SNOP
Der 1963 in Charkiw geborene Schriftsteller und bildende Künstler Alexander Milstein lebt seit 1995 in München. Nach dem Studium der Mathematik begann er 1988 zu schreiben. Auf Russisch erschienen sind der Erzählband Schkola kibernetiki (Moskau 2002), die Romane Serpantin (Moskau 2008), Pinoktiko (Charkiw 2008), Kontora Kuka (Moskau 2012), Parallelnaja akzija (Moskau 2014) sowie ein Erzählband namens Kodex paratschjutista (Charkiw 2013). Im August 2017 kam sein Erzählband Pjatipol im Verlag des 32 Vozdvizhenka Arts House Kiew heraus. Seine Malerei bezieht sich teilweise auf seine literarischen Werke. Er zeigt sie in Ausstellungen und fügt sie seit Pjatipol auch in seine Bücher ein. 2017 nahm er an Eine Brücke aus Papier in Kiew teil. 2018 erschien sein jüngster Roman Analogovie Maschini (Analoge Maschinen) im Kajala Verlag, Kiew. „SNOP“ ist eine Kurzgeschichte aus dem Buch Die Schule der Kybernetik, Moskau 2002.
*
SNOP
Ich fand, dass der kleine, stämmige Mann mit der wulstigen Stirn dem bärtigen Snop sehr ähnlich sah, also folgte ich ihm für alle Fälle. Er flog in ein Kaufhaus und dort verlor ich ihn. Ich hatte Snop bereits vergessen und schlenderte gerade im Erdgeschoss umher, als ich ihn plötzlich in der Stoffabteilung entdeckte. Ein Mann, der aussah wie Snop, kaufte gerade zwei Meter knallgelben Stoff. „Was kann man damit machen?“ fragte ich. „Ein Kostüm für meine Nummer“, sagte er, was bedeutete, dass es wirklich Snop war. „Du erinnerst dich nicht an mich?“ fragte ich. Snop runzelte die Stirn.
„Der Charkiwer Zirkus!“ – kam es ihm plötzlich in den Sinn. – „Du warst der Typ mit den Schlangen!" Er irrte sich. Ich lernte Snop kennen, als seine Manege die gesamte Südküste der Krim umfasste. Ich erinnere mich an den nächtlichen Strand von Magarach, wo Snop Fackeln so drehte, dass Runenzeichen in der Luft erschienen. Ich erinnere mich, wie er vom Katharinenkopf – einem Felsen, der in der Nähe des Karaul-Aba-Reservats aus dem Meer ragt – ins Meer sprang. Aber wir trafen uns bei Kozin. Ich blieb eine Woche bei Kozin, und ich erinnere mich, dass Snop nicht sofort auftauchte, sondern erst am dritten oder vierten Tag. Es war sein erster Versuch, von Kozin wegzukommen, und er war erfolglos. Alles, was ich über Kozin von verschiedenen Leuten gehört habe, kann ich weder bestätigen noch dementieren. Damit meine ich nicht einmal den Umgang mit atmosphärischen Phänomenen, sondern eher profane Dinge. Zum Beispiel die Art, wie er seine Gäste behandelt. Einige von ihnen hat er von der Tür gewiesen, andere wurden zur Strafarbeit gebracht, und einige sagten, dass er auf diese Weise ein drittes Haus baue, andere – dass er das Kloster restauriere. Obwohl das eine dem anderen wahrscheinlich nicht widersprach. Außerdem waren alle diese Gäste ungebeten. In meinem Fall gab es nichts dergleichen, obwohl