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21.05.2021, 09:53 Uhr
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Franziska Reventlow (Archiv Monacensia)

Von Paul zu Pedro. Zwei Amouresken von Franziska zu Reventlow

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William Orpen: Portrait of Miss Sinclair © Reclam Verlag (Cover)

Avantgardistin, Bohemienne, Verfechterin der freien Liebe, Freidenkerin – das war die Schriftstellerin Franziska zu Reventlow (1871-1918). Während sie in ihrem Roman Von Paul zu Pedro mit viel Esprit und im eleganten Plauderton von ihren Abenteuern, illustren Gesellschaften, vom Lieben und Verlieben erzählt, kommt sie immer wieder auf all jene Männer – jene Paul und Pedros – zu sprechen, die sie im Laufe ihres Lebens kennengelernt hat. Ein amüsant-ironischer Briefroman und gleichzeitig das gesellschaftskritische Werk einer unkonventionellen Frau. Pünktlich zum 150. Jubiläumsjahr der Schriftstellerin ist das Werk im Reclam Verlag neu erschienen mit einem Nachwort von Reventlow-Biografin Gunna Wendt. Wir veröffentlichen einen Auszug daraus mit freundlicher Genehmigung der Biografin und des Verlags.

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Von Paul zu Pedro. Amouresken

 

[...]

 2

Ich fürchte, ich werde mich nie daran gewöhnen, meine Briefe zu datieren. Tue ich es einmal, weil ich denke, es müsste sein, so ist das Datum gewöhnlich falsch. Man weiß es gerade nicht, hat keine Lust erst nachzusehen und schreibt irgendein beliebiges hin, weil es doch ganz gleichgültig ist, ob mein Brief am dritten oder am zehnten November geschrieben wurde. Ich datiere eigentlich nur, wenn ich einen Brief verbummelt habe und meine Nachlässigkeit beschönigen will. Und dann schreibt man natürlich absichtlich ein falsches Datum. Ich halte das, wie so viele kleine Lügen, für eine liebenswürdige Rücksicht, durch die man anderen ein ärgerliches Gefühl erspart.

Bei den ersten Jugendlieben schrieb ich immer ein pathetisches Datum: sieben Uhr morgens – die Vögel zwitschern schon vor meinem Fenster; – ob sie wirklich zwitscherten, weiß ich heute nicht mehr zu sagen, aber es machte sich so hübsch. Oder: Mitternacht – meine Tante ist schon schlafen gegangen ...

Soll ich das bei Ihnen auch so machen? Etwa: zwei Uhr früh – eben geht er die Treppe hinunter – die Stufen knarren, und es wäre mir sehr peinlich, wenn man ihn hörte.

Sie würden natürlich gleich alles Mögliche wissen wollen: wer denn? – und wieso? – und was gefällt Ihnen nun schon wieder an diesem Menschen?

Ich hab’s ja gleich gewusst, o Freund meiner Seele, als Ihr Brief kam. Gleich gewusst, dass Sie Ihr Steckenpferd – man könnte es allmählich wohl eher als Streitross bezeichnen – wieder gehörig tummeln würden. Kann man Sie denn immer noch nicht davon kurieren? Sind wieder einmal alle Teegespräche und alle Demonstrationen am lebenden Objekt umsonst gewesen? Ich fürchte: Ja – Sie werden stets von neuem beklagen, dass gerade die Frauen, die man am meisten schätzt, so ›furchtbar wahllos‹ sind. – Und ich habe gar keine Lust, Ihnen immer wieder etwas vorzuleben, damit Sie zur Einsicht kommen. Ich müsste mich denn zur Abwechselung einmal nach Ihrem Geschmack richten, und das – nein, das ist zu viel verlangt.

Übrigens behauptet fast jeder Mann, man sei wahllos. Der eine begreift nicht, dass man sich in einen Friseurtypus oder Tenor verlieben kann, und würde Naturburschen verzeihlicher finden. Der andere hat keine Auffassung dafür, dass exotischer Typ und gebrochenes Deutsch zu den unwiderstehlichen Attraktionen gehören.

Nun – das wenigstens haben Sie mir ja manchmal nachfühlen können. Aber für ›Paul‹ hatten Sie kein Verständnis – gar keines. Sie fanden es nicht recht der Mühe wert, dass ich seinetwegen hierher fuhr, dass Sie Ihr eigenes Reiseprogramm umstürzen und wir beide vierzehn Tage im Regen herumlaufen mussten. Es tut mir leid, aber ich muss bei dem Gedanken so lachen, dass meine Teenachbarn mich eben ganz erstaunt ansehen.

Ja, Paul – Paul war in diesem Fall nur ein Sammelname. Er hieß gar nicht Paul – er war es nur. Es gibt eine bestimmte Art von Erlebnis, das ich Paul nenne, aus dankbarer Erinnerung an seinen ersten Vertreter. Ich meinte auch, ich hätte Ihnen das schon einmal erklärt, aber Sie haben es anscheinend nicht ganz begriffen.

