„IDOLLATRIE“. Über ein Gedicht von Elvira Steppacher
Die 158. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Vom Geist der Universität. Pia-Elisabeth Leuschner, Mitarbeiterin des Lyrik Kabinetts in München, schreibt in ihrer Lyrik-Kolumne über ein Gedicht von Elvira Steppacher.
*
Elvira Steppacher: „IDOLLATRIE“
Wie aber verwinden Künftige
den Verlust eines Vlieses
ans replizierbare Doppel
verketteter Basenpaare?
Wie zählen kommende
Generotationen die twists
vergänglicher Mythen von Helden?
Namhaften – einzigen – ach,
die zum Hain des Ares in Kolchis
der Geheiligten Stätte zogen?
Zu retten, was weich war,
Reichschaffend, flauschig,
in goldenen Flüssen zu spülen.
Nuggets jetzt im Laborglas
statt im verwidderten Sieb.
Ja, Sohn und Tochter, Helle:
Wollbüschels ferne Schwester
eben noch Fell vom Fell,
nun konservierter Balg
braucht knapp 50 Sekunden
um den Sarkophag aus Kristall
endlos mechatronisch zu loopen.
Auf dass wir Götterverwöhnten,
im helllichten Royal Museum
(Sektion Technik statt Textil)
bewahrten eine Art Ahnschaft
zu Kulturen der Kopie.
(Den aussortierten Embryonen der Versuchsreihe)
Aus Einst werden wir Endlinge sein. Elif Verlag 2024, S. 32-38.
**
„Wie aber soll die Palme es verwinden, / daß du den Wall aus warmen Lauben schleifst …?“ So fragt schon Ingeborg Bachmann als Fürsprecherin einer vom Menschen verheerte Natur. Elvira Steppachers jüngst erschienenes Lyrikdebüt, das Bachmanns Frageform aufgreift, widmet sich medial gehypten Tieren, die zu Ikonen dieser Jahre wurden (neben Dolly etwa auch Eisbär Knut, Problembär Bruno, die Raumfahrthunde u.v.a.). Das Buch verbindet form-intrikate lyrische ‚Nachrufe‘ – wie den obigen – mit eminent kundigen kultur- und technikhistorischen Prosareflexionen. Deshalb sei hier nur kurz auf einige Finessen des Gedichts verwiesen, um dann aus Steppachers eigenen Ausführungen zu zitieren.
Dass Schafe kulturgeschichtlich schon an Ursprüngen des Abendlandes stehen, wird durch den Mythos vom Golden Vlies in das Gedicht eingespeist (der seinerseits den Goldreichtum von Kolchis und die antike Technik des Goldwaschens mit Schaffellen zum Hintergrund hat: das „verwidderte Sieb“). Die poetische DNA des Textes verbindet programmatisch Heterogenes: den Gestus archaisierenden Singens (Spiel mit dem Hexameter; „ach“; „Hain“; „reichschaffend“) und Vokabular aus jüngster Zeit („mechatronisch“, „loopen“). Das Wortmaterial selbst wird oft wie in einer genmanipulierten Helix ineinandergezwirbelt: Dolly und Idolatrie (Bildvergötzung); Gene, Generationen und Rotationen. „Helle“ meint sowohl das mythische Mädchen, dessen Herabfallen von dem fliegenden, goldenen Widder dem Hellespont seinen Namen gab, als auch die Lichtgebung im Royal Museum Scotland, in dessen Sektion Technik das Präparat des Klonschafs ausgestellt ist. „Fell vom Fell“, das lautlich an die Helle anschließt, ruft zugleich – mit „Fleisch vom Fleisch“ (Joh. 3,6) und „Licht vom Licht“ aus dem Nizänischen Glaubensbekenntnis – den weitreichenden ethischen Kontext auf: Dolly als Inbild menschlichen Gott-Spielens, mit dem wir unsere wissenschaftliche Hybris und Sensationsgier verwöhnen, steht dabei auch für jene zahllosen „aussortierten Embryonen“, die zu (Opfer-)Lämmern nie heranwuchsen … Bewahren wir in unserer rein technischen „Ahn(herren)schaft“ für solche Kopie-Kulturen noch ein Ahnen, dass sie etwas wesentlich Anderes sind – als das in einem Stall geborene Geschöpf?
