Flo (Teil 2)
Der 1963 in Charkiw geborene Schriftsteller und bildende Künstler Alexander Milstein lebt seit 1995 in München. Nach dem Studium der Mathematik beginnt er 1988 zu schreiben. Seitdem hat er acht Prosa-Bücher veröffentlicht, die Hälfte davon in Russland und die andere Hälfte in der Ukraine, wo 2017 das Buch Pyatipol erscheint, in dem neben Texten erstmals Bilder des Autors zu sehen sind. Seine Geschichten werden auch in der Süddeutschen Zeitung und der Zeitschrift Der Freund veröffentlicht. 2017 nimmt er an Eine Brücke aus Papier in Kijiw teil. 2023 illustriert Milstein den Band Durch die Zeiten und trägt außerdem einen Text dazu bei. Seine Malerei bezieht sich teilweise auf seine literarischen Werke. Er zeigt sie in Ausstellungen und fügt sie seit Pjatipol auch in seine Bücher ein.
*
2. Zweite Navigation und sphärische Geometrie
Als Flo die Augen öffnete, war der Himmel über ihm blau, er stützte sich auf den Ellbogen und sah nichts als Grün um sich herum. Er lag auf einer kleinen leeren Lichtung, das Zelt war nicht zu sehen, aber das Gras war an manchen Stellen noch leicht zerknittert.
Flo wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, das Schlafen „in der Natur“ hatte eine andere Zeitskala als das Schlafen in der Stadt, unter einem Dach.
Er ging zum Wasser, tauchte einen Fuß ein, den anderen ... Ihm wurde klar, dass er nicht zurückschwimmen würde. Es war nicht mehr lustig, nein, bei dem Gedanken, zurückzuschwimmen, verspürte Flo keinen Antrieb.
Er blickte auf sein Handgelenk, wo seine Uhr hätte sein sollen, dann winkte er mit der Hand, so wie er es getan hatte, um sie aufzuziehen. Flo spürte, dass der See ihn nicht losließ, er war kurz davor, einen Schritt in die Tiefe zu machen, schloss die Augen ...
Doch als ob er sich an etwas erinnerte, öffnete er die Augen wieder und sah die Berge, die nun ganz nah waren, unvergleichlich näher als im Paradies, aus dem er hinausgeschwommen war. Der Himmel um ihre Gipfel herum färbte sich in rosa Tönen.
Er warf einen letzten Blick auf das Panorama, auf dem nun kleine Wellen liefen – in die Richtung, in der auch das Wasser ein wenig rosa wirkte – und ging vom See weg durch das Dickicht, wobei er die Aststummel von sich wegschob.
Er ging langsam, gemächlich, als überlegte er noch, ob er umkehren und den Rückweg über das Wasser antreten sollte, aber das Dickicht endete bald, und Flo kam zu einer schmalen Straße. Er ging auf dem Bürgersteig, obwohl er auch auf dem Gras daneben hätte gehen können, aber er fühlte sich jetzt besser, als er mit seinen nackten Füßen die Härte des Bodens spürte; es half, in dem Sinne, dass es endlosen Tag unterbrach, in dem er sich fast verloren hatte wie eine Nadel im Heuhaufen.
Es gab keine Autos, aber Häuser tauchten auf, völlig leer, zumindest sah es so aus, und einige von ihnen konnte Flo überhaupt nicht sehen, es sei denn, er schob die hohe Thujenhecke mit den Händen auseinander – dann konnte er die hellen Umrisse von Gebäuden in den Lücken sehen, aber es war unmöglich, sich ein allgemeines Bild zu machen, weil die Mauern der Lebensbäume so dicht waren, dass jede Lücke sofort geschlossen wurde, als wäre sie überwuchert.
An der Bushaltestelle sah er die erste lebende Person, eine braungebrannte Frau mittleren Alters. Er nickte ihr zu, als wäre alles in Ordnung, und begann, den Fahrplan zu studieren, aus dem hervorging, dass der letzte Bus längst abgefahren war.
Flo grüßte und fragte die Frau, worauf sie warte, denn es scheine kein Bus mehr zu kommen. Die Frau warf ihre Zigarette fort, begann zu sprechen ... hatte aber keine Zeit zu antworten, denn in diesem Moment ertönte ein Motor, und ein roter Mazda rollte direkt an den Baumstamm heran, auf dem sie saß.
Flo fragte nicht, ob sie ihn mitnehmen könnten – in dem Sportwagen gab es nur zwei Plätze. Aber er hatte Zeit zu fragen, ob er mit ihrem Handy ein Taxi rufen könne, und als Antwort hörte er ein „sorrrry“, das kaum vom Motor zu unterscheiden war, das Auto rollte so plötzlich weg, wie es herangekommen war, als wäre eine Fliege von einer riesigen roten Zunge aufgeleckt worden.
Flo fand das natürlich unhöflich, aber es lag wohl mit an seiner Erscheinung: was sollten sie denken, wenn sie einen Mann in Badehose auf der Straße sahen, wenn ihr Denken, sagen wir mal, einseitig war, sie sich von der ersten Reaktion leiten ließen: Sorry ... Na ja, zum Teufel mit ihnen.
