Singer-Songwriting (2): Das Liebeslied kontra das politisch und sozial engagierte Lied: Konstantin Wecker
„Aber sage mir einmal, warum in diesen Liedern immer so viel von Liebe die Rede ist?“
Geschichte der Liedermacher in Bayern
Wurde Reinhard Mey in den 1960er-Jahren auf dem Folkfestival auf Burg Waldeck im Hunsrück noch niederdiskutiert, wenn er mal nicht in der Laune war, einen politischen Kampfgesang anzustimmen, und „nur“ ein Liebeslied spielen wollte, so gilt bei Liedermachern ähnlich wie bei Schlagerinterpreten oder Pop- und Rockmusikern: Sage mir einmal, warum in diesen Liedern immer so viel von Liebe die Rede ist? Wissen denn diese Liedermacher keinen anderen Gegenstand?
Tatsächlich ist die Zeit des Burg-Waldeck-Festivals, wohl die Wiege vieler deutscher Liedermacher, bereits vorbei, als sich auch in Bayern eine Liedermacherszene breitmacht. Keine Walter Mossmanns, keine Dieter Süverkrüps oder Franz Josef Degenhardts gibt es hier, auch keinen Hannes Wader und schon gar kein Floh de Cologne – das linke politische Lied aus der APO-Szene, der Mensch mit Gitarre und Aussage hat lange nicht nach Bayern gefunden.
Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass einer der ersten der neuen Zunft, Konstantin Wecker als erste Veröffentlichung eine Platte mit Liebesliedern vorlegt. Allerdings haben diese Liebeslieder es in sich! Schon der Album-Titel verrät genau, worum es geht: Die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker. Mögen die Stücke auf dieser Veröffentlichung von 1973 auch Liebeslieder sein, so sind sie doch weit entfernt von allem, was man bisher in Bayern kannte: Keine Heimattümelei, kein weichgewaschener Schlagerschaum und auch keine „I-liab-di-so“-Volksweise. Von verschickten Körperteilen als Liebesbeweisen („Mein linker Arm“), von entwendeten Mädchenleichen und Liebe zu Toten („Die Tote“) oder um etwas eigentümliche Arten der weiblichen Onanie („Das Lied vom abgeschnittenen Glied“) drehen sich die „sadopoetischen Gesänge“. Aber eben auch – wie bereits der Titel betont – sehr poetisch. Deswegen erfolgt für das Plattencover wohl extra auch die Umbenennung von Konstantin Alexander Wecker in Konstantin Amadeus Wecker.
Ist diese erste Veröffentlichung Weckers noch ein in Liebeslieder gehüllter Protest gegen den inhaltslosen Pop- und Schlagertext, so zeigt er bald darauf, dass es auch explizit politisch geht: Lieder wie „Der Abgesang eines Gefangenen“, „Der alte Kaiser“ („Stirb, Kaiser, stirb. Denn heute noch, heute noch, werden sie kommen. Du hast eben viel zuviel von ihrem Leben genommen“) oder „(Es herrscht wieder) Frieden im Land“ beschäftigen sich direkt mit der Nicht-Aufarbeitung der NS-Zeit und dem erneut im Konsum schwelgenden Bürgertum:
Vereinzelt springen Terroristen über Wiesen: Wie schick!
Die Fotoapparate sind gezückt!
Die alten Bürgerseligkeiten sprießen.
Die Rettung, Freunde, ist geglückt!
Die Schüler schleimen wieder um die Wette,
die Denker lassen Drachen steigen.
Und Utopia onaniert im Seidenbette:
Die Zeiten stinken und die Dichter schweigen!
Wie schön, dass sich das Recht zum Rechten fand!
Es herrscht wieder Frieden im Land!
(Konstantin Wecker: Frieden im Land. Aus: Weckerleuchten, 1977)
Ist das politische Lied Weckers musikalisch und textlich gerne mal dem Gespann Brecht/Weill verbunden („Einen braucht der Mensch zum Treten, Einen hat er immer, der ihn tritt. Zwischendurch verbringt er seine Zeit mit Beten, und ansonsten läuft er irgendwo mit.“ – Wecker: „Einen braucht der Mensch zum Treten“. Aus: Inwendig warm, 1984), so schafft es Wecker mit einem seiner Hauptthemen zu einer ganz eigenen lyrisch-poetischen Stimme: Der Liebe zum Leben – und zu den Abenteuern, die es bereithält. Frei nach dem Wort aus Nietzsches Zarathustra „Alle Lust will Ewigkeit“ (Wecker: „Bleib nicht liegen“. Aus: Eine ganze Menge Leben, 1978) dreht sich Wecker dionysisch um sein geliebtes „Genug ist nicht genug“:
Nichts wie runter auf die Straße
Und dann renn ich jungen Hunden hinterher
An den Häusern klebt der Sommer
Und die U-Bahnschächte atmen schwer.
