„Karl Valentins wundersame Filmabenteuer”. Von Walter Jerven
Heute vor 134 Jahren, am 30. November 1889, wurde der Filmhistoriker, Regisseur und Autor Walter Jerven (1889-1945) in Hannover geboren. Neben frühen Gedichten und Liedern schrieb er während seiner redaktionellen Tätigkeit beim Bodenseebuch u.a. eine literarische Bodenseewanderung. Mit Karl Valentin produzierte Jerven 1929 den Spielfilm Der Sonderling, bei dem er selbst das Drehbuch schrieb und Regie führte. Bereits am 21. September 1928 veröffentlichte Jerven eine Glosse über die Arbeit mit Valentin. Noch früher, am 19. Juli 1923, hatte er im Neuen Wiener Journal nicht nur ein illustres Porträt über den bayerischen Komiker verfasst, sondern auch den dunkelsten Punkt in dessen Lichtspielkarriere eindrucksvoll beleuchtet. Harald Beck hat diesen Text zum heutigen Geburtstag von Jerven transkribiert.
*
Karl Valentins wundersame Filmabenteuer
München, Anfang Juli.
Vor zwölf Jahren hub die Geschichte an. Die Welt hatte das Lichtlein des Films erblickt. Der Geist des Kitsches schwebte über dem Kino.
Da meldete sich der Komiker Karl Valentin aus der Stadt München, im Lande Bayern. Er stand auf dem Brettl, baumlang, spindeldürr, arm an Fleisch. Und doch nährten sich die Kollegen von ihm, die da nicht säen und doch ernten. Es kamen zu ihm die Mühseligen und die mit Perlen beladenen; denn er erquickte Arm und Reich.
Er spielte die Possen, die ihm das Leben spielte. Spielte sie mit der Konsequenz, der unsentimentalen Sachlichkeit und der Einfalt eines Kindes. Er machte Un-Sinn. Der Sinn alles Ausgesprochenen erlitt in seinen kaum hörbaren Sätzen allerhand Defekte. Richtiger: die Defekte dieses Sinns, die sie in unserm Munde angenommen, blitzten auf. Sie wurden augenfällig an seiner über diese Defekte vergeblich hinwegzusteuern sich bemühenden Gestalt. (Wobei er noch größere Komplikationen hervorrief, als dieser Satz sie im Gefolge haben könnte.)
Er war die Bild gewordene Verranntheit unseres Daseins; war ein Wirrwar, ein Fragment wie dieses.
Wir lachten über ihn, um nicht über uns zu weinen.
Mitunter hatte er gar nicht nötig, zu sprechen. Seine Bewegungen ersetzten jedes Wort und dessen ganze Vieldeutigkeit. Was Wunder, daß er eines Tages, als er in der Bude eines Panoptikumbesitzers das erste Laufbild an seinen erstaunten Augen vorüberflirren sah, den Wunsch erwachen fühlte, diese magische Fläche auch mit seinen Gliedern zu beschatten.
Jahre vergingen, ehe er sich diesen Wunsch erfüllen konnte. Doch eines Kabarettabends schwänzte er die Vorstellung und schrieb bis in den Morgen hinein. Und es ward aus Abend und Morgen ein Manuskript, das er „Valentins Hochzeit” nannte.
Da wurden nicht Meter und Abermeter in Verliebtheit getätigt, wie es in Schwung war. Da entrollte sich ein Drunter und Drüber, das ganz in den alltäglichen Alltag gefügt war; so zwar, daß das Gefüge des Alltags darüber aus dem Leim ging, auf den der Hochzeiter Valentin kroch. Und es wußte das linke Auge nicht, was das rechte gesehen, so jagten die Szenen einander; jagte vorüber, was sich Jahre danach (allerdings auf eine ganz andere Formel gebracht) in den Groteskbildern der Amerikaner auswirkte.