er mich auch nicht gerufen hatte und mich auch nicht kannte. Jemand hatte mir gesagt, dass, wer in dieser Gegend sei, immer zu ihm kommen könne, dass es sich um eine Försterhütte handele. Er war sehr gastfreundlich, führte mich herum, schenkte mir Wein ein, trug mir Rilkes Gedichte auswendig vor und schließlich auch seine eigenen. Und die, sagen wir mal, haben den Gesamteindruck nicht getrübt. Es ist wahr, dass, wenn Snop auftauchte, etwas ganz Anderes aufblitzte – ich erinnere mich, wie er mir mit einer gewissen Prahlerei erzählte, dass Snop eine Schar von zwanzig Männern zerstreut, aber er, Kozin, könnte Snop mit einem einzigen Wort lähmen. Bevor er Kozins „Lehrling“ wurde, war Snop ein Zirkusmann. Und mir wurde gesagt, dass er dorthin zurückgekehrt ist. Aber den Gerüchten ist nicht zu trauen. Snop erkannte mich, ohne Kozin zu erwähnen, nur konnte er sich nicht an meinen Namen erinnern, so wie ich mich nicht an seinen erinnern konnte. Snop, d.h. „Garbe“, war ein Spitzname. „Hör Mal, du muss meine Nummer sehen“, sagte er. „Klar“, stimmte ich zu, „und wo trittst du auf?“ „In der Bar des Yalta-Hotels“, sagte Snop, „in einer Stripshow namens Cats. Ich arbeite mit Schwertern und meine Freundin tanzt in einem durchsichtigen Baldachin. Das musst du dir ansehen, aber du kommst besser mit, denn die Eintrittskarte kostet vierzig Dollar.“ Ich hatte nichts dagegen. Es waren noch zwei Stunden bis zur Vorstellung, also gingen wir zu Snop. Seine Freundin war einen halben Kopf größer als ich und damit eineinhalb Köpfe größer als Snop. Ihr mongolisches Gesicht erinnerte mich an eine Münze, die ich einmal hängen hatte. Ich freute mich, dass sie mich mit einem Studenten verwechselt hatte, aber meine Freude war verfrüht, denn sie erkannte den Irrtum sofort und sah die Grenzen meiner Jugendlichkeit voraus. „Doch, das tust du“, sagte sie, „und du wirst noch zwei Jahre lang so aussehen, und dann ... kann man dich wegwerfen.“ Und sie lachte kindlich. An der Wand des Zimmers bemerkte ich ein Poster mit ihrem Bild und der Aufschrift „Nagwal Woman“, und darunter war eine Liste von Krankheiten und geistigen Störungen, die sie heilte. Snop, der Kozin gegen eine vielleicht noch frechere Nagwal ausgetauscht hatte, tat mir ein wenig leid, aber beim Tee hörte sie auf, mich zu ärgern, und ich hörte ihren Erzählungen über die Flora der Halbinsel mit Interesse zu. Plötzlich unterbrach sie Snop und sagte, er schreibe Gedichte, oder besser gesagt, er empfange sie – sie kämen von dort. Und jetzt war es eben die Zeit des Empfangs. Angela klopfte mit dem Fingernagel auf das Glas des Ziffernblatts, und Snop fasste sich an den Kopf. Er brauchte nicht lange, um sich zu sammeln. Er schwang die beiden glänzenden Schwerter, steckte sie in die Scheide, die viel länger war als die Schwerter, weil sie auch einen Metallstab enthielt.
