Wie lateinamerikanische Feminismen den 8. März in Deutschland geprägt haben und prägen. Eine Bestandsaufnahme von Sara Gómez

Die Autorin des Literaturportals Bayern Sara Gómez vergleicht, wie der 8. März, Weltfrauentag oder auch feministischer Kampftag, in Chile und in Deutschland begangen wird. Damit lässt sich zeigen, wo der Feminismus in beiden Ländern steht. Größer entschiedener und selbstbewusster tritt die Bewegung in Lateinamerika auf.
*
Ich erinnere nicht, welcher mein erster 8. März in München war – was ich sicher weiß, ist, dass mich Lateinamerikas bzw. die hispanischen feministischen Bewegungen zum 8M (wie der 8. März dort liebevoll und understatementmäßig abgekürzt wird) diesbezüglich „erzogen“ haben: Die Bedeutung eines feministischen Streiks, wie der Tag viel öfter in Chile als in Deutschland umschrieben wird, hat mich mit voller Wucht erwischt, als ich am 8. März 2020 bei einer der größten Demonstrationen seit Ende der Diktatur in Santiago de Chile anwesend war. An der Hand meiner 25-jährigen Nichte, die diese Masse an Menschen offensichtlich deutlich gewohnter war als ich, wurde ich Teil einer Million (trans*)-Frauen, die an diesem Tag in der chilenischen Hauptstadt protestierten.
Einer der ersten Unterschiede, der mir also zwangsläufig auffällt, ist, dass in München oder Berlin deutlich weniger los ist als in Santiago. Dennoch lässt sich feststellen, dass die Demos und Aktionen in München von Jahr zu Jahr vielfältiger, kraftvoller und „besser besucht“ werden. Und an dieser Stelle geht das Copyright erneut an die lateinamerikanische und andere migrantische Communities, etwa die kurdische: Frauen und queere Menschen aus diesen Ländern haben auch in Deutschland gezeigt, weshalb es so wichtig ist, auf die Straße zu gehen, und wofür es sich zu kämpfen lohnt. Nichts Geringeres als das Recht auf das eigene Leben steht zur Disposition – zum Abgleich: 2023 wurde an praktisch jedem(!) Tag ein Femi(ni)zid in Deutschland verübt. Femizid ist die Tötung einer (trans*)-Frau oder weiblich gelesenen Person aufgrund ihres Geschlechts. Der Begriff „Feminizid“ betont das staatliche Versagen bei diesen Morden. Die gesellschaftspolitische Dimension dieses tagtäglichen Irrsinns, dem wir weltweit und eben auch in München respektive Deutschland ausgesetzt sind, ist der Hauptgrund für mich, diesen Tag jährlich zu begehen.
Chile, das eine Art Wettbewerb mit dem deutlich größeren und weltweit bekannteren Nachbarland Argentinien pflegt, kann nicht für sich beanspruchen, feministischer leader in Lateinamerika zu sein – diese „Props“ gehen klar an Mexiko und Argentinien. Die beiden Länder, aus denen auch die mittlerweile weltbekannte und verbreitete Bewegung NI UNA MENOS (wörtlich: keine weniger; übersetzt meist mit: keine – weitere getötete Frau – mehr), stammt. Jedoch ist die feministische Bewegung in Chile derart erstarkt, dass sie Teil des verfassungsgebenden Prozesses war und z. B. die Performance un violador en tu camino (zu Deutsch: „Ein Vergewaltiger in deinem Weg“) des chilenischen Theaterkollektivs LAS TESIS sich weltweit derart verbreitet hat, dass ich die Performance – auf Deutsch – bereits mehrfach bei Münchner Demos gesehen habe, zuletzt am Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2024.
Mir ist keine zeitgenössische Arbeit von Münchner oder deutschen Aktivist*innen bekannt, die es damit aufnehmen kann. Mir scheint also, dass die Tatsache, in einem Patriarchat zu leben, für viele Chileninnen und Chilenen bereits lange feststeht und damit klar benennbar ist, wohingegen dies in Deutschland vielen erst in den letzten Jahren und nun, nicht zuletzt mit den aktuellen politischen Entwicklungen, deutlich wird.
Ein Unterschied, der mir außerdem – in jeglicher Hinsicht – ins Auge sticht, ist der Umgang mit dem Konflikt bzw. Krieg zwischen Israel und Palästina / Gaza. Dieses Thema spaltet in Deutschland linke und gerade auch feministische Bewegungen. So finden in München dieses Jahr genau aus diesem Grund verschiedene Demonstrationszüge statt – und je nachdem, für welchen man sich entscheidet, macht man bereits – bewusst oder unbewusst – deutlich, welche Haltung man bei diesem Konflikt einnimmt bzw. wohin man tendiert.
In Chile spaltet sich die feministische Bewegung darüber nicht, weil klar die propalästinensische Haltung überwiegt. Hier leben mit 400.000 Personen relativ viele Menschen mit palästinensischen Wurzeln (mit Vorfahren, die weit vor der Gründung Israels ausgewandert sind) und im Vergleich aktuell ca. 150.000 Menschen mit jüdischen Wurzeln. Wenn man die Zeichen jüdischen Lebens nicht aktiv sucht, wird man sie allerdings nicht leicht finden.
