Mafiöses aus dem Allgäu
Die 143. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Avantgarde. Darin rezensiert Klaus Hübner Gerhard Köpfs Krimi Palmengrenzen.
Selbst wenn er mit vielen Elementen des Genres spielt – der neue Roman des 1948 in Pfronten geborenen Münchner Autors Gerhard Köpf ist kein Krimi. Besser gesagt: nicht nur ein Krimi. Vielmehr ein packendes, auch ein vertracktes und spielerisches, ein luftiges und eingängiges Textgewebe, das zur imposanten Reihe der vor fast vier Jahrzehnten mit Innerfern (1983) begonnenen »Thulsern«-Romane zählt und sich hinter deren jüngsten – dem Dorf der 13 Dörfer (2017) und Außerfern (2018) – nicht zu verstecken braucht. Ein sprachliches Kunstwerk also, in einer für Gerhard Köpf nicht untypischen Mischung von Facts und Fiction. Eine sorgfältig gearbeitete, durchaus handfeste Geschichte, die auf vergnügliche Weise plausibel macht, was man schon länger geahnt hatte und was in Wahrheit keineswegs vergnüglich ist: »Dieses lodenversiegelte Allgäu ist der 'Club Mediterranee' der Mafia!«
Es fängt damit an, dass ein pensionierter Apotheker behauptet, der Öffentlichkeit die umfangreichen Aufzeichnungen des im Eurocity 82 von Bologna Centrale nach München Hauptbahnhof aus nächster Nähe erschossenen Notars Bruno Ziegler zu übergeben. »Es war ein Augenschuss. Jeder Krimileser weiß, dass dies gewöhnlich jemandem gilt, der etwas gesehen hat, das er nicht hätte sehen sollen.« Eine »Aufklärung des scheußlichen Verbrechens an meinem besten Freund« ist nicht in Sicht.
»Sollten Sie also etwas wissen, verehrte Damen und Herren, so bitte ich Sie inständig, sich zu melden.« Dass die Mafia, die seit den 1980er-Jahren ihre »Palmengrenzen« weit nach Norden verschoben hat, mit dem Mord zu tun haben könnte, weisen Polizei und Politik weit von sich – niemand will wahrhaben, dass das Allgäu heute eine »effiziente Operationsbasis« ist für die neue Mafia-Generation der »Geräuschlosen«, die aus fachlich hoch qualifizierten, bestens vernetzten, cleveren und smarten Allround-Managern besteht und niemanden mehr in die Luft sprengt. Es sei denn ... Bruno Ziegler, fortan der Ich-Erzähler, der nach dem Motto »nulla dies sine linea« lebte, die interessante und zugleich grauenvolle Geschichte der Henkersmahlzeit erforschte und seine Überlegungen zur Mafia und ihrer gemeinsamen Sache – La Cosa Nostra – wort- und aspektreich zu Papier brachte, war zweifelsohne heftig in Italien verliebt. Schon Ende der 1960er-Jahre streifte er in der Gegend um Reggio Calabria herum und entdeckte das reizvolle Städtchen Campodivespe, das recht bald für Bad Thulsern im Allgäu wichtig werden soll. Gerhard Köpf ist ein kluger und aufmerksamer Beobachter, der das Publikum in sein raffiniert verschachteltes, immer aber nachvollziehbares episodisches Erzählen einzuspinnen vermag. Scheinbar spontane interkulturelle Liebesaffären und spektakuläre Morde in Duisburg kommen vor, eine amüsante Wissenschaftsbetriebs-Persiflage aus Rom ist dabei, und man freut sich über satirische Spitzen gegen einen Kollegen, »der dem Wesen des Literaten etwas vom Draufgängertum eines Schiffschaukelburschen gab«, oder gegen eine weithin bekannte Bundespolitikerin, »die sich an einem freien Wochenende gern einmal mit ihren gut gebauten türkischen Freunden zum bilateralen Gedankenaustausch treffe«. Die stets unterhaltsamen und oft auch lehrreichen erzählerischen Kapriolen überschlagen sich, und plötzlich ist der aus Campodivespe stammende, im Allgäu hoch angesehene Hotelier Aniello Sidara tot, der doch gerade noch den Pokal für die Kettensägen-Gaudi vor seinem »Grand Hotel Garibaldi« gestiftet hatte. Man könnte zahlreiche Episoden herausgreifen, in denen der Autor genüsslich mit gängigen Allgäu-Klischees spielt, und man könnte seine ätzende Gesellschaftskritik hervorheben, etwa an der Geldgier und der Eitelkeit mancher Figuren, die unbedingt zur »Butter- und Weißlackermafia« der Region gehören wollen und die moralische Integrität der Großvätergeneration nur noch verachten und verlachen. Auch die den Freistaat regierende Partei bleibt nicht ungeschoren, und auf welch zynische und perfide Art die Mafia das »blühende Migrationsbusiness« im Mittelmeer betreibt, erfährt man ebenfalls. Wie es ausgeht? Weshalb Bruno Ziegler sterben musste? Ach, lesen Sie doch selbst!
