Zu Gert Heidenreichs Langgedicht „Das Meer – Atlantischer Gesang“
Gert Heidenreichs Das Meer – Atlantischer Gesang ist ein Epos über die See und die berühmten Kreidefelsen der Côte d‘Albâtre in der Normandie. Seit 1976 ist die französische Küste zwischen Le Havre und Calais die zweite Heimat des Schriftstellers. Sie bestimmt seine Impressionen, Erzählungen und Reflexionen, die sich in diesem poetischen Werk zu einer eigenen lyrischen Form verbinden: eine große Ode auf das Meer und eine dichterische Reise zum Ursprung des Lebens. Johanna Mayer hat für das Literaturportal Bayern in Heidenreichs Atlantischen Gesang hineingelesen.
*
Ich kann mich bis heute daran erinnern, als ich zum ersten Mal das Meer sah: Die ewigen Weiten, der stürmische Wind, die tiefblaue, flimmernde Oberfläche des Wassers (ich war davon überzeugt, dass man darauf laufen könne!) – nie zuvor in meinem Leben hatte ich das Gefühl gehabt, mich Auge in Auge mit etwas so Erhabenem zu befinden, etwas, wofür mir die Worte fehlten. Doch auch wenn mir selbst die Worte bis heute fehlen: In Das Meer – Atlantischer Gesang beschreibt der im oberbayerischen Seefeld lebende Schriftsteller Gert Heidenreich etwas, was nur wenige Menschen schildern können: die tiefsten Tiefen des Ozeans – und des Menschen.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Schriftsteller das Meer als zentrales Thema seines Werkes wählt: Seit 1976 verbringt Heidenreich jedes Jahr mehrere Monate an der französischen Steilküste zwischen Etrétat und Dieppe, einer Gegend, die auch Künstler wie Claude Monet inspirierte. In XXVIII Kapiteln beschreibt Heidenreich Schönheit und Zauber des Meeres, führt Dialog mit den Bewohnern der See, schreibt Tagebuch über das wechselhafte Wesen des Ozeans. Er verknüpft Alt und Neu, reflektiert schonungslos Plastikverschmutzung und Artensterben, doch sinniert er zugleich über mystische Sagengestalten, zitiert Goethe und verleiht dem Meer selbst eine Stimme:
Ich bin das Meer. Ich habe keine Seele. Ich bin das Meer. Ich kenne Ewigkeit. Mit deinem Leben habe ich nichts zu tun. Ich bin das Meer und kann von dir nichts wissen. Ich habe keine Augen. Keinen Mund. Ich bin nicht, was du siehst. Und nimmst. Und nutzt. Ich bin das Meer. Du wirst mich nicht begreifen.
Das Werk ist nicht nur eine „Feier der See“. Es ist vielleicht Heidenreichs persönlichstes Buch, in das er spielerisch Autobiografisches einfließen lässt, Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart in geradezu poetischen Bezug setzt und zeigt: Auch die schwerste Welle kann keinen Felsen in der Brandung versetzen – und geht vorbei.
... Dass wir niemals begreifen, wie alles, was wir Bewegung nennen, beginnt? [...] Bevor ein Augenblick zur Sehnsucht wird und etwas in uns schon liebt, wir aber ahnungslos und unbewegt uns sicher fühlen, kühl bis ans Herz und souverän das Leben anders planen, als es wird; wo setzt das ein? Was weiß in uns, bevor wir von uns wissen? Wann spürt die Flut den Augenblick, der sie zur Ebbe drängt? ...
Das Meer – Atlantischer Gesang ist in der Tat ein „Ozean“: ein Ozean an Buchstaben und Wörtern, Gefühlen und Gedanken, mal fröhlich und sacht vor sich hinplätschernd, mal gewaltige, majestätische Wellen schlagend. Man muss nur tief genug hineintauchen, um die wahren Schätze und Geheimnisse, verborgen zwischen den Zeilen liegend, emporzufischen.