Ein weiterer Unterschied: Bei den meisten Demonstrationen zum 8M in Chile sind cis-Männer nicht erwünscht. So war bei der Demo 2020, bei der ich mitlief, eine der auffälligsten Charakteristika für mich, dass die eine Million Menschen tatsächlich allein aus Frauen und „disidencias sexuales“ (wie hier „all but cis“-Menschen oft bezeichnet werden) bestand. Und dass auch die Polizei, die die Demo begleitete, ausschließlich aus Polizistinnen bestand! Ein Fakt, den man sich in Deutschland nicht mal vorstellen kann. Ich war von diesem Umstand ziemlich irritiert – erst in Gesprächen und mit dem Gefühl who am I to judge, konnte ich diesen Unterschied akzeptieren. Stehenlassen als eine Andersheit.
Auch dieses Jahr schreiben viele der Veranstalter*innen der verschiedenen Märsche: „la marcha será separatista“. Heißt in diesem Fall: keine cis-Männer erwünscht. In München (und Deutschland) kenne ich den Hinweis etwa von der Black-Lives-Matter-Demo 2020, sich als nicht-betroffene Person „in die zweite Reihe“ zu stellen. Meint grundsätzlich – je nach Demo – Platz zu machen für die, die am eigenen Leib Rassismus, Ableismus, Sexismus, Queer-Feindlichkeit ... erleben.
Worauf sich die Bewegungen hier und dort einigen können: In jedem Fall auf KEINE MEHR // NI UNA MENOS. Die Hinweise auf Femi(ni)zide, die Forderung, dieser strukturellen Tötung von (trans*-)Frauen endlich Rechnung zu tragen, endlich entsprechende Gesetze zu erlassen, entsprechende Strafmaße zu definieren, entsprechende Opfer- UND Täterarbeit zu finanzieren und vieles mehr, diese Forderungen finden sich auf beiden Seiten des Ozeans.
Und auf beiden Seiten sehen von Sexismus Betroffene mit Angst, aber auch viel Wut, wie schnell ihre Errungenschaften angetastet werden können oder gar nicht erst umgesetzt werden, siehe das Recht auf einen komplett straffreien, sicheren und unbürokratischen Schwangerschaftsabbruch, den es so in keinem der beiden Länder, weder in Chile noch in Deutschland, gibt.
Wie lateinamerikanische Feminismen den 8. März in Deutschland geprägt haben und prägen. Eine Bestandsaufnahme von Sara Gómez>

Die Autorin des Literaturportals Bayern Sara Gómez vergleicht, wie der 8. März, Weltfrauentag oder auch feministischer Kampftag, in Chile und in Deutschland begangen wird. Damit lässt sich zeigen, wo der Feminismus in beiden Ländern steht. Größer entschiedener und selbstbewusster tritt die Bewegung in Lateinamerika auf.
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Ich erinnere nicht, welcher mein erster 8. März in München war – was ich sicher weiß, ist, dass mich Lateinamerikas bzw. die hispanischen feministischen Bewegungen zum 8M (wie der 8. März dort liebevoll und understatementmäßig abgekürzt wird) diesbezüglich „erzogen“ haben: Die Bedeutung eines feministischen Streiks, wie der Tag viel öfter in Chile als in Deutschland umschrieben wird, hat mich mit voller Wucht erwischt, als ich am 8. März 2020 bei einer der größten Demonstrationen seit Ende der Diktatur in Santiago de Chile anwesend war. An der Hand meiner 25-jährigen Nichte, die diese Masse an Menschen offensichtlich deutlich gewohnter war als ich, wurde ich Teil einer Million (trans*)-Frauen, die an diesem Tag in der chilenischen Hauptstadt protestierten.
Einer der ersten Unterschiede, der mir also zwangsläufig auffällt, ist, dass in München oder Berlin deutlich weniger los ist als in Santiago. Dennoch lässt sich feststellen, dass die Demos und Aktionen in München von Jahr zu Jahr vielfältiger, kraftvoller und „besser besucht“ werden. Und an dieser Stelle geht das Copyright erneut an die lateinamerikanische und andere migrantische Communities, etwa die kurdische: Frauen und queere Menschen aus diesen Ländern haben auch in Deutschland gezeigt, weshalb es so wichtig ist, auf die Straße zu gehen, und wofür es sich zu kämpfen lohnt. Nichts Geringeres als das Recht auf das eigene Leben steht zur Disposition – zum Abgleich: 2023 wurde an praktisch jedem(!) Tag ein Femi(ni)zid in Deutschland verübt. Femizid ist die Tötung einer (trans*)-Frau oder weiblich gelesenen Person aufgrund ihres Geschlechts. Der Begriff „Feminizid“ betont das staatliche Versagen bei diesen Morden. Die gesellschaftspolitische Dimension dieses tagtäglichen Irrsinns, dem wir weltweit und eben auch in München respektive Deutschland ausgesetzt sind, ist der Hauptgrund für mich, diesen Tag jährlich zu begehen.
