Zum 139. Geburtstag von Karl Valentin: Der Komiker bei der Filmdiva Helen von Münchhofen
Helen von Münchhofen (1904-1956) war eine dänisch-deutsche Filmschauspielerin. Sie wurde in Kopenhagen geboren und zog später nach Deutschland, wo sie eine Karriere beim Film begann. Sie spielte in Fritz Langs Metropolis (1927) mit und erhielt danach größere Rollen in Stummfilmen der späten 1920er-Jahre. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 kehrte sie schließlich nach Dänemark zurück, wo sie in Pál Fejös' Das goldene Lächeln (1935) auftrat.
Bei den Filmdreharbeiten zu Sturmflut in Geiselgasteig hatte Helen von Münchhofen während einer Fluchtszene mit einem Dreigespann einen schweren Unfall. Sie verklagte anschließend den Regisseur Willy Reiber und die „Münchner Lichtspielkunst AG“ auf Schadensersatz und gewann 1929 vor dem Reichsarbeitsgericht. Die folgenden Ausführungen schildern eine Begegnung, bei der der Komiker, Volkssänger, Autor und Filmproduzent Karl Valentin (1882-1948), der heute am 4. Juni seinen 139. Geburtstag feiern würde, der erkrankten Filmdiva einen Besuch abstattete. Harald Beck hat den im „süddeutsch-alpenländischen Tagblatt“ Freie Stimmen erschienenen Bericht für uns ausfindig gemacht und transkribiert.
*
Karl Valentin bei Helen von Münchhofen.
(Der berühmte Komiker bei dem kranken Filmstar.)
Ärzte und Komiker haben verwandte Berufe ...
Da Helen v. Münchhofens augenblickliche Gesellschaft hauptsächlich aus Ärzten (die ihr helfen wollen und hoffentlich können) besteht, wundert sich der Eintretende nicht, auch Karl Valentin am Bettrande bei Helen sitzen zu sehen.
Karl Valentin ist ja einer der größten Spezialisten fürs Gesundlachen (oder Kranklachen, was in diesem Fall aufs gleiche herauskommt), obgleich er selbst Melancholiker und Hypochonder en gros ist.
Das Hörrohr des Zimmertelephons am Ohr, über Helen gebeugt, sucht er hinter die Zahl ihrer Herzschläge zu kommen.
Mit seinem todernsten, spitzfindigen Spitzweggesichte, das so oft eine Gefahr für unser Zwerchfell wird, begrüßt er den Eintretenden.
Ein Veilchenbukett hat er der Kranken gebracht. Die Veilchen sehen zwar ein bißchen ramponiert aus, „aber hoffentlich werden sie wieder", sagt er.
„Ich?" fragt sie.
„Nein, die Veilchen!"
„Sicher," sagt sie, „wenn sie gebadet haben."
„Ich?" sagt er.
„Nein, die Veilchen!" lacht sie.
Es geht sehr schlagfertig und kompliziert zu. Mit geschmeidigem Witz pariert Helen Karl Valentins verwickelte Wortakrobatik.
Wie immer, wenn man in ihre unbeneidenswerte Sommerfrische kommt, die sie infolge ihres Unfalls (der bekanntlich bei den Aufnahmen des „Emelka"-Films „Sturmflut" erfolgte) seit fünf Wochen im Bette verbringt, vergißt man, bei einer Kranken zu sein.
In einer Ecke lehnen zwar sachlich und teilnahmslos die Krücken, mit denen sie täglich einmal einen Marsch von etwa fünfzig Meter den Hotelgang entlang wagen darf, aber man übersieht sie, man nimmt sie angesichts eines so sprühenden Lebenswillens nicht ernst. (Und doch stützt sich die ganze Hoffnung eines jungen, ausdrucksreichen, vitalen Körpers auf sie.)
Ein Photograph wird gemeldet. Er will Helen v. Münchhofen für ein illustriertes Blatt knipsen.
„Stellen S' aber scharf ein," ermuntert ihn Karl Valentin, „damit die Schmerzen auch aufs Bild kommen!"
Alle lachen. Ein Witz! Und doch bezeichnend für die Patientin und fast möchte man sagen, den Patienten Karl Valentin, der weiß, was es heißt, Komödie zu spielen, während man Schmerzen verbirgt.
Der Photograph braucht Platz (was übrigens das einzige ist, was Karl Valentin gern nimmt, denn Liköre und andere himbeerähnliche Zitronenwässer bekommen ihm nicht; er redet sich's wenigstens ein).
Die Gäste weichen dem Kameramann aus und treten ans Fenster, wo Karl Valentin eine wundervolle Aussicht auf die vorüberfahrende Straßenbahn feststellt.
Und dann entsteht zwischen ihm und Helen ein Duell von nicht wiederzugebenden Momentwitz und Lachraketen, so daß der Photograph sich veranlaßt sieht, „Bitte, nicht so freundlich!" zu sagen.
Und während die zwei spielen (denn was sich da an Witzen tut, ist längst eine Duoszene geworden), erinnert man sich der grotesken Filme, die Karl Valentin vor mindestens zehn, höchstens elf Jahren in München gedreht hat. Und bewundert die Vielfalt der Mimik und Bewegungen Helens, die ohne Zweifel ein lohnendes Objekt für Entdecker von Groteskdarstellerinnen wäre. (Man denkt daran, dah der deutsche Film noch immer nicht die fehlende Tragigroteske geschaffen hat und macht sich seine Gedanken darüber.)
Doch die Nachmittagsstunde ist aus. Der Doktor der Medizin erscheint und der Doktor der Komik verzieht sich mit den Gästen. — Folgt Abschied und Schluß! — Aber ein Trugschluß!
Denn, wenn Karl Valentin irgendwo war, dann hat er auch was vergessen. Nochmals klopft er an die Tiir und bittet um seinen Hut. Und erkundigt sich bei der Kranken: „Geht's Ihna jetzt besser?"
Und die strahlenden Augen von Helen bestätigen eine unumstößliche Behauptung Karl Valentins. Nämlich diese: Erholung ist doch das Beste für Genesung!
Transkription von Harald Beck
Friedmann, David (2018): Die Bavaria Film 1919 bis 1945. Eine Unternehmensgeschichte im Spannungsfeld kulturpolitischer und ökonomischer Einflüsse. Diss., LMU München: Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften. URN: urn:nbn:de:bvb:19-246280
Externe Links:Zum 139. Geburtstag von Karl Valentin: Der Komiker bei der Filmdiva Helen von Münchhofen>
Helen von Münchhofen (1904-1956) war eine dänisch-deutsche Filmschauspielerin. Sie wurde in Kopenhagen geboren und zog später nach Deutschland, wo sie eine Karriere beim Film begann. Sie spielte in Fritz Langs Metropolis (1927) mit und erhielt danach größere Rollen in Stummfilmen der späten 1920er-Jahre. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 kehrte sie schließlich nach Dänemark zurück, wo sie in Pál Fejös' Das goldene Lächeln (1935) auftrat.
Bei den Filmdreharbeiten zu Sturmflut in Geiselgasteig hatte Helen von Münchhofen während einer Fluchtszene mit einem Dreigespann einen schweren Unfall. Sie verklagte anschließend den Regisseur Willy Reiber und die „Münchner Lichtspielkunst AG“ auf Schadensersatz und gewann 1929 vor dem Reichsarbeitsgericht. Die folgenden Ausführungen schildern eine Begegnung, bei der der Komiker, Volkssänger, Autor und Filmproduzent Karl Valentin (1882-1948), der heute am 4. Juni seinen 139. Geburtstag feiern würde, der erkrankten Filmdiva einen Besuch abstattete. Harald Beck hat den im „süddeutsch-alpenländischen Tagblatt“ Freie Stimmen erschienenen Bericht für uns ausfindig gemacht und transkribiert.
*
Karl Valentin bei Helen von Münchhofen.
(Der berühmte Komiker bei dem kranken Filmstar.)
Ärzte und Komiker haben verwandte Berufe ...
Da Helen v. Münchhofens augenblickliche Gesellschaft hauptsächlich aus Ärzten (die ihr helfen wollen und hoffentlich können) besteht, wundert sich der Eintretende nicht, auch Karl Valentin am Bettrande bei Helen sitzen zu sehen.
Karl Valentin ist ja einer der größten Spezialisten fürs Gesundlachen (oder Kranklachen, was in diesem Fall aufs gleiche herauskommt), obgleich er selbst Melancholiker und Hypochonder en gros ist.