Gert Heidenreich: Das Meer – Atlantischer Gesang. Herausgegeben von Richard Pils, lektoriert von Axel Ruoff. Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2022, 124 S., ISBN 978-3-99126-145-2, € 18,00
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Gert Heidenreichs Das Meer – Atlantischer Gesang ist ein Epos über die See und die berühmten Kreidefelsen der Côte d‘Albâtre in der Normandie. Seit 1976 ist die französische Küste zwischen Le Havre und Calais die zweite Heimat des Schriftstellers. Sie bestimmt seine Impressionen, Erzählungen und Reflexionen, die sich in diesem poetischen Werk zu einer eigenen lyrischen Form verbinden: eine große Ode auf das Meer und eine dichterische Reise zum Ursprung des Lebens. Johanna Mayer hat für das Literaturportal Bayern in Heidenreichs Atlantischen Gesang hineingelesen.
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Ich kann mich bis heute daran erinnern, als ich zum ersten Mal das Meer sah: Die ewigen Weiten, der stürmische Wind, die tiefblaue, flimmernde Oberfläche des Wassers (ich war davon überzeugt, dass man darauf laufen könne!) – nie zuvor in meinem Leben hatte ich das Gefühl gehabt, mich Auge in Auge mit etwas so Erhabenem zu befinden, etwas, wofür mir die Worte fehlten. Doch auch wenn mir selbst die Worte bis heute fehlen: In Das Meer – Atlantischer Gesang beschreibt der im oberbayerischen Seefeld lebende Schriftsteller Gert Heidenreich etwas, was nur wenige Menschen schildern können: die tiefsten Tiefen des Ozeans – und des Menschen.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Schriftsteller das Meer als zentrales Thema seines Werkes wählt: Seit 1976 verbringt Heidenreich jedes Jahr mehrere Monate an der französischen Steilküste zwischen Etrétat und Dieppe, einer Gegend, die auch Künstler wie Claude Monet inspirierte. In XXVIII Kapiteln beschreibt Heidenreich Schönheit und Zauber des Meeres, führt Dialog mit den Bewohnern der See, schreibt Tagebuch über das wechselhafte Wesen des Ozeans. Er verknüpft Alt und Neu, reflektiert schonungslos Plastikverschmutzung und Artensterben, doch sinniert er zugleich über mystische Sagengestalten, zitiert Goethe und verleiht dem Meer selbst eine Stimme:
Ich bin das Meer. Ich habe keine Seele. Ich bin das Meer. Ich kenne Ewigkeit. Mit deinem Leben habe ich nichts zu tun. Ich bin das Meer und kann von dir nichts wissen. Ich habe keine Augen. Keinen Mund. Ich bin nicht, was du siehst. Und nimmst. Und nutzt. Ich bin das Meer. Du wirst mich nicht begreifen.
Das Werk ist nicht nur eine „Feier der See“. Es ist vielleicht Heidenreichs persönlichstes Buch, in das er spielerisch Autobiografisches einfließen lässt, Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart in geradezu poetischen Bezug setzt und zeigt: Auch die schwerste Welle kann keinen Felsen in der Brandung versetzen – und geht vorbei.
... Dass wir niemals begreifen, wie alles, was wir Bewegung nennen, beginnt? [...] Bevor ein Augenblick zur Sehnsucht wird und etwas in uns schon liebt, wir aber ahnungslos und unbewegt uns sicher fühlen, kühl bis ans Herz und souverän das Leben anders planen, als es wird; wo setzt das ein? Was weiß in uns, bevor wir von uns wissen? Wann spürt die Flut den Augenblick, der sie zur Ebbe drängt? ...
Das Meer – Atlantischer Gesang ist in der Tat ein „Ozean“: ein Ozean an Buchstaben und Wörtern, Gefühlen und Gedanken, mal fröhlich und sacht vor sich hinplätschernd, mal gewaltige, majestätische Wellen schlagend. Man muss nur tief genug hineintauchen, um die wahren Schätze und Geheimnisse, verborgen zwischen den Zeilen liegend, emporzufischen.
Gert Heidenreich: Das Meer – Atlantischer Gesang. Herausgegeben von Richard Pils, lektoriert von Axel Ruoff. Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2022, 124 S., ISBN 978-3-99126-145-2, € 18,00