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01.04.2021, 13:40 Uhr
Patricia Blob
Text & Debatte

Ludwig Ganghofer. Sonderheft zum 100. Todestag: Ein Überblick

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Literatur in Bayern, 35. Jg., Sonderheft, Dezember 2020 (Cover)

Anlässlich des 100. Todestages von Ludwig Ganghofer erschien Dezember 2020 eine Sonderausgabe der Literatur in Bayern. Die ursprünglich von Klaus Wolf und Ulrich Hohoff geplante Tagung am Tegernsee vom 24. Juli musste wegen Corona entfallen, so dass dieses Heft als eine Sammlung aller vorbereitenden Vorträge veröffentlicht wurde. Patricia Blob hat hineingelesen und stellt die Beiträge für uns vor.

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Ludwig Ganghofer (1855-1920) feierte mit seinen Heimatromanen große Erfolge. Nicht umsonst zählte er eine Zeit lang zu den beliebtesten und meistgelesenen Schriftstellern in Deutschland. Trotzdem ist er in der aktuellen Forschung immer mehr in Vergessenheit geraten. Die Referent*innen, die ihre Vorträge für diese Sonderausgabe der Literatur in Bayern abgefasst haben, thematisieren inhaltlich sowohl den Stand der bisherigen Forschung als auch neue Perspektiven.

Wie kam es überhaupt zum großen Erfolg des Schriftstellers Ludwig Ganghofer? Dieser Frage geht in seinem Essay Ulrich Hohoff, Direktor der Universitätsbibliothek Augsburg, nach. Ludwig Ganghofer gewann bereits mit seinem Debüt, dem Volksschauspiel Der Herrgottschnitzer von Ammergau, weitreichende Bekanntheit. Der Grund für den Erfolg war u.a. die Tatsache, dass in Norddeutschland das idyllische Theaterstück durch die aufgeführten Inszenierungen als ein realistisches Theaterstück gewertet wurde. Diese Auffassung war auch an dem Erfolg weiterer Romane und Erzählungen beteiligt, da die idyllische Darstellung der Alpen Hand in Hand mit dem dort wachsenden Tourismus ging. Darüber hinaus konnte Ganghofer eine größere Reichweite in der Leserschaft erreichen, z.B. durch regelmäßige Fortsetzungsveröffentlichungen von Romanen und Novellen in der Zeitschrift Die Gartenlaube. Zudem erhielt er besondere Anerkennung durch Kaiser Wilhelm II., der Gefallen an den Texten des bayerischen Schriftstellers fand und sogar Romanzitate im Berliner Schloss aufhängen ließ. Im weiteren Verlauf wurden viele von Ganghofers Erzählstoffen für Kino- und Fernsehfilme verwendet und so einem noch größeren Publikum nähergebracht.

Kritik erfuhr Ludwig Ganghofer natürlich auch, z.B. von seinem Freund Ludwig Thoma für die Verwendung des schwäbischen Dialekts in einem Manuskript. Klaus Wolf, Inhaber der Lehrprofessur für Deutsche Literatur und Sprache des Mittelalters an der Universität Augsburg, sah hier das Thema seines Beitrags. Durch seine Kindheit im schwäbischen Ort Welden war Ganghofer bestens mit dem Dialekt vertraut und konnte ihn als Schriftsteller auch phonetisch richtig in seine Texte aufnehmen. Allerdings besaß er ein besonderes Talent für zahlreiche Dialekte und hatte daher keine Probleme, beispielsweise das Bairische oder das Berlinerische mündlich und schriftlich wiederzugeben. Für seine Texte verwendete er dennoch eher künstliche Dialekte, so dass bei seinen Lesern keine Verständnisprobleme aufkommen konnten.

Der innigen Freundschaft zwischen Ganghofer und Ludwig Thoma widmet sich der Artikel von Getrud Maria Rösch. Die Autorin ist Professorin an der Universität Heidelberg und legt den Fokus ihrer Forschung auf das Verhältnis von Fiktionalität und Faktizität in der Literatur. Die thematisierte Freundschaft zwischen den Schriftstellern erweckt deswegen Interesse, weil sie das Potenzial einer umfangreichen Erschließung der gesamten Briefe Ganghofers aufzeigt, das die Forschung über den Schriftsteller immens bereichern würde. Um die inhaltliche Vielfalt zu verdeutlichen, hat Rösch vor allem Zitate aus den unveröffentlichten Briefen des Bestands der Monacensia im Hildebrandhaus gewählt. In dem freundschaftlichen Austausch wurden zwar berufliche Projekte thematisiert, aber hauptsächlich stand Privates im Vordergrund. Insbesondere Thoma zog seinen Freund und auch dessen Frau Kathinka ins Vertrauen und besprach persönliche Krisen mit dem Ehepaar. Die Briefzeilen geben zahlreiche Hinweise auf die Biografien der beiden Schriftsteller, und vor allem bei Ganghofer sind sie unverzichtbar, wenn man sein literarisches Leben insgesamt betrachten möchte.

Einen neuen Blick auf Ganghofer ermöglicht ebenso der Text von Peter Czoik über die Darstellung von Juden sowie jüdischen Motiven und Stoffen in seinen Werken. Im Gegensatz zu seinem Freund Thoma war Ludwig Ganghofer nicht antisemitisch, sondern wurde von den Nationalsozialisten vielmehr als „Philosemit“ bezeichnet. In seinem Roman Der laufende Berg tritt die Figur des Juden namens Rufel als rettende Instanz auf. Er versucht seinen Mitmenschen vor allem mit finanziellen Mitteln zu helfen. Die Ungerechtigkeiten, die ihm in der Dorfgemeinschaft widerfahren, werden in dem Roman bewusst dargestellt. In dem Roman Das Gotteslehen stellt die jüdische Figur Josephus einen Heiler und Verfolgten dar. In Ganghofers letztem Roman Das große Jagen tritt der Jude Simeon Lewitter als Freund und Glaubensbruder auf. Er ist bereits vor Jahren zum Protestantismus konvertiert, wird aber noch immer als Jude angesehen und von der Dorfgemeinde ausgegrenzt. Ganghofer macht hier seine eigenen Einstellungen zu verschiedenen Glaubensfragen zum Thema.

Pastell des Schriftstellers Ludwig Ganghofer von Friedrich August von Kaulbach (1908)

Das Leben und das literarische Schaffen Ganghofers passt in keine Schablone. Diese Erkenntnis macht Gerd Holzheimer, Herausgeber der Literatur in Bayern, zum Gegenstand seines Beitrags. Holzheimer hat sich intensiv mit dem Autor beschäftigt und u.a. mit dessen Enkel über ihn gesprochen, der wiederum ein Buch über die geheimnisvolle Herkunft seiner Großmutter, Ganghofers Ehefrau Kathinka, veröffentlicht hat. Ludwig Ganghofer ging bereits als Kind ungewöhnlich hohe Risiken ein und setzte oft genug sein Leben aufs Spiel. So versuchte er sowohl einen Blitz zu fangen als auch die Fassade der Bayerischen Staatsbibliothek zu erklimmen. Für viele zeitgenössische Schriftsteller war Ganghofer eine wichtige Bezugsperson, wie man in unterschiedlichen Briefwechseln erkennen kann, wie in der gewählten Ansprache „liebster Meister“ in einem Brief von Rainer Maria Rilke. Gerne hieß Ganghofer mit seiner Frau viele Gäste in ihrem Haus willkommen, allerdings zeigte er sich auch „oft eher in der Haltung des in sich gekehrten Melancholikers.“ Der Jäger von Fall als Beispielswerk offenbart, dass Ganghofers Romane nicht kitschig oder trivial sind, sondern von Gegensätzen und Widersprüchen geprägt und vor allem die Figuren keinesfalls eindimensional zu sehen sind.

Waldemar Fromm versteht die Romane Ganghofers als eine „Heimatkunst“, die „als Teil der Dynamik der Moderne um 1900 begriffen werden soll“. Um diese Annahme zu begründen, bedient sich Fromm schriftlicher Zeugnisse von Herrmann Bahr und Hugo von Hofmannsthal, die die Rezeptionsgeschichte Ganghofers widerspiegeln. Bahr und Hofmannsthal sehen Ganghofer als einen Stadtmenschen, der mit Distanz über ländliche Themen in seinen Werken schreibt und die Natur als Ziel seiner Stadtflucht sieht.

Michael Stephan wendet seinen Blick von dem Erfolgsautor ab und legt den Fokus in seinem Beitrag auf Georg Queri, der Zeit seines Lebens im Schatten Ludwig Ganghofers stand. Die beiden Schriftsteller verbanden einige Parallelen, z.B. die Freundschaft zu Ludwig Thoma oder die Tätigkeit als Kriegsberichterstatter. Dennoch konnte Queri mit seinen Werken, wie dem Bayernbuch, eine Anthologie bayerischer Literatur in Zusammenarbeit mit Ludwig Thoma, nie solche Erfolge verzeichnen wie Ganghofer.

Auf dessen letzten Roman Das große Jagen fokussiert sich Kay Wolfinger. Sein Ziel ist es zum einen aufzuzeigen, wie der Roman „gegen den Strich“ gelesen werden kann, und zum anderen, dass die entfaltete Poetik der Gegensätze und Brechungen zu Beginn des Romans auf diesen selbst und auf Ganghofers gesamtes erzählerisches Schaffen anwendbar ist. Besonders hier fällt auf, dass sich in dem Roman eine Vielzahl von Brechungsszenen finden und sich die verschiedenen Aussagen der Figuren gegenseitig jagen und durchkreuzen.

Tanja Sandner wirft einen anderen Blick auf Ganghofer. Sie nahm ursprünglich an einer geführten Wanderung durch die schwäbische Ortschaft Welden und die umliegende Natur teil, wo Ganghofer einige Jahre seiner Kindheit verbracht hatte. Mit anschaulichen Bildern gibt sie in ihrem Artikel ihre Eindrücke wieder und versucht die Neugier aller Ganghofer-Interessierten zu wecken, sich auf die Suche nach den Inspirationsquellen des Schriftstellers zu begeben. Eine Spurensuche, die sich mit Sicherheit lohnt.

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Das Sonderheft zur Tagung ist eine Zusammenarbeit der Literatur in Bayern mit TELITO, den „Tegernseer LiteraTouren“. TELITO ist ein Modell- und Demonstrationsvorhaben im Rahmen des „Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE)“ und der Bekanntmachung „LandKULTUR – kulturelle Aktivitäten und Teilhabe in ländlichen Räumen“. Es wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) finanziert.