Paul ist eine Begebenheit, die immer von Zeit zu Zeit wiederkehrt. Nicht etwa, weil sie besonders tiefen Eindruck gemacht hätte – im Gegenteil, Paul ist immer etwas Lustiges, Belangloses, ohne Bedenken und ohne Konsequenzen. Aber er kommt immer wieder, wenn auch jedes Mal in etwas veränderter Form und Gestalt.

Paul kann alles Mögliche sein, verheiratet oder Junggeselle, Leutnant, Ingenieur, junger Arzt, Afrikareisender – es kommt auch vor, dass er gar keinen Beruf hat.

Manchmal ist er auch ›drüben‹ geboren, dann nennt er sich Pablo und rollt das R – vorausgesetzt, dass der Vorname stimmt, was merkwürdigerweise oft, aber natürlich nicht immer der Fall ist.

Man lernt ihn in Sommerfrischen, in Hotels und auf Reisen kennen; an einem festen Wohnort – nein, ich glaube kaum, höchstens wenn er sich vorübergehend dort aufhält. Zu Paul gehören immer Koffer und Kellner, irgendeine momentane und geräuschvolle Umgebung. Man erkennt ihn auf den ersten Blick, wenn er einem im Coupe gegenübersitzt oder in ein Hotel hereinkommt, weiß sofort: Das ist Paul. Es dauert auch nie sehr lange, bis man sich kennt, duzt (mit Paul muss man sich duzen, es geht nicht anders) und ganz genau weiß, wie sich nun alles entwickeln wird. Ich habe mir auch angewöhnt, ihn immer so zu nennen. Wenn ich das erste Mal sage: du, Paul – so ist er sehr erstaunt und fragt, mit wem ich ihn jetzt verwechselt habe. – Nun, mit Paul natürlich – und dann bleibt es dabei. Ich hüte mich wohl, ihn aufzuklären, dass es in Wirklichkeit gar keine Verwechslung ist. Er würde es nicht verstehen.

Paul ist auch selten eifersüchtig, wahrscheinlich, weil er sich seiner wechselvollen Vergänglichkeit dunkel bewusst ist. Er wird mir auch sicher niemals Vorwürfe über meine Wahllosigkeit machen.

Und Sie denken jetzt wohl: Gott sei Dank, dass ich nicht Paul bin. Sie haben nicht ganz Unrecht – Paul wird in der Regel bald langweilig, und man entflieht in den Tea-room.

3

Gestern habe ich lebhaft an Sie denken müssen. O Regenstadt – o Tea-room – o Teegespräch!

Ich habe inzwischen verschiedene Leute kennen gelernt, und diese verschiedenen Leute saßen gestern hier an unserer geheiligten Stätte zusammen und verrannten, verbohrten, verwickelten sich in ein endloses Gerede über Liebe, Erotik und was dazugehört.

Apropos – Erotik! ich kann das Wort bald nicht mehr hören. Schade, dass es kein anderes dafür gibt. Die allerunmöglichsten Leute führen es schon im Munde und schmücken ihre unsympathischen oder obskuren Erlebnisse damit. Es geht nicht mehr, wir sollten es uns abgewöhnen – ja, aber im Teegespräch müssen wir es wohl faute de mieux einstweilen noch beibehalten, da hört es ja auch niemand.

Was wollte ich Ihnen denn erzählen? – Dass diese Leute wieder einmal das Wesen aller Dinge endgültig feststellten, alles schön sortierten, in Schachteln taten und Etiketten darauf klebten, nach meinem Gefühl aber immer in die falsche Schachtel und mit falscher Etikette.

Liebe und Erotik zum Beispiel kamen in denselben Karton. Ich brauchte nur bis Paul zu denken – oder, wenn es Ihnen lieber ist, an Sie, um das unbillig zu finden.

Ach, mein Gott, wenn alles immer Liebe oder auch nur etwas Ähnliches sein sollte, wo käme man da hin? Jedes Mal Seligkeit, wenn es anfängt, ›Konflikte‹, während es dauert, und große Tragik, wenn es zu Ende geht – so etwa schienen diese Gerechten es sich vorzustellen – nein, das möchte wirklich zu weit führen.

Die Frau wolle doch wenigstens die Illusion haben, dass sie liebt, wenn sie einem Manne angehört – meinte jemand, und die anderen stimmten ihm bei.

Das ist hart, sehr hart. Schon das diktatorische: die Frau, der Mann. Wer sind diese Frau und dieser Mann?

Warum wohl überhaupt diese Sucht, diese schöne Vielfältigkeit des Lebens und all seiner Möglichkeiten abzuleugnen oder wenigstens nach Kräften einzuschränken? Wie Kellner – es gibt solche –, die gerne die große Speisekarte wegstecken, damit man das bequeme, aber unausstehliche Menü wählen soll.

