„Hatikvah, heute“. Gedicht von Andrea Heuser
Rund 2.000 Menschen folgten am 12. Oktober 2023 in München einer Veranstaltung mit dem Titel „Trauer an der Seite Israels“ und zeigten so ihre Solidarität mit dem jüdischen Staat nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober. Vor der Synagoge am St.-Jakobs-Platz sprachen zahlreiche Vertreter des öffentlichen Lebens. Es war ein Gedenken nicht nur mit Worten – eineinhalb Stunden später erklang, gesungen von den Anwesenden, die israelische Nationalhymne „Hatikvah“, was übersetzt „Hoffnung“ heißt. Die Münchner Autorin Andrea Heuser hat die Veranstaltung für ein Gedicht zum Anlass genommen.
*
Synagoge am Münchner St.-Jakobs-Platz am 12. Okober 2023
Hatikvah, heute
Ich werde diesen Tag erinnern
Auch wenn er viel zu warm war
Für den zwölften Tag im Oktober – unheimlich wohlig
Wohlan, das Blaue vom Himmel schwitzt
Uns sowieso bald aus
Wolken weinen mikroplastisches Wasser
Weil auch im Jenseits längst nichts mehr
Unversehrt ist
Und auch an diesem Tag befindet sich
Der armselige Stern der Achtsamkeit
Im ständigen Abrieb
Zwischen allen Fronten
Alle Tage, das Mitgefühl ist
Alle Tage in die Feuerzonen gerückt
Was, wer kommt da noch nach?
Wer versteht das noch, treibt man nicht
Arg allein auf seiner Schutzzonenscholle
Dem Zerschmelzen von Welt
Welten entgegen –
Ich werde diesen Tag erinnern
Nicht, weil er nicht auch dazu gehörte, zu all dem
Oder weil er alles veränderte, nur
Weil er kurz innehielt, nachdachte, trauerte
Tage haben per se ein Kurzzeitgedächtnis
Ich werde diesen Tag erinnern
Weil er das Unverhoffte zu Tage förderte
Im medialen Sog eingeflößter Ohnmacht
Dass Menschen sich mitunter ermächtigen
Sichtbar zu sein, sich zu erinnern
Wie sehr sie einander brauchen und
Was uns Israel angeht
Nein, nicht alles ist relativ
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose
Trauer ist Trauer
Und Leid ist Leid ist Leid
Ich werde diesen Tag erinnern
Weil er Hatikvah, weil er Hoffnung war
Dort auf dem Jakobsplatz, im Herzen
Dieser Stadt
Hatikvah (gesungen am Münchner St.-Jakobs-Platz, 12.10.23) © Peter Czoik
„Hatikvah, heute“. Gedicht von Andrea Heuser>
Rund 2.000 Menschen folgten am 12. Oktober 2023 in München einer Veranstaltung mit dem Titel „Trauer an der Seite Israels“ und zeigten so ihre Solidarität mit dem jüdischen Staat nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober. Vor der Synagoge am St.-Jakobs-Platz sprachen zahlreiche Vertreter des öffentlichen Lebens. Es war ein Gedenken nicht nur mit Worten – eineinhalb Stunden später erklang, gesungen von den Anwesenden, die israelische Nationalhymne „Hatikvah“, was übersetzt „Hoffnung“ heißt. Die Münchner Autorin Andrea Heuser hat die Veranstaltung für ein Gedicht zum Anlass genommen.
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Synagoge am Münchner St.-Jakobs-Platz am 12. Okober 2023
Hatikvah, heute
Ich werde diesen Tag erinnern
Auch wenn er viel zu warm war
Für den zwölften Tag im Oktober – unheimlich wohlig
Wohlan, das Blaue vom Himmel schwitzt
Uns sowieso bald aus
Wolken weinen mikroplastisches Wasser
Weil auch im Jenseits längst nichts mehr
Unversehrt ist
Und auch an diesem Tag befindet sich
Der armselige Stern der Achtsamkeit
Im ständigen Abrieb
Zwischen allen Fronten
Alle Tage, das Mitgefühl ist
Alle Tage in die Feuerzonen gerückt
Was, wer kommt da noch nach?
Wer versteht das noch, treibt man nicht
Arg allein auf seiner Schutzzonenscholle
Dem Zerschmelzen von Welt
Welten entgegen –
Ich werde diesen Tag erinnern
Nicht, weil er nicht auch dazu gehörte, zu all dem
Oder weil er alles veränderte, nur
Weil er kurz innehielt, nachdachte, trauerte
Tage haben per se ein Kurzzeitgedächtnis
Ich werde diesen Tag erinnern
Weil er das Unverhoffte zu Tage förderte
Im medialen Sog eingeflößter Ohnmacht
Dass Menschen sich mitunter ermächtigen
Sichtbar zu sein, sich zu erinnern
Wie sehr sie einander brauchen und
Was uns Israel angeht
Nein, nicht alles ist relativ
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose
Trauer ist Trauer
Und Leid ist Leid ist Leid
Ich werde diesen Tag erinnern
Weil er Hatikvah, weil er Hoffnung war
Dort auf dem Jakobsplatz, im Herzen
Dieser Stadt
Hatikvah (gesungen am Münchner St.-Jakobs-Platz, 12.10.23) © Peter Czoik