Literarisches und Sprachliches bei den Sportfreunden Stiller (7)
Die Sportfreunde Stiller sind eine der erfolgreichsten Bands Deutschlands. Mit dem Sommermärchen- und Wiesn-Hit ’54, ’74, ’90, 2006 und Songs wie Ein Kompliment faszinieren sie Generationen und sorgen seit bald dreißig Jahren für eine Euphorie, die ihresgleichen sucht. Der Münchner Autor Nicola Bardola spürt in seiner soeben erschienenen Band-Biografie APPLAUS, APPLAUS. SPORT FREUNDE STILLER der Stiller-Story nach. Für das Literaturportal Bayern arbeitet er in einer achtteiligen Serie literarische Bezüge und sprachliche Eigenheiten der Indie-Formation aus Germering bei München heraus.
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Zum siebten Stück „Heimatlied“ auf dem Album So wie einst Real Madrid drehen die Germeringer ein Video u.a. mit Achim Bogdahn. Das Trio tritt in Anzug und Krawatte auf. Simuliert wird der Blick hinter die TV-Kulissen einer Kochshow: „Kurt und Gabi präsentieren Kochfreunde – Das dynamische Derby – heute zu Gast: Rüde, Peter, Flo.“ Peter begrüßt Achim mit einer besonderen Geste (die in den folgenden Jahren zum Running Gag wird) und beginnt am Herd bei seinen Gastgebern. Rüde und Flo schütteln abschätzig den Kopf. Auch die Kameraleute (mehrfach im Bild Rüdes Bruder Michael Linhof), der Regisseur (gespielt von Marc Liebscher) und andere in der Szene scheinen von Peters Kochabsichten nicht angetan. Peter kocht einen Strammen Max. Die Zutatenliste für eine Person wird eingeblendet: 1 Scheibe Bauernbrot, 1 TL Butter, 50 g gewürfelter roher Schinken, 2 Eier, 2 TL Schnittlauchröllchen, 1 Gewürzgurke, 1 Tomate. Es folgt Rüde mit Raclette-Kochschürze. Er stellt Toast Hawaii her. Danach wird die Zutatenliste für zwölf Personen eingeblendet. Schließlich ist Flo mit einer „Mit Gewürzen kochen“-Schürze zu sehen. Er stellt inklusive einer artistischen Einlage („Ich komme aus einer Zirkusfamilie, lauter Clowns“) Schaschlik her. Die Zutatenliste für acht Personen folgt. Nun ist das Publikum aufgefordert zu voten – unter der Münchner Telefonnummer: 089 – 260 261 70. (Unschwer lässt sich erkennen, dass dies auch noch Jahrzehnte später die Telefonnummer von Marc Liebschers Firma Blickpunkt Pop ist.) Die Durchwahl 1 ist für Peters Strammen Max, die 2 für Rüdes Toast Hawaii, die 3 für Flos Schaschlik. Rüdes Toast gewinnt mit Abstand. Dazu singen die Germeringer einen Text, der keinen direkten Bezug zum Video vermuten lässt. Der Kontrast zwischen dem Video („Mehmet Scholl findet es scheiße“, sagt Rüde, der es selbst auch nicht gut findet: „Ich musste meine Haare davor kämmen lassen. Ich kämme sie nur einmal im Jahr“) und den ungewöhnlich ernsten Lyrics ist erheblich.