Flo ging ein Stück weit die Straße hinunter und sah hinter einem niedrigen Balkenzaun etwas Verrücktes. Da standen Modelle des Eiffelturms, des Taj Mahal, des Towers und des Londoner Parlamentsgebäudes, der Frauenkirche, nicht der Münchener, sondern der Dresdener – Flo erkannte sie nicht, aber er konnte den Namen auf der Tafel lesen ...
Ja, ja, alle Sehenswürdigkeiten dieser Welt waren dort mit Schildern versehen – weiße Blätter mit aufgedruckten Namen waren am Sockel jedes Modells, sogar der Eiffelturm war beschriftet.
Dazwischen lagen Eisenbahngleise, und Flo bemerkte endlich einen Mann im Rollstuhl, der der Chef der Eisenbahnlinie zu sein schien.
Irgendetwas an seiner Erscheinung erinnerte Flo an Stephen Hawking, noch bevor sich herausstellte, dass der Mann nicht verständlich sprechen konnte ... Nur hatte er keinen Computer, der Sprache synthetisierte – das in seinem Stuhl eingebaute Gerät war offensichtlich nur eine Fernbedienung, entweder für denselben Stuhl oder auch für die Eisenbahn.
Plötzlich murmelte er laut etwas, als ob er um Hilfe rufen würde ... und als Flo sah, worum es ging, dachte er, die Worte mit etwas Geschick deuten zu können.
„Ein Hund! Ein Hund auf den Gleisen!“, rief der Mann.
Und tatsächlich: Auf den Schienen der Schmalspurbahn, irgendwo zwischen dem Taj Mahal und der Pagode der Verbotenen Stadt, lag ein weiß-roter Hund, und die Bahn setzte sich in Bewegung, irgendetwas blinkte, und der Zug entfernte sich von der Frauenkirche, wo er zuvor gestanden hatte.
Flo wusste nicht, was er tun sollte: der Fremde muhte schmerzhaft und sah aus wie ein Vogel mit gestutzten Flügeln, der zu fliegen versucht ... Als ob er um Hilfe rufen würde, aber Hilfe konnte nur geleistet werden – um den kleinen Hund von den Gleisen zu holen – indem man über die Hecke sprang, und das wäre ein nicht ganz-trivialer Akt für Flo, der an diesem Tag nicht mehr keine weiteren Abenteuer suchte und dem auch sein eigenes ... zunehmend unpassendes Auftreten peinlich war, als die Dämmerung näher rückte.
Der Moment selbst blieb Flo für immer in Erinnerung: das Modell der Welt hinter dem niedrigen Zaun, der Hund auf den Gleisen, das Double des Autors von Eine kurze Geschichte der Zeit, die gelblichen Palmen, die gelb-schwarz-rote Fahne und was es sonst noch gab ... ach ja – das Moulin Rouge-Modell u.a.
Im Hof gab es auch Brücken über einen „wild bewegten Fluss“, der durch ein Rinnsal repräsentiert wurde, und es gab einen kleinen Teich mit Steinen an den Rändern, der einen See mit felsigen Ufern darstellte, wenn nicht gar einen Ozean, es gab die Welt … wenn auch nicht wie in einem anderen Hawking-Buch ein ganzes Universum in einer Nussschale, dann wenigstens innerhalb der Grenzen einer Hecke auf dem Land.
Der Hund, der die Nerven seines Herrchens ausreichend strapaziert hatte, sprang im letzten Moment auf und huschte vom Gleis weg, während der Zug ungehindert weiterfuhr.
Flo hatte sich ins Ohr gekniffen und zwirbelte leise sein Ohrläppchen wie den Stimmwirbel einer Gitarre.
Nein, es war kein Traum im Traum, zumindest nicht seiner, sondern der vom Hawking-Doppelgänger, und plötzlich kam ein anderer Mensch aus dem Haus und rief, nachdem er sich Flos Anliegen ausführlich angehört hatte, per Telefon ein Taxi.
Es kam etwa zehn Minuten später. Während dieser Zeit erzählte Flo dem Verwandten des Hausbesitzers, der immer noch vor der Hecke stand, er sei herübergeschwommen, seine Kleider lägen am anderen Ufer ...
Flo begann, dem Taxifahrer, der ihn auf die andere Seite des Sees brachte, müde dasselbe zu erzählen, aber dieser unterbrach ihn schnell mit den Worten: „Ich weiß alles darüber!“ und begann seinerseits, etwas längst Vergessenes und „Interessanteres“ zu erzählen – „neue Informationen über den ertrunkenen König“ … „Vor kurzem meldete sich plötzlich ein Hundertjähriger zu Wort, der sich daran erinnerte, dass er als Kind im Haus seiner Verwandten den Mantel des Königs gesehen hatte, der am Rücken Einschusslöcher aufwies ...“
„Er hat als Kind alles mitangesehen, und als er sich dem hundertsten Lebensjahr näherte, wollte er sich plötzlich daran erinnern, haha, glaubst du, dass es so etwas gibt?“
Flo nickte mechanisch und machte die Augen zu.
