Über Henriette Kuhrts und Sarah Paulsens „Im Dschungel des menschlichen Miteinanders“
Henriette Kuhrt (*1977 in Hamburg) ist freie Journalistin, Dozentin und Autorin und lebt in München. Zusammen mit ihrer Schulfreundin, der Start-Up-Managerin Sarah Paulsen, hat sie letztes Jahr das Sachbuch 
Im Dschungel des menschlichen Miteinanders – ein Knigge für das 21. Jahrhundert (Goldmann) veröffentlicht. Rassismus, Sexismus, Sprache, Mode, Ernährung und Kindererziehung werden hier auf der Ebene der Höflichkeit miteinander verhandelt. 2022 soll eine Übersetzung im koreanischen Feelmbook Verlag erscheinen. Johanna Joppa hat in das Buch für uns hineingelesen.
*
In der gegenwärtigen Zeit des Umbruchs und der Veränderung beschäftigen sich Henriette Kuhrt und Sarah Paulsen in ihrem Ratgeber gezielt mit kontroversen Alltagsfragen und bieten Lösungsansätze für einen respektvolleren sozialen Umgang. Ihr Appell lautet dabei: „Bringen Sie etwas Gutes in den Alltag anderer.“
Dass unsere Gesellschaft dem Wandel der Zeit unterliegt, sollte gegenwertig niemanden mehr überraschen. Innovation, Wissenschaft und gesellschaftliche Konventionen stürmen immer schneller voran, ein Ende der Entwicklung ist in naher Zukunft nicht absehbar. Und das ist auch nicht immer schlecht: Veränderung kann Fortschritt bedeuten; in der Forschung, der Wirtschaft und eben auch im sozialen Miteinander. Leider kommt nicht immer jeder mit, wenn es darum geht, das ‚Was‘ und ‚Wie‘ gesellschaftskonform zu beantworten. Und das kann nicht nur peinlich für einen selbst, sondern auch schnell diskriminierend anderen gegenüber werden. Um ein „Verständnis für Mensch und Zeitgeschehen“ bitten hierbei die Autorinnen in ihrem Buch Im Dschungel des menschlichen Miteinanders. Darin beschäftigen sie sich offen und ehrlich mit „Hose, Pullover und flachen Schuhen“ im Büro, dem A bis Z „beim ersten Date“, aber eben auch mit der Frage, warum es beim Kampf für Gleichberechtigung und Integrität wichtig ist, die „zehn Gebote des rücksichtsvolleren Miteinanders“ zu kennen.
Für Sarah Paulsen ist es das erste Sachbuch. Henriette Kuhrt, langjährige Autorin und Kolumnistin bei der NZZ am Sonntag, ergänzt ihr literarisches Repertoire im Bereich Ratgeber um ein weiteres Werk.
Bunt ist das Cover des Knigge für das 21. Jahrhundert, entworfen von der südafrikanischen Illustratorin Tara Deacon, und zeigt schon auf den ersten Blick, dass wir es mit dem Aufeinandertreffen von Menschen zu tun bekommen. Fast schon unbeschwert wirkt die dargestellte Barszene und verbirgt dabei, dass sich die Autorinnen durchaus mit gesellschaftlichen ‚Tabu-Themen‘ beschäftigen. Offen, ehrlich und an den richtigen Stellen mit Humor arbeiten sie sich durch einen Wald aus Fragen und liefern dabei teils einfache, teils tiefer reichende Antworten, die zum Nachdenken anregen.
Wer an dieser Stelle ein reines Sachbuch auf wissenschaftlicher Ebene erwartet, liegt falsch. Auch ist es schwierig bei der Menge an angesprochenen Themen behaupten zu wollen, man sei Experte für Corona, soziale Medien und Co. und biete somit eine finale Lösung für ein reibungsloses Miteinander. Aber das scheint auch nicht die Absicht dieses Buchs zu sein: Das Autorenduo schreibt aus „Erfahrungen, Erlebnissen und Recherchen“ heraus, gibt den Kapiteln so eine Lebensnähe und den gewünschten Alltagsbezug, der sie so menschlich macht. Ihre Blicke sind kritisch, widmen sich der überteuerten Mode-Industrie, „einem Menschenbild, das seit Jahrhunderten auf der Überlegenheit der weißen Menschen aufbaut“, und auch – ganz aktuell – dem Umgang mit Corona. Nichtsdestotrotz gestehen sie ihrer Leserschaft zu, sich eine eigene Meinung zu bilden: Wo es sich anbietet, geben sie Pro und Contra und zeigen zum Beispiel in „Draußen“ nicht nur einseitig die Probleme des Autofahrens auf, sondern eben auch dessen praktikable Seite. Und kreativ sind die beiden Autorinnen durchaus in der Art und Weise, wie sie ihre Lösungen präsentieren: Es gibt „ein ABC der souveränen Annäherung“, ein Höflichkeits-Manual für das rechte Verhalten im Bett, aber eben auch den Versuch mit den psychischen Belastungen der Corona-Krise fertig zu werden. Der schwedische Psychoanalytiker Johan Cullberg liefert hierfür im Kapitel „In der Krise“ die wissenschaftliche Basis für Kuhrts und Paulsens Ansätze.