Sie gingen schnell und hielten sich an den Händen. Snops roter Anzug und die schwarze Scheide, die hinter seinem Rücken hing, ließen ihn wie einen Fisch aussehen, der Xiphophorus heißt. Im Hotel gab es eine Panne: Nur Angela durfte hinein, und Snop wurde mitgeteilt, dass er aus dem Programm genommen worden war. „Ihre Nummer passt nicht zur Atmosphäre unseres Abends“, sagte der Mann im Smoking, woraufhin der Sicherheitsbeamte Snop wortlos zur Tür wies und mich fragend ansah. „Wir sind zusammen“, sagte ich und folgte Snop nach draußen. Ich bot ihm einen Drink an. Das Hotel schien unbewohnt zu sein – weder im Aufzug noch in dem Tunnel, durch den wir zum Strand gingen, trafen wir jemanden. Es gab eine offene Bar, leer und dunkel, aber mit einigen Anzeichen von Leben. Wir bekamen sogar unseren Gin Tonic. „Ich dachte, ich könnte hier einen Gig machen“, sagte Snop, „normalerweise ist es voll, eine Disco, aber alle sind weg.“ „Was ist mit der Samtsaison?“ – fragte ich. „Es beginnt am zehnten des Monats – dann erscheinen die Menschen wieder ... Schau, da tanzen kleine Männchen auf dem Mondpfad.“ Ich schaute auf das Meer und dachte: „Es fängt an.“ Aber dann wurde mir klar, was er meinte. Ich hätte eine Umkehrung machen sollen: Ich hätte das Gelb des Mondpfades zum Hintergrund machen sollen. Dann war klar, dass die schwarzen Wellen auf der Meeresoberfläche ein Ornament waren, dessen wiederkehrendes Element tatsächlich die Tänzer von Matisse waren. Ich dachte, dass Snop vorher nicht gezeigt, sondern nur von seinen Visionen erzählt hatte. Aber diese Visionen waren schwieriger zu zeigen. Er konnte zum Beispiel nicht verstehen, wie es sein konnte, dass ich keine Angst hatte, nachts zu schwimmen. „Wovor sollte ich denn Angst haben?“ – fragte ich ihn. „Da draußen gibt es so viel. Als du geschwommen bist, habe ich eine mit Wolle bedeckte Insel aus dem Meer auftauchen sehen …“ So wusste ich, dass ich fast den Saum des Meeres oder noch weiter getroffen hätte. Gehörnte Vögel erschienen in den Bergen, Füchse so groß wie Pferde. Aber das alles war, als Snop gerade Kozin verlassen hatte. Er beschloss, an diesem Abend ein freies Programm zu machen. Ich willigte ein, ihn zu begleiten, denn ich dachte, dass ich selbst kaum jemals an diese Orte gehen würde. Auf dem Weg dorthin erklärte Snop, dass er dringend Geld brauche, weil einige seiner Freunde in Abchasien festsäßen und dort Krieg herrsche und er ihnen helfen müsse, von dort wegzukommen. Die Bar, an der wir vorbeikamen, hatte eine gekippte Theke. Ich habe das nicht bemerkt, und mein Glas ist runtergefallen. Es fiel herunter und zerbrach. Snop meinte, das sei angebracht, weil er die Scherben für die Nummer brauchte. Aber der Besitzer des Lokals wollte keine Nummer, also zogen wir weiter. Das war die erste und letzte Absage. Von da an ging es so weiter: Ich setzte mich an einen Tisch und holte mir ein Bier, und Snop ging zum Chef. Plötzlich wurde das Lied von Shufutinskij unterbrochen und Snops Auftritt angekündigt. Einmal wurde er Ninja-Polymer genannt, ein anderes Mal – Palindrom.
Snop kam heraus, in roten Satin gekleidet, zog Schwerter, rasselte mit ihnen, und sie begannen in der Luft zu flackern, wobei sie allmählich in die Bewegung von Snops Körper einbezogen wurden. Manchmal fand all dies auf engem Raum statt, so dass sowohl die Schwerter als auch Snop selbst über den Köpfen der Besucher flatterten, von denen die meisten große, kahlgeschorene Jungen mit benommenen Augen waren. Sie ärgerten sich schon allein darüber, dass Shufutinskij abgeschaltet und durch die Musik von Klaus Schulze ersetzt worden war. Und dann waren da noch die kalten Waffen, mit denen über ihren Köpfen herumgefuchtelt wurde. Ich wusste noch nicht, wie das alles enden würde, aber ich wusste, dass es eine Geschichte ergeben würde. Hauptsache, wir geraten nicht in einen Streit, dachte ich, den brauchen wir nicht, um das Spiel von Licht und Schatten zu beobachten. Auf diese Weise kamen wir an „Anchor“, „Brooklyn“ sowie einigen namenlosen offenen Cafés mit „Pils“-Fahnen vorbei. Der letzte Ort war die Bar des Hotels Oleandra.
