Namen im Literaturbetrieb (2). Von Nadire Yilmaz Biskin
Wir reden oft über Kategorien wie Geschlecht, Alter, Bildungshintergrund, die Strukturen und Aufstiegschancen im Literaturbetrieb prägen. Über eines reden wir so gut wie nie ‒ über Namen. Welche Erfahrungen machen Autor*innen mit nicht-eindeutigen, nicht-deutschen Namen tagtäglich bei Bewerbungen, Ankündigungen, Lesungen, welche Strategien entwickeln sie dagegen? In dem folgenden Projekt geben sechs Autor*innen einen Einblick in widersprüchliche, komische wie unerträgliche Alltagserlebnisse. Zweite Folge: ein Text von Nadire Yilmaz Biskin.
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Weißt du, wie ich hier genannt werde?
„Bist du Nadine/Nadir/Nadira?“, „Sind Sie Frau Bisky/Piski/Biskini?“ – Zwei Fragen, auf die ich mittlerweile mit „Nein.“ antworte. Meine Stimme geht dabei entschlossen nach unten. Ich pausiere für zwei Sekunden. Meistens blickt mein Gegenüber in der Zwischenzeit irritiert auf das Dokument in seiner Hand oder auf seinen Bildschirm, wo mein Name steht. Ich fahre fort: „Nadire. Nadire.“ „Biskin. Biskin“, sage ich. Ich wiederhole meinen Namen, um es meinem Gegenüber zu vereinfachen. Er soll genug Zeit haben, um die Aussprache zu lernen.
Dabei ist der Name bereits die vereinfachte, also die eingedeutschte Version. Ich spreche meinen Namen vermutlich seit der Vorklasse deutsch aus, so wie die Lehrer es damals taten. Mein Name ist mit den Jahren auf meinen Ausweisdokumenten, auf meinem Lebenslauf, auf jeder Kurzvita bereits die vereinfachte Version. Sie soll nicht nur meinem Gegenüber, aber auch mir das Leben vereinfachen. Ich hoffe damit die Frage nach meiner ethnischen Herkunft zu umgehen. Eine Frage, die häufig auf die Frage nach der Herkunft meines Namens folgt. Türkischer Herkunft zu sein, ist in Deutschland weder außergewöhnlich, noch wird es mit positiven Eigenschaften verbunden. Das hat Auswirkungen im Arbeitsleben, ebenso bei der Wohnungssuche und bei privaten Begegnungen.
Mein Gegenüber soll nicht verkrampft versuchen, den Namen perfekt auszusprechen. Mit der Aussprache und der damit verbundenen Scham kenne ich mich aus. Mein „ch“ ist eher ein „sch“, so behaupten zumindest manche, und das in Kombination mit der türkischen Herkunft ist ein Schenkelklopfer, für die anderen versteht sich. Ich möchte vermeiden, dass die Person sich schämt, weil sie von der Norm abweichend sich artikuliert. Was ich lediglich erwarte, ist, dass die Person meinen Namen genau liest. Und das in einer Gesellschaft, in der auf die Frage nach der richtigen Schreibweise mit „So wie man es spricht“ geantwortet wird. Früher, als ich jünger war und viel weniger Bildungs- oder Lebenslaufkapital hatte, forderte ich viel weniger. Ich verneinte nicht einmal den falsch ausgesprochenen oder gänzlich veränderten Namen, ich korrigierte mein Gegenüber nicht. Denn jede Korrektur meinerseits könnte nicht nur Scham hervorrufen, sondern auch als Kritik verstanden werden. Mit der Kritik an der Dominanzgesellschaft hatte ich schon das ein oder andere Mal meine Erfahrungen gemacht. Häufig fragte die jeweils gekränkte bis entrüstete Person mich – sehr einfallslos – wie es in der Türkei sei, ob man dort alle Namen richtig aussprechen würde.
Mittlerweile bitten mich Menschen, vor allem im beruflichen Kontext, ihnen vorzusprechen, wie der Name richtig ausgesprochen wird. Ich lächle dann verlegen. Es ist ungewohnt, dass man es mir recht machen möchte. Ich behaupte, es sei doch egal und der gute Wille allein reicht aus. Selbst wenn sie insistieren, ich spreche meinen Namen weiterhin eingedeutscht aus. Dadurch bekomme ich das Gefühl, dass es eine Distanz zwischen uns gibt. Eine Distanz, die konsequent ist und die Exklusion widerspiegelt, die ich und noch viel mehr und immer noch meine Familienmitglieder erfahren. Ich habe mir so einen Intimnamen kreiert. Mein eingedeutschter Name erzählt so die Geschichte von Scham und dem unbedingten Willen dazuzugehören und ist somit auch irgendwo oder eben nur in Deutschland mein richtiger Name. Aber wer weiß, vielleicht ist es so eine Phase und irgendwann werde ich meinen Namen türkisch schreiben, wieder genau so heißen wie meine Großmutter hieß. Ich werde vielleicht verlangen, den Namen auch türkisch auszusprechen und somit eine Annäherung zulassen, die Augenhöhe als Prämisse vorsieht.