Aus Steppachers anschließender Prosa: „Dollys Schauvitrine dreht sich non-Stopp, in weniger als einer Minute kreist sie um sich selbst. Die Rotation imitiert in gewisser Weise die Spiralwindung der Doppelhelix. Klonieren, sagt ihre Verortung zwischen Boliden und Ballons, markiert wie Avionik, Hydraulik, Dampfkraft einen Technologiesprung innerhalb der wissenschaftlichen Genetik. In bestimmten Momenten spiegelt Dollys Vitrine die sie umgebenden Rennwagen. Technik und Natur werden einen Augenblick eins. Je nach Lichteinfall, verdoppelt sich das Präparat aber auch selbst. Eine Reflexion, die frappierend auf das Prinzip Klonierung zurückverweist. […]
Dargestellt als domestiziertes Hausschaf unterscheidet sich Dolly äußerlich in nichts von ihren ungeklonten Artgenossinnen, sie wirkt so normal wie es bei einem toten Tier eben geht. Noch die Reste von Stroh am Boden der Vitrine lassen sich als beredte Unterfütterung der Hypothese lesen, hier habe sich wesentlich nichts verändert.[…]
Es scheint, als hätte sich der Sturm ethischer Entrüstung [über die Klonierung], der seinerzeit um die Welt zog, gelegt. Meldungen über menschliche Klone erwiesen sich als medienwirksame Fakes. Im Tierreich dagegen hat das Verfahren geräuschlos Abnehmer gefunden. Unter anderem in der kapitalträchtigen Pferdezucht. Außerdem in der Fleischindustrie. Dem Problem hoher Ausschussraten versucht China beizukommen. 2022 meldeten Mediendienste, Forschern der University of Nankai (Tianjin) sei es gelungen, am 7. März sieben Ferkel zu klonen. Das gesamte Prozedere erfolgte vollautomatisiert, allein durch Robotik und Künstliche Intelligenz. Die Erfolgsrate hätte sich von 10% bei menschlicher Fertigung auf 27% bei maschineller erhöht. Allerdings gebe es noch Optimierungsbedarf. […] Was bleibt vom ältesten aller Kulturtiere, wenn es technologisch re-kreierbar wird? Alles? Nichts? Auf durchsichtige Weise fordert die Vitrine: Respekt bitte, hier stehen nicht wiederbeschaffbare Unikate. Der gläserne Sarg hält zudringliche Touristen fern. […] Ein banales Please-don’t-touch-Schild könnte dann doch zu doppeldeutig sein.“*
**
Elvira Steppacher, geboren 1963 in Münster-Hiltrup, tritt seit einigen Jahren als Autorin hervor; zeitgleich mit ihrem oben genannten Band erschien 2024 ihr erster Roman: Blöße (Braumüller Verlag, Wien). Mit Erlaubnis der Autorin wurden in dem obigen Zitat – aus Lesbarkeitsgründen – nicht alle Auslassungen graphisch markiert.
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Die 158. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Vom Geist der Universität. Pia-Elisabeth Leuschner, Mitarbeiterin des Lyrik Kabinetts in München, schreibt in ihrer Lyrik-Kolumne über ein Gedicht von Elvira Steppacher.
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Elvira Steppacher: „IDOLLATRIE“
Wie aber verwinden Künftige
den Verlust eines Vlieses
ans replizierbare Doppel
verketteter Basenpaare?
Wie zählen kommende
Generotationen die twists
vergänglicher Mythen von Helden?
Namhaften – einzigen – ach,
die zum Hain des Ares in Kolchis
der Geheiligten Stätte zogen?
Zu retten, was weich war,
Reichschaffend, flauschig,
in goldenen Flüssen zu spülen.
Nuggets jetzt im Laborglas
statt im verwidderten Sieb.
Ja, Sohn und Tochter, Helle:
Wollbüschels ferne Schwester
eben noch Fell vom Fell,
nun konservierter Balg
braucht knapp 50 Sekunden
um den Sarkophag aus Kristall
endlos mechatronisch zu loopen.
Auf dass wir Götterverwöhnten,
im helllichten Royal Museum
(Sektion Technik statt Textil)
bewahrten eine Art Ahnschaft
zu Kulturen der Kopie.
(Den aussortierten Embryonen der Versuchsreihe)
Aus Einst werden wir Endlinge sein. Elif Verlag 2024, S. 32-38.
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„Wie aber soll die Palme es verwinden, / daß du den Wall aus warmen Lauben schleifst …?“ So fragt schon Ingeborg Bachmann als Fürsprecherin einer vom Menschen verheerte Natur. Elvira Steppachers jüngst erschienenes Lyrikdebüt, das Bachmanns Frageform aufgreift, widmet sich medial gehypten Tieren, die zu Ikonen dieser Jahre wurden (neben Dolly etwa auch Eisbär Knut, Problembär Bruno, die Raumfahrthunde u.v.a.). Das Buch verbindet form-intrikate lyrische ‚Nachrufe‘ – wie den obigen – mit eminent kundigen kultur- und technikhistorischen Prosareflexionen. Deshalb sei hier nur kurz auf einige Finessen des Gedichts verwiesen, um dann aus Steppachers eigenen Ausführungen zu zitieren.
