialigkeit sitz’n und nach unserem best‘n Gutdünk’n de Weltg‘schicht regulir’n.
Die bierseligen Dampfplauderer mussten nicht lange warten, bis schon zur Zeit des Ersten Weltkriegs kritische Wortschöpfungen wie „Stammtischniveau“ (1915) und „Stammtischgeschwätz“ (1917) aufkamen. Und doch bleibt es auch in Bayern unverändert attraktiv für „badriotische“ politische Einflussnahme, die Meinungshoheit über die Stammtische zu erlangen. Prost!
Stammtisch. Eine Glosse von Harald Beck>

Vierundfünfzig Treffer zeigt die Suchanzeige des Literaturportals für das Wort „Stammtisch“ an und scheint unsere Erwartung zu bekräftigen, dass der Stammtisch etwas originär Bayrisches ist. Harald Beck über ein Wort, das über die Jahrzehnte Karriere gemacht hat.
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Namen wie Oskar Maria Graf, Josef Mitterer, Georg Queri, Sigi Sommer und Frank Wedekind verweisen auf die gute Verträglichkeit von Literatur, Bier und Rauch. (Karl Valentin berichtet, dass Mitterer täglich seine 5-6 Maß Bier trank und zehn Virgina rauchte.)
Ein Blick in die Geschichte des Wortes aber belehrt uns eines Besseren, sowohl was literarische Heimeligkeit als auch seine Herkunft betrifft. Die ersten dokumentarischen Belege aus den Jahren 1835 und 1838 kommen von weither: aus Breslau, dem heutigen Wrocław.
Im Breslauer Erzähler von 1835 erfahren wir: „An dem zahlreich besetzten Stammtische eines Wirthshauses vor dem Sandthor wurde vorigen Montag Abends die Breslauer Zeitung desselben Tages vorgelesen, und über jeden Artikel kritisiert.“ Drei Jahre später heißt es im Morgenblatt für die gebildeten Stände: „dass unter [den Gästen] am sogenannten Stammtische in der Nähe des Hausthrons die ältesten, bewährtesten Besucher eine Art Aristokratie bilden.“ Das Getränk dieser Stammtische war der Breslauer Schöps, ein obergäriges Weizenbockbier.
Wie der Google Ngram Viewer für deutschsprachige Dokumente bestätigt, dauert es einige Jahrzehnte, ehe das Wort heimisch wird und Karriere macht.
In Bayern teilt die Illustrirte bayerische Volkszeitung erstmals 1876 mit „– und an dem Stammtisch geht es lebhaft zu, so daß man unsere Anwesenheit kaum bemerkt.“
Die Münchner Neuesten Nachrichten von 1889 klären schließlich über die Wortbedeutung auf:
Die Frage, was ein Stammtisch sei, wird von einem „Fachmann“ wie folgt beantwortet: ‚Ein Stammtisch ist in einem bestimmten Lokale ein bestimmter Tisch in einem bestimmten Winkel, in dem zur bestimmten Stunde bestimmte Gäste auf ihren bestimmten Plätzen sich niederlassen, um bei Vertilgung einer bestimmten Menge eines bestimmten Getränkes aus bestimmten Gläsern über bestimmte Themata zu sprechen und dann zur bestimmten Stunde aufzubrechen, weil man zur bestimmten Zeit zu Hause bestimmt erwartet wird.‘
Im Süddeutschen Postillon von 1898 findet sich schon ein erster wie authentisch „mitgeschnittener“ Stammtischbeitrag:
Erst nachher is Ruah und Fried’n auf d’r Welt, wenn mir Bayrisch-Badriotisch’n ganz alloa am geistig’n Stammtisch für Poletik und Sozialigkeit sitz’n und nach unserem best‘n Gutdünk’n de Weltg‘schicht regulir’n.
Die bierseligen Dampfplauderer mussten nicht lange warten, bis schon zur Zeit des Ersten Weltkriegs kritische Wortschöpfungen wie „Stammtischniveau“ (1915) und „Stammtischgeschwätz“ (1917) aufkamen. Und doch bleibt es auch in Bayern unverändert attraktiv für „badriotische“ politische Einflussnahme, die Meinungshoheit über die Stammtische zu erlangen. Prost!