Peter singt davon, dass es ihm „hier“ so vorkomme, wie nach einem perfekten Tor, wie nach einer langen Fahrt zurück, wie Liebe auf den ersten Blick, wie nach einem heißen Tee an einem Wintertag, wie eine gute Idee, wenn ihm lange nichts eingefallen ist. „Denn hier bist du Mensch, hier darfst du wirklich sein“, variiert der Refrain des Germeringer Trios Goethes Faust („Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“. Der Drogeriemarkt dm übernimmt das Zitat erst nach dem „Heimatlied“, davon und von Goethe inspiriert: „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“). Danach macht Peter einen Ausflug in die Klassik: Ihm kommt es „hier“ so vor wie Meilen entfernt von Draußen vor der Tür, so leicht. Zuvor sei alles schwer gewesen. Es fließe „hier“, als hörte er Smetanas Die Moldau. Alles klinge zusammen wie bei einer Symphonie. Woanders gebe es das selten oder nie. Peter Brugger zitiert in „Heimatlied“ das Drama Wolfgang Borcherts von 1946, Symbol der Schwierigkeiten in der Nachkriegsgesellschaft, sowie als Kontrast die sinfonische Dichtung des tschechischen Komponisten Friedrich Smetana: Die Moldau, der zweite Teil aus dem sechsteiligen Zyklus Mein Vaterland, worin der Lauf des gleichnamigen Flusses nachgezeichnet wird. Der Komposition Die Moldau wurde Pathos und patriotisch übertreibendes Getöse vorgeworfen. Smetana selbst engagierte sich seit 1861 für die tschechische Nationalbewegung. Bei Peter Brugger folgt nun in seinem Song pure Heimatfreude, „Uuuuaaahhhaaa“ schreit der Germeringer: Das Schöne daran sei nämlich, dass er es jeden Tag sehen könne, dass er es jederzeit bewundern könne, dass es all das täglich für ihn gebe. Wer das gedacht hätte? Es sei eben ein Heimatlied. Der Kommentar in den Liner Notes lautet: „nach einer langen fahrt zurück, dort wo die freunde sind.“
Fans des Atomic Café vermuten, dass der Song ihrem Club gewidmet sei. Live spielen sie das elektronische Piepsen und Zwitschern hier und auch bei anderen Songs auf einem roten Roland AX-1 Umhänge-Synthesizer. Als das Lied 1999 entsteht, hat Deutschland ein Jahrzehnt rechtsextremistischer Gewalt hinter sich: '91 Hoyerswerda, '92 Rostock-Lichtenhagen und Mölln, '93 Solingen und viele weitere Anschläge. 1993 veröffentlichen die Toten Hosen das Lied Willkommen in Deutschland mit den Zeilen: „Wenn ein Mensch aus einem andern Land ohne Angst hier nicht mehr leben kann, weil täglich immer mehr passiert, weil der Hass auf Fremde eskaliert, und keiner weiß wie und wann man diesen Schwachsinn stoppen wird.“ Und ab 2000 mordet unentdeckt die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund. Anfang der Nullerjahre reagiert die linke Szene verstärkt auf möglicherweise nationalistische Tendenzen in der deutschen Popmusik. Die Sportfreunde und Marc Liebscher lassen seit Anbeginn ihrer Karriere keinen Zweifel an ihrer demokratischen Gesinnung, werden u.a. 2008 die Single Antinazibund veröffentlichen und sich auf vielfältige Weise und bis heute gegen Deutschtümelei und Neonazis engagieren.
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Nicola Bardola wird 1959 in Zürich geboren, studiert Germanistik und lebt seit über 40 Jahren in und um München. Während seiner Mitarbeit von 1986 bis 1993 in der Internationalen Jugendbibliothek beschäftigt sich Bardola mit Kinder- und Jugendliteratur und setzt sich für Leseförderung ein. Ein weiteres Gebiet, mit dem er sich seit seiner Zeit als Sekretär bei Michael Ende in den 1980er-Jahren beschäftigt, ist die phantastische Literatur. 2009 veröffentlicht er ein Buch über das „Twilight“-Phänomen (Heyne), das in mehrere Sprachen übersetzt wird, und 2012 die Anthologie Utopien (S. Fischer). Bekannt wird er 2005 mit dem Roman Schlemm (A1, Heyne, Piper), der den assistierten Suizid thematisiert. Ferner ist Bardola für seine Biografien über John Lennon und seine Frau Yoko Ono bekannt. Nach Büchern über Elena Ferrante, Ringo Starr, Freddie Mercury und Jack Kerouac widmet er sich zuletzt mit einer Bandbiografie den Sportfreunden Stiller (Hannibal).
Literarisches und Sprachliches bei den Sportfreunden Stiller (7)>
Die Sportfreunde Stiller sind eine der erfolgreichsten Bands Deutschlands. Mit dem Sommermärchen- und Wiesn-Hit ’54, ’74, ’90, 2006 und Songs wie Ein Kompliment faszinieren sie Generationen und sorgen seit bald dreißig Jahren für eine Euphorie, die ihresgleichen sucht. Der Münchner Autor Nicola Bardola spürt in seiner soeben erschienenen Band-Biografie APPLAUS, APPLAUS. SPORT FREUNDE STILLER der Stiller-Story nach. Für das Literaturportal Bayern arbeitet er in einer achtteiligen Serie literarische Bezüge und sprachliche Eigenheiten der Indie-Formation aus Germering bei München heraus.
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Zum siebten Stück „Heimatlied“ auf dem Album So wie einst Real Madrid drehen die Germeringer ein Video u.a. mit Achim Bogdahn. Das Trio tritt in Anzug und Krawatte auf. Simuliert wird der Blick hinter die TV-Kulissen einer Kochshow: „Kurt und Gabi präsentieren Kochfreunde – Das dynamische Derby – heute zu Gast: Rüde, Peter, Flo.“ Peter begrüßt Achim mit einer besonderen Geste (die in den folgenden Jahren zum Running Gag wird) und beginnt am Herd bei seinen Gastgebern. Rüde und Flo schütteln abschätzig den Kopf. Auch die Kameraleute (mehrfach im Bild Rüdes Bruder Michael Linhof), der Regisseur (gespielt von Marc Liebscher) und andere in der Szene scheinen von Peters Kochabsichten nicht angetan. Peter kocht einen Strammen Max. Die Zutatenliste für eine Person wird eingeblendet: 1 Scheibe Bauernbrot, 1 TL Butter, 50 g gewürfelter roher Schinken, 2 Eier, 2 TL Schnittlauchröllchen, 1 Gewürzgurke, 1 Tomate. Es folgt Rüde mit Raclette-Kochschürze. Er stellt Toast Hawaii her. Danach wird die Zutatenliste für zwölf Personen eingeblendet. Schließlich ist Flo mit einer „Mit Gewürzen kochen“-Schürze zu sehen. Er stellt inklusive einer artistischen Einlage („Ich komme aus einer Zirkusfamilie, lauter Clowns“) Schaschlik her. Die Zutatenliste für acht Personen folgt. Nun ist das Publikum aufgefordert zu voten – unter der Münchner Telefonnummer: 089 – 260 261 70. (Unschwer lässt sich erkennen, dass dies auch noch Jahrzehnte später die Telefonnummer von Marc Liebschers Firma Blickpunkt Pop ist.) Die Durchwahl 1 ist für Peters Strammen Max, die 2 für Rüdes Toast Hawaii, die 3 für Flos Schaschlik. Rüdes Toast gewinnt mit Abstand. Dazu singen die Germeringer einen Text, der keinen direkten Bezug zum Video vermuten lässt. Der Kontrast zwischen dem Video („Mehmet Scholl findet es scheiße“, sagt Rüde, der es selbst auch nicht gut findet: „Ich musste meine Haare davor kämmen lassen. Ich kämme sie nur einmal im Jahr“) und den ungewöhnlich ernsten Lyrics ist erheblich.
Peter singt davon, dass es ihm „hier“ so vorkomme, wie nach einem perfekten Tor, wie nach einer langen Fahrt zurück, wie Liebe auf den ersten Blick, wie nach einem heißen Tee an einem Wintertag, wie eine gute Idee, wenn ihm lange nichts eingefallen ist. „Denn hier bist du Mensch, hier darfst du wirklich sein“, variiert der Refrain des Germeringer Trios Goethes Faust („Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“. Der Drogeriemarkt dm übernimmt das Zitat erst nach dem „Heimatlied“, davon und von Goethe inspiriert: „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“). Danach macht Peter einen Ausflug in die Klassik: Ihm kommt es „hier“ so vor wie Meilen entfernt von Draußen vor der Tür, so leicht. Zuvor sei alles schwer gewesen. Es fließe „hier“, als hörte er Smetanas Die Moldau. Alles klinge zusammen wie bei einer Symphonie. Woanders gebe es das selten oder nie. Peter Brugger zitiert in „Heimatlied“ das Drama Wolfgang Borcherts von 1946, Symbol der Schwierigkeiten in der Nachkriegsgesellschaft, sowie als Kontrast die sinfonische Dichtung des tschechischen Komponisten Friedrich Smetana: Die Moldau, der zweite Teil aus dem sechsteiligen Zyklus Mein Vaterland, worin der Lauf des gleichnamigen Flusses nachgezeichnet wird. Der Komposition Die Moldau wurde Pathos und patriotisch übertreibendes Getöse vorgeworfen. Smetana selbst engagierte sich seit 1861 für die tschechische Nationalbewegung. Bei Peter Brugger folgt nun in seinem Song pure Heimatfreude, „Uuuuaaahhhaaa“ schreit der Germeringer: Das Schöne daran sei nämlich, dass er es jeden Tag sehen könne, dass er es jederzeit bewundern könne, dass es all das täglich für ihn gebe. Wer das gedacht hätte? Es sei eben ein Heimatlied. Der Kommentar in den Liner Notes lautet: „nach einer langen fahrt zurück, dort wo die freunde sind.“
Fans des Atomic Café vermuten, dass der Song ihrem Club gewidmet sei. Live spielen sie das elektronische Piepsen und Zwitschern hier und auch bei anderen Songs auf einem roten Roland AX-1 Umhänge-Synthesizer. Als das Lied 1999 entsteht, hat Deutschland ein Jahrzehnt rechtsextremistischer Gewalt hinter sich: '91 Hoyerswerda, '92 Rostock-Lichtenhagen und Mölln, '93 Solingen und viele weitere Anschläge. 1993 veröffentlichen die Toten Hosen das Lied Willkommen in Deutschland mit den Zeilen: „Wenn ein Mensch aus einem andern Land ohne Angst hier nicht mehr leben kann, weil täglich immer mehr passiert, weil der Hass auf Fremde eskaliert, und keiner weiß wie und wann man diesen Schwachsinn stoppen wird.“ Und ab 2000 mordet unentdeckt die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund. Anfang der Nullerjahre reagiert die linke Szene verstärkt auf möglicherweise nationalistische Tendenzen in der deutschen Popmusik. Die Sportfreunde und Marc Liebscher lassen seit Anbeginn ihrer Karriere keinen Zweifel an ihrer demokratischen Gesinnung, werden u.a. 2008 die Single Antinazibund veröffentlichen und sich auf vielfältige Weise und bis heute gegen Deutschtümelei und Neonazis engagieren.
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Nicola Bardola wird 1959 in Zürich geboren, studiert Germanistik und lebt seit über 40 Jahren in und um München. Während seiner Mitarbeit von 1986 bis 1993 in der Internationalen Jugendbibliothek beschäftigt sich Bardola mit Kinder- und Jugendliteratur und setzt sich für Leseförderung ein. Ein weiteres Gebiet, mit dem er sich seit seiner Zeit als Sekretär bei Michael Ende in den 1980er-Jahren beschäftigt, ist die phantastische Literatur. 2009 veröffentlicht er ein Buch über das „Twilight“-Phänomen (Heyne), das in mehrere Sprachen übersetzt wird, und 2012 die Anthologie Utopien (S. Fischer). Bekannt wird er 2005 mit dem Roman Schlemm (A1, Heyne, Piper), der den assistierten Suizid thematisiert. Ferner ist Bardola für seine Biografien über John Lennon und seine Frau Yoko Ono bekannt. Nach Büchern über Elena Ferrante, Ringo Starr, Freddie Mercury und Jack Kerouac widmet er sich zuletzt mit einer Bandbiografie den Sportfreunden Stiller (Hannibal).