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19.07.2024, 10:53 Uhr
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Im Jahr seines 100. Geburtstags erscheint die erste Biografie von Johannes Mario Simmel

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(c) Droemer Knaur

Er ist einer der auflagenstärksten Schriftsteller, hat zwei Drittel des 20. Jahrhunderts erlebt und durchlitten und seine Gedanken und Gefühle dazu in zahlreichen Romanen gestaltet. Am 7. April 2024 wäre Johannes Mario Simmel 100 Jahre alt geworden. Claudia Graf-Grossmann legt im Droemer Verlag aus diesem Anlass eine erste Biografie des „sozialdemokratischen Bestsellerautors“ vor.

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27 Romane. Eine Handvoll Erzählungen, Aufsätze, Reden, ein Theaterstück – Johannes Mario Simmel hat als Autor eine beeindrucke Lebensbilanz. Die Weltauflage seiner Werke beziffert sich auf rund 73 Millionen Bücher in 33 Sprachen. Titel wie Hurra, wir leben noch oder Es muss nicht immer Kaviar sein dürften den meisten Boomern und vielen Xern bekannt sein, ebenso die markante Typografie seiner Buchcover, die auch der Umschlag der im Frühjahr 2024 erschienenen ersten Simmel-Biografie wieder aufgreift.

Ob und welches Nachleben seinem umfangreichen Schaffen beschert ist, bleibt dennoch offen. Die Literaturwissenschaft fremdelt mit Simmels Büchern, die das Image bloßer Unterhaltung tragen. Erst gegen Ende seines Lebens wandten sich die Feuilletons von SPIEGEL und ZEIT einem Autor zu, dessen Werk den artistischen Ambitionen eines Weiss (*1916), Grass (*1927) oder Johnson (*1934) offensiv entgegensteht. Sogar Böll (*1917), der selbst um die Anerkennung seiner Literarizität bangen musste, wäre in diesem Kontext zu nennen – und es ist kein Zufall, dass sich in dieser Reihe von Namen kein weiblicher findet.

Noch weniger bekannt dürfte der Lebensweg des österreichischen Schriftstellers sein. Er ist der Sohn eines Mannes jüdischer und einer Frau christlicher Herkunft, erlebt den Zweiten Weltkrieg in der Gegend von Wien, beginnt kurz darauf zu schreiben, wird Journalist bei der QUICK, verfasst Drehbücher und eben jene große Zahl an Romanen, von denen zwischen 1965 und 1991 zwölf oben auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stehen. Er lebt auf großem Fuß, heiratet dreimal und wird dreimal geschieden. Seine letzten Jahre verbringt er in Zug in der Schweiz, wo er, nach einem Unfall körperlich eingeschränkt, am 1. Januar 2009 verstirbt.

Simmels Leben hat Glamour, wenn es auch weniger schillert als das mancher Filmstars.

Die Eltern sind wohlhabend, geraten durch die Weltwirtschaftskrise 1929 jedoch in Schwierigkeiten. Das Paar kommt nach dem Ersten Weltkrieg aus Deutschland nach Österreich. In Mödling und später in Neustift am Walde, nahe bei Wien, wachsen Johannes Mario und seine vier Jahre jüngere Schwester Eva Susanne auf.

1938 erzwingen die Nationalsozialisten die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Sofort beginnt die Verfolgung auch der österreichischen Juden. Die Großeltern werden in Auschwitz ermordet. Der Vater der Familie emigriert nach England, die Mutter bleibt mit den Kindern in Österreich. Als so genannte „Mischlinge“ müssen die Simmel-Kinder nicht den Judenstern tragen, sind aber ständigem Druck ausgesetzt. Ab 1942 wird der Besuch einer höheren Schule unmöglich für sie. Mutter und Sohn hören heimlich den BBC, in dem die Stimme des Vaters ab und zu erklingt. Als die Tochter sie dabei erwischt, will sie das verbotene Tun in der Schule melden. Daraufhin verprügelt die Mutter sie, damit das Kind den Mund hält. Der Vater stirbt Anfang 1945, ohne die Kinder wiedergesehen zu haben.

Als Simmel das Realgymnasium verlassen muss, beginnt er eine Ausbildung zum Chemiker. Sein Leben ist in dieser Phase turbulent und unübersichtlich. Vor der Verhaftung durch die Gestapo kann er fliehen; das Kriegsende überlebt er im Keller eines Wiener Hotels. Da er gut Englisch spricht, arbeitet er bald als Fahrer und Dolmetscher für die amerikanischen Besatzer. Diese besorgen ihm Papier und eine Schreibmaschine. Erste Geschichten entstehen. Bald darauf arbeitet er als Kulturredakteur für die „Welt am Abend“. Er lernt Carol Reed und Graham Greene kennen, die in Wien den Dritten Mann drehen. So beginnt auch Simmels Arbeit für den Film.

Diese frühen Jahre, der Umschwung vom mit Verfolgung bedrohten Burschen zum jungen Mann, der auf der Seite der Sieger steht, ist vielleicht bezeichnend und ausschlaggebend auch für seine Entwicklung als Schriftsteller. Sein erstes Buch Begegnung im Nebel ist in einem sehr „literarischen“ Ton geschrieben. Der Bewunderer Rilkes und Hemingways gibt diesen Ton jedoch schnell zugunsten eines mehr Erfolg versprechenden und von Simmel als zeitgemäß empfundenen Stils auf. Er schreibt direkt, unverblümt, für jedermann verständlich. 1949 wird in München die Zeitschrift QUICK gegründet, die sich als „Telegramm-Magazin“ sieht mit dem Anspruch, „auf 64 Seiten wöchentlich in 25 Rubriken alles Wissenswerte aus der ganzen Welt“ zu bieten. Simmel zieht in die bayerische Hauptstadt und arbeitet als Reporter für das Magazin. Er wird behaupten, zeitweise bis zu zwei Drittel des Inhalts allein beigetragen zu haben.