Gerhard Köpf: Palmengrenzen. Roman. Braumüller Verlag, Wien 2020.
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Die 143. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Avantgarde. Darin rezensiert Klaus Hübner Gerhard Köpfs Krimi Palmengrenzen.
Selbst wenn er mit vielen Elementen des Genres spielt – der neue Roman des 1948 in Pfronten geborenen Münchner Autors Gerhard Köpf ist kein Krimi. Besser gesagt: nicht nur ein Krimi. Vielmehr ein packendes, auch ein vertracktes und spielerisches, ein luftiges und eingängiges Textgewebe, das zur imposanten Reihe der vor fast vier Jahrzehnten mit Innerfern (1983) begonnenen »Thulsern«-Romane zählt und sich hinter deren jüngsten – dem Dorf der 13 Dörfer (2017) und Außerfern (2018) – nicht zu verstecken braucht. Ein sprachliches Kunstwerk also, in einer für Gerhard Köpf nicht untypischen Mischung von Facts und Fiction. Eine sorgfältig gearbeitete, durchaus handfeste Geschichte, die auf vergnügliche Weise plausibel macht, was man schon länger geahnt hatte und was in Wahrheit keineswegs vergnüglich ist: »Dieses lodenversiegelte Allgäu ist der 'Club Mediterranee' der Mafia!«
Es fängt damit an, dass ein pensionierter Apotheker behauptet, der Öffentlichkeit die umfangreichen Aufzeichnungen des im Eurocity 82 von Bologna Centrale nach München Hauptbahnhof aus nächster Nähe erschossenen Notars Bruno Ziegler zu übergeben. »Es war ein Augenschuss. Jeder Krimileser weiß, dass dies gewöhnlich jemandem gilt, der etwas gesehen hat, das er nicht hätte sehen sollen.« Eine »Aufklärung des scheußlichen Verbrechens an meinem besten Freund« ist nicht in Sicht.
»Sollten Sie also etwas wissen, verehrte Damen und Herren, so bitte ich Sie inständig, sich zu melden.« Dass die Mafia, die seit den 1980er-Jahren ihre »Palmengrenzen« weit nach Norden verschoben hat, mit dem Mord zu tun haben könnte, weisen Polizei und Politik weit von sich – niemand will wahrhaben, dass das Allgäu heute eine »effiziente Operationsbasis« ist für die neue Mafia-Generation der »Geräuschlosen«, die aus fachlich hoch qualifizierten, bestens vernetzten, cleveren und smarten Allround-Managern besteht und niemanden mehr in die Luft sprengt. Es sei denn ... Bruno Ziegler, fortan der Ich-Erzähler, der nach dem Motto »nulla dies sine linea« lebte, die interessante und zugleich grauenvolle Geschichte der Henkersmahlzeit erforschte und seine Überlegungen zur Mafia und ihrer gemeinsamen Sache – La Cosa Nostra – wort- und aspektreich zu Papier brachte, war zweifelsohne heftig in Italien verliebt. Schon Ende der 1960er-Jahre streifte er in der Gegend um Reggio Calabria herum und entdeckte das reizvolle Städtchen Campodivespe, das recht bald für Bad Thulsern im Allgäu wichtig werden soll. Gerhard Köpf ist ein kluger und aufmerksamer Beobachter, der das Publikum in sein raffiniert verschachteltes, immer aber nachvollziehbares episodisches Erzählen einzuspinnen vermag. Scheinbar spontane interkulturelle Liebesaffären und spektakuläre Morde in Duisburg kommen vor, eine amüsante Wissenschaftsbetriebs-Persiflage aus Rom ist dabei, und man freut sich über satirische Spitzen gegen einen Kollegen, »der dem Wesen des Literaten etwas vom Draufgängertum eines Schiffschaukelburschen gab«, oder gegen eine weithin bekannte Bundespolitikerin, »die sich an einem freien Wochenende gern einmal mit ihren gut gebauten türkischen Freunden zum bilateralen Gedankenaustausch treffe«. Die stets unterhaltsamen und oft auch lehrreichen erzählerischen Kapriolen überschlagen sich, und plötzlich ist der aus Campodivespe stammende, im Allgäu hoch angesehene Hotelier Aniