Gedichte aus „Gebrochene Koans“
Emma Andijewska wurde 1931 im heutigen Donezk, UdSSR, geboren. Die ukrainische Schriftstellerin und Malerin lebt seit 1943 vorwiegend in Deutschland, zurzeit in München. Die vorliegenden Koans entstammen ihrem 27. Lyrikband, der 2011 in Kijiw veröffentlicht wurde. Generell zeichnet sich ihre Lyrik durch formale Hermetik und Traumlogik aus, andererseits ziehen sich aufgeladene, emblematische Motive durch ihr Werk, die universalistische bzw. globalen Bildlichkeit und ukrainischen Kultur verbinden. „Koan“ bezeichnet einen paradoxalen Denkspruch eines Meisters des Zen-Buddhismus für seinen Schüler zur nichtrationalen Erkenntnis der Wirklichkeit. Wenn es dem Schüler gelingt, den Sinn des Gleichnisses jenseits der Vernunft zu entschlüsseln, erlangt er die Erleuchtung.
*
FREIE VERSE
Grüne Hütchen in der Luft.
Der Fluss eilt auf Krücken.
Und nur der Quell,
Mit dem Knie klopfend,
Singt ein Lied von der Freiheit.
***
Wo bist du, Barmherzigkeit?
Brunnen leuchten
Für Lebende und Tote –
Auf der Antenne singt eine Drossel.
Und hinter dem Horizont –
Unendliche Wüste
Erwartet eine weitere Karawane.
***
Die Schere schneidet das Blatt,
Land unter Wasser.
Wem schlägt die Stunde?
***
Dem Kreis fehlen Fenster.
Aber der Kern
Wird auch Tür
In dem Moment,
In dem das Innere
Sich befreit
Vom Gewicht.
***
Das Sein spricht
Am schlichtesten:
In der Sprache des Feuers, die am schwersten ist
Zu durchdringen.
***
Alles ist so einfach,
Dass es schwer ist.
Lachen. Apfel.
Ungebrochene Kette
Des Vorbeiziehens.
Nur das Scheinen
In allen Zellen.
***
Im Spalt zwischen Kopfsteinpflaster
Blüht roter Mohn.
Die Wirklichkeit hat
Eine ausgesprochen klare Artikulation,
Wenn auch nicht immer
Eine donnernde Stimme.
***
Tiefe Nacht.
Ein Fenster leuchtet.
Ein Ozean, der sich verwandelt
Zu Asche?
Oder ein einsames Herz,
Das schmerzt
Für die ganze Welt?
***
Einen Retter!
Schneller, noch schneller!
Und rundum – rot, schwarz, –
Rot.
***
Regen. Am Ufer –
Ein einsamer Reiher.
Und immer noch werden Gefangenen
Ihre Hände abgehackt.
***
Er war ein gewöhnlicher Mensch.
Und auf einmal ist oben unten
Und die ganze Welt steht Kopf.
Was ist nur mit dem Opa passiert?
Seien wir nachsichtig.
Auch ein betagter Mensch
Hat das Recht,
Sich zu verlieben.
***
Den Sand rieseln lassen
Aus einer Handfläche in die andere.
Wie jedes Sandkorn strahlt,
Das sich ans Bein schmiegt,
Flehend:
Nimm auch mich
An die Hand.
***
Brunnen,
Die bei Berührung verschwinden.
Jetzt ist so unendlich
Wie verbrannte Erde –
Im Rücken der Nomaden.
***
Leeres Glas.
Im Tabakrauch
Kommen und setzen sich
Umrisse des erträumten Lebens,
Entsandte der Finsternis
laufen hindurch,
Mit Sturmleitern.
***
„Nur ein bisschen ausweinen
Und alles wird gut.“
„Weh, weinen – hat
Die Kraft eines Taifuns!“
„Noch eine Flut!“
„Die Menschheit hat Schlimmeres gesehen.“
„Meine helle Welt, du bist nicht ganz!“
----------------------------------------------
Belauscht niemals
Die Gespräche
Zwischen Enzianen.
***
Farbe sprießt
Teelöffelweise,
Da wo der Regen vorbeikam
Und Hüte, Kappen und Hauben
Fortwehte.
Aber der Mensch nur in Gedanken
Über die Erfindung des Elixiers
Für ewiges Leben.
Aus dem Ukrainischen übersetzt von Irina Bondas.