Halbdunkel, kirschroter Samt. Und die gleichen Nashornschädel. Snop riss einen Stock aus der Scheide und er begann sich mit der Geschwindigkeit eines Hubschrauberpropellers zu drehen. Er hinterließ feurige Zickzacklinien in der Luft. Ich fand, dass Snop mit dem Stock wedelnd sowohl wie Don Quijote als auch wie eine Windmühle aussah. Ein Mann in einem weißen T-Shirt kam auf mich zu und begann mich zu fragen: „Wer ist Snop, woher kann er das, wen kennen wir in dieser Stadt ...“ Dann ging er zum Tresen und brachte eine Flasche Absolut. „Ich habe gerade niemanden zum Reden“, sagte er, „meine Frau ist zu meiner Geliebten gegangen. Sie lassen mich nicht rein. Ich brauche nichts von ihnen – ich muss nur reden. Ich habe schon angefangen, mit mir selbst zu reden.“ „Das ist das Interessanteste“, – sagte ich. „Ach, wirklich? Das ist das schlimmste. Gott bewahre. Hast du eine Frau und Kinder? Und wer ist er für dich? Bist du sein Manager?“ Snop beendete seinen Auftritt und setzte sich an unseren Tisch. Sie unterhielten sich untereinander, und ich fragte mich, wie dieser Abend wohl schriftlich enden würde. Irgendwie war ich mir sicher, dass es eine Geschichte werden würde. Ich hörte nicht auf das, was Snop und die Stammtischbrüder sagten, denn ich wollte keinen Bericht schreiben, ich musste meiner Fantasie freien Lauf lassen. Es gab schon mehr als genug reale Ereignisse, also schaute ich mich einfach um und lackierte die Realität, indem ich das, was ich über Nacht getrunken hatte, mit irischem Kaffeelikör aufpolierte.
Der Verfasser hat den Text selbst aus dem Russischen übersetzt.
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Der 1963 in Charkiw geborene Schriftsteller und bildende Künstler Alexander Milstein lebt seit 1995 in München. Nach dem Studium der Mathematik begann er 1988 zu schreiben. Auf Russisch erschienen sind der Erzählband Schkola kibernetiki (Moskau 2002), die Romane Serpantin (Moskau 2008), Pinoktiko (Charkiw 2008), Kontora Kuka (Moskau 2012), Parallelnaja akzija (Moskau 2014) sowie ein Erzählband namens Kodex paratschjutista (Charkiw 2013). Im August 2017 kam sein Erzählband Pjatipol im Verlag des 32 Vozdvizhenka Arts House Kiew heraus. Seine Malerei bezieht sich teilweise auf seine literarischen Werke. Er zeigt sie in Ausstellungen und fügt sie seit Pjatipol auch in seine Bücher ein. 2017 nahm er an Eine Brücke aus Papier in Kiew teil. 2018 erschien sein jüngster Roman Analogovie Maschini (Analoge Maschinen) im Kajala Verlag, Kiew. „SNOP“ ist eine Kurzgeschichte aus dem Buch Die Schule der Kybernetik, Moskau 2002.
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SNOP
Ich fand, dass der kleine, stämmige Mann mit der wulstigen Stirn dem bärtigen Snop sehr ähnlich sah, also folgte ich ihm für alle Fälle. Er flog in ein Kaufhaus und dort verlor ich ihn. Ich hatte Snop bereits vergessen und schlenderte gerade im Erdgeschoss umher, als ich ihn plötzlich in der Stoffabteilung entdeckte. Ein Mann, der aussah wie Snop, kaufte gerade zwei Meter knallgelben Stoff. „Was kann man damit machen?“ fragte ich. „Ein Kostüm für meine Nummer“, sagte er, was bedeutete, dass es wirklich Snop war. „Du erinnerst dich nicht an mich?“ fragte ich. Snop runzelte die Stirn.