Zugegeben, manche Probleme lassen sich mit dem gesunden Menschenverstand beantworten, beispielsweise, dass bei „T wie Themen“ der*die kürzlich Verflossene beim ersten Date eher unglücklich gewählt ist. Bei anderen Kapiteln wie „Im Netz“ hingegen ist ein kleines Wachrütteln nicht verkehrt, wenn man sich in der Rubrik ‚Schattenseiten‘ mit Tinder, Facebook und Konsorten befasst. Wieder einmal wird einem vor Augen geführt, dass „Facebook eben nicht die harmlose Freundschaftsmaschine“ ist. Über all den Fragen und Antworten stellen die Autorinnen aber den Grundsatz auf, dass man das Leben nicht immer zu ernst oder zu persönlich nehmen sollte. Nicht in jedem Kommentar versteckt sich ein unterschwelliger Seitenhieb. „Manchmal gibt es kein Richtig und kein Falsch“ heißt es weiter, und folglich muss das Vertrauen auf das eigene Bauchgefühl manchmal ausreichen. Das Autorenduo plädiert für Respekt und Offenheit und fordert zum Nachdenken auf, wodurch sich viele Konflikte vorab vermeiden ließen. In der breiten Auswahl an Themen und Fragen bieten sie ein Regelwerk mit Augenzwinkern, wobei sich Ernst und Humor die Waage halten.
Mit seiner überschaubaren Seitenzahl und gut strukturierten Kapitelunterteilungen gestaltet sich dieser Knigge als schneller und erfrischender Lesestoff. Es besteht kein Zwang, bei Seite 1 anzufangen und geradeaus der Kapitelanordnung zu folgen. Nichts spricht dagegen, einfach in der Mitte aufzuschlagen und „Beim Kleiderkauf – der Teufel trägt Smart Casual“ zu lesen, bevor man sich tiefergreifenden Themen wie „Unter dem Regenbogen – wie wir über Rassismus, Sexismus und Geschlechter reden“ zuwendet.
Erhältlich ist das Buch sowohl in gebundener Form als auch im praktischen eReader-Format. Für Liebhaber schöner Bücher ist aber das Hardcover mit dem farbenfrohen Umschlag zu empfehlen.
Henriette Kuhrt; Sarah Paulsen: Im Dschungel des menschlichen Miteinanders. Ein Knigge für das 21. Jahrhundert. Wilhelm Goldmann Verlag, München 2021, 256 S., ISBN: 978-3-442-31554-3, 18 €
Über Henriette Kuhrts und Sarah Paulsens „Im Dschungel des menschlichen Miteinanders“
Henriette Kuhrt (*1977 in Hamburg) ist freie Journalistin, Dozentin und Autorin und lebt in München. Zusammen mit ihrer Schulfreundin, der Start-Up-Managerin Sarah Paulsen, hat sie letztes Jahr das Sachbuch Im Dschungel des menschlichen Miteinanders – ein Knigge für das 21. Jahrhundert (Goldmann) veröffentlicht. Rassismus, Sexismus, Sprache, Mode, Ernährung und Kindererziehung werden hier auf der Ebene der Höflichkeit miteinander verhandelt. 2022 soll eine Übersetzung im koreanischen Feelmbook Verlag erscheinen. Johanna Joppa hat in das Buch für uns hineingelesen.
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In der gegenwärtigen Zeit des Umbruchs und der Veränderung beschäftigen sich Henriette Kuhrt und Sarah Paulsen in ihrem Ratgeber gezielt mit kontroversen Alltagsfragen und bieten Lösungsansätze für einen respektvolleren sozialen Umgang. Ihr Appell lautet dabei: „Bringen Sie etwas Gutes in den Alltag anderer.“
Dass unsere Gesellschaft dem Wandel der Zeit unterliegt, sollte gegenwertig niemanden mehr überraschen. Innovation, Wissenschaft und gesellschaftliche Konventionen stürmen immer schneller voran, ein Ende der Entwicklung ist in naher Zukunft nicht absehbar. Und das ist auch nicht immer schlecht: Veränderung kann Fortschritt bedeuten; in der Forschung, der Wirtschaft und eben auch im sozialen Miteinander. Leider kommt nicht immer jeder mit, wenn es darum geht, das ‚Was‘ und ‚Wie‘ gesellschaftskonform zu beantworten. Und das kann nicht nur peinlich für einen selbst, sondern auch schnell diskriminierend anderen gegenüber werden. Um ein „Verständnis für Mensch und Zeitgeschehen“ bitten hierbei die Autorinnen in ihrem Buch Im Dschungel des menschlichen Miteinanders. Darin beschäftigen sie sich offen und ehrlich mit „Hose, Pullover und flachen Schuhen“ im Büro, dem A bis Z „beim ersten Date“, aber eben auch mit der Frage, warum es beim Kampf für Gleichberechtigung und Integrität wichtig ist, die „zehn Gebote des rücksichtsvolleren Miteinanders“ zu kennen.
