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Max Haushofer jr. über Georg von Vollmar

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Georg von Vollmar, Porträtfoto, ca. 1900

Georg von Vollmar (1850-1922) war von 1892 bis 1918 der erste Landesvorsitzende der bayerischen Sozialdemokraten und die gestaltende und schillernde Figur in den ersten Jahren der bayerischen SPD. Reizfigur für viele Parteimitglieder seiner Zeit, Vorbild für eine reformorientierte sozialdemokratische Politik der Gegenwart sowie hellsichtiger Kritiker von Umweltzerstörungen: Das Leben und Wirken des Georg von Vollmar, der einer katholisch-adligen Beamtenfamilie entstammte und am 30. Juni 2022 vor 100 Jahren starb, ist so facettenreich wie widersprüchlich. Heute am 30. Juni jährt sich erneut sein Todestag. Das Jahrbuch 2022 des Fördervereins Freunde der Monacensia e.V. (Allitera) enthält mehrere Beiträge zu dessen 100. Gedenktag. Einen davon drucken wir mit freundlicher Genehmigung hier ab. Von Christa Elferich.

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Der Autor des im Folgenden präsentierten Textes über Georg von Vollmar (Entstehungszeitraum vermutlich um 1906) ist Max Haushofer jr. (1840-1907), Professor für Nationalökonomie und Statistik an der TU München, Verfasser zahlreicher Lyrik- und Prosawerke sowie Politiker und ehemaliger nationalliberaler Landtagsabgeordneter. Ein Jahr nach Haushofers Tod erscheint in den Münchner Neuesten Nachrichten ein Artikel des Berliner Schriftstellers, Redakteurs und frühen Haushofer-Biografen Ernst Garleb,[1] in dem es heißt: „In Haushofers Nachlaß findet sich außerdem ein hochinteressantes Memoirenwerk ,50 Jahre Münchener Geistesleben‘, dessen Veröffentlichung jedoch aus bestimmten Gründen nach den testamentarischen Bestimmungen Haushofers jetzt noch nicht erscheinen soll.“[2]

Die möglichen Gründe der testamentarischen Verfügung werden den Lesenden bald deutlich: So wohlwollend, wie uns die Schilderung seines politischen Gegners Georg von Vollmar anmutet, geht Max Haushofer nicht mit jeder Person um, die uns in seinem unvollendeten, nur in Fragmenten überlieferten, handschriftlichen Manuskript begegnet. 

Geplant war von Haushofer eine an persönliche Begegnungen anknüpfende Münchner Geistesgeschichte, die die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und damit die Regentschaften Max II., Ludwig II. und des Prinzen Luitpold umfassen sollte. Neben Portraits bedeutender Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Politik waren auch Darstellungen der wichtigsten Münchner Institutionen sowie der Schauplätze des gesellschaftlichen Lebens in München vorgesehen.[3] Krankheit und Tod verhinderten die vollständige Ausführung.

Max Haushofer hatte ein überaus intensives gesellschaftliches Leben geführt. Von seinen Zeitgenossen wird er als konziliant, liebenswert, geistreich und „Gegensätze überbrückend“ geschildert.[4] Er hatte Zugang zu den Häusern der angesehensten und einflussreichsten Münchner und Münchenerinnen aus Wissenschaft, Kunst und Kultur und gehörte vielen verschiedenen Zirkeln und Vereinen an: Dem Dichterbund Das Krokodil und der Gilde der Zwanglosen, deren Geschäftsführer er von 1892 bis 1900 war. Die Münchner Literarische Gesellschaft konnte ebenfalls auf ihn zählen. Er war Mitbegründer der Alpenvereinssektion München und wir erfahren aus dem hier besprochenen Konvolut, dass er häufig am „Runden Tisch“ der Münchner Museumsgesellschaft Platz nahm und einem „Aktions-Comité zur Bekämpfung des Unfehlbarkeitsdogmas“ angehörte. Er beschreibt außerdem die Anfänge der Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau bzw. des Vereins für Fraueninteressen, dem er seit spätestens 1897 bis zu seinem Tod angehörte.

Auch die im Vollmar-Text erwähnte Gastgeberin Friederike von Belli di Pino und Julia Kjellberg, die Ehefrau Georg von Vollmars, waren dort Mitglied und überdies Nachbarn in Urfeld am Walchensee.

Politisch ist Max Haushofer eher dem rechten Flügel des liberalen Parteien- und Meinungsspektrums zuzurechnen. Nach seiner Abgeordnetenzeit (1875 bis 1881), in der er den Wahlkreis München I für die Vereinigten Liberalen im bayerischen Abgeordnetenhaus vertreten hatte, schloss er sich den Alldeutschen an und war lange Zeit Vorsitzender der Nationalliberalen Partei in München. Umso erstaunlicher ist die anerkennende Haltung Haushofers gegenüber dem „trefflichen“ Vollmar. Ein Beispiel dafür, dass es um die Jahrhundertwende in München noch nicht die tiefen Gräben zwischen den politischen Lagern gegeben hatte, die dann während des 1. Weltkrieges und der Revolutionszeit gezogen wurden und fortan das politische Leben vergifteten.