„Der Charkiwer Zirkus!“ – kam es ihm plötzlich in den Sinn. – „Du warst der Typ mit den Schlangen!" Er irrte sich. Ich lernte Snop kennen, als seine Manege die gesamte Südküste der Krim umfasste. Ich erinnere mich an den nächtlichen Strand von Magarach, wo Snop Fackeln so drehte, dass Runenzeichen in der Luft erschienen. Ich erinnere mich, wie er vom Katharinenkopf – einem Felsen, der in der Nähe des Karaul-Aba-Reservats aus dem Meer ragt – ins Meer sprang. Aber wir trafen uns bei Kozin. Ich blieb eine Woche bei Kozin, und ich erinnere mich, dass Snop nicht sofort auftauchte, sondern erst am dritten oder vierten Tag. Es war sein erster Versuch, von Kozin wegzukommen, und er war erfolglos. Alles, was ich über Kozin von verschiedenen Leuten gehört habe, kann ich weder bestätigen noch dementieren. Damit meine ich nicht einmal den Umgang mit atmosphärischen Phänomenen, sondern eher profane Dinge. Zum Beispiel die Art, wie er seine Gäste behandelt. Einige von ihnen hat er von der Tür gewiesen, andere wurden zur Strafarbeit gebracht, und einige sagten, dass er auf diese Weise ein drittes Haus baue, andere – dass er das Kloster restauriere. Obwohl das eine dem anderen wahrscheinlich nicht widersprach. Außerdem waren alle diese Gäste ungebeten. In meinem Fall gab es nichts dergleichen, obwohl er mich auch nicht gerufen hatte und mich auch nicht kannte. Jemand hatte mir gesagt, dass, wer in dieser Gegend sei, immer zu ihm kommen könne, dass es sich um eine Försterhütte handele. Er war sehr gastfreundlich, führte mich herum, schenkte mir Wein ein, trug mir Rilkes Gedichte auswendig vor und schließlich auch seine eigenen. Und die, sagen wir mal, haben den Gesamteindruck nicht getrübt. Es ist wahr, dass, wenn Snop auftauchte, etwas ganz Anderes aufblitzte – ich erinnere mich, wie er mir mit einer gewissen Prahlerei erzählte, dass Snop eine Schar von zwanzig Männern zerstreut, aber er, Kozin, könnte Snop mit einem einzigen Wort lähmen. Bevor er Kozins „Lehrling“ wurde, war Snop ein Zirkusmann. Und mir wurde gesagt, dass er dorthin zurückgekehrt ist. Aber den Gerüchten ist nicht zu trauen. Snop erkannte mich, ohne Kozin zu erwähnen, nur konnte er sich nicht an meinen Namen erinnern, so wie ich mich nicht an seinen erinnern konnte. Snop, d.h. „Garbe“, war ein Spitzname. „Hör Mal, du muss meine Nummer sehen“, sagte er. „Klar“, stimmte ich zu, „und wo trittst du auf?“ „In der Bar des Yalta-Hotels“, sagte Snop, „in einer Stripshow namens Cats. Ich arbeite mit Schwertern und meine Freundin tanzt in einem durchsichtigen Baldachin. Das musst du dir ansehen, aber du kommst besser mit, denn die Eintrittskarte kostet vierzig Dollar.“ Ich hatte nichts dagegen. Es waren noch zwei Stunden bis zur Vorstellung, also gingen wir zu Snop. Seine Freundin war einen halben Kopf größer als ich und damit eineinhalb Köpfe größer als Snop. Ihr mongolisches Gesicht erinnerte mich an eine Münze, die ich einmal hängen hatte. Ich freute mich, dass sie mich mit einem Studenten verwechselt hatte, aber meine Freude war verfrüht, denn sie erkannte den Irrtum sofort und sah die Grenzen meiner Jugendlichkeit voraus. „Doch, das tust du“, sagte sie, „und du wirst noch zwei Jahre lang so aussehen, und dann ... kann man dich wegwerfen.“ Und sie lachte kindlich. An der Wand des Zimmers bemerkte ich ein Poster mit ihrem Bild und der Aufschrift „Nagwal Woman“, und darunter war eine Liste von Krankheiten und geistigen Störungen, die sie heilte. Snop, der Kozin gegen eine vielleicht noch frechere Nagwal ausgetauscht hatte, tat mir ein wenig leid, aber beim Tee hörte sie auf, mich zu ärgern, und ich hörte ihren Erzählungen über die Flora der Halbinsel mit Interesse zu. Plötzlich unterbrach sie Snop und sagte, er schreibe Gedichte, oder besser gesagt, er empfange sie – sie kämen von dort. Und jetzt war es eben die Zeit des Empfangs. Angela klopfte mit dem Fingernagel auf das Glas des Ziffernblatts, und Snop fasste sich an den Kopf. Er brauchte nicht lange, um sich zu sammeln. Er schwang die beiden glänzenden Schwerter, steckte sie in die Scheide, die viel länger war als die Schwerter, weil sie auch einen Metallstab enthielt.
Sie gingen schnell und hielten sich an den Händen. Snops roter Anzug und die schwarze Scheide, die hinter seinem Rücken hing, ließen ihn wie einen Fisch aussehen, der Xiphophorus heißt. Im Hotel gab es eine Panne: Nur Angela durfte hinein, und Snop wurde mitgeteilt, dass er aus dem Programm genommen worden war. „Ihre Nummer passt nicht zur Atmosphäre unseres Abends“, sagte der Mann im Smoking, woraufhin der Sicherheitsbeamte Snop wortlos zur Tür wies und mich fragend ansah. „Wir sind zusammen“, sagte ich und folgte Snop nach draußen. Ich bot ihm einen Drink an. Das Hotel schien unbewohnt zu sein – weder im Aufzug noch in dem Tunnel, durch den wir zum Strand gingen, trafen wir jemanden. Es gab eine offene Bar, leer und dunkel, aber mit einigen Anzeichen von Leben. Wir bekamen sogar unseren Gin Tonic. „Ich dachte, ich könnte hier einen Gig machen“, sagte Snop, „normalerweise ist es voll, eine Disco, aber alle sind weg.“ „Was ist mit der Samtsaison?“ – fragte ich. „Es beginnt am zehnten des Monats – dann erscheinen die Menschen wieder ... Schau, da tanzen kleine Männchen auf dem Mondpfad.“ Ich schaute auf das Meer und dachte: „Es fängt an.“ Aber dann wurde mir klar, was er meinte. Ich hätte eine Umkehrung machen sollen: Ich hätte das Gelb des Mondpfades zum Hintergrund machen sollen. Dann war klar, dass die schwarzen Wellen auf der Meeresoberfläche ein Ornament waren, dessen wiederkehrendes Element tatsächlich die Tänzer von Matisse waren. Ich dachte, dass Snop vorher nicht gezeigt, sondern nur von seinen Visionen erzählt hatte. Aber diese Visionen waren schwieriger zu zeigen. Er konnte zum Beispiel nicht verstehen, wie es sein konnte, dass ich keine Angst hatte, nachts zu schwimmen. „Wovor sollte ich denn Angst haben?“ – fragte ich ihn. „Da draußen gibt es so viel. Als du geschwommen bist, habe ich eine mit Wolle bedeckte Insel aus dem Meer auftauchen sehen …“ So wusste ich, dass ich fast den Saum des Meeres oder noch weiter getroffen hätte. Gehörnte Vögel erschienen in den Bergen, Füchse so groß wie Pferde. Aber das alles war, als Snop gerade Kozin verlassen hatte. Er beschloss, an diesem Abend ein freies Programm zu machen. Ich willigte ein, ihn zu begleiten, denn ich dachte, dass ich selbst kaum jemals an diese Orte gehen würde. Auf dem Weg dorthin erklärte Snop, dass er dringend Geld brauche, weil einige seiner Freunde in Abchasien festsäßen und dort Krieg herrsche und er ihnen helfen müsse, von dort wegzukommen. Die Bar, an der wir vorbeikamen, hatte eine gekippte Theke. Ich habe das nicht bemerkt, und mein Glas ist runtergefallen. Es fiel herunter und zerbrach. Snop meinte, das sei angebracht, weil er die Scherben für die Nummer brauchte. Aber der Besitzer des Lokals wollte keine Nummer, also zogen wir weiter. Das war die erste und letzte Absage. Von da an ging es so weiter: Ich setzte mich an einen Tisch und holte mir ein Bier, und Snop ging zum Chef. Plötzlich wurde das Lied von Shufutinskij unterbrochen und Snops Auftritt angekündigt. Einmal wurde er Ninja-Polymer genannt, ein anderes Mal – Palindrom.
