Info

Auszug aus dem Theaterstück „Marieluise. Ein Bericht“ von Kerstin Specht

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/autorblog/2024/klein/specht_schygulla_500.jpg#joomlaImage://local-images/lpbblogs/autorblog/2024/klein/specht_schygulla_500.jpg?width=500&height=280
Links: Die Autorin Kerstin Specht. Rechts: Die Schauspielerin Hanna Schygulla. (c) Literaturportal Bayern / BSB Bildarchiv (Timpe)

„Eine Enkelin der Fleißer, diese Kerstin Specht“ schrieb die FAZ. Die Enkelin hat ihre Vorfahrin in einem großen Monodrama gewürdigt. Marieluise. Ein Bericht wird am 22. Februar 2024 anlässlich des 50. Todestages von Marieluise Fleißer am Münchner Residenztheater in einer szenischen Lesung mit Hanna Schygulla wiederaufgeführt. Zur Einstimmung gewährt das Literaturportal Bayern einen kleinen Einblick in das Stück.

*

 

Fasching

Fasching in Schwabing

das ist doch eine Gelegenheit

eine andere zu werden

Seeräuber

Kapitäne

Luft- und Wasserschlangen

treiben um mich herum

Ich bin eine Meerjungfrau

auf den Schultern eines Tritonen

Der Triton ist Bruno Frank

Ich bin eine Meerjungfrau

auf dem Schoß von Lion Feuchtwanger

Tanzen Sie

fragt Feuchtwanger

Sie darf den Boden nicht berühren

sagt Bruno Frank

Sie ist eingenäht

Man muss sie auf Händen tragen

Feuchtwanger streicht

über den grauen Fischschwanz

der aus meiner Uniform aus der Klosterschule

genäht ist

Tanzen Sie

frage ich Feuchtwanger

Nein

sagt er

ich bin ein Dichter

der sich nur auf dem Papier elegant bewegt

Darf ich Ihnen meine Manuskripte bringen

frage ich

Er nickt

und schon am anderen Tag

stehe ich vor seiner Wohnungstür

mit einem stechenden Schmerz

in den Beinen

und all meinen Texten unter dem Arm

Es bleibt nicht ohne Folgen

»Krampf«

sagt Feuchtwanger

»Expressionistischer Krampf«

Mit zweiundzwanzig darf man das noch

Aber am 23. November

ist mein Geburtstag

da ist die Feuertaufe

Was bleibt übrig

Nichts

Fast nichts hat Bestand

nichts leistet Widerstand

alles fliegt wie von selbst

ins Feuer

alles

Vaters Hochzeitsanzeige auch

dabei habe ich gar nichts dagegen

dass meine Stiefmutter so alt ist

wie ich

Und hier warten schon

die Briefe vom Apachen

»Meine liebe Lu

ich habe vieles an dir gutzu...

Mein kleines Kind

ich reise bald nach Deutschland

Ich habe vieles an dir gutzu...«

Zu spät

Die Buchstaben brennen

Alle seufzen noch ein klein wenig

bevor sie sich dem Feuer ergeben

Kleine Brandwunden

kleine Brandflecken

herrlich

immer nackt und neu anzufangen

Ich brenne mich

aber es ist herrlich

Der Schreibtisch fängt Feuer

aber es ist herrlich

Ich liebe das Feuer

ich bin kein Fräulein aus Papier

Aber bevor alles zu Asche wird

geht die Tür auf

und ein Mädchen kommt herein

Aus ihrer Schürze kullern

Äpfel

Brote

Kaffeebohnen

Mich schickt der Feuchtwanger

sagt sie

und Theaterkarten hab ich auch

 

Links: Lion Feuchtwanger, 1933. Rechts: Bruno Frank, 1934.

Gerettet

Gerettet und ins nächste Feuer geschickt

ins Trommelfeuer

Die Karten sind für

»Trommeln in der Nacht«

Nach dem Theater

laufe ich stundenlang

in der eisigen Nacht herum

und schillere in allen Farben

Ja den will ich kennen

der das geschrieben hat

Er arbeitet mit dem Feuchtwanger

sie sitzen in verrauchten Zimmern

und sind nicht zu sprechen

Endlich werde ich ihm vorgestellt

Das ist der Brecht

Er ist das Kommende

auch wenn das Staatstheater

sein Stück aus dem Spielplan genommen hat

sagt der Lion

Egal

sagt der Brecht

bis die Tantiemen ankommen

sind sie keinen Hosenknopf mehr wert

Die Schauspieler

die täglich ihr Geld bekommen

rennen schnell in die Läden

weil am Nachmittag ist es schon wertlos

sagt der Lion