Literarisches und Sprachliches bei den Sportfreunden Stiller (8)
Die Sportfreunde Stiller sind eine der erfolgreichsten Bands Deutschlands. Mit dem Sommermärchen- und Wiesn-Hit ’54, ’74, ’90, 2006 und Songs wie Ein Kompliment faszinieren sie Generationen und sorgen seit bald dreißig Jahren für eine Euphorie, die ihresgleichen sucht. Der Münchner Autor Nicola Bardola spürt in seiner soeben erschienenen Band-Biografie APPLAUS, APPLAUS. SPORT FREUNDE STILLER der Stiller-Story nach. Für das Literaturportal Bayern arbeitet er in einer achtteiligen Serie literarische Bezüge und sprachliche Eigenheiten der Indie-Formation aus Germering bei München heraus.
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„Alles Liebe, alles Gute“ (auf dem Album So wie einst Real Madrid, 2000) könnte als schwungvoller und lieb gemeinter Gutelaune-Song durchgehen im Sinne von: Schön, dass es all die anderen gibt, und es wäre toll, wenn man sich mal wiedersieht. Aber Peter Brugger durchbricht die Idylle. Fast verschluckt er die Zeile: „Ansonsten wär's jetzt richtig, dass du dich verpisst.“ Die Sportis bewahren sich hier etwas von ihrer Punk-Attitüde, und am Ende rufen sie „Ali, boma ye“ in Anlehnung an das Publikum beim Boxkampf „Rumble in the Jungle“ 1974 in Kinshasa zwischen Muhammad Ali und George Foreman. In den Liner Notes kommentieren sie: „trifft sich, sieht sich, geht und vergisst sich.“
Über den Titelsong „Die gute Seite“ (2002, alle drei Sportis texten ihn) sagt Peter Brugger: „Der Witz ist ja eigentlich, dass sich jeder auf der guten Seite sieht. Die Begriffe in dem Text sind auch ironisch zu verstehen, aber ich finde, im Sinne einer Freundschaft und Verschworenheit ist es auch schön, so etwas mal auszusprechen, weil es ein gutes Gefühl macht und einem über schwierige Situationen hinweghelfen kann.“ Es ist von dreisten Egoisten, von sinnlosen Fristen neben vereisten Skipisten die Rede; von der Jagd nach Profit und zu viel Kohlenmonoxid statt Sauerstoff; von falschen Freunden und scheinfreundlichen Feinden. Es folgt der angesichts gesellschaftskritischer Anmerkungen positive Refrain: „Du und ich und sonst noch ein paar Leute, wir stehen auf der guten Seite.“ Die Idee für den Song sei den Sportis bei den Abenden auf der Terrasse in Spanien während der Aufnahmearbeiten gekommen. Dort hätten sie beobachtet, wie in einem Mehrfamilienhaus auf der anderen Seite seltsame Dinge passierten. Ein Pärchen stritt sich lautstark, woanders fanden Pornofilm-Orgien statt. So entstand die Textzeile: „Wir sind auf der guten Seite“ und nicht drüben im Mehrfamilienhaus.
Im November 2003 beginnen die Aufnahmen für das dritte Studioalbum. Das Ergebnis heißt Burli. In der Presse-Info heißt es bei Erscheinen, Burli habe „gebockt wie ein Esel“. Burli ist bayerisch für Bürschchen. Burli ist der Arbeitstitel für das Album, der letztlich erhalten bleibt. Die Erste Allgemeine Verunsicherung veröffentlicht 1988 den ironischen Anti-AKW-Song „Burli“. Ein Lied namens Burli nehmen die Sportis aber nicht auf. Der Opener ist ein kleines Hörspiel: Freie Natur. Vogelzwitschern. Rüde: „Es ist so herrlich hier.“ Peter: „Es ist so schön!“ Rüde: „Aber schau mal, da liegt doch irgendwas.“ Peter (mit bayerischem Akzent): „Stimmt, was is'n des? Geh ma mal hin, oder?“ Rüde: „Ja, ich glaub, des is'n Burli.“ Peter: „Es (sic!) will uns irgendwas sagen, ich versteh's aber nicht.“ Rüde: „Vielleicht kann man ja irgendwo lauter machen, schau mal.“ Darauf folgt der Live-Kracher „Lauth anhören“ mit den Anfangszeilen: „Du musst es laut anhören und deine Nachbarn stören. Du musst sie aufwecken, ehe sie was aushecken. Ihr müsst es laut rausschreien … das geht raus an euch.“
Das Publikum wird wieder von Anfang an geduzt. „Lauth“ mit „h“ ist eine Referenz an den bayerischen Fußballspieler Benjamin Lauth, der am ersten November 2003 das 1.000. Bundesligator für den TSV 1860 München erzielt. Florian Weber setzt das Buchstabenspiel als Gegengewicht zu Peters FC Bayern-Fantum durch.