Genug ist nicht genug
Ich lass mich nicht belügen
Schon schweigen ist Betrug
Genug kann nie genügen.
(Konstantin Wecker: Genug ist nicht genug. Aus: Genug ist nicht genug, 1977)
Und so zieht es sich quer durch Weckers Werk, durch sein privates Leben und sein politisches Engagement. Dieses ewig Lebensbejahende „Noch lädt die Erde ein“ (Aus: Wecker, 1982), denn „Heut schaun die Madl wia Apfel aus“ (Aus: Weckerleuchten, 1976). Hoffnungsvoll, immer in begeisterter Erwartung von Tanz und Wein und Sonnenschein, wie in „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ (Aus: Weckerleuchten, 1976):
Dann will ich, was ich tun will, endlich tun
An Genuß bekommt man nämlich nie zu viel
Nur man darf nicht träge sein und darf nicht ruhn
Denn genießen war noch nie ein leichtes Spiel.
Konstantin Wecker ist sicherlich nicht das typische Beispiel eines Liedermachers. Hier steht kein Gitarrist auf der Bühne, der alleine mit drei Akkorden gegen die Ungerechtigkeit der Welt ansingt. Von einer Identifikation mit dem arbeitenden Volk, wie es Biermann gefordert hat, ist Wecker weit entfernt: Er wuchs im noblen Münchner Stadtviertel Lehel auf und bekam bereits mit sechs Jahren ersten Klavierunterricht. Zwei Jahre später erlernte er Geige. Für ihn war die Musik immer mindestens genauso wichtig wie der Text. Oft spielt er im Bandgefüge mit anderen Musikern, große Erfolge feiert er auch mit Filmmusiken und als Komponist von Musicals.
Dennoch: Als wichtige Stimme in der Musiklandschaft Bayerns (und auch Deutschlands) darf Wecker nicht unterschätzt werden. Seine Nähe und Zusammenarbeit mit wortgewaltigen Kabarettisten wie Hanns Dieter Hüsch, Dieter Hildebrandt oder Georg Schramm unterstreicht dies und macht deutlich: Auch wenn hier in erster Linie ein Komponist am Werk ist, seine Lieder sind alles andere als inhaltslos.
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„Aber sage mir einmal, warum in diesen Liedern immer so viel von Liebe die Rede ist?“
Geschichte der Liedermacher in Bayern
Wurde Reinhard Mey in den 1960er-Jahren auf dem Folkfestival auf Burg Waldeck im Hunsrück noch niederdiskutiert, wenn er mal nicht in der Laune war, einen politischen Kampfgesang anzustimmen, und „nur“ ein Liebeslied spielen wollte, so gilt bei Liedermachern ähnlich wie bei Schlagerinterpreten oder Pop- und Rockmusikern: Sage mir einmal, warum in diesen Liedern immer so viel von Liebe die Rede ist? Wissen denn diese Liedermacher keinen anderen Gegenstand?
Tatsächlich ist die Zeit des Burg-Waldeck-Festivals, wohl die Wiege vieler deutscher Liedermacher, bereits vorbei, als sich auch in Bayern eine Liedermacherszene breitmacht. Keine Walter Mossmanns, keine Dieter Süverkrüps oder Franz Josef Degenhardts gibt es hier, auch keinen Hannes Wader und schon gar kein Floh de Cologne – das linke politische Lied aus der APO-Szene, der Mensch mit Gitarre und Aussage hat lange nicht nach Bayern gefunden.
Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass einer der ersten der neuen Zunft, Konstantin Wecker als erste Veröffentlichung eine Platte mit Liebesliedern vorlegt. Allerdings haben diese Liebeslieder es in sich! Schon der Album-Titel verrät genau, worum es geht: Die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker. Mögen die Stücke auf dieser Veröffentlichung von 1973 auch Liebeslieder sein, so sind sie doch weit entfernt von allem, was man bisher in Bayern kannte: Keine Heimattümelei, kein weichgewaschener Schlagerschaum und auch keine „I-liab-di-so“-Volksweise. Von verschickten Körperteilen als Liebesbeweisen („Mein linker Arm“), von entwendeten Mädchenleichen und Liebe zu Toten („Die Tote“) oder um etwas eigentümliche Arten der weiblichen Onanie („Das Lied vom abgeschnittenen Glied“) drehen sich die „sadopoetischen Gesänge“. Aber eben auch – wie bereits der Titel betont – sehr poetisch. Deswegen erfolgt für das Plattencover wohl extra auch die Umbenennung von Konstantin Alexander Wecker in Konstantin Amadeus Wecker.