›Man‹ tut doch schließlich in erster Linie, was einen freut, und weil es einen freut. Und das ist natürlich jedes Mal etwas anderes. Es kann wohl manchmal Liebe und ›große Leidenschaft‹ sein, aber ein andermal – viele, viele andere Male ist es nur Pläsier, Abenteuer, Situation, Höflichkeit – Moment – Langeweile und alles Mögliche. Jede einzelne Spielart hat ihre besonderen Reize, und das Ensemble aller dieser Reize dürfte man wohl Erotik nennen.

Es kommt ›der Frau‹ auch gar nicht in den Sinn, sich immer einzureden, dass es Liebe ist, im Gegenteil, das wäre ihr manchmal nur peinlich, und sie ist recht froh, dass es sich anders verhält. Man braucht doch auch Erholung vom Ernst des Lebens.

Und Liebe? Unter Liebe verstehe ich – nun, eine seriöse Dauersache. Aber Sie dürfen mir diesen Begriff nicht zu optimistisch auffassen. Dauersache ist alles, was – sagen wir, was monatelang dauert – seriöse Dauersache, wenn es viele Monate sind; über ein Jahr – dann wird es schon Verhängnis mit einem Stich ins Ewige. Natürlich gibt es auch Dauersachen mit Unterbrechung und viele andere Variationen.

Damit war meine gestrige Gesellschaft durchaus nicht einverstanden, und man versuchte mich mit vielen Fragen in die Enge zu treiben. Aber dann mache ich mir’s bequem und verstumme. Ich habe überhaupt nicht viel Sinn für theoretische Fragen, außer, wenn es mich momentan reizt, zu widersprechen. Das ganze Gerede ist so überflüssig, es sollte wenigstens Konversation bleiben – wie mit Ihnen. Dann hat es seinen Reiz.

Und wie angenehm, dass man als Frau keine Logik zu haben braucht! Denken Sie, wenn ich all meine mühsam erworbene Lebensweisheit in Schachteln ordnen sollte – ach nein, ich werfe lieber alles durcheinander in eine Schublade und hole gelegentlich heraus, was mir – oder anderen Spaß macht.

Im Anschluss an das Liebesproblem kamen natürlich auch die ›wertvollen Menschen‹ aufs Tapet – also Wasser auf Ihre Mühle – die wertvolle Frau, die so oft und unbegreiflicherweise ihr Gefühl an unwürdige Objekte verschwendet, und der wertvolle Mann, der ungeliebt beiseite steht, ja und so weiter, die ganze Litanei.

Teuerster Doktor, gerade damit haben Sie mir ja auch so oft, so oft zugesetzt. Und ich habe mich so redlich bemüht, Ihnen plausibel zu machen, dass innerer Wert gar nichts mit erotischer Attraktion zu tun hat. Wenn mir jemand gefällt, frage ich doch den Teufel danach, wie es mit seinem inneren Wert bestellt ist. Kommt beides zufällig zusammen – tant mieux. Dann ist es natürlich auch etwas anderes als die bloße Aventiure, die keine Fortsetzungen verträgt, weil der Partner einem als Mensch ganz gleichgültig ist und man nichts mehr mit ihm anzufangen weiß.

Geht es um Ernstliches, so muss allerdings irgendetwas da sein, was für mich persönlich Wert hat, mir erfreulich, wohltuend, unentbehrlich erscheint oder mir imponiert, kurz, was ich haben möchte. An denen, die man liebt, will man wohl irgendetwas schätzen, manchmal schätzt man sie auch in Bausch und Bogen, oder bildet sich’s wenigstens eine Zeitlang ein.

Ja, das ist dann Liebe, solange die Attraktion dauert; und wenn sie aufhört, so ist es unangenehm, weil man sich wirklich gerne hat.

Ich halte schon deshalb nichts davon, dass man sich allzu intensiv zusammenlebt und dann in bitterem Leid auf Nimmerwiedersehen auseinandergeht. Bei jeder besseren amourösen Angelegenheit sollten Anfang und Ende überhaupt nicht so scharf umrissen sein.

Ja, ich habe bei dieser angeregten Abendunterhaltung mein stilles Vergnügen gehabt, und wenn ich meine eigenen Amouren Revue passieren lasse, die tragischen und die heiteren, seriöse Dauersachen und flüchtige Minnehändel – wie sie sich nacheinander, nebeneinander und durcheinander abspielten, so fügt sich für mein Empfinden alles ganz von selbst zur schönsten Harmonie zusammen. Auch wenn – cher ami, das gilt Ihnen mit – andere Leute so oft etwas daran auszusetzen haben.

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Leseprobe aus: Franziska Gräfin zu Reventlow: Von Paul zu Pedro. Amouresken. Mit einem Nachwort von Gunna Wendt (Reclam Taschenbuch Nr. 20643). Reclam, Ditzingen 2021.