Das Hörrohr des Zimmertelephons am Ohr, über Helen gebeugt, sucht er hinter die Zahl ihrer Herzschläge zu kommen.
Mit seinem todernsten, spitzfindigen Spitzweggesichte, das so oft eine Gefahr für unser Zwerchfell wird, begrüßt er den Eintretenden.
Ein Veilchenbukett hat er der Kranken gebracht. Die Veilchen sehen zwar ein bißchen ramponiert aus, „aber hoffentlich werden sie wieder", sagt er.
„Ich?" fragt sie.
„Nein, die Veilchen!"
„Sicher," sagt sie, „wenn sie gebadet haben."
„Ich?" sagt er.
„Nein, die Veilchen!" lacht sie.
Es geht sehr schlagfertig und kompliziert zu. Mit geschmeidigem Witz pariert Helen Karl Valentins verwickelte Wortakrobatik.
Wie immer, wenn man in ihre unbeneidenswerte Sommerfrische kommt, die sie infolge ihres Unfalls (der bekanntlich bei den Aufnahmen des „Emelka"-Films „Sturmflut" erfolgte) seit fünf Wochen im Bette verbringt, vergißt man, bei einer Kranken zu sein.
In einer Ecke lehnen zwar sachlich und teilnahmslos die Krücken, mit denen sie täglich einmal einen Marsch von etwa fünfzig Meter den Hotelgang entlang wagen darf, aber man übersieht sie, man nimmt sie angesichts eines so sprühenden Lebenswillens nicht ernst. (Und doch stützt sich die ganze Hoffnung eines jungen, ausdrucksreichen, vitalen Körpers auf sie.)
Ein Photograph wird gemeldet. Er will Helen v. Münchhofen für ein illustriertes Blatt knipsen.
„Stellen S' aber scharf ein," ermuntert ihn Karl Valentin, „damit die Schmerzen auch aufs Bild kommen!"
Alle lachen. Ein Witz! Und doch bezeichnend für die Patientin und fast möchte man sagen, den Patienten Karl Valentin, der weiß, was es heißt, Komödie zu spielen, während man Schmerzen verbirgt.
Der Photograph braucht Platz (was übrigens das einzige ist, was Karl Valentin gern nimmt, denn Liköre und andere himbeerähnliche Zitronenwässer bekommen ihm nicht; er redet sich's wenigstens ein).
Die Gäste weichen dem Kameramann aus und treten ans Fenster, wo Karl Valentin eine wundervolle Aussicht auf die vorüberfahrende Straßenbahn feststellt.
Und dann entsteht zwischen ihm und Helen ein Duell von nicht wiederzugebenden Momentwitz und Lachraketen, so daß der Photograph sich veranlaßt sieht, „Bitte, nicht so freundlich!" zu sagen.
Und während die zwei spielen (denn was sich da an Witzen tut, ist längst eine Duoszene geworden), erinnert man sich der grotesken Filme, die Karl Valentin vor mindestens zehn, höchstens elf Jahren in München gedreht hat. Und bewundert die Vielfalt der Mimik und Bewegungen Helens, die ohne Zweifel ein lohnendes Objekt für Entdecker von Groteskdarstellerinnen wäre. (Man denkt daran, dah der deutsche Film noch immer nicht die fehlende Tragigroteske geschaffen hat und macht sich seine Gedanken darüber.)
Doch die Nachmittagsstunde ist aus. Der Doktor der Medizin erscheint und der Doktor der Komik verzieht sich mit den Gästen. — Folgt Abschied und Schluß! — Aber ein Trugschluß!
Denn, wenn Karl Valentin irgendwo war, dann hat er auch was vergessen. Nochmals klopft er an die Tiir und bittet um seinen Hut. Und erkundigt sich bei der Kranken: „Geht's Ihna jetzt besser?"
Und die strahlenden Augen von Helen bestätigen eine unumstößliche Behauptung Karl Valentins. Nämlich diese: Erholung ist doch das Beste für Genesung!
Transkription von Harald Beck
Friedmann, David (2018): Die Bavaria Film 1919 bis 1945. Eine Unternehmensgeschichte im Spannungsfeld kulturpolitischer und ökonomischer Einflüsse. Diss., LMU München: Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften. URN: urn:nbn:de:bvb:19-246280