Ist diese erste Veröffentlichung Weckers noch ein in Liebeslieder gehüllter Protest gegen den inhaltslosen Pop- und Schlagertext, so zeigt er bald darauf, dass es auch explizit politisch geht: Lieder wie „Der Abgesang eines Gefangenen“, „Der alte Kaiser“ („Stirb, Kaiser, stirb. Denn heute noch, heute noch, werden sie kommen. Du hast eben viel zuviel von ihrem Leben genommen“) oder „(Es herrscht wieder) Frieden im Land“ beschäftigen sich direkt mit der Nicht-Aufarbeitung der NS-Zeit und dem erneut im Konsum schwelgenden Bürgertum:
Vereinzelt springen Terroristen über Wiesen: Wie schick!
Die Fotoapparate sind gezückt!
Die alten Bürgerseligkeiten sprießen.
Die Rettung, Freunde, ist geglückt!
Die Schüler schleimen wieder um die Wette,
die Denker lassen Drachen steigen.
Und Utopia onaniert im Seidenbette:
Die Zeiten stinken und die Dichter schweigen!
Wie schön, dass sich das Recht zum Rechten fand!
Es herrscht wieder Frieden im Land!
(Konstantin Wecker: Frieden im Land. Aus: Weckerleuchten, 1977)
Ist das politische Lied Weckers musikalisch und textlich gerne mal dem Gespann Brecht/Weill verbunden („Einen braucht der Mensch zum Treten, Einen hat er immer, der ihn tritt. Zwischendurch verbringt er seine Zeit mit Beten, und ansonsten läuft er irgendwo mit.“ – Wecker: „Einen braucht der Mensch zum Treten“. Aus: Inwendig warm, 1984), so schafft es Wecker mit einem seiner Hauptthemen zu einer ganz eigenen lyrisch-poetischen Stimme: Der Liebe zum Leben – und zu den Abenteuern, die es bereithält. Frei nach dem Wort aus Nietzsches Zarathustra „Alle Lust will Ewigkeit“ (Wecker: „Bleib nicht liegen“. Aus: Eine ganze Menge Leben, 1978) dreht sich Wecker dionysisch um sein geliebtes „Genug ist nicht genug“:
Nichts wie runter auf die Straße
Und dann renn ich jungen Hunden hinterher
An den Häusern klebt der Sommer
Und die U-Bahnschächte atmen schwer.
Genug ist nicht genug
Ich lass mich nicht belügen
Schon schweigen ist Betrug
Genug kann nie genügen.
(Konstantin Wecker: Genug ist nicht genug. Aus: Genug ist nicht genug, 1977)
Und so zieht es sich quer durch Weckers Werk, durch sein privates Leben und sein politisches Engagement. Dieses ewig Lebensbejahende „Noch lädt die Erde ein“ (Aus: Wecker, 1982), denn „Heut schaun die Madl wia Apfel aus“ (Aus: Weckerleuchten, 1976). Hoffnungsvoll, immer in begeisterter Erwartung von Tanz und Wein und Sonnenschein, wie in „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ (Aus: Weckerleuchten, 1976):
Dann will ich, was ich tun will, endlich tun
An Genuß bekommt man nämlich nie zu viel
Nur man darf nicht träge sein und darf nicht ruhn
Denn genießen war noch nie ein leichtes Spiel.
Konstantin Wecker ist sicherlich nicht das typische Beispiel eines Liedermachers. Hier steht kein Gitarrist auf der Bühne, der alleine mit drei Akkorden gegen die Ungerechtigkeit der Welt ansingt. Von einer Identifikation mit dem arbeitenden Volk, wie es Biermann gefordert hat, ist Wecker weit entfernt: Er wuchs im noblen Münchner Stadtviertel Lehel auf und bekam bereits mit sechs Jahren ersten Klavierunterricht. Zwei Jahre später erlernte er Geige. Für ihn war die Musik immer mindestens genauso wichtig wie der Text. Oft spielt er im Bandgefüge mit anderen Musikern, große Erfolge feiert er auch mit Filmmusiken und als Komponist von Musicals.
Dennoch: Als wichtige Stimme in der Musiklandschaft Bayerns (und auch Deutschlands) darf Wecker nicht unterschätzt werden. Seine Nähe und Zusammenarbeit mit wortgewaltigen Kabarettisten wie Hanns Dieter Hüsch, Dieter Hildebrandt oder Georg Schramm unterstreicht dies und macht deutlich: Auch wenn hier in erster Linie ein Komponist am Werk ist, seine Lieder sind alles andere als inhaltslos.