Für Sarah Paulsen ist es das erste Sachbuch. Henriette Kuhrt, langjährige Autorin und Kolumnistin bei der NZZ am Sonntag, ergänzt ihr literarisches Repertoire im Bereich Ratgeber um ein weiteres Werk.
Bunt ist das Cover des Knigge für das 21. Jahrhundert, entworfen von der südafrikanischen Illustratorin Tara Deacon, und zeigt schon auf den ersten Blick, dass wir es mit dem Aufeinandertreffen von Menschen zu tun bekommen. Fast schon unbeschwert wirkt die dargestellte Barszene und verbirgt dabei, dass sich die Autorinnen durchaus mit gesellschaftlichen ‚Tabu-Themen‘ beschäftigen. Offen, ehrlich und an den richtigen Stellen mit Humor arbeiten sie sich durch einen Wald aus Fragen und liefern dabei teils einfache, teils tiefer reichende Antworten, die zum Nachdenken anregen.
Wer an dieser Stelle ein reines Sachbuch auf wissenschaftlicher Ebene erwartet, liegt falsch. Auch ist es schwierig bei der Menge an angesprochenen Themen behaupten zu wollen, man sei Experte für Corona, soziale Medien und Co. und biete somit eine finale Lösung für ein reibungsloses Miteinander. Aber das scheint auch nicht die Absicht dieses Buchs zu sein: Das Autorenduo schreibt aus „Erfahrungen, Erlebnissen und Recherchen“ heraus, gibt den Kapiteln so eine Lebensnähe und den gewünschten Alltagsbezug, der sie so menschlich macht. Ihre Blicke sind kritisch, widmen sich der überteuerten Mode-Industrie, „einem Menschenbild, das seit Jahrhunderten auf der Überlegenheit der weißen Menschen aufbaut“, und auch – ganz aktuell – dem Umgang mit Corona. Nichtsdestotrotz gestehen sie ihrer Leserschaft zu, sich eine eigene Meinung zu bilden: Wo es sich anbietet, geben sie Pro und Contra und zeigen zum Beispiel in „Draußen“ nicht nur einseitig die Probleme des Autofahrens auf, sondern eben auch dessen praktikable Seite. Und kreativ sind die beiden Autorinnen durchaus in der Art und Weise, wie sie ihre Lösungen präsentieren: Es gibt „ein ABC der souveränen Annäherung“, ein Höflichkeits-Manual für das rechte Verhalten im Bett, aber eben auch den Versuch mit den psychischen Belastungen der Corona-Krise fertig zu werden. Der schwedische Psychoanalytiker Johan Cullberg liefert hierfür im Kapitel „In der Krise“ die wissenschaftliche Basis für Kuhrts und Paulsens Ansätze.
Zugegeben, manche Probleme lassen sich mit dem gesunden Menschenverstand beantworten, beispielsweise, dass bei „T wie Themen“ der*die kürzlich Verflossene beim ersten Date eher unglücklich gewählt ist. Bei anderen Kapiteln wie „Im Netz“ hingegen ist ein kleines Wachrütteln nicht verkehrt, wenn man sich in der Rubrik ‚Schattenseiten‘ mit Tinder, Facebook und Konsorten befasst. Wieder einmal wird einem vor Augen geführt, dass „Facebook eben nicht die harmlose Freundschaftsmaschine“ ist. Über all den Fragen und Antworten stellen die Autorinnen aber den Grundsatz auf, dass man das Leben nicht immer zu ernst oder zu persönlich nehmen sollte. Nicht in jedem Kommentar versteckt sich ein unterschwelliger Seitenhieb. „Manchmal gibt es kein Richtig und kein Falsch“ heißt es weiter, und folglich muss das Vertrauen auf das eigene Bauchgefühl manchmal ausreichen. Das Autorenduo plädiert für Respekt und Offenheit und fordert zum Nachdenken auf, wodurch sich viele Konflikte vorab vermeiden ließen. In der breiten Auswahl an Themen und Fragen bieten sie ein Regelwerk mit Augenzwinkern, wobei sich Ernst und Humor die Waage halten.
Mit seiner überschaubaren Seitenzahl und gut strukturierten Kapitelunterteilungen gestaltet sich dieser Knigge als schneller und erfrischender Lesestoff. Es besteht kein Zwang, bei Seite 1 anzufangen und geradeaus der Kapitelanordnung zu folgen. Nichts spricht dagegen, einfach in der Mitte aufzuschlagen und „Beim Kleiderkauf – der Teufel trägt Smart Casual“ zu lesen, bevor man sich tiefergreifenden Themen wie „Unter dem Regenbogen – wie wir über Rassismus, Sexismus und Geschlechter reden“ zuwendet.
Erhältlich ist das Buch sowohl in gebundener Form als auch im praktischen eReader-Format. Für Liebhaber schöner Bücher ist aber das Hardcover mit dem farbenfrohen Umschlag zu empfehlen.
Henriette Kuhrt; Sarah Paulsen: Im Dschungel des menschlichen Miteinanders. Ein Knigge für das 21. Jahrhundert. Wilhelm Goldmann Verlag, München 2021, 256 S., ISBN: 978-3-442-31554-3, 18 €