Das Taxi fuhr auf den Parkplatz am Hang, wo Flo sein Auto abgestellt hatte.
Er musste die Kleider finden, die er auf dem Steg zurückgelassen hatte ... Was, wenn sie weg waren? Der Taxifahrer erklärte sich bereit zu warten, und Flo ging zum Wasser.
Jetzt war der See nicht mehr so ruhig; die Wellen gingen höher, und wie sie unter dem Steg hindurchliefen, schlugen sie an die Planken, und der Steg verstärkte, wie das Gehäuse eines Musikinstruments, den Klang.
Flo folgte dem Steg bis zum Ende und hob seinen Rucksack auf; die Klamotten waren nass, sein Handy aber unversehrt.
Er ging zum Parkplatz zurück, bezahlte den Taxifahrer.
In Starnberg regnete es bereits – von oben. Flo kehrte in der nächsten Pizzeria auf einen Kaffee ein, anders würde er es wohl nie nach München schaffen.
Dazu aß er Lasagne, weil er zum ersten Mal an diesem Tag Hunger verspürte.
Anschließend fuhr er nach Hause und hörte sich unterwegs ein Konzert von Fever Ray an.
***
An einem heißen Sonntagnachmittag beschloss Flo, seinen persönlichen Big Swim zu wiederholen und vielleicht sogar zu übertreffen, was bedeutete, auf die andere Seite des Sees zu fahren und nicht mit dem Taxi, sondern schwimmend zurückzukehren. „Ich habe keine Verpflichtung“, dachte er, als er an Starnberg vorbeikam, „wenn irgendwo in der Mitte des Sees die Inspiration nachlässt, schwimme ich zurück. Alles in allem wird es die gleiche Strecke wie bei Big Swim sein, plus-minus ein paar hundert Meter.“
Wie er die Mitte des Sees erkennen würde, darüber dachte er nicht viel nach, na ja, irgendwie nach Augenmaß, nach dem Vergleich der Höhe der Wälder zu beiden Seiten oder etwas in der Art.
Wie er also aufhörte zu schwimmen und sich umschaute, im Wasser schwebend, und sah, dass der gelbe Punkt, der vom Ufer aus kaum zu sehen gewesen war, sich in einen orangefarbenen Ball verwandelt hatte, dachte er: das ist die Mitte des Sees! Aber er verwarf den Gedanken wieder: warum sollte jemand die Mitte markieren, was für ein Unsinn. ...
Natürlich erinnerte er sich daran, dass die Kugel beim letzten Mal an einer anderen Stelle aufgetaucht war, in Ufernähe ... Diesmal unterschied sich die Kugel nicht nur in der Farbe von Jörgs, sondern auch in der Größe – im Gegensatz zur aufblasbaren Weltkugel war diese um ein Vielfaches größer als ein Sitzball.
Flo schwamm nun geradewegs auf die Kugel zu, d.h. so gerade wie möglich, hielt inne, um seinen Kurs zu korrigieren, während der Bewusstseinsstrom in seinem Kopf begann, die Idee der Kugel von allen Seiten zu umströmen, er erinnerte sich an das Buch Flatland von Edwin Abbott, das er als Kind gelesen und sein Leben lang geliebt hatte. In der zweiten Dimension, in der A. Square, Abbotts Held also, geboren wurde, waren Kreise heilige Wesen ... sie wurden dort angebetet. Und die interessantesten Ereignisse waren die Überschneidungen des Raums der einen Dimension mit der Rundheit einer anderen, wie etwa der Durchgang einer Kugel durch eine Ebene. Dies waren seltene Ereignisse, die zum Ausgangspunkt lokaler Religionen oder zumindest in den Annalen festgehalten wurden, und Generationen von Gelehrten rätselten darüber. An manchen Stellen verschmolz Flatland in Florians erwachsenem Kopf mit Stephen Hawkings Universum in der Nussschale: In letzterem fielen die Bewohner der Antiwelt ebenfalls auf die Membran des Nachbaruniversums und verschwanden spurlos daraus. Außerdem erinnerte sich Flo an Peter Sloterdijks Magisterium Magnum mit der epigrafischen Inschrift von Platon über dem Eingang zur Akademie: „Wenn du kein Geometer bist, bleib weg von hier“. In einem dreibändigen Werk hat Sloterdijk die gesamte Geschichte der Menschheit mit Hilfe der Sphärologie wiedergegeben: Blasen – Globen – Schäume… und alle zusammen Sphären. Es scheint, dass dieses Mammutwerk die Worte von A. Square über die Heiligkeit runder Formen bestätigt, dachte Flo und näherte sich der orangefarbenen Kugel.
Nach einer Weile sah Flo, was auf der Kugel geschrieben stand: „ART“, schwarze Buchstaben … und noch etwas, wahrscheinlich ein Bindestrich links … Es war ruhig und die Kugel drehte sich nur leicht um ihre vertikale Achse. Flo schwamm wieder im Kriechgang und fragte sich, was mag das für eine Kunst sein ...