Im Januar 2004 geht folgende Ankündigung an die Presse: „PLANET PEACE – Black Ink auf dem Planet Peace 2004: Attac München praesentiert: Planet Peace 2004 – Kulturfestival gegen die ‚Sicherheitskonferenz‘ in München. Freitag, 6.2.2004, 19.30 Uhr. New Backstage, Friedenheimer Brücke 7. Mitwirkende u.a.: Crash Tokio, Monostars, Sportfreunde Stiller, Zoe, Sorgente, Station 2, Black Ink Project. Black Ink Project macht im Winterzelt Programm: Chill out and listen up: Literatur & DJs.“ Nikolai Vogel, Schriftsteller und Verleger des Black Ink Verlags erinnert sich an seine Lesung: „Black Ink tritt auf dem Planet Peace Festival im Winterzelt auf. Während nebenan die Sportfreunde Stiller spielen, lässt Thomas Glatz die unkonzentrierten Zuhörer spontan entscheiden, ob sie Literatur hören wollen oder lieber einen Ausdruckstanz sehen. Das Publikum entscheidet sich für Letzteres, und Thomas Glatz improvisiert barfuß kurzerhand den ersten Ausdruckstanz seines Lebens. Dem Publikum gefällt's. Und die Süddeutsche Zeitung, die die Abstimmung nicht mitbekam, wird ‚Zeuge der leicht befremdlichen Performance eines Aktionskünstlers, der für ‚alle Globalisierungsnasen‘ einen roboterhaften Ausdruckstanz vorführt‘.“ Vogel erinnert sich an seine eigene Lesung dort als eine, bei der er damals gleich gewusst habe, dass sie seine Konzentration und Improvisationsfähigkeit schulen werde, „denn ich habe keinen Ausdruckstanz hingelegt, sondern wirklich gelesen, aber das war, so gegen die Musik aus dem Nachbarzelt, wie eine Art seltsamer Test. Und das Publikum war eine ganz besondere Mischung aus hellwach und durch den Wind.“
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Nicola Bardola wird 1959 in Zürich geboren, studiert Germanistik und lebt seit über 40 Jahren in und um München. Während seiner Mitarbeit von 1986 bis 1993 in der Internationalen Jugendbibliothek beschäftigt sich Bardola mit Kinder- und Jugendliteratur und setzt sich für Leseförderung ein. Ein weiteres Gebiet, mit dem er sich seit seiner Zeit als Sekretär bei Michael Ende in den 1980er-Jahren beschäftigt, ist die phantastische Literatur. 2009 veröffentlicht er ein Buch über das „Twilight“-Phänomen (Heyne), das in mehrere Sprachen übersetzt wird, und 2012 die Anthologie Utopien (S. Fischer). Bekannt wird er 2005 mit dem Roman Schlemm (A1, Heyne, Piper), der den assistierten Suizid thematisiert. Ferner ist Bardola für seine Biografien über John Lennon und seine Frau Yoko Ono bekannt. Nach Büchern über Elena Ferrante, Ringo Starr, Freddie Mercury und Jack Kerouac widmet er sich zuletzt mit einer Bandbiografie den Sportfreunden Stiller (Hannibal).