Gedichte aus „Gebrochene Koans“>
Emma Andijewska wurde 1931 im heutigen Donezk, UdSSR, geboren. Die ukrainische Schriftstellerin und Malerin lebt seit 1943 vorwiegend in Deutschland, zurzeit in München. Die vorliegenden Koans entstammen ihrem 27. Lyrikband, der 2011 in Kijiw veröffentlicht wurde. Generell zeichnet sich ihre Lyrik durch formale Hermetik und Traumlogik aus, andererseits ziehen sich aufgeladene, emblematische Motive durch ihr Werk, die universalistische bzw. globalen Bildlichkeit und ukrainischen Kultur verbinden. „Koan“ bezeichnet einen paradoxalen Denkspruch eines Meisters des Zen-Buddhismus für seinen Schüler zur nichtrationalen Erkenntnis der Wirklichkeit. Wenn es dem Schüler gelingt, den Sinn des Gleichnisses jenseits der Vernunft zu entschlüsseln, erlangt er die Erleuchtung.
*
FREIE VERSE
Grüne Hütchen in der Luft.
Der Fluss eilt auf Krücken.
Und nur der Quell,
Mit dem Knie klopfend,
Singt ein Lied von der Freiheit.
***
Wo bist du, Barmherzigkeit?
Brunnen leuchten
Für Lebende und Tote –
Auf der Antenne singt eine Drossel.
Und hinter dem Horizont –
Unendliche Wüste
Erwartet eine weitere Karawane.
***
Die Schere schneidet das Blatt,
Land unter Wasser.
Wem schlägt die Stunde?
***
Dem Kreis fehlen Fenster.
Aber der Kern
Wird auch Tür
In dem Moment,
In dem das Innere
Sich befreit
Vom Gewicht.
***
Das Sein spricht
Am schlichtesten:
In der Sprache des Feuers, die am schwersten ist
Zu durchdringen.
***
Alles ist so einfach,
Dass es schwer ist.
Lachen. Apfel.
Ungebrochene Kette
Des Vorbeiziehens.
Nur das Scheinen
In allen Zellen.
***
Im Spalt zwischen Kopfsteinpflaster
Blüht roter Mohn.
Die Wirklichkeit hat
Eine ausgesprochen klare Artikulation,
Wenn auch nicht immer
Eine donnernde Stimme.
***
Tiefe Nacht.
Ein Fenster leuchtet.
Ein Ozean, der sich verwandelt
Zu Asche?
Oder ein einsames Herz,
Das schmerzt
Für die ganze Welt?
***
Einen Retter!
Schneller, noch schneller!
Und rundum – rot, schwarz, –
Rot.
***
Regen. Am Ufer –
Ein einsamer Reiher.
Und immer noch werden Gefangenen
Ihre Hände abgehackt.
***
Er war ein gewöhnlicher Mensch.
Und auf einmal ist oben unten
Und die ganze Welt steht Kopf.
Was ist nur mit dem Opa passiert?
Seien wir nachsichtig.
Auch ein betagter Mensch
Hat das Recht,
Sich zu verlieben.
***
Den Sand rieseln lassen
Aus einer Handfläche in die andere.
Wie jedes Sandkorn strahlt,
Das sich ans Bein schmiegt,
Flehend:
Nimm auch mich
An die Hand.
***
Brunnen,
Die bei Berührung verschwinden.
Jetzt ist so unendlich
Wie verbrannte Erde –
Im Rücken der Nomaden.
***
Leeres Glas.
Im Tabakrauch
Kommen und setzen sich
Umrisse des erträumten Lebens,
Entsandte der Finsternis
laufen hindurch,
Mit Sturmleitern.
***
„Nur ein bisschen ausweinen
Und alles wird gut.“
„Weh, weinen – hat
Die Kraft eines Taifuns!“
„Noch eine Flut!“
„Die Menschheit hat Schlimmeres gesehen.“
„Meine helle Welt, du bist nicht ganz!“
----------------------------------------------
Belauscht niemals
Die Gespräche
Zwischen Enzianen.
***
Farbe sprießt
Teelöffelweise,
Da wo der Regen vorbeikam
Und Hüte, Kappen und Hauben
Fortwehte.
Aber der Mensch nur in Gedanken
Über die Erfindung des Elixiers
Für ewiges Leben.
Aus dem Ukrainischen übersetzt von Irina Bondas.