Noch bevor er die Kugel erreichte, konnte er die ganze Inschrift lesen: „Meinhart“.
Wahrscheinlich nur der Nachname des Inhabers einer Firma mit einem unbekannten Betätigungsfeld … Die große Kugel wirkte allmählich unfreundlich … Sie erinnerte Flo jetzt an die ominösen Kugeln aus der alten englischen Fernsehserie The Prisoner, die Flüchtlinge über Land und Wasser jagten die Kugeln. Die Bälle waren so etwas wie die Wächter, die Entflohene in ein psychedelisches Gefängnis zurückbrachten. Wobei, insofern sie weiß waren und aus demselben Stoff wie die Kittel von Ärzten und Pflegern … Diese ungeheuren galoppierenden Kugeln wurden im Film „Rovers” genannt. Aber es waren Wetterballons (der Regisseur verwendete die, nachdem ein speziell angefertigter Robotervorläufer der Wasserdrohne ertrunken war, im Jahr 1967, allerdings), und dieser hier war orange, er jagte Flo nicht, aber zog ihn „magnetisch“ an. Flo war ganz nah heran, als er das zweite Wort las, das auf dem Ballon links neben dem ersten stand: „Netz“ … Und dann: „er.“ – „Netzer.“ Muss auch ein Nachname sein ... Da bemerkte Flo, dass sich von der Kugel zwei Reihen kleiner farbloser Bojen in beide Richtungen erstreckten, offensichtlich hielten sie das Netz. Flo glaubte einen Moment lang, das Netz auf seiner Haut zu spüren... Er schüttelte den Kopf und tauchte vorsichtig unter, zuerst in der Nähe der Kugel und dann, nachdem er zwei Meter geschwommen war, in der Nähe der kleinen Boje. Hier und da sah er Kabel, die senkrecht in die grüne Tiefe führten und bald aus dem Blickfeld verschwanden. Sind die Netze auf dem Grund ausgebreitet? Die orangefarbene Kugel war riesig, und er versuchte nicht, sie zu umarmen, er wagte nicht einmal, sie zu berühren. Er erinnerte sich daran, dass die maximale Tiefe des Sees zweihundert Meter betrug und dass es einer Legende zufolge auf dem Grund des Sees Kutschen gab, die in vergangenen Jahrhunderten durch das Eis gebrochen waren. Dies wurde Flo direkt von einem „Augenzeugen“ berichtet, der als Zeitungskorrespondent im Rahmen eines redaktionellen Auftrags in einem kleinen privaten U-Boot zusammen mit dessen Erbauer in die Tiefe getaucht war. Dieses U-Boot (übrigens yellow) hat es, wie sein Freund erwähnte, sogar in einen der „James Bond“-Filme geschafft.
Pferde, Passagiere, Kutscher, die dort standen, saßen ... Flo sagte sich, dass sein Kumpel in dieser Tiefe vielleicht genau die Dinge sah, von denen er zuvor schon gehört hatte, in dieser Tiefe kann man sich Einiges einbilden …
All das erschien ihm jetzt nicht mehr ganz so unglaublich, da er doch nicht verstand, wozu all diese „Kunst“ da sein sollte und was sich da unten befand, wohin die Kabel gingen, die Anker, Grundnetze oder das Marionettentheater ... Ja, er erinnerte sich an die Weihnachtskrippen im Untergeschoss des Nationalmuseums, an die Figuren und Modelle von Städten in den beleuchteten Aquarien, er hatte immer, wenn er im Dunkel in den Labyrinthen zwischen den Krippen umherirrte, geglaubt, dort lebende Fische zu sehen, die am Himmel über den menschlichen Figuren schwammen, über den Pferden und Kamelen ... Flo war sich jetzt sicher, dass sein Kumpel vom U-Boot aus etwas Ähnliches gesehen haben musste ... Vielleicht markierte die orangefarbene Kugel einen solchen Ort auf dem Grund? Das wäre nicht fantastischer, als wenn sie die Mitte des Sees markieren würde. Bei all dem war Flo entschlossen, heute nicht ans andere Ufer zu schwimmen, er drehte um und schwamm zurück.
Als er aus dem Wasser auftauchte, dachte er: „Vielleicht doch eine Installation …“
„Sie schwimmen so weit!“, hörte Flo und nahm seine Wasserbrille ab.
Er sah, dass das kleine grüne Kap, von dem aus er gestartet war, während seiner Abwesenheit nicht unbewohnt geblieben war. Eine grauhaarige Frau mit wie vom Wind verwischten Gesichtszügen hatte es sich da gemütlich gemacht: Sie hatte einen Klapptisch und einen Sessel ins hohe Gras gestellt.
„Na und“, murmelte Flo.
„Ich werde Ihnen also nicht beim Ertrinken zusehen!“
„Es tut mir leid“, erwiderte Flo und ging zu seinen Sachen. Die Frau sah etwas beleidigt aus.
„Wissen Sie wenigstens, dass ein Mensch im Süßwasser schneller untergeht als im Salzwasser!?“, rief sie.
Der 3. Teil von Flo erscheint am Freitag, den 4. April.
