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Ein Nachruf auf Max Dorner (1973-2023)

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© Christine Schneider

Maximilian Dorner war Autor, Dramaturg, Regisseur, Schauspieler, selbsternannter Vollzeitrebell und Inklusionsaktivist. Zuletzt arbeitete er an einem Buch über das deutsche Krankenpflegesystem. Nun ist er in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar 2023 im Alter von nur 49 Jahren verstorben. Ein Nachruf von Katrin Schuster.

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„Nichts war mehr an seinem Platz.“ So lautet der erste Satz des ersten Romans von Maximilian Dorner, sein Titel: Der erste Sommer. Und freilich hat dieses Buch eine ganz eigene Legende, um die man den Autor nicht bitten musste, wohl weil sich damit eine elegante Form anbot, auch seine eigene Legende zur Sprache zu bringen. Mitten im Schreiben von Der erste Sommer – so erzählte es Max auch mir, als wir uns 2007 oder 2008 kennenlernten –, habe er die Diagnose seiner Multiplen Sklerose erhalten. Die Frage „Warum läufst du denn am Stock?“, die Max in diesen Jahren tausendmal beantworten musste, hat er mir (und vermutlich vielen anderen) mit dieser Geschichte erspart.

Gestern habe ich seine handschriftliche Widmung in meinem Exemplar von Der erste Sommer wiederentdeckt: „Für Katrin / Die Schönste! / max / Vive l'amour!“ Da sich Max irgendwann selbst darauf verpflichtet hatte, sich nur mit schönen Menschen zu umgeben – das Äußere dabei nur eine Kategorie unter vielen –, darf man getrost davon ausgehen, dass ich nicht die einzige „Schönste“ war. Gentleman und Charmeur – das waren zweifellos zwei seiner Lieblingsrollen; die Verquickung von Kunst und Leben eins seiner großen Talente, auch und gerade im Angesicht dieser gnadenlosen Krankheit.

Er erfand sich einen Dämon (Mein Dämon ist ein Stubenhocker), einen Schutzengel (Mein Schutzengel ist ein Anfänger) und einen Begleiter namens Serafino, erkundete als lame duck die Stadt aller Städte (Lahme Ente in New York) und als anthropologischer Missionar den Freistaat Bayern (Da machst was mit!), porträtierte sich als Schämender (Ich schäme mich. Ein Selbstversuch) und als Einsamer (Einsam, na und?). In seinem jüngsten Buch Steht auf, auch wenn ihr nicht könnt! Behinderung ist Rebellion stellte sich Max Dorner schließlich in dutzenden Rollen vor, unter anderem als Vollzeitautonomer, Hindernisprofi, Meisterimprovisierer, Entschleuniger, Hockenbleiber, Luxusprinzessin und Querkopf. „Ich bin ein Gesamtkunstwerk im öffentlichen Raum.“

Dass einer so spricht und schreibt, der jeden Tag und an fast jedem Ort an der Ausübung eines ganz normalen Alltags gehindert wird, konnte nur schwer verstehen, wer einmal länger mit ihm unterwegs war. Aber nein, er hat die Stadtwerke München nicht getrollt (ok, ein bisschen schon – aber „Islands of Silence“ war halt wieder ein echt großartiges Projekt von ihm!) ob der andauernden Aufzug-Ausfälle, er hat das Stadtplanungs- oder das Baureferat nicht mit Bombendrohungen überzogen ob der oft genug wirklich irrsinnigen Nicht-Barrierefreiheiten, und er hat auch dem zehnten SUV, der den Bürgersteig just an der abgesenkten Stelle zuparkte, nicht den Lack zerkratzt. Er hat wie immer das Gegenteil gemacht: Er fing im Münchner Kulturreferat an, verantwortete dort das Thema „Kunst und Inklusion“ und kandidierte bei der Stadtratswahl 2020 für die GRÜNEN. Letzteres erfolglos, was ihn ehrlich getroffen hat. Ersteres dagegen öffnete für sehr viele Menschen viele neue Räume und viele neue Perspektiven. Durch ihn wurden abstrakte Worte wie Teilhabe und Inklusion konkret, auch weil er sich zunehmend (oder eben: notgedrungen) als Aktivist begriff und handelte.

In der Nacht auf den 18. Februar 2023 ist Maximilian Dorner gestorben. Nun ist nichts mehr an seinem Platz. Unvollendet bleibt auch sein zehntes Buch, das womöglich Pflegehinweise hätte heißen sollen. Dass sein eigener Körper ihm nicht mehr aufs Wort gehorchte, dagegen konnte er nichts ausrichten; nicht abfinden wollte er sich allerdings mit der Angst, die von der Unzuverlässigkeit der anderen, von Pflegediensten und Behörden, geschürt wurde. Lernen konnte man von ihm nämlich auch, was Reichweite für einen Menschen bedeutet, der im Rollstuhl sitzt – im positiven wie im negativen, ja, eigentlich in jedem Sinne.

In der Süddeutschen Zeitung schrieb Alex Rühle, die Meldung von Max Dorners Tod treffe „viele in der Stadt, als seien sie in vollem Lauf gegen einen Betonpfosten gelaufen“. Wie viele diese vielen tatsächlich sind, die nun vor den Kopf gestoßen durch die Welt laufen, wird mir erst langsam klar. Bekannte, die ich ewig nicht gehört habe, rufen an und erzählen, was alles sie Max zu verdanken haben; Kolleg*innen und lose Kontakte sind schwer erschüttert; die WhatsApp-Gruppe, die sich zur Trauer zusammengefunden hat, wächst täglich und füllt sich mit Nachrichten tiefer Betroffenheit und großem Dank. All diese verschiedenen Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen haben nur eines gemeinsam: dass sie Max kannten, einen Menschen mit einem so großen, offenen, vollen und wilden Herzen, wie es wohl nur wenige haben. Vive l'amour! Der Schönste, er hat das letzte Wort: „Ich bin eine autonome Diva – davon habe ich immer geträumt.“