Chile, das eine Art Wettbewerb mit dem deutlich größeren und weltweit bekannteren Nachbarland Argentinien pflegt, kann nicht für sich beanspruchen, feministischer leader in Lateinamerika zu sein – diese „Props“ gehen klar an Mexiko und Argentinien. Die beiden Länder, aus denen auch die mittlerweile weltbekannte und verbreitete Bewegung NI UNA MENOS (wörtlich: keine weniger; übersetzt meist mit: keine – weitere getötete Frau – mehr), stammt. Jedoch ist die feministische Bewegung in Chile derart erstarkt, dass sie Teil des verfassungsgebenden Prozesses war und z. B. die Performance un violador en tu camino (zu Deutsch: „Ein Vergewaltiger in deinem Weg“) des chilenischen Theaterkollektivs LAS TESIS sich weltweit derart verbreitet hat, dass ich die Performance – auf Deutsch – bereits mehrfach bei Münchner Demos gesehen habe, zuletzt am Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2024.
Mir ist keine zeitgenössische Arbeit von Münchner oder deutschen Aktivist*innen bekannt, die es damit aufnehmen kann. Mir scheint also, dass die Tatsache, in einem Patriarchat zu leben, für viele Chileninnen und Chilenen bereits lange feststeht und damit klar benennbar ist, wohingegen dies in Deutschland vielen erst in den letzten Jahren und nun, nicht zuletzt mit den aktuellen politischen Entwicklungen, deutlich wird.
Ein Unterschied, der mir außerdem – in jeglicher Hinsicht – ins Auge sticht, ist der Umgang mit dem Konflikt bzw. Krieg zwischen Israel und Palästina / Gaza. Dieses Thema spaltet in Deutschland linke und gerade auch feministische Bewegungen. So finden in München dieses Jahr genau aus diesem Grund verschiedene Demonstrationszüge statt – und je nachdem, für welchen man sich entscheidet, macht man bereits – bewusst oder unbewusst – deutlich, welche Haltung man bei diesem Konflikt einnimmt bzw. wohin man tendiert.
In Chile spaltet sich die feministische Bewegung darüber nicht, weil klar die propalästinensische Haltung überwiegt. Hier leben mit 400.000 Personen relativ viele Menschen mit palästinensischen Wurzeln (mit Vorfahren, die weit vor der Gründung Israels ausgewandert sind) und im Vergleich aktuell ca. 150.000 Menschen mit jüdischen Wurzeln. Wenn man die Zeichen jüdischen Lebens nicht aktiv sucht, wird man sie allerdings nicht leicht finden.
Ein weiterer Unterschied: Bei den meisten Demonstrationen zum 8M in Chile sind cis-Männer nicht erwünscht. So war bei der Demo 2020, bei der ich mitlief, eine der auffälligsten Charakteristika für mich, dass die eine Million Menschen tatsächlich allein aus Frauen und „disidencias sexuales“ (wie hier „all but cis“-Menschen oft bezeichnet werden) bestand. Und dass auch die Polizei, die die Demo begleitete, ausschließlich aus Polizistinnen bestand! Ein Fakt, den man sich in Deutschland nicht mal vorstellen kann. Ich war von diesem Umstand ziemlich irritiert – erst in Gesprächen und mit dem Gefühl who am I to judge, konnte ich diesen Unterschied akzeptieren. Stehenlassen als eine Andersheit.
Auch dieses Jahr schreiben viele der Veranstalter*innen der verschiedenen Märsche: „la marcha será separatista“. Heißt in diesem Fall: keine cis-Männer erwünscht. In München (und Deutschland) kenne ich den Hinweis etwa von der Black-Lives-Matter-Demo 2020, sich als nicht-betroffene Person „in die zweite Reihe“ zu stellen. Meint grundsätzlich – je nach Demo – Platz zu machen für die, die am eigenen Leib Rassismus, Ableismus, Sexismus, Queer-Feindlichkeit ... erleben.
Worauf sich die Bewegungen hier und dort einigen können: In jedem Fall auf KEINE MEHR // NI UNA MENOS. Die Hinweise auf Femi(ni)zide, die Forderung, dieser strukturellen Tötung von (trans*-)Frauen endlich Rechnung zu tragen, endlich entsprechende Gesetze zu erlassen, entsprechende Strafmaße zu definieren, entsprechende Opfer- UND Täterarbeit zu finanzieren und vieles mehr, diese Forderungen finden sich auf beiden Seiten des Ozeans.
Und auf beiden Seiten sehen von Sexismus Betroffene mit Angst, aber auch viel Wut, wie schnell ihre Errungenschaften angetastet werden können oder gar nicht erst umgesetzt werden, siehe das Recht auf einen komplett straffreien, sicheren und unbürokratischen Schwangerschaftsabbruch, den es so in keinem der beiden Länder, weder in Chile noch in Deutschland, gibt.