Flo (Teil 2)>
Der 1963 in Charkiw geborene Schriftsteller und bildende Künstler Alexander Milstein lebt seit 1995 in München. Nach dem Studium der Mathematik beginnt er 1988 zu schreiben. Seitdem hat er acht Prosa-Bücher veröffentlicht, die Hälfte davon in Russland und die andere Hälfte in der Ukraine, wo 2017 das Buch Pyatipol erscheint, in dem neben Texten erstmals Bilder des Autors zu sehen sind. Seine Geschichten werden auch in der Süddeutschen Zeitung und der Zeitschrift Der Freund veröffentlicht. 2017 nimmt er an Eine Brücke aus Papier in Kijiw teil. 2023 illustriert Milstein den Band Durch die Zeiten und trägt außerdem einen Text dazu bei. Seine Malerei bezieht sich teilweise auf seine literarischen Werke. Er zeigt sie in Ausstellungen und fügt sie seit Pjatipol auch in seine Bücher ein.
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2. Zweite Navigation und sphärische Geometrie
Als Flo die Augen öffnete, war der Himmel über ihm blau, er stützte sich auf den Ellbogen und sah nichts als Grün um sich herum. Er lag auf einer kleinen leeren Lichtung, das Zelt war nicht zu sehen, aber das Gras war an manchen Stellen noch leicht zerknittert.
Flo wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, das Schlafen „in der Natur“ hatte eine andere Zeitskala als das Schlafen in der Stadt, unter einem Dach.
Er ging zum Wasser, tauchte einen Fuß ein, den anderen ... Ihm wurde klar, dass er nicht zurückschwimmen würde. Es war nicht mehr lustig, nein, bei dem Gedanken, zurückzuschwimmen, verspürte Flo keinen Antrieb.
Er blickte auf sein Handgelenk, wo seine Uhr hätte sein sollen, dann winkte er mit der Hand, so wie er es getan hatte, um sie aufzuziehen. Flo spürte, dass der See ihn nicht losließ, er war kurz davor, einen Schritt in die Tiefe zu machen, schloss die Augen ...
Doch als ob er sich an etwas erinnerte, öffnete er die Augen wieder und sah die Berge, die nun ganz nah waren, unvergleichlich näher als im Paradies, aus dem er hinausgeschwommen war. Der Himmel um ihre Gipfel herum färbte sich in rosa Tönen.
Er warf einen letzten Blick auf das Panorama, auf dem nun kleine Wellen liefen – in die Richtung, in der auch das Wasser ein wenig rosa wirkte – und ging vom See weg durch das Dickicht, wobei er die Aststummel von sich wegschob.
Er ging langsam, gemächlich, als überlegte er noch, ob er umkehren und den Rückweg über das Wasser antreten sollte, aber das Dickicht endete bald, und Flo kam zu einer schmalen Straße. Er ging auf dem Bürgersteig, obwohl er auch auf dem Gras daneben hätte gehen können, aber er fühlte sich jetzt besser, als er mit seinen nackten Füßen die Härte des Bodens spürte; es half, in dem Sinne, dass es endlosen Tag unterbrach, in dem er sich fast verloren hatte wie eine Nadel im Heuhaufen.
Es gab keine Autos, aber Häuser tauchten auf, völlig leer, zumindest sah es so aus, und einige von ihnen konnte Flo überhaupt nicht sehen, es sei denn, er schob die hohe Thujenhecke mit den Händen auseinander – dann konnte er die hellen Umrisse von Gebäuden in den Lücken sehen, aber es war unmöglich, sich ein allgemeines Bild zu machen, weil die Mauern der Lebensbäume so dicht waren, dass jede Lücke sofort geschlossen wurde, als wäre sie überwuchert.
An der Bushaltestelle sah er die erste lebende Person, eine braungebrannte Frau mittleren Alters. Er nickte ihr zu, als wäre alles in Ordnung, und begann, den Fahrplan zu studieren, aus dem hervorging, dass der letzte Bus längst abgefahren war.
Flo grüßte und fragte die Frau, worauf sie warte, denn es scheine kein Bus mehr zu kommen. Die Frau warf ihre Zigarette fort, begann zu sprechen ... hatte aber keine Zeit zu antworten, denn in diesem Moment ertönte ein Motor, und ein roter Mazda rollte direkt an den Baumstamm heran, auf dem sie saß.
Flo fragte nicht, ob sie ihn mitnehmen könnten – in dem Sportwagen gab es nur zwei Plätze. Aber er hatte Zeit zu fragen, ob er mit ihrem Handy ein Taxi rufen könne, und als Antwort hörte er ein „sorrrry“, das kaum vom Motor zu unterscheiden war, das Auto rollte so plötzlich weg, wie es herangekommen war, als wäre eine Fliege von einer riesigen roten Zunge aufgeleckt worden.
Flo fand das natürlich unhöflich, aber es lag wohl mit an seiner Erscheinung: was sollten sie denken, wenn sie einen Mann in Badehose auf der Straße sahen, wenn ihr Denken, sagen wir mal, einseitig war, sie sich von der ersten Reaktion leiten ließen: Sorry ... Na ja, zum Teufel mit ihnen.