Es beginnt eine arbeitsintensive Phase seines Lebens, in der er journalistisch schreibt, Drehbücher verbessert und dazu eigene literarische Texte verfasst – alles gleichzeitig und mitangetrieben von einem hohen Whisky-Konsum. Die Alkoholsucht wird für den mittlerweile mit seiner Frau Lucy in Starnberg lebenden Autor zu einem großen Problem. Er hat rund 300 Flaschen Whisky im Keller. Von Lucy darauf angesprochen, erwidert er: „… die brauch ich auch, … denn jetzt mit dieser Mauer in Berlin wird’s bald wieder Krieg geben und keinen Whisky mehr.“ Sie erwidert, es müsse sich dann aber um einen Blitzkrieg handeln. Simmel sagt darauf: „Atombomben, das geht fix, da reichen mir noch 300 Flaschen.“ Nach diesem makabren Austausch reift in ihm die Erkenntnis, dass er im Begriff steht sich selbst zu zerstören. Simmel lässt sich eine private Entzugsklinik einweisen und trinkt von da an bis zu seinem Lebensende keinen Tropfen Alkohol mehr.

Für seine Bücher recherchiert er mit viel Aufwand und unter hohen Kosten, immer setzen seine Romane sich aus einer packenden Story und einem aktuellen „Thema“ zusammen, eine Liebesgeschichte gehört auch dazu. Seine Sprache ist einfach, seine kompositorische Technik der Parallelmontage dagegen durchaus anspruchsvoll. Vom Wiener Zsolnay Verlag wechselt der Autor zu Droemer Knaur. Dort entsteht die Marke Simmel mit den unverwechselbaren Covern, den immer recht fetten Titeln von Und Jimmy ging zum Regenbogen bis zu Doch mit den Clowns kamen die Tränen. Die Biografie von Graf-Grossmann liefert teilweise ausführliche Inhaltsangaben der Romane und geht auf die zahlreichen Verfilmungen der Simmel-Stoffe ein.

Das glamouröse Leben des Autors – besonders nach der Scheidung von Lucy mit der dritten Frau Helena in Cannes und Monte Carlo – ist ebenfalls Gegenstand zum Teil ausführlicher Schilderungen. Letztlich bleibt Simmel aber ein Schriftsteller, der sich lieber an den Schreibtisch zurückzieht als Champagner-Partys zu besuchen. Dies scheint die Trennlinie in seiner neuen Ehe zu sein. Helena kann mit seiner Literatur nicht viel anfangen, wird nicht zur ersten Leserin und wichtigen Ansprechpartnerin in Manuskriptfragen für ihn. Nach ein paar Jahren kommt es zur Scheidung. Bald darauf werden Simmel und Lucy wieder ein Paar. Die beiden ziehen nach Zug in der Schweiz. Lucy erkrankt schwer und stirbt nicht mal vier Jahre später. Von da ab lebt der Erfolgsautor allein.

Im Lauf der 1980er-Jahre wandelt sich sein Image. Wurde er vorher im hohen Feuilleton gern verprügelt oder ignoriert, gesteht man ihm nun Verdienste zu. Frank Schirmmacher schreibt 1987 in der FAZ über den Schriftsteller: „Die hochdifferenzierte Welt, die er abbildet … lastet wie ein unermessliches Hochgebirge auf dem Leser … Der Erfolg seiner Bücher zeigt, wie unstillbar die Sehnsucht danach ist, die schlechteste aller Welten zu bestehen.“ 

Die von der Ökonomin und Sachbuchautorin Claudia Graf-Grossmann nun vorgelegte Simmel-Biografie weicht manchmal von dem ab, was Biografen literarischer Autoren gern äußern. So finden sich teils ausführliche Bemerkungen über Simmels Kleidung, seine großzügigen Wohnungen oder zu Speisen. Dem zur Seite steht eine vorsichtige Annäherung an den Menschen Simmel. Gelegentlich heißt es, dies oder jenes über den Schriftsteller könne nur vermutet werden. Irritierend wirken Details wie die eigenartige Gleichsetzung der alten Bundesrepublik mit „Deutschland“, bei der die DDR wie ein nicht einzufügendes Puzzleteil liegen bleibt. Der Mensch Simmel lässt sich auf diesen Seiten mehr erahnen, als dass er definiert würde. War er ein glücklicher oder ein unglücklicher Mensch? Womöglich trifft beides zu. Shoa-Überlebender und Alkoholiker, Männlichkeitsprotz und schüchterner Junge, Schriftseller auf der Suche nach Verkaufserfolg und literarischer Anerkennung – diese Seiten scheint Johannes Mario Simmel alle gehabt zu haben. Man möchte meinen, dass dieses Leben eines „sozialdemokratischen Bestsellerautors“ (Michael Rohrwasser), das früh unter den unerbittlichen Druck der Weltgeschichte geriet, mit seinem Scheitern wie mit seiner Grandezza ein gutes gewesen ist.

 

Claudia Graf-Grossmann: „Mich wundert, dass ich so fröhlich bin“. Johannes Mario Simmel – Die Biografie. München: Droemer Verlag 2024, 368 S., ISBN 978-3-426-27913-7.

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