Snop kam heraus, in roten Satin gekleidet, zog Schwerter, rasselte mit ihnen, und sie begannen in der Luft zu flackern, wobei sie allmählich in die Bewegung von Snops Körper einbezogen wurden. Manchmal fand all dies auf engem Raum statt, so dass sowohl die Schwerter als auch Snop selbst über den Köpfen der Besucher flatterten, von denen die meisten große, kahlgeschorene Jungen mit benommenen Augen waren. Sie ärgerten sich schon allein darüber, dass Shufutinskij abgeschaltet und durch die Musik von Klaus Schulze ersetzt worden war. Und dann waren da noch die kalten Waffen, mit denen über ihren Köpfen herumgefuchtelt wurde. Ich wusste noch nicht, wie das alles enden würde, aber ich wusste, dass es eine Geschichte ergeben würde. Hauptsache, wir geraten nicht in einen Streit, dachte ich, den brauchen wir nicht, um das Spiel von Licht und Schatten zu beobachten. Auf diese Weise kamen wir an „Anchor“, „Brooklyn“ sowie einigen namenlosen offenen Cafés mit „Pils“-Fahnen vorbei. Der letzte Ort war die Bar des Hotels Oleandra.
Halbdunkel, kirschroter Samt. Und die gleichen Nashornschädel. Snop riss einen Stock aus der Scheide und er begann sich mit der Geschwindigkeit eines Hubschrauberpropellers zu drehen. Er hinterließ feurige Zickzacklinien in der Luft. Ich fand, dass Snop mit dem Stock wedelnd sowohl wie Don Quijote als auch wie eine Windmühle aussah. Ein Mann in einem weißen T-Shirt kam auf mich zu und begann mich zu fragen: „Wer ist Snop, woher kann er das, wen kennen wir in dieser Stadt ...“ Dann ging er zum Tresen und brachte eine Flasche Absolut. „Ich habe gerade niemanden zum Reden“, sagte er, „meine Frau ist zu meiner Geliebten gegangen. Sie lassen mich nicht rein. Ich brauche nichts von ihnen – ich muss nur reden. Ich habe schon angefangen, mit mir selbst zu reden.“ „Das ist das Interessanteste“, – sagte ich. „Ach, wirklich? Das ist das schlimmste. Gott bewahre. Hast du eine Frau und Kinder? Und wer ist er für dich? Bist du sein Manager?“ Snop beendete seinen Auftritt und setzte sich an unseren Tisch. Sie unterhielten sich untereinander, und ich fragte mich, wie dieser Abend wohl schriftlich enden würde. Irgendwie war ich mir sicher, dass es eine Geschichte werden würde. Ich hörte nicht auf das, was Snop und die Stammtischbrüder sagten, denn ich wollte keinen Bericht schreiben, ich musste meiner Fantasie freien Lauf lassen. Es gab schon mehr als genug reale Ereignisse, also schaute ich mich einfach um und lackierte die Realität, indem ich das, was ich über Nacht getrunken hatte, mit irischem Kaffeelikör aufpolierte.
Der Verfasser hat den Text selbst aus dem Russischen übersetzt.