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17.12.2024, 15:33 Uhr
Sara Gómez
Text & Debatte
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FREISCHWIMMEN – DER ORT AN DEM ICH BIN. Ein mäandernder Text über Schreiben und Schwimmen (4)

Literatur und Bewegung gehen ein spannendes Gespann ein. Der Bewegung im Kopf setzen viele Autorinnen und Autoren eine körperliche Bewegung entgegen oder ergänzen die eine mit der anderen. Von den offensichtlichen gesundheitlichen Gründen abgesehen, ist das eine oftmals die Verlängerung des anderen. 

Die Autorin Sara Goméz ist leidenschaftliche Schwimmerin ohne jede Ambition an sportliches Achievement. In dieser 9-teiligen Blogreihe lässt sie sich treiben wie in einem See und kommt dennoch immer wieder zurück in ihre Bahnen. Sie schreibt darüber, wie Schreiben und Schwimmen, wie Bewegung und Denken für sie zusammenhängen. Wir präsentieren hier die vierte Folge.

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DER MONDSCHEIN WAR SO GÖTTLICH, ICH LIEF NOCH INS WASSER

Wasser ist ein magisches Element – davon zeugen nicht zuletzt von Der Tod in Venedig bis Der Schwimmer jene „Klassiker“ deutschsprachiger Literatur, in denen es eine Art Eigenleben führt oder eine eigene Rolle einnimmt. Das Bahnenziehen im Schwimmbad wiederum hat auf den ersten Blick überhaupt nichts Transzendentales: Eine eng abgesteckte Bewegungsabfolge in einem eng abgesteckten Gebiet mit enggefassten Regeln. Allerdings: umso freier wird der Geist. Ich habe selbst länger gebraucht, um zu verstehen, was mich an all diesen vermeintlich langweiligen Sportarten so reizt – Laufen, Wandern, Schwimmen. Andere gingen zum Bouldern, spielten Basketball, fuhren Kajak oder lernten endlich; ihr Skateboard zu beherrschen. Alles nichts für mich. Ich will zum einen alleine sein (oder mit jemandem, mit dem mensch nicht reden muss, was selten genug klappt) und zum anderen bei der Bewegung über die Bewegung nachdenken können, aber nicht müssen. Also auch über einen Text oder die letzte Begegnung im Supermarkt sinnieren. Das geht nicht, wenn ich versuchen müsste, dabei ein Tor zu schießen. Meditatives, kontinuierliches, dennoch teils herausforderndes – das suche ich in der Bewegung.

Die Besonderheit des Schwimmens ist nicht zuletzt, dass das Element an sich ein Dialogpartner oder wahlweise ein Widersacher ist. Die Luft, durch die wir gehen, ist zu unauffällig für den menschlichen Riecher – das Wasser hingegen ist ein spürbareres Element. Mit dem es sich ringen oder im Einklang dahingleiten lässt. Es gab Tage, an denen das Wasser gegen sie war, erzählt Franziska van Almsick in ihren Memoiren. Im Schwimmbad schwimme ich, im See bade ich. So einfach, so verschieden die erlebte Bewegung, auch aufgrund des unterschiedlichen Gewässers. Das Wasser hat insofern seinen eigenen Willen. Auf Deutsch ist es neutral, auf Spanisch männlich. Auf Arabisch ماء (Ma‘) klingt es nah an Mama. Very essential also.

Es ist schon so: Die größte Natur ist blau. Wird als blau gesehen, sieht blau besonders sämig, sanft, schön aus. Das Meer, die Berge, der weite Himmel. Schwimmen oder fliegen ist also eintauchen in die göttliche Farbe. „Nachts halb elf, der Mondschein war so göttlich, ich lief noch ins Wasser“ – selbst der literarische Großmeister, Goethe himself, ging regelmäßig in der Ilm schwimmen. 

„Jedes blaue Objekt eine Art brennender Dornbusch“[1], assoziiert ebenfalls Maggie Nelson die Farbe und führt kurz danach aus, wie sie beim Anblick eines blauen Pigmenthäufleins im Museum ein unfassbares Verlangen erfasste, „darin [zu] schwimmen“ oder auch „deine Nippel damit [zu] schminken“.

Göttlich und zugleich eher den Frauen vorbehalten – #Maria – ist die Farbe blau erst im Laufe des 20. Jahrhunderts und durch die Einführung des Blaumanns stark gegendert und dem männlichen Geschlecht zugeordnet worden.[2] Aber: „Blue, if anything, is a feminine color“, berichtigt Comedienne Hannah Gadsby in ihrer Show Nanette und führt aus, „it really is full of contradictions. You know, blue is a cold color. It’s on the cold end of the spectrum. But the hottest part of the flame? Blue!“[3]

 

[1] BLUETS, Maggie Nelson, Hanser Verlag, 2018. 
[2] Aber noch 1918 hieß es im Ladies‘ Home Journal: „Die allgemein akzeptierte Regel ist Rosa für Jungen und Blau für die Mädchen. Der Grund dafür ist, dass Rosa als eine entschlossenere und kräftigere Farbe besser zu Jungen passt, während Blau, weil es delikater und anmutiger ist, bei Mädchen hübscher aussieht“. Vgl.: https://www.geo.de/wissen/19876-rtkl-geschlechterklischees-warum-die-farbe-rosa-einst-maennersache-war 
[3] NANETTE, Hannah Gadsby, ©Netflix. Zu Deutsch etwa: Blau ist, wenn dann, eine feminine Farbe. Sie ist wirklich voller Widersprüche. Wissen Sie, Blau ist eine kalte Farbe. Sie ist auf am Ende des Spektrums kalter Farben. Aber der heißeste Teil einer Flamme? Blau!

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