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07.11.2022, 19:16 Uhr
Anna Teufel
Text & Debatte

Zwischen Brettern und Blättern – von der Poetry-Slammerin zur Romanautorin

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© Katharina Teufel

Im aviso-Magazin (2022/1) des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst werden einige der im Stipendienprogramm „Junge Kunst und neue Wege“ geförderten Künstlerinnen und Künstler vorgestellt oder präsentieren sich selbst mit ihren Vorhaben. Eine von ihnen ist Anna Teufel. Sie ist studierte Strahlenschutzingenieurin, Slam-Poetin und Autorin. Seit 2016 steht sie erfolgreich auf Poetry-Slam-Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum. Im März 2020 erschien ihre Textsammlung Schimmer beim Ubooks-Verlag, im selben Jahr gewann sie die fränkischen Meisterschaften im Poetry Slam und den 2. Preis des Schwäbischen Literaturpreises. 2021 wurde sie in die Bayerische Akademie des Schreibens aufgenommen. Derzeit arbeitet sie an ihrem ersten Romanprojekt mit dem Arbeitstitel Symptome, das auch durch das Stipendienprogramm „Junge Kunst und neue Wege“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst gefördert wird, und studiert Skandinavistik und Buchwissenschaft in Nürnberg.

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Poetry-Slam-Texte schreibe ich meist, wenn ich unterwegs bin. Im Zug, im Café, im Hotelzimmer; dann, wenn ich einen kleinen Moment safe space habe. Wenn ich auf Tour bin, muss ich gut haushalten mit meinen Ressourcen. Es ist anstrengend, neun Tage lang unterwegs zu sein, jeden Abend in einer anderen Stadt aufzutreten, nach dem Slam lange beieinander zu sitzen, sich beim Aufwachen zu fragen, in welchem Bundesland man grade ist, pünktlich um 9 beim Hotelfrühstück zu erscheinen, um 10 auszuchecken und weiterzufahren. Und dann bin ich wieder in der Location und habe keine Ahnung, ob das, was ich jetzt gleich vorlese, dem Publikum gefallen wird oder nicht.

Aber man erfährt es recht schnell. Schon während des Lesens kommen Rückmeldungen. Schweigen sie pikiert oder berührt? Zünden die Gags oder schmunzeln sie nur? Ist das Heuschnupfen oder schnieft die Person, weil sie weinen muss? Erst wenn der Text beendet wird, erfährt man den Wert, den das Publikum dem Text heute Abend via Applauslautstärke oder Punktetafeln zuspricht. Dieser Wert schwankt von Abend zu Abend. Ein Slam-Kollege sagte mir vor Jahren einmal, ein Text sei erst dann gut, wenn er einen Slam haushoch gewonnen hat und auf einem anderen Slam komplett in der Luft verpufft ist. Und man weiß vorher nie so genau, was passiert. Das ist Poetry Slam: Das Ungewisse, das Unplanbare, das Unvorhersehbare.

Wenn ich am Roman arbeite, dann meist an einem Ort, an dem ich mich wohlfühle. Mein Küchentisch mit Kissen und Teetasse, im Lieblingscafé, im Wohnzimmer einer Freundin. Es muss ein Ort sein, an dem ich mich verwirrt am Kopf kratzen oder ungeniert Fluchen kann. Ein Ort, der es mir nachsieht, wenn ich mich fünf Stunden lang beinahe pausenlos hinter Laptop und Kopfhörern verkrieche. Ein Ort, der es mir erlaubt, nicht auf die Uhr zu schauen.

Das literarische Schreiben zwingt mich zur Ruhe. Poetry Slam hält mich auf Trab. Die Arbeit am Roman passiert versteckt und zurückgezogen. Durch Poetry Slam stelle ich mich ins Rampenlicht. Im literarischen Projekt arbeite ich viel an meiner Sprache, feile an einzelnen Formulierungen, hole weiter aus und habe die Möglichkeit, eine Figur langsam aufzubauen und gemächlich in eine bestimmte Richtung zu lenken. Poetry Slam stellt mich konstant vor Entscheidungen: Welchen Ausschnitt der Welt wähle ich für meine fünf Minuten Bühnenzeit? Wie kann ich schnellstmöglich Inhalte und Emotionen übermitteln?

Poetry Slam serviert Literatur häppchenweise. Man hat als Zuhörende nur ein winziges Zeitfenster zur Verfügung, um abzutauchen und den Text richtig zu genießen, dann ist er schon wieder vorbei. Dafür bekommt man ein Gesamtpaket aus Text, Performance und Bühnenperson, und außerdem ein soziales Happening in einer bunten Location mit unterschiedlichen Menschen mit blauen Haaren, großen Brillen und Bananenchips einerseits und glatzköpfigen smart casuals andererseits. Einen Roman zu lesen bedeutet, sich diesen ein Stückweit zu erarbeiten. Man zieht sich zurück und ist dazu gezwungen, sich und die Ruhe zu finden. Und dann liest man.

Ich will keine einzige Bühnenerfahrung missen. Keinen Auftritt vor 1000 oder 10 Menschen. Keinen Sieg. Keine niedrige Wertung. Keine Diskussion am Bühnenrand, keine Umarmung eines berührten Gastes, kein „kann ich ein Autogramm haben“ inklusive der darauffolgenden Überforderung, keine übermüdete Zugstunde. Aber wenn mir der Lockdown eines gezeigt hat, dann, dass es wichtig ist, zur Ruhe zu kommen. Ich finde sie in Kissen und Teetasse. Im Feilen an Formulierungen. Im gemächlichen Aufbau der Figuren, im Am-Kopf-Kratzen, im Fluchen, im Planen und Lenken.

Literatur ist nicht kurzlebig. Sie bleibt.

Und das ist es, was ich möchte.