Dass Schafe kulturgeschichtlich schon an Ursprüngen des Abendlandes stehen, wird durch den Mythos vom Golden Vlies in das Gedicht eingespeist (der seinerseits den Goldreichtum von Kolchis und die antike Technik des Goldwaschens mit Schaffellen zum Hintergrund hat: das „verwidderte Sieb“). Die poetische DNA des Textes verbindet programmatisch Heterogenes: den Gestus archaisierenden Singens (Spiel mit dem Hexameter; „ach“; „Hain“; „reichschaffend“) und Vokabular aus jüngster Zeit („mechatronisch“, „loopen“). Das Wortmaterial selbst wird oft wie in einer genmanipulierten Helix ineinandergezwirbelt: Dolly und Idolatrie (Bildvergötzung); Gene, Generationen und Rotationen. „Helle“ meint sowohl das mythische Mädchen, dessen Herabfallen von dem fliegenden, goldenen Widder dem Hellespont seinen Namen gab, als auch die Lichtgebung im Royal Museum Scotland, in dessen Sektion Technik das Präparat des Klonschafs ausgestellt ist. „Fell vom Fell“, das lautlich an die Helle anschließt, ruft zugleich – mit „Fleisch vom Fleisch“ (Joh. 3,6) und „Licht vom Licht“ aus dem Nizänischen Glaubensbekenntnis – den weitreichenden ethischen Kontext auf: Dolly als Inbild menschlichen Gott-Spielens, mit dem wir unsere wissenschaftliche Hybris und Sensationsgier verwöhnen, steht dabei auch für jene zahllosen „aussortierten Embryonen“, die zu (Opfer-)Lämmern nie heranwuchsen … Bewahren wir in unserer rein technischen „Ahn(herren)schaft“ für solche Kopie-Kulturen noch ein Ahnen, dass sie etwas wesentlich Anderes sind – als das in einem Stall geborene Geschöpf?
Aus Steppachers anschließender Prosa: „Dollys Schauvitrine dreht sich non-Stopp, in weniger als einer Minute kreist sie um sich selbst. Die Rotation imitiert in gewisser Weise die Spiralwindung der Doppelhelix. Klonieren, sagt ihre Verortung zwischen Boliden und Ballons, markiert wie Avionik, Hydraulik, Dampfkraft einen Technologiesprung innerhalb der wissenschaftlichen Genetik. In bestimmten Momenten spiegelt Dollys Vitrine die sie umgebenden Rennwagen. Technik und Natur werden einen Augenblick eins. Je nach Lichteinfall, verdoppelt sich das Präparat aber auch selbst. Eine Reflexion, die frappierend auf das Prinzip Klonierung zurückverweist. […]
Dargestellt als domestiziertes Hausschaf unterscheidet sich Dolly äußerlich in nichts von ihren ungeklonten Artgenossinnen, sie wirkt so normal wie es bei einem toten Tier eben geht. Noch die Reste von Stroh am Boden der Vitrine lassen sich als beredte Unterfütterung der Hypothese lesen, hier habe sich wesentlich nichts verändert.[…]
Es scheint, als hätte sich der Sturm ethischer Entrüstung [über die Klonierung], der seinerzeit um die Welt zog, gelegt. Meldungen über menschliche Klone erwiesen sich als medienwirksame Fakes. Im Tierreich dagegen hat das Verfahren geräuschlos Abnehmer gefunden. Unter anderem in der kapitalträchtigen Pferdezucht. Außerdem in der Fleischindustrie. Dem Problem hoher Ausschussraten versucht China beizukommen. 2022 meldeten Mediendienste, Forschern der University of Nankai (Tianjin) sei es gelungen, am 7. März sieben Ferkel zu klonen. Das gesamte Prozedere erfolgte vollautomatisiert, allein durch Robotik und Künstliche Intelligenz. Die Erfolgsrate hätte sich von 10% bei menschlicher Fertigung auf 27% bei maschineller erhöht. Allerdings gebe es noch Optimierungsbedarf. […] Was bleibt vom ältesten aller Kulturtiere, wenn es technologisch re-kreierbar wird? Alles? Nichts? Auf durchsichtige Weise fordert die Vitrine: Respekt bitte, hier stehen nicht wiederbeschaffbare Unikate. Der gläserne Sarg hält zudringliche Touristen fern. […] Ein banales Please-don’t-touch-Schild könnte dann doch zu doppeldeutig sein.“*
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Elvira Steppacher, geboren 1963 in Münster-Hiltrup, tritt seit einigen Jahren als Autorin hervor; zeitgleich mit ihrem oben genannten Band erschien 2024 ihr erster Roman: Blöße (Braumüller Verlag, Wien). Mit Erlaubnis der Autorin wurden in dem obigen Zitat – aus Lesbarkeitsgründen – nicht alle Auslassungen graphisch markiert.