Literarisches und Sprachliches bei den Sportfreunden Stiller (8)>
Die Sportfreunde Stiller sind eine der erfolgreichsten Bands Deutschlands. Mit dem Sommermärchen- und Wiesn-Hit ’54, ’74, ’90, 2006 und Songs wie Ein Kompliment faszinieren sie Generationen und sorgen seit bald dreißig Jahren für eine Euphorie, die ihresgleichen sucht. Der Münchner Autor Nicola Bardola spürt in seiner soeben erschienenen Band-Biografie APPLAUS, APPLAUS. SPORT FREUNDE STILLER der Stiller-Story nach. Für das Literaturportal Bayern arbeitet er in einer achtteiligen Serie literarische Bezüge und sprachliche Eigenheiten der Indie-Formation aus Germering bei München heraus.
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„Alles Liebe, alles Gute“ (auf dem Album So wie einst Real Madrid, 2000) könnte als schwungvoller und lieb gemeinter Gutelaune-Song durchgehen im Sinne von: Schön, dass es all die anderen gibt, und es wäre toll, wenn man sich mal wiedersieht. Aber Peter Brugger durchbricht die Idylle. Fast verschluckt er die Zeile: „Ansonsten wär's jetzt richtig, dass du dich verpisst.“ Die Sportis bewahren sich hier etwas von ihrer Punk-Attitüde, und am Ende rufen sie „Ali, boma ye“ in Anlehnung an das Publikum beim Boxkampf „Rumble in the Jungle“ 1974 in Kinshasa zwischen Muhammad Ali und George Foreman. In den Liner Notes kommentieren sie: „trifft sich, sieht sich, geht und vergisst sich.“
Über den Titelsong „Die gute Seite“ (2002, alle drei Sportis texten ihn) sagt Peter Brugger: „Der Witz ist ja eigentlich, dass sich jeder auf der guten Seite sieht. Die Begriffe in dem Text sind auch ironisch zu verstehen, aber ich finde, im Sinne einer Freundschaft und Verschworenheit ist es auch schön, so etwas mal auszusprechen, weil es ein gutes Gefühl macht und einem über schwierige Situationen hinweghelfen kann.“ Es ist von dreisten Egoisten, von sinnlosen Fristen neben vereisten Skipisten die Rede; von der Jagd nach Profit und zu viel Kohlenmonoxid statt Sauerstoff; von falschen Freunden und scheinfreundlichen Feinden. Es folgt der angesichts gesellschaftskritischer Anmerkungen positive Refrain: „Du und ich und sonst noch ein paar Leute, wir stehen auf der guten Seite.“ Die Idee für den Song sei den Sportis bei den Abenden auf der Terrasse in Spanien während der Aufnahmearbeiten gekommen. Dort hätten sie beobachtet, wie in einem Mehrfamilienhaus auf der anderen Seite seltsame Dinge passierten. Ein Pärchen stritt sich lautstark, woanders fanden Pornofilm-Orgien statt. So entstand die Textzeile: „Wir sind auf der guten Seite“ und nicht drüben im Mehrfamilienhaus.
Im November 2003 beginnen die Aufnahmen für das dritte Studioalbum. Das Ergebnis heißt Burli. In der Presse-Info heißt es bei Erscheinen, Burli habe „gebockt wie ein Esel“. Burli ist bayerisch für Bürschchen. Burli ist der Arbeitstitel für das Album, der letztlich erhalten bleibt. Die Erste Allgemeine Verunsicherung veröffentlicht 1988 den ironischen Anti-AKW-Song „Burli“. Ein Lied namens Burli nehmen die Sportis aber nicht auf. Der Opener ist ein kleines Hörspiel: Freie Natur. Vogelzwitschern. Rüde: „Es ist so herrlich hier.“ Peter: „Es ist so schön!“ Rüde: „Aber schau mal, da liegt doch irgendwas.“ Peter (mit bayerischem Akzent): „Stimmt, was is'n des? Geh ma mal hin, oder?“ Rüde: „Ja, ich glaub, des is'n Burli.“ Peter: „Es (sic!) will uns irgendwas sagen, ich versteh's aber nicht.“ Rüde: „Vielleicht kann man ja irgendwo lauter machen, schau mal.“ Darauf folgt der Live-Kracher „Lauth anhören“ mit den Anfangszeilen: „Du musst es laut anhören und deine Nachbarn stören. Du musst sie aufwecken, ehe sie was aushecken. Ihr müsst es laut rausschreien … das geht raus an euch.“
Das Publikum wird wieder von Anfang an geduzt. „Lauth“ mit „h“ ist eine Referenz an den bayerischen Fußballspieler Benjamin Lauth, der am ersten November 2003 das 1.000. Bundesligator für den TSV 1860 München erzielt. Florian Weber setzt das Buchstabenspiel als Gegengewicht zu Peters FC Bayern-Fantum durch.