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Wir reden oft über Kategorien wie Geschlecht, Alter, Bildungshintergrund, die Strukturen und Aufstiegschancen im Literaturbetrieb prägen. Über eines reden wir so gut wie nie ‒ über Namen. Welche Erfahrungen machen Autor*innen mit nicht-eindeutigen, nicht-deutschen Namen tagtäglich bei Bewerbungen, Ankündigungen, Lesungen, welche Strategien entwickeln sie dagegen? In dem folgenden Projekt geben sechs Autor*innen einen Einblick in widersprüchliche, komische wie unerträgliche Alltagserlebnisse. Zweite Folge: ein Text von Nadire Yilmaz Biskin.
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Weißt du, wie ich hier genannt werde?
„Bist du Nadine/Nadir/Nadira?“, „Sind Sie Frau Bisky/Piski/Biskini?“ – Zwei Fragen, auf die ich mittlerweile mit „Nein.“ antworte. Meine Stimme geht dabei entschlossen nach unten. Ich pausiere für zwei Sekunden. Meistens blickt mein Gegenüber in der Zwischenzeit irritiert auf das Dokument in seiner Hand oder auf seinen Bildschirm, wo mein Name steht. Ich fahre fort: „Nadire. Nadire.“ „Biskin. Biskin“, sage ich. Ich wiederhole meinen Namen, um es meinem Gegenüber zu vereinfachen. Er soll genug Zeit haben, um die Aussprache zu lernen.
Dabei ist der Name bereits die vereinfachte, also die eingedeutschte Version. Ich spreche meinen Namen vermutlich seit der Vorklasse deutsch aus, so wie die Lehrer es damals taten. Mein Name ist mit den Jahren auf meinen Ausweisdokumenten, auf meinem Lebenslauf, auf jeder Kurzvita bereits die vereinfachte Version. Sie soll nicht nur meinem Gegenüber, aber auch mir das Leben vereinfachen. Ich hoffe damit die Frage nach meiner ethnischen Herkunft zu umgehen. Eine Frage, die häufig auf die Frage nach der Herkunft meines Namens folgt. Türkischer Herkunft zu sein, ist in Deutschland weder außergewöhnlich, noch wird es mit positiven Eigenschaften verbunden. Das hat Auswirkungen im Arbeitsleben, ebenso bei der Wohnungssuche und bei privaten Begegnungen.
Mein Gegenüber soll nicht verkrampft versuchen, den Namen perfekt auszusprechen. Mit der Aussprache und der damit verbundenen Scham kenne ich mich aus. Mein „ch“ ist eher ein „sch“, so behaupten zumindest manche, und das in Kombination mit der türkischen Herkunft ist ein Schenkelklopfer, für die anderen versteht sich. Ich möchte vermeiden, dass die Person sich schämt, weil sie von der Norm abweichend sich artikuliert. Was ich lediglich erwarte, ist, dass die Person meinen Namen genau liest. Und das in einer Gesellschaft, in der auf die Frage nach der richtigen Schreibweise mit „So wie man es spricht“ geantwortet wird. Früher, als ich jünger war und viel weniger Bildungs- oder Lebenslaufkapital hatte, forderte ich viel weniger. Ich verneinte nicht einmal den falsch ausgesprochenen oder gänzlich veränderten Namen, ich korrigierte mein Gegenüber nicht. Denn jede Korrektur meinerseits könnte nicht nur Scham hervorrufen, sondern auch als Kritik verstanden werden. Mit der Kritik an der Dominanzgesellschaft hatte ich schon das ein oder andere Mal meine Erfahrungen gemacht. Häufig fragte die jeweils gekränkte bis entrüstete Person mich – sehr einfallslos – wie es in der Türkei sei, ob man dort alle Namen richtig aussprechen würde.
Mittlerweile bitten mich Menschen, vor allem im beruflichen Kontext, ihnen vorzusprechen, wie der Name richtig ausgesprochen wird. Ich lächle dann verlegen. Es ist ungewohnt, dass man es mir recht machen möchte. Ich behaupte, es sei doch egal und der gute Wille allein reicht aus. Selbst wenn sie insistieren, ich spreche meinen Namen weiterhin eingedeutscht aus. Dadurch bekomme ich das Gefühl, dass es eine Distanz zwischen uns gibt. Eine Distanz, die konsequent ist und die Exklusion widerspiegelt, die ich und noch viel mehr und immer noch meine Familienmitglieder erfahren. Ich habe mir so einen Intimnamen kreiert. Mein eingedeutschter Name erzählt so die Geschichte von Scham und dem unbedingten Willen dazuzugehören und ist somit auch irgendwo oder eben nur in Deutschland mein richtiger Name. Aber wer weiß, vielleicht ist es so eine Phase und irgendwann werde ich meinen Namen türkisch schreiben, wieder genau so heißen wie meine Großmutter hieß. Ich werde vielleicht verlangen, den Namen auch türkisch auszusprechen und somit eine Annäherung zulassen, die Augenhöhe als Prämisse vorsieht.
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