Übrigens, Emma Haushofer-Merk, die Witwe Haushofers, hielt sich nicht an das von Garleb behauptete Veröffentlichungsverbot. Sie hatte am 23. Mai 1907 in der Allgemeinen Zeitung Auszüge aus 50 Jahre Münchener Geistesleben veröffentlicht.[5] Auch die anderen Manuskriptteile überließ sie Dr. Oskar Bulle, dem Redakteur des Blattes, zur Ansicht, der sie aber am 15. Juni 1907 mit folgenden Worten zurücksandte: „Ich muß Ihnen leider zustimmen: Die mir gütigst übergebenen Niederschriften Haushofers sind doch zu bruchstückhaft, als daß sie sich zu einer halbwegs abgerundeten Veröffentlichung zusammenfügen ließen. Ich gebe Ihnen deshalb die Manuskripte anbei mit bestem Dank zurück […].“ [6]

Links: Emma Haushofer-Merk (Foto: Ingvild Richardsen/Haushofer-Archiv). Rechts: Julia Kjellberg, ca. 1890.

Aus welchen Gründen auch immer: Ein Buch mit dem Titel 50 Jahre Münchener Geistesleben ist bis heute unveröffentlicht geblieben. Dabei sind die Aufzeichnungen für alle, die sich für das Thema „München um die Jahrhundertwende“ interessieren, von großem Interesse und geben Aufschluss zu unterschiedlichen Fragestellungen. Max Haushofers Enkel Heinz Haushofer hat die handgeschriebenen Original-Manuskriptteile dankenswerterweise an das Stadtarchiv München übergeben, dort sind sie einsehbar.[7]

Transkription von Max Haushofer: 50 Jahre Münchener Geistesleben (unvollendetes Manuskript), ca. 1906/07, nicht paginiert, Stadtarchiv München Familien Nr. 203:

Den Führer der bayerischen Sozialdemokraten, v. Vollmar, den ich schon 1873 zu Frauenchiemsee kennen gelernt hatte, traf ich erst in den neunziger Jahren wieder im Salon der Frau v. Belli, nachdem er ein berühmter Parlamentarier geworden war. Er hatte mittlerweile auch geheiratet, eine feine und geistvolle Dame aus Schweden, war Besitzer der prachtvoll gelegenen Villa Soyensaß am Walchensee und durch die Kunst des bekannten Gögginger Orthopäden Hessing so weit gesundet, daß er seine mächtige Gestalt ohne Krücken fortbewegen konnte. Sicherlich ein höchst interessanter Mann, dessen Persönlichkeit allein für die bayerische Sozialdemokratie von unberechenbarem Werthe ist. Ist er doch eine durchaus bodenständige Natur, aber dabei doch von scharfem Weltblick. Und er versteht es mit den städtischen Arbeitern eben so gut, wie mit den Bauern. Wenn ein sozialdemokratischer Agitator dem altbayerischen Landvolk das sozialdemokratische Programm mundgerecht machen kann, ist’s ohne Zweifel er. Dazu muß ihn schon die Meisterschaft befähigen, mit der er seinen oberbayerischen Dialekt handhabt. In weiten Kreisen des Liberalismus sichert ihm Sympathien jener Mut, mit dem er den Regierungskreisen, und, wo er es für gut findet, auch den Klerikalen gegenübertritt. Aber auch unter den bayerischen Centrumswählern sind sicherlich sehr viele, denen er im Grunde weit sympathischer ist, als die Pfarrer und Kooperatoren (?), deren politischen Weisungen sie zu folgen haben.

<Spätere Hinzufügung? In anderer Tinte und teilweise in anderer Schrift>

Ohne ein bischen Falschheit geht’s freilich in der Politik nicht. Und so macht auch der treffliche Vollmar ganz andre Sprüche, wenn er zu Bauern, als wenn er zu städtischen Arbeitern spricht. Das ist ein Gebot der Taktik. Den Bauern darf man mit dem Programmsatze von der Vergesellschaftung alles Grundeigentums nicht kommen. Man darf auch in Bauernversammlungen nichts gegen die klerikalen Herrschaftsgelüste sagen.

 

[1] Ernst Garleb: Ein deutscher Dichter an der Wende des Jahrhunderts. Leipzig 1897.
[2] Ernst Garleb: Aus Max Haushofers Nachlaß. In: Münchner Neueste Nachrichten. 61. Jg. Nr. 179. Morgenblatt vom 15.4.1908, S. 1.
[3] Stadtarchiv München DE-1992-FAM-0203: Max Haushofer, 50 Jahre Münchener Geistesleben.
[4] Max Haushofer †. In: Münchner Neueste Nachrichten. 60. Jg. Nr. 171. Morgenblatt vom 11.4.1907, S. 4.
[5] Stadtarchiv München DE-1992-FAM-0203: Aus einem unvollendeten Buche Max Haushofers. Mitgeteilt von Emma Haushofer-Merk. In: Allgemeine Zeitung. Vorabendblatt. Nr. 234 vom 23.5.1907, S. 2.
[6] Stadtarchiv München DE-1992-FAM-0203: Dr. Oskar Bulle an Emma Haushofer-Merk in einem Schreiben der Redaktion der Allgemeinen Zeitung (Wissenschaftliche Beilage), München, 15.6.1907.
[7] Stadtarchiv München DE-1992-FAM-0203: Max Haushofer, 50 Jahre Münchener Geistesleben.