Im Januar 2004 geht folgende Ankündigung an die Presse: „PLANET PEACE – Black Ink auf dem Planet Peace 2004: Attac München praesentiert: Planet Peace 2004 – Kulturfestival gegen die ‚Sicherheitskonferenz‘ in München. Freitag, 6.2.2004, 19.30 Uhr. New Backstage, Friedenheimer Brücke 7. Mitwirkende u.a.: Crash Tokio, Monostars, Sportfreunde Stiller, Zoe, Sorgente, Station 2, Black Ink Project. Black Ink Project macht im Winterzelt Programm: Chill out and listen up: Literatur & DJs.“ Nikolai Vogel, Schriftsteller und Verleger des Black Ink Verlags erinnert sich an seine Lesung: „Black Ink tritt auf dem Planet Peace Festival im Winterzelt auf. Während nebenan die Sportfreunde Stiller spielen, lässt Thomas Glatz die unkonzentrierten Zuhörer spontan entscheiden, ob sie Literatur hören wollen oder lieber einen Ausdruckstanz sehen. Das Publikum entscheidet sich für Letzteres, und Thomas Glatz improvisiert barfuß kurzerhand den ersten Ausdruckstanz seines Lebens. Dem Publikum gefällt's. Und die Süddeutsche Zeitung, die die Abstimmung nicht mitbekam, wird ‚Zeuge der leicht befremdlichen Performance eines Aktionskünstlers, der für ‚alle Globalisierungsnasen‘ einen roboterhaften Ausdruckstanz vorführt‘.“ Vogel erinnert sich an seine eigene Lesung dort als eine, bei der er damals gleich gewusst habe, dass sie seine Konzentration und Improvisationsfähigkeit schulen werde, „denn ich habe keinen Ausdruckstanz hingelegt, sondern wirklich gelesen, aber das war, so gegen die Musik aus dem Nachbarzelt, wie eine Art seltsamer Test. Und das Publikum war eine ganz besondere Mischung aus hellwach und durch den Wind.“
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Nicola Bardola wird 1959 in Zürich geboren, studiert Germanistik und lebt seit über 40 Jahren in und um München. Während seiner Mitarbeit von 1986 bis 1993 in der Internationalen Jugendbibliothek beschäftigt sich Bardola mit Kinder- und Jugendliteratur und setzt sich für Leseförderung ein. Ein weiteres Gebiet, mit dem er sich seit seiner Zeit als Sekretär bei Michael Ende in den 1980er-Jahren beschäftigt, ist die phantastische Literatur. 2009 veröffentlicht er ein Buch über das „Twilight“-Phänomen (Heyne), das in mehrere Sprachen übersetzt wird, und 2012 die Anthologie Utopien (S. Fischer). Bekannt wird er 2005 mit dem Roman Schlemm (A1, Heyne, Piper), der den assistierten Suizid thematisiert. Ferner ist Bardola für seine Biografien über John Lennon und seine Frau Yoko Ono bekannt. Nach Büchern über Elena Ferrante, Ringo Starr, Freddie Mercury und Jack Kerouac widmet er sich zuletzt mit einer Bandbiografie den Sportfreunden Stiller (Hannibal).