Flo ging ein Stück weit die Straße hinunter und sah hinter einem niedrigen Balkenzaun etwas Verrücktes. Da standen Modelle des Eiffelturms, des Taj Mahal, des Towers und des Londoner Parlamentsgebäudes, der Frauenkirche, nicht der Münchener, sondern der Dresdener – Flo erkannte sie nicht, aber er konnte den Namen auf der Tafel lesen ...
Ja, ja, alle Sehenswürdigkeiten dieser Welt waren dort mit Schildern versehen – weiße Blätter mit aufgedruckten Namen waren am Sockel jedes Modells, sogar der Eiffelturm war beschriftet.
Dazwischen lagen Eisenbahngleise, und Flo bemerkte endlich einen Mann im Rollstuhl, der der Chef der Eisenbahnlinie zu sein schien.
Irgendetwas an seiner Erscheinung erinnerte Flo an Stephen Hawking, noch bevor sich herausstellte, dass der Mann nicht verständlich sprechen konnte ... Nur hatte er keinen Computer, der Sprache synthetisierte – das in seinem Stuhl eingebaute Gerät war offensichtlich nur eine Fernbedienung, entweder für denselben Stuhl oder auch für die Eisenbahn.
Plötzlich murmelte er laut etwas, als ob er um Hilfe rufen würde ... und als Flo sah, worum es ging, dachte er, die Worte mit etwas Geschick deuten zu können.
„Ein Hund! Ein Hund auf den Gleisen!“, rief der Mann.
Und tatsächlich: Auf den Schienen der Schmalspurbahn, irgendwo zwischen dem Taj Mahal und der Pagode der Verbotenen Stadt, lag ein weiß-roter Hund, und die Bahn setzte sich in Bewegung, irgendetwas blinkte, und der Zug entfernte sich von der Frauenkirche, wo er zuvor gestanden hatte.
Flo wusste nicht, was er tun sollte: der Fremde muhte schmerzhaft und sah aus wie ein Vogel mit gestutzten Flügeln, der zu fliegen versucht ... Als ob er um Hilfe rufen würde, aber Hilfe konnte nur geleistet werden – um den kleinen Hund von den Gleisen zu holen – indem man über die Hecke sprang, und das wäre ein nicht ganz-trivialer Akt für Flo, der an diesem Tag nicht mehr keine weiteren Abenteuer suchte und dem auch sein eigenes ... zunehmend unpassendes Auftreten peinlich war, als die Dämmerung näher rückte.
Der Moment selbst blieb Flo für immer in Erinnerung: das Modell der Welt hinter dem niedrigen Zaun, der Hund auf den Gleisen, das Double des Autors von Eine kurze Geschichte der Zeit, die gelblichen Palmen, die gelb-schwarz-rote Fahne und was es sonst noch gab ... ach ja – das Moulin Rouge-Modell u.a.
Im Hof gab es auch Brücken über einen „wild bewegten Fluss“, der durch ein Rinnsal repräsentiert wurde, und es gab einen kleinen Teich mit Steinen an den Rändern, der einen See mit felsigen Ufern darstellte, wenn nicht gar einen Ozean, es gab die Welt … wenn auch nicht wie in einem anderen Hawking-Buch ein ganzes Universum in einer Nussschale, dann wenigstens innerhalb der Grenzen einer Hecke auf dem Land.
Der Hund, der die Nerven seines Herrchens ausreichend strapaziert hatte, sprang im letzten Moment auf und huschte vom Gleis weg, während der Zug ungehindert weiterfuhr.
Flo hatte sich ins Ohr gekniffen und zwirbelte leise sein Ohrläppchen wie den Stimmwirbel einer Gitarre.
Nein, es war kein Traum im Traum, zumindest nicht seiner, sondern der vom Hawking-Doppelgänger, und plötzlich kam ein anderer Mensch aus dem Haus und rief, nachdem er sich Flos Anliegen ausführlich angehört hatte, per Telefon ein Taxi.
Es kam etwa zehn Minuten später. Während dieser Zeit erzählte Flo dem Verwandten des Hausbesitzers, der immer noch vor der Hecke stand, er sei herübergeschwommen, seine Kleider lägen am anderen Ufer ...
Flo begann, dem Taxifahrer, der ihn auf die andere Seite des Sees brachte, müde dasselbe zu erzählen, aber dieser unterbrach ihn schnell mit den Worten: „Ich weiß alles darüber!“ und begann seinerseits, etwas längst Vergessenes und „Interessanteres“ zu erzählen – „neue Informationen über den ertrunkenen König“ … „Vor kurzem meldete sich plötzlich ein Hundertjähriger zu Wort, der sich daran erinnerte, dass er als Kind im Haus seiner Verwandten den Mantel des Königs gesehen hatte, der am Rücken Einschusslöcher aufwies ...“
„Er hat als Kind alles mitangesehen, und als er sich dem hundertsten Lebensjahr näherte, wollte er sich plötzlich daran erinnern, haha, glaubst du, dass es so etwas gibt?“
Flo nickte mechanisch und machte die Augen zu.
