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27.10.2022, 07:42 Uhr
Kunstministerium
Text & Debatte
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© Julia Eisele

Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern 2022 an Dr. Dana von Suffrin

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Dr. Dana von Suffrin mit Kunstminister Markus Blume. © Wolfgang Maria Weber/StMWK

Lyrik, Comics und Romane: Am 28. September 2022 wurden in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 22 Schriftstellerinnen und Schriftsteller von Kunstminister Markus Blume mit den Förder- und Arbeitsstipendien des Freistaates Bayern ausgezeichnet. Unter den geförderten Publikationsvorhaben finden sich Lyrik-, Erzähl- und Comicbände ebenso wie die Geschichte einer potenziellen Amour fou sowie eine im 19. Jahrhundert angesiedelte gesellschaftskritische „biofiction“. Das Literaturportal Bayern stellt in den kommenden 11 Wochen jeweils zwei der Preisträgerinnen und Preisträger mit einem Porträt, der Laudatio und einem Textauszug vor.

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Dr. Dana von Suffrin, geboren 1985 in München, ist freie Schriftstellerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin (LMU München, Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte). Nach ihrem Studium der Politikwissenschaften, Jüdischen Geschichte und Kultur und Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft in München, Neapel und Jerusalem, promovierte sie in der Wissenschaftsgeschichte und der Jüdischen Kultur und Geschichte. Ihr Romandebüt Otto (Kiepenheuer & Witsch, 2019) wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Bayerischen Kunstförderpreis und dem Ernst-Hoferichter-Preis der Stadt München. Für das Monacensia-Dossier Jüdische Schriftstellerinnen in München schrieb sie den Blogbeitrag „jüdische Kinder hatten wir noch nie“, in dem sie über ihr Leben als junge Jüdin in München erzählt. Seit Mai 2022 arbeitet sie in der ersten „Schreib-Residency“ der Monacensia.

Laudatio von Katharina Adler:

Mit ihrem zweiten Romanprojekt zeigt Dana von Suffrin, dass sie einen eigenen Erzählton gefunden hat, der bereits ihr Debüt Otto zu einer besonderen Lektüre machte. Wieder ist es ein Familienroman, der sich in der Vergangenheitsebene dem dysfunktionalen Alltag zweier Schwestern und ihrer Eltern in den 1980er-Jahren widmet. Rückschau hält Jahrzehnte später die jüngere Tochter Rosa Jeruscher, die sich in der Gegenwart des Romans plötzlich fragen muss, ob ihre ältere und viele Jahre zuvor verschwundene Schwester Nadja nicht doch wieder auftaucht. Dabei fängt Dana von Suffrin das Lebensgefühl beider Zeitebenen mit feinen Details und pointierten Beschreibungen ein. Der Humor, der dem Text innewohnt, changiert zwischen liebevollem Witz und grotesken Spitzen, die oft ganz unvorhergesehen ins Tragische kippen. Denn diese Familie plagen nicht allein die üblichen Malaisen des Zusammenseins. Darüber schwebt die Frage, was es bedeutet, wenn ein jüdischer Israeli eine Deutsche heiratet und mit ihr eine Familie gründet. So ist diesem Text, bei aller Leichtigkeit und vielen sprachlichen Überraschungen, ein großes, ein wichtiges Thema eingeschrieben: das Verhältnis von Deutschen und Juden – über Generationen hinweg bis heute.

© Wolfgang Maria Weber/StMWK

Auszug aus Nochmal von vorne (Romanvorhaben)

Ich wohne nicht mehr in Moosach, jetzt wohne ich in einer Zweizimmerwohnung in der Maxvorstadt. Ich blicke auf den Innenhof, der auf eine zurückhaltende Weise geschmackvoll gestaltet ist: Irgendjemand hat ein paar Wildblumen in die alten Terrakottatöpfe gepflanzt, rosafarbene Malven. Zwischen den Pflastersteinen wachsen weiße Akaleien, und weil in diesen Gebäuden eine eher wohlhabende, gebildete Klasse lebt, Lehrerinnen und Agenturenleute und irgendwelche Designer, lässt man das Unkraut stehen, weil es Bienen anziehen soll. Überraschenderweise hat sich noch nie ein Nachbar über Malek-Adel beschwert, der manchmal zwischen den Terrakottakübeln in der Sonne döst. Es gibt auch eine kleine Wiese aus kümmerlichen Halmen, etwas vertrocknetes Moos. Im Juli zeigen sich wenige betrübte Gänseblümchen, die ihre weiße Farbe nicht lange tragen. Malek-Adel hat die Angewohnheit, sich manchmal auf der Wiese zu wälzen, ihm gefällt sie so. Danach sind die Gänseblümchen nicht mehr zu sehen, sie sind in den braunen Schlamm gedrückt und erholen sich nicht mehr, ihre hübschen Köpfchen werden zu Erde.

Bei den Terrakottakübeln findet man noch manche Überreste früherer und jetziger Bewohner, ein paar seltsame Frauenköpfe aus Stein oder Marmor, so genau weiß ich das nicht, vier oder fünf sicher sehr wertvolle halbverrottete alte Thonet-Stühle, manchmal Espressogeschirr und auch Bücher, deutsche Literatur. In den Büchern blättere ich manchmal, ohne Vergnügen, meistens geht es um irgendwelche Großeltern im Sudetenland oder so. Ich weiß nicht, wer hier immer seine Bücher liegen lässt, ich weiß auch nicht, wer sich um die Blumen kümmert. Am Anfang hatte ich sogar Alex im Verdacht, schließlich fetischisiert er die domestizierte Natur und gerät ins Schwärmen, wenn er irgendwo eine alte Apfelsorte sieht oder irgendwelche purpurfarbenen Karotten. Ich habe ihn gefragt, weder die Pflanzen noch die Bücher sind von ihm. Alex hat mich erst entgeistert angeschaut, dann ist er in lautes Lachen ausgebrochen. Er hat gesagt: Wieso sollte ich Memoires über das Sudetenland lesen? Rosa, darf ich dich daran erinnern, dass mein Großvater wenigstens ein richtiger Nazi war, nicht so ein komischer volksdeutscher Mitläufer? Ich hatte natürlich nichts davon vergessen, schließlich hat mir Alex sogar einmal eine Fotografie geschenkt, darauf war ein schöner Mann, fast so schön wie Alex selbst, und ein bisschen jünger, ein schwarzes Pferd, irgendwo in Ruthenien.