Er baute eigenhändig ein Freilichtatelier, auf einer grünen Wiese, gegenüber dem Ostfriedhof in München. Und wenn er den Kurbelkasten drehte, läutete drüben das Totenglöcklein.
Die Menge der Vorstadtheerscharen sperrte Mund und Nase auf. Es war Sommer auf Erden und den Münchnern ein Wohlgefallen. Doch ein Sommer macht noch keine Schwalbe. Ein Freilichtatelier macht noch keinen Film.
Valentin dreht und kopiert und sieht ein Zimmer mit Menschen, durch deren Hosen der Wind pfeift, über deren Nasenspitzen Wolkenschatten wandern.
Aber er gibt nicht nach. Er geht mit dem Kopf durch die Wand und schafft eine (Lein-)Wand, die manchem durch den Kopf geht.
Seine „Hochzeit” läuft endlich in den Münchener Kammerlichtspielen. Das Publikum quietscht. Viele Wochen lang.
Nachdem ausgequietscht ist, packt er den Streifen in eine Zigarrenschachtel und geht zum Filmverleiher, der den ominösen Namen Tändler führt.
Herr Tändler gewährt dem hageren Narren keine Audienz. Der geht geknickt ins Hofbräuhaus und kauft sich eine Maß Bier (mit Gebrauchsanweisung). Alsdann verkauft er die „Hochzeit” für eine Silbermark an einen Bekannten, der Inhaber eines Jungen ist, dem der Weihnachtsmann ein Kinderkino gebracht hat. Von dort wandert sie wieder in die Hände eines Mannes, der nicht Tändler heißt, aber einer ist. Der vertändelt sie einem „Fachmann“, der den Film aufs neue an einen Münchner Kinobesitzer vermietet, gegen sechzig Mark Silber pro Woche. Wiederum quietscht das Publikum. Woran Valentin seine Freude hat.
Alsdann faßt er einen Entschluß. Er nimmt der städtischen Sparkasse die Sorge um seine Barschaft ab und steckt den Hosensack prallvoll mit Goldstücken. Drauf geht er ins Kaffeehaus und harrt der Dinge, die da genommen werden. Der Cafetier hat einen Bruder. Der Bruder hat ein Feinkostgeschäft. Das Feinkostgeschäft hat einen Käseschuppen. In den Käseschuppen fällt kein Strahl der bösen Außenwelt. Folglich kann hier ungestört lichtgespielt werden.
Valentin greift in den güldenen Hosensack, mietet den Schuppen auf zehn Jahre und ist Besitzer eines Filmateliers.
Dann macht er die Bekanntschaft des Herrn Balacz. Herr Balacz ist Weltmann und außerdem Filmoperateur.
Valentin macht drei Tage lang Sprachübungen, um Balacz aussprechen zu können. Dann engagiert er den Operateur (muß aber den Weltmann mit in Kauf nehmen).
Der Hof, der sich um das Käs-Atelier rankt, wird aufgerissen. Starkstromleitungen werden gelegt. Das Trottoir muß dran glauben. Der Verkehr stockt. Die Fußgänger fluchen. Die Nachbarn opfern letzte Sparpfennige für Feuer- und Lebensversicherung.
Valentin stürzt von der Baubehörde zum Stadtmagistrat, vom Verkehrs- zum Verschönerungsverein, greift klingklang in den güldenen Hosensack und kauft für fünfmal fünfhundert Mark Jupiterlampen. Herr Balacz schießt ihm nach und kassiert Vorschuß.
Dann wird gearbeitet. Valentin bastelt und nestelt, zimmert und wimmert, holt einen Kübel Farbe, die Wände zu weißen und einen Ballen Löschpapier gegen die Feuchtigkeit des Bodens. Herr Balacz schießt ihm nach und kassiert Vorschuß.
