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15.06.2021, 13:53 Uhr
Katrin Diehl
Text & Debatte
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Erinnerungsstücke von Michael Krüger

In Michael Krügers von Literatur tief durchtränktem Leben gab es von einigem viel. Noch einmal mehr in der Erinnerung, die sich gern aufs Konzentrat konzentriert. Noch einmal mehr in einem schmalen Bändchen, das Erinnerungen – die in Teilen schon einmal zerstreut hier und da zu lesen gewesen sind – auf engem Raum zusammenbringt und dessen Titel sich nicht scheut einfach aufzuzählen, um was es da geht: „Über meinen Großvater, Zbigniew Herbert, Petrarca und mich.“ Und das muss Michael Krüger aufgefallen sein. Dass sich der erstaunliche wie wunderbare Dichter Zbigniew Herbert hier auch in Apposition gestellt lesen lässt, er somit flugs in ein großväterliches Verhältnis zu ihm gerät. Krüger verehrte Zbigniew Herbert jedenfalls, mochte ihn sehr, und den Großvater, den echten, den mochte er auch, weshalb er in ein ruhiges Gedicht des längst, längst erwachsenen Enkels fand („Mein Großvater konnte über hundert Vögel / an ihren Stimmen erkennen, nicht gerechnet / die Dialekte…). Und eigentlich ist das mit dem Großvater, mit Zbigniew Herbert und Petrarca ja auch nur der Untertitel. Weil drüber heißt es viel gewollter und ein wenig tranig: „Meteorologie des Herzens.“ Verschwindend weiß, wie es da gedruckt steht, kann man das zumindest überlesen, vielleicht auch vergessen.

Es gab viel Zufall, was zu ebenso viel verlegerischem Glück führte, es gab viel Zeit. Man saß viel zusammen, redete, redete, dann stand man auf flanierte und flanierte, bestieg den französischen Berg, stieg ihn wieder hinunter, und viel Wein gab es auch, woraus sich in der Summe viel Muße errechnen lässt, und was aus Sicht unserer zappeligen Zeit schon ein wenig neidisch machen kann. Es gab viele Männer im Vordergrund und wenige Frauen. Es gab ein paar Frauen im Hintergrund (zum Beispiel die Ehefrauen der Männer im Vordergrund), die viel Liebenswertes an sich hatten. Die Zeiten waren halt so und das lässt sich im Rückblick auch nicht wegschreiben. War halt eventuell schade für ein paar der Frauen, die in diesen Zeiten gelebt und unter diesen männerdominierten Umständen gelitten hatten. Viele hatten es nicht. Vor allem viele Männer hatten es nicht. Und – das muss man schon auch sagen – es gab ein Bemühen, es gab erste Ansätze, es gab Kämpfe um Emanzipation, es gab diese Diskussionen über den Küchentisch hinweg, die so gar nichts brachten, weil die Eltern, über ihre Rolle befragt, stumm, stumm, stumm geblieben sind. Und da passt jetzt ein Zitat von Zbigniew Herbert sehr gut, das sich in dem Bändchen, das sich genüsslich runterlesen lässt, findet. Nämlich (sehr am Ende einer Korrespondenz): „Wahrheit und Gerechtigkeit wird niemals siegen / aber Kampf ist schön /…“

Überhaupt gibt es viele O-Töne im Buch, vor allem im Kapitel zu Herbert. Glücklicherweise erlaubt uns da Michael Krüger über seine Schulter hinweg mitzulesen, wenn endlich mal wieder ein Brief von Herbert, der jeden Empfänger, jede Empfängerin adelt, angekommen ist, der so unregelmäßig und unberechenbar Kontakt hielt, auch weil er immer wieder Krankheiten seinen Tribut zahlen musste.

Und wenn Krüger von den Treffen zum seit 1975 von Hubert Burda gestiftete Petrarca-Preis erzählt, in dessen Jury er gesessen ist, dann hätte man da schon gern dabei sein wollen, wäre gern mit hinauf gestiegen auf den Mont Ventoux, hätte gerne die Frauenquote erhöht, indem man auch noch mindestens fünf muntere Freundinnen mitgebracht hätte. Die Zeiten sind vorbei. Für Michael Krüger waren sie manchmal der Himmel.

Michael Krüger:
Meteorologie des Herzens
Über meinen Großvater, Zbigniew Herbert, Petrarca und mich
Erinnerungen, gebunden, 144 Seiten
Berenberg Verlag, Berlin 2021
20 Euro

Externe Links:

LiteraturSeiten München (wo dieser Artikel zuerst erschien)

Meteorologie des Herzens bei Berenberg