Das Taxi fuhr auf den Parkplatz am Hang, wo Flo sein Auto abgestellt hatte.
Er musste die Kleider finden, die er auf dem Steg zurückgelassen hatte ... Was, wenn sie weg waren? Der Taxifahrer erklärte sich bereit zu warten, und Flo ging zum Wasser.
Jetzt war der See nicht mehr so ruhig; die Wellen gingen höher, und wie sie unter dem Steg hindurchliefen, schlugen sie an die Planken, und der Steg verstärkte, wie das Gehäuse eines Musikinstruments, den Klang.
Flo folgte dem Steg bis zum Ende und hob seinen Rucksack auf; die Klamotten waren nass, sein Handy aber unversehrt.
Er ging zum Parkplatz zurück, bezahlte den Taxifahrer.
In Starnberg regnete es bereits – von oben. Flo kehrte in der nächsten Pizzeria auf einen Kaffee ein, anders würde er es wohl nie nach München schaffen.
Dazu aß er Lasagne, weil er zum ersten Mal an diesem Tag Hunger verspürte.
Anschließend fuhr er nach Hause und hörte sich unterwegs ein Konzert von Fever Ray an.
***
An einem heißen Sonntagnachmittag beschloss Flo, seinen persönlichen Big Swim zu wiederholen und vielleicht sogar zu übertreffen, was bedeutete, auf die andere Seite des Sees zu fahren und nicht mit dem Taxi, sondern schwimmend zurückzukehren. „Ich habe keine Verpflichtung“, dachte er, als er an Starnberg vorbeikam, „wenn irgendwo in der Mitte des Sees die Inspiration nachlässt, schwimme ich zurück. Alles in allem wird es die gleiche Strecke wie bei Big Swim sein, plus-minus ein paar hundert Meter.“
Wie er die Mitte des Sees erkennen würde, darüber dachte er nicht viel nach, na ja, irgendwie nach Augenmaß, nach dem Vergleich der Höhe der Wälder zu beiden Seiten oder etwas in der Art.
Wie er also aufhörte zu schwimmen und sich umschaute, im Wasser schwebend, und sah, dass der gelbe Punkt, der vom Ufer aus kaum zu sehen gewesen war, sich in einen orangefarbenen Ball verwandelt hatte, dachte er: das ist die Mitte des Sees! Aber er verwarf den Gedanken wieder: warum sollte jemand die Mitte markieren, was für ein Unsinn. ...
Natürlich erinnerte er sich daran, dass die Kugel beim letzten Mal an einer anderen Stelle aufgetaucht war, in Ufernähe ... Diesmal unterschied sich die Kugel nicht nur in der Farbe von Jörgs, sondern auch in der Größe – im Gegensatz zur aufblasbaren Weltkugel war diese um ein Vielfaches größer als ein Sitzball.
Flo schwamm nun geradewegs auf die Kugel zu, d.h. so gerade wie möglich, hielt inne, um seinen Kurs zu korrigieren, während der Bewusstseinsstrom in seinem Kopf begann, die Idee der Kugel von allen Seiten zu umströmen, er erinnerte sich an das Buch Flatland von Edwin Abbott, das er als Kind gelesen und sein Leben lang geliebt hatte. In der zweiten Dimension, in der A. Square, Abbotts Held also, geboren wurde, waren Kreise heilige Wesen ... sie wurden dort angebetet. Und die interessantesten Ereignisse waren die Überschneidungen des Raums der einen Dimension mit der Rundheit einer anderen, wie etwa der Durchgang einer Kugel durch eine Ebene. Dies waren seltene Ereignisse, die zum Ausgangspunkt lokaler Religionen oder zumindest in den Annalen festgehalten wurden, und Generationen von Gelehrten rätselten darüber. An manchen Stellen verschmolz Flatland in Florians erwachsenem Kopf mit Stephen Hawkings Universum in der Nussschale: In letzterem fielen die Bewohner der Antiwelt ebenfalls auf die Membran des Nachbaruniversums und verschwanden spurlos daraus. Außerdem erinnerte sich Flo an Peter Sloterdijks Magisterium Magnum mit der epigrafischen Inschrift von Platon über dem Eingang zur Akademie: „Wenn du kein Geometer bist, bleib weg von hier“. In einem dreibändigen Werk hat Sloterdijk die gesamte Geschichte der Menschheit mit Hilfe der Sphärologie wiedergegeben: Blasen – Globen – Schäume… und alle zusammen Sphären. Es scheint, dass dieses Mammutwerk die Worte von A. Square über die Heiligkeit runder Formen bestätigt, dachte Flo und näherte sich der orangefarbenen Kugel.
Nach einer Weile sah Flo, was auf der Kugel geschrieben stand: „ART“, schwarze Buchstaben … und noch etwas, wahrscheinlich ein Bindestrich links … Es war ruhig und die Kugel drehte sich nur leicht um ihre vertikale Achse. Flo schwamm wieder im Kriechgang und fragte sich, was mag das für eine Kunst sein ...
Noch bevor er die Kugel erreichte, konnte er die ganze Inschrift lesen: „Meinhart“.
Wahrscheinlich nur der Nachname des Inhabers einer Firma mit einem unbekannten Betätigungsfeld … Die große Kugel wirkte allmählich unfreundlich … Sie erinnerte Flo jetzt an die ominösen Kugeln aus der alten englischen Fernsehserie The Prisoner, die Flüchtlinge über Land und Wasser jagten die Kugeln. Die Bälle waren so etwas wie die Wächter, die Entflohene in ein psychedelisches Gefängnis zurückbrachten. Wobei, insofern sie weiß waren und aus demselben Stoff wie die Kittel von Ärzten und Pflegern … Diese ungeheuren galoppierenden Kugeln wurden im Film „Rovers” genannt. Aber es waren Wetterballons (der Regisseur verwendete die, nachdem ein speziell angefertigter Robotervorläufer der Wasserdrohne ertrunken war, im Jahr 1967, allerdings), und dieser hier war orange, er jagte Flo nicht, aber zog ihn „magnetisch“ an. Flo war ganz nah heran, als er das zweite Wort las, das auf dem Ballon links neben dem ersten stand: „Netz“ … Und dann: „er.“ – „Netzer.“ Muss auch ein Nachname sein ... Da bemerkte Flo, dass sich von der Kugel zwei Reihen kleiner farbloser Bojen in beide Richtungen erstreckten, offensichtlich hielten sie das Netz. Flo glaubte einen Moment lang, das Netz auf seiner Haut zu spüren... Er schüttelte den Kopf und tauchte vorsichtig unter, zuerst in der Nähe der Kugel und dann, nachdem er zwei Meter geschwommen war, in der Nähe der kleinen Boje. Hier und da sah er Kabel, die senkrecht in die grüne Tiefe führten und bald aus dem Blickfeld verschwanden. Sind die Netze auf dem Grund ausgebreitet? Die orangefarbene Kugel war riesig, und er versuchte nicht, sie zu umarmen, er wagte nicht einmal, sie zu berühren. Er erinnerte sich daran, dass die maximale Tiefe des Sees zweihundert Meter betrug und dass es einer Legende zufolge auf dem Grund des Sees Kutschen gab, die in vergangenen Jahrhunderten durch das Eis gebrochen waren. Dies wurde Flo direkt von einem „Augenzeugen“ berichtet, der als Zeitungskorrespondent im Rahmen eines redaktionellen Auftrags in einem kleinen privaten U-Boot zusammen mit dessen Erbauer in die Tiefe getaucht war. Dieses U-Boot (übrigens yellow) hat es, wie sein Freund erwähnte, sogar in einen der „James Bond“-Filme geschafft.
Pferde, Passagiere, Kutscher, die dort standen, saßen ... Flo sagte sich, dass sein Kumpel in dieser Tiefe vielleicht genau die Dinge sah, von denen er zuvor schon gehört hatte, in dieser Tiefe kann man sich Einiges einbilden …
All das erschien ihm jetzt nicht mehr ganz so unglaublich, da er doch nicht verstand, wozu all diese „Kunst“ da sein sollte und was sich da unten befand, wohin die Kabel gingen, die Anker, Grundnetze oder das Marionettentheater ... Ja, er erinnerte sich an die Weihnachtskrippen im Untergeschoss des Nationalmuseums, an die Figuren und Modelle von Städten in den beleuchteten Aquarien, er hatte immer, wenn er im Dunkel in den Labyrinthen zwischen den Krippen umherirrte, geglaubt, dort lebende Fische zu sehen, die am Himmel über den menschlichen Figuren schwammen, über den Pferden und Kamelen ... Flo war sich jetzt sicher, dass sein Kumpel vom U-Boot aus etwas Ähnliches gesehen haben musste ... Vielleicht markierte die orangefarbene Kugel einen solchen Ort auf dem Grund? Das wäre nicht fantastischer, als wenn sie die Mitte des Sees markieren würde. Bei all dem war Flo entschlossen, heute nicht ans andere Ufer zu schwimmen, er drehte um und schwamm zurück.
Als er aus dem Wasser auftauchte, dachte er: „Vielleicht doch eine Installation …“
„Sie schwimmen so weit!“, hörte Flo und nahm seine Wasserbrille ab.
Er sah, dass das kleine grüne Kap, von dem aus er gestartet war, während seiner Abwesenheit nicht unbewohnt geblieben war. Eine grauhaarige Frau mit wie vom Wind verwischten Gesichtszügen hatte es sich da gemütlich gemacht: Sie hatte einen Klapptisch und einen Sessel ins hohe Gras gestellt.
„Na und“, murmelte Flo.
„Ich werde Ihnen also nicht beim Ertrinken zusehen!“
„Es tut mir leid“, erwiderte Flo und ging zu seinen Sachen. Die Frau sah etwas beleidigt aus.
„Wissen Sie wenigstens, dass ein Mensch im Süßwasser schneller untergeht als im Salzwasser!?“, rief sie.
Der 3. Teil von Flo erscheint am Freitag, den 4. April.