Valentin ist Filmfabrikant. Der erste seines Metiers in München. Die Nachbarn ziehen die Kappe, obgleich sie fürchten, daß ihre Ruhe auf der Kippe steht. Valentin dankt leut- und lächelt zelluloidselig. Dann steigen die ersten Aufnahmen, die gleich kopiert werden sollen. Herr Balacz aber rät ab „Is sich gor nix nötig. Warten bis Film zu Ende. Werden Iberraschung erleben.” Und kassiert Vorschuß.
Valentin denkt: „Teurer Rat ist gut!" Und macht ein zweitesmal „Hochzeit”, viele lange Flimmerwochen lang.
Dann entlohnt er Herrn Balacz, der sofort seine Koffer packt, um sich recht bald nie wieder sehen zu lassen.
Darauf Premiere der zweiten Fassung im Zachschen Lichtspieltheater in der Rumfordstraße. Privatvorführung. Valentin ist blaß vor Jupiterlampenfieber. Stille bricht aus. Der Apparat surrt. Die Leinwand bleicht auf und — — — ist alles duhunkel, ist alles trühübe.
Valentin schreit mit Goethe: „Mehr Licht! Lassen S mehr Licht eini! Man siecht ja nix!“ Aber der Vorführer zuckt die Achseln. Der Balacz-Streifen ist und bleibt zu nichts nutz, als zu Strumpfbandeln fürs Kinderasyl.
Jetzt, nachdem alles verlichtspielt ist, was er während zehn Jahren, in denen er das Handwerk eines Komikers ausgeübt, verdient hatte, jetzt rührt sich das Vaterland, das bekanntlich bei seinen Propheten nichts gilt. Eine eben gegründete Firma verpflichtet ihn für ein Lustspiel: „Der neue Schreibtisch”.
Den Film leitet ein debütierender Regisseur nach den Grundsätzen des Guckkastens: „Bitte recht freundlich.” Neckisch und schabernäckig mußte Valentin in die Kamera komiken.
Eine zweite Firma installiert sich. Wieder muß Valentin ihren ersten Geh- und Drehversuchen auf seine Beine helfen. Er liefert die Vorlage: „Valentin auf der Festwiese”.
Handlung: Ein Intermezzo zwischen seiner Trauten und Angetrauten; mitten im Karussel- und Bierbudenzauber, mit Fluchtversuchen in den Kähnen der Schiffsschaukeln. Finale: Ein Rudel von Luftballons, die Valentin vor den Augen seiner niederträchtigen Gattin hochtragen. Ein Inserat erscheint: „Mann entflogen. Abzugebcn gegen Belohnung und Futtergeld.”
Man sieht: auch den Texten gab Valentin Präzision und Witz.
Aber die Belehrung des Regisseurs erklärt: „Hauptsache in einem Film sind fünfzig schöne Maderln.” Entsprechend wurde gekurbelt. Was Wunder, daß der Mätzchenmeister von Regisseur zum Metzgermcister der einfachen Valentinschen Komik wurde.
Fazit: Beide Filme laufen und treffen trotz verbogener Regie pfeilgrad' ins Herz der Zuschauer. Die Unternehmer sind perplex über die Macht dieses sonderbaren Heiligen, dem sie dennoch keine Vollmacht geben.
Nach einiger Zeit ein großes Ereignis: Karlchen entdeckt seinen Vornamensvetter Charlie. Die ersten Chaplin-Streifen rollen über den Kontinent. Es beginnt der Start der europäischen Filmverleiher nach der amerikanischen Groteske. Der Bedarf an Heiterkeit ist gedeckt.
Und Karlchen hört auf, Filmling zu spielen und spielt seinen „Firmling” — im Kabarett, der Stätte, von der er ausgegangen.
Nach Jahr und Tag — es ging gegen Mitternacht — taucht ein Regisseur unter den Gästen des Tingeltangels auf. Er macht am folgenden Morgen um 9 Uhr Aufnahmen zu einem Postillonfilm.
„Postillon?” denkt Valentin, „Des mag i. O du guate, alte Zeit!”
Pünktlich um neun trifft er ein mit der Liesl Karlstadt, seiner Partnerin. Bereits geschminkt steigen sie aus dem Auto, damit der Regisseur, dem es so pressiert hat, keine Zeit verliert.
Aber der bereitet noch den Empfang einiger Stars vor, die auch in Abständen von wenigen Minuten und Stunden einzeln herbeigeströmt kommen. Um dann immer noch nicht vollzählig zu sein.
Nachmittags unternimmt man eine Aufnahme. Eine zweite soll folgen, bevor Valentin kabarettdienstpflichtig wird. Aber aller Augen warten umsonst auf den Regisseur. Valentin, mit der Uhr in der Hand und dem Gold einiger handfester Flüche im Munde, sucht ihn. Es geht gen Abend. Er muß ins Kabarett. Da entdeckt er den Regisseur mit Frau und Kind auf dem Bock des Postillonwagens. Davor ein Photograph. Der probiert seit zwei Stunden Stellungen aus, damit die Familie in die Woche kommt (zu Scherl natürlich). Valentin packt seinen Schminkkasten und schwört, den Drehstücken endgültig den Rücken zu drehen.
Aber edel sei der Mensch, hilflos und gut. Noch während er sich die Kientopperei untersagt, überredet ihn ein anderer.
Ein Dramatiker kommt zu ihm. Einer von denen, aus deren detonierenden Knallbonbons die Menschheit den Rhythmus des Weltalls herauszuhören sich einredet. Ein Regisseur bearbeitet den Dichter. Propheten, die Valentins Komik als Kosmisches, aber ihre eigene Kosmik nicht als Kosmetisches erkannten.
Sie bestellen ihn zu ihrem Geldgeber, dem die Welt des Films aus böhmischen Dörfern bestand. (Um so leichter konnten sie ihm goldene versprechen.) Valentin geht hin und sieht sie sitzen: Prophet rechts. Prophete links, das Geldkind in der Mitten.
Er unterschreibt einen Vertrag. Und denkt: „Jetzt wird's Licht.”
Die Proben beginnen. Regisseur und Dichter reden. „Zwei Seelen und kein Gedanke,” denkt Valentin und macht Vorschläge, die wie Brosamen von seinem Tische fallen.
Doch: die ihn überredeten, überhören ihn auch. Sie drehen eine eigene, eine neue Idee. Betitelt: „Der geheimnisvolle Friseurladen.” Nach dem Muster der amerikanischen Exzentriks.
Bald darauf folgt Valentins größtes Erlebnis: seine erste Weltreise. Er fährt von München (mit zweitägiger Beruhigungspause in Salzburg) nach Wien. Ins Engagement.
Und sieht eines Tages, wie er zwischen Jause und Nachtmahl in den Kientopp pilgert, und sieht ... „Die Mysterien des Friseurladens.”
Karlchen freut sich, dem Valentin in Wien, in der Fremde, zu begegnen. Es heimatelt ihn an. Aber bald kommt er dahinter, daß er in dem Film gar nicht vorkommt. Es ist ein anderer Streifen; ist einer, von dem der Dichter in München seine „Ideen” bezogen, so gründlich bezogen hat, daß Karlchen ins Unergründliche zu versinken glaubt.
Dies war der dunkelste Punkt in Valentins Lichtspielkarriere.
Er geht zum Notar und läßt den Propheten inklusive Geldling schreiben, daß er die Aufführung des Friseurladens verbiete. Der liegt unuraufgeführt in einer Tischlade.
Und wenn er nicht verdorben ist, so liegt er dort noch heute.
Hier endet die Geschichte der Filmabenteuer des Don Valentin Quichotte, des Ritters von der traurigen Gestalt; der keinen Cervantes gefunden.
Weshalb es eigentlich eine Vorgeschichte ist.
„Karl Valentins wundersame Filmabenteuer”. Von Walter Jerven>
Heute vor 134 Jahren, am 30. November 1889, wurde der Filmhistoriker, Regisseur und Autor Walter Jerven (1889-1945) in Hannover geboren. Neben frühen Gedichten und Liedern schrieb er während seiner redaktionellen Tätigkeit beim Bodenseebuch u.a. eine literarische Bodenseewanderung. Mit Karl Valentin produzierte Jerven 1929 den Spielfilm Der Sonderling, bei dem er selbst das Drehbuch schrieb und Regie führte. Bereits am 21. September 1928 veröffentlichte Jerven eine Glosse über die Arbeit mit Valentin. Noch früher, am 19. Juli 1923, hatte er im Neuen Wiener Journal nicht nur ein illustres Porträt über den bayerischen Komiker verfasst, sondern auch den dunkelsten Punkt in dessen Lichtspielkarriere eindrucksvoll beleuchtet. Harald Beck hat diesen Text zum heutigen Geburtstag von Jerven transkribiert.
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Karl Valentins wundersame Filmabenteuer
München, Anfang Juli.
Vor zwölf Jahren hub die Geschichte an. Die Welt hatte das Lichtlein des Films erblickt. Der Geist des Kitsches schwebte über dem Kino.
Da meldete sich der Komiker Karl Valentin aus der Stadt München, im Lande Bayern. Er stand auf dem Brettl, baumlang, spindeldürr, arm an Fleisch. Und doch nährten sich die Kollegen von ihm, die da nicht säen und doch ernten. Es kamen zu ihm die Mühseligen und die mit Perlen beladenen; denn er erquickte Arm und Reich.
Er spielte die Possen, die ihm das Leben spielte. Spielte sie mit der Konsequenz, der unsentimentalen Sachlichkeit und der Einfalt eines Kindes. Er machte Un-Sinn. Der Sinn alles Ausgesprochenen erlitt in seinen kaum hörbaren Sätzen allerhand Defekte. Richtiger: die Defekte dieses Sinns, die sie in unserm Munde angenommen, blitzten auf. Sie wurden augenfällig an seiner über diese Defekte vergeblich hinwegzusteuern sich bemühenden Gestalt. (Wobei er noch größere Komplikationen hervorrief, als dieser Satz sie im Gefolge haben könnte.)
Er war die Bild gewordene Verranntheit unseres Daseins; war ein Wirrwar, ein Fragment wie dieses.
Wir lachten über ihn, um nicht über uns zu weinen.
Mitunter hatte er gar nicht nötig, zu sprechen. Seine Bewegungen ersetzten jedes Wort und dessen ganze Vieldeutigkeit. Was Wunder, daß er eines Tages, als er in der Bude eines Panoptikumbesitzers das erste Laufbild an seinen erstaunten Augen vorüberflirren sah, den Wunsch erwachen fühlte, diese magische Fläche auch mit seinen Gliedern zu beschatten.
Jahre vergingen, ehe er sich diesen Wunsch erfüllen konnte. Doch eines Kabarettabends schwänzte er die Vorstellung und schrieb bis in den Morgen hinein. Und es ward aus Abend und Morgen ein Manuskript, das er „Valentins Hochzeit” nannte.
Da wurden nicht Meter und Abermeter in Verliebtheit getätigt, wie es in Schwung war. Da entrollte sich ein Drunter und Drüber, das ganz in den alltäglichen Alltag gefügt war; so zwar, daß das Gefüge des Alltags darüber aus dem Leim ging, auf den der Hochzeiter Valentin kroch. Und es wußte das linke Auge nicht, was das rechte gesehen, so jagten die Szenen einander; jagte vorüber, was sich Jahre danach (allerdings auf eine ganz andere Formel gebracht) in den Groteskbildern der Amerikaner auswirkte.
Er baute eigenhändig ein Freilichtatelier, auf einer grünen Wiese, gegenüber dem Ostfriedhof in München. Und wenn er den Kurbelkasten drehte, läutete drüben das Totenglöcklein.
Die Menge der Vorstadtheerscharen sperrte Mund und Nase auf. Es war Sommer auf Erden und den Münchnern ein Wohlgefallen. Doch ein Sommer macht noch keine Schwalbe. Ein Freilichtatelier macht noch keinen Film.
Valentin dreht und kopiert und sieht ein Zimmer mit Menschen, durch deren Hosen der Wind pfeift, über deren Nasenspitzen Wolkenschatten wandern.
Aber er gibt nicht nach. Er geht mit dem Kopf durch die Wand und schafft eine (Lein-)Wand, die manchem durch den Kopf geht.
Seine „Hochzeit” läuft endlich in den Münchener Kammerlichtspielen. Das Publikum quietscht. Viele Wochen lang.
Nachdem ausgequietscht ist, packt er den Streifen in eine Zigarrenschachtel und geht zum Filmverleiher, der den ominösen Namen Tändler führt.
Herr Tändler gewährt dem hageren Narren keine Audienz. Der geht geknickt ins Hofbräuhaus und kauft sich eine Maß Bier (mit Gebrauchsanweisung). Alsdann verkauft er die „Hochzeit” für eine Silbermark an einen Bekannten, der Inhaber eines Jungen ist, dem der Weihnachtsmann ein Kinderkino gebracht hat. Von dort wandert sie wieder in die Hände eines Mannes, der nicht Tändler heißt, aber einer ist. Der vertändelt sie einem „Fachmann“, der den Film aufs neue an einen Münchner Kinobesitzer vermietet, gegen sechzig Mark Silber pro Woche. Wiederum quietscht das Publikum. Woran Valentin seine Freude hat.
Alsdann faßt er einen Entschluß. Er nimmt der städtischen Sparkasse die Sorge um seine Barschaft ab und steckt den Hosensack prallvoll mit Goldstücken. Drauf geht er ins Kaffeehaus und harrt der Dinge, die da genommen werden. Der Cafetier hat einen Bruder. Der Bruder hat ein Feinkostgeschäft. Das Feinkostgeschäft hat einen Käseschuppen. In den Käseschuppen fällt kein Strahl der bösen Außenwelt. Folglich kann hier ungestört lichtgespielt werden.
Valentin greift in den güldenen Hosensack, mietet den Schuppen auf zehn Jahre und ist Besitzer eines Filmateliers.
Dann macht er die Bekanntschaft des Herrn Balacz. Herr Balacz ist Weltmann und außerdem Filmoperateur.
Valentin macht drei Tage lang Sprachübungen, um Balacz aussprechen zu können. Dann engagiert er den Operateur (muß aber den Weltmann mit in Kauf nehmen).
Der Hof, der sich um das Käs-Atelier rankt, wird aufgerissen. Starkstromleitungen werden gelegt. Das Trottoir muß dran glauben. Der Verkehr stockt. Die Fußgänger fluchen. Die Nachbarn opfern letzte Sparpfennige für Feuer- und Lebensversicherung.
Valentin stürzt von der Baubehörde zum Stadtmagistrat, vom Verkehrs- zum Verschönerungsverein, greift klingklang in den güldenen Hosensack und kauft für fünfmal fünfhundert Mark Jupiterlampen. Herr Balacz schießt ihm nach und kassiert Vorschuß.
Dann wird gearbeitet. Valentin bastelt und nestelt, zimmert und wimmert, holt einen Kübel Farbe, die Wände zu weißen und einen Ballen Löschpapier gegen die Feuchtigkeit des Bodens. Herr Balacz schießt ihm nach und kassiert Vorschuß.
Valentin ist Filmfabrikant. Der erste seines Metiers in München. Die Nachbarn ziehen die Kappe, obgleich sie fürchten, daß ihre Ruhe auf der Kippe steht. Valentin dankt leut- und lächelt zelluloidselig. Dann steigen die ersten Aufnahmen, die gleich kopiert werden sollen. Herr Balacz aber rät ab „Is sich gor nix nötig. Warten bis Film zu Ende. Werden Iberraschung erleben.” Und kassiert Vorschuß.
Valentin denkt: „Teurer Rat ist gut!" Und macht ein zweitesmal „Hochzeit”, viele lange Flimmerwochen lang.
Dann entlohnt er Herrn Balacz, der sofort seine Koffer packt, um sich recht bald nie wieder sehen zu lassen.
Darauf Premiere der zweiten Fassung im Zachschen Lichtspieltheater in der Rumfordstraße. Privatvorführung. Valentin ist blaß vor Jupiterlampenfieber. Stille bricht aus. Der Apparat surrt. Die Leinwand bleicht auf und — — — ist alles duhunkel, ist alles trühübe.
Valentin schreit mit Goethe: „Mehr Licht! Lassen S mehr Licht eini! Man siecht ja nix!“ Aber der Vorführer zuckt die Achseln. Der Balacz-Streifen ist und bleibt zu nichts nutz, als zu Strumpfbandeln fürs Kinderasyl.
Jetzt, nachdem alles verlichtspielt ist, was er während zehn Jahren, in denen er das Handwerk eines Komikers ausgeübt, verdient hatte, jetzt rührt sich das Vaterland, das bekanntlich bei seinen Propheten nichts gilt. Eine eben gegründete Firma verpflichtet ihn für ein Lustspiel: „Der neue Schreibtisch”.
Den Film leitet ein debütierender Regisseur nach den Grundsätzen des Guckkastens: „Bitte recht freundlich.” Neckisch und schabernäckig mußte Valentin in die Kamera komiken.
Eine zweite Firma installiert sich. Wieder muß Valentin ihren ersten Geh- und Drehversuchen auf seine Beine helfen. Er liefert die Vorlage: „Valentin auf der Festwiese”.
Handlung: Ein Intermezzo zwischen seiner Trauten und Angetrauten; mitten im Karussel- und Bierbudenzauber, mit Fluchtversuchen in den Kähnen der Schiffsschaukeln. Finale: Ein Rudel von Luftballons, die Valentin vor den Augen seiner niederträchtigen Gattin hochtragen. Ein Inserat erscheint: „Mann entflogen. Abzugebcn gegen Belohnung und Futtergeld.”
Man sieht: auch den Texten gab Valentin Präzision und Witz.
Aber die Belehrung des Regisseurs erklärt: „Hauptsache in einem Film sind fünfzig schöne Maderln.” Entsprechend wurde gekurbelt. Was Wunder, daß der Mätzchenmeister von Regisseur zum Metzgermcister der einfachen Valentinschen Komik wurde.
Fazit: Beide Filme laufen und treffen trotz verbogener Regie pfeilgrad' ins Herz der Zuschauer. Die Unternehmer sind perplex über die Macht dieses sonderbaren Heiligen, dem sie dennoch keine Vollmacht geben.
Nach einiger Zeit ein großes Ereignis: Karlchen entdeckt seinen Vornamensvetter Charlie. Die ersten Chaplin-Streifen rollen über den Kontinent. Es beginnt der Start der europäischen Filmverleiher nach der amerikanischen Groteske. Der Bedarf an Heiterkeit ist gedeckt.
Und Karlchen hört auf, Filmling zu spielen und spielt seinen „Firmling” — im Kabarett, der Stätte, von der er ausgegangen.
Nach Jahr und Tag — es ging gegen Mitternacht — taucht ein Regisseur unter den Gästen des Tingeltangels auf. Er macht am folgenden Morgen um 9 Uhr Aufnahmen zu einem Postillonfilm.
„Postillon?” denkt Valentin, „Des mag i. O du guate, alte Zeit!”
Pünktlich um neun trifft er ein mit der Liesl Karlstadt, seiner Partnerin. Bereits geschminkt steigen sie aus dem Auto, damit der Regisseur, dem es so pressiert hat, keine Zeit verliert.
Aber der bereitet noch den Empfang einiger Stars vor, die auch in Abständen von wenigen Minuten und Stunden einzeln herbeigeströmt kommen. Um dann immer noch nicht vollzählig zu sein.
Nachmittags unternimmt man eine Aufnahme. Eine zweite soll folgen, bevor Valentin kabarettdienstpflichtig wird. Aber aller Augen warten umsonst auf den Regisseur. Valentin, mit der Uhr in der Hand und dem Gold einiger handfester Flüche im Munde, sucht ihn. Es geht gen Abend. Er muß ins Kabarett. Da entdeckt er den Regisseur mit Frau und Kind auf dem Bock des Postillonwagens. Davor ein Photograph. Der probiert seit zwei Stunden Stellungen aus, damit die Familie in die Woche kommt (zu Scherl natürlich). Valentin packt seinen Schminkkasten und schwört, den Drehstücken endgültig den Rücken zu drehen.
Aber edel sei der Mensch, hilflos und gut. Noch während er sich die Kientopperei untersagt, überredet ihn ein anderer.
Ein Dramatiker kommt zu ihm. Einer von denen, aus deren detonierenden Knallbonbons die Menschheit den Rhythmus des Weltalls herauszuhören sich einredet. Ein Regisseur bearbeitet den Dichter. Propheten, die Valentins Komik als Kosmisches, aber ihre eigene Kosmik nicht als Kosmetisches erkannten.
Sie bestellen ihn zu ihrem Geldgeber, dem die Welt des Films aus böhmischen Dörfern bestand. (Um so leichter konnten sie ihm goldene versprechen.) Valentin geht hin und sieht sie sitzen: Prophet rechts. Prophete links, das Geldkind in der Mitten.
Er unterschreibt einen Vertrag. Und denkt: „Jetzt wird's Licht.”
Die Proben beginnen. Regisseur und Dichter reden. „Zwei Seelen und kein Gedanke,” denkt Valentin und macht Vorschläge, die wie Brosamen von seinem Tische fallen.
Doch: die ihn überredeten, überhören ihn auch. Sie drehen eine eigene, eine neue Idee. Betitelt: „Der geheimnisvolle Friseurladen.” Nach dem Muster der amerikanischen Exzentriks.
Bald darauf folgt Valentins größtes Erlebnis: seine erste Weltreise. Er fährt von München (mit zweitägiger Beruhigungspause in Salzburg) nach Wien. Ins Engagement.
Und sieht eines Tages, wie er zwischen Jause und Nachtmahl in den Kientopp pilgert, und sieht ... „Die Mysterien des Friseurladens.”
Karlchen freut sich, dem Valentin in Wien, in der Fremde, zu begegnen. Es heimatelt ihn an. Aber bald kommt er dahinter, daß er in dem Film gar nicht vorkommt. Es ist ein anderer Streifen; ist einer, von dem der Dichter in München seine „Ideen” bezogen, so gründlich bezogen hat, daß Karlchen ins Unergründliche zu versinken glaubt.
Dies war der dunkelste Punkt in Valentins Lichtspielkarriere.
Er geht zum Notar und läßt den Propheten inklusive Geldling schreiben, daß er die Aufführung des Friseurladens verbiete. Der liegt unuraufgeführt in einer Tischlade.
Und wenn er nicht verdorben ist, so liegt er dort noch heute.
Hier endet die Geschichte der Filmabenteuer des Don Valentin Quichotte, des Ritters von der traurigen Gestalt; der keinen Cervantes gefunden.
Weshalb es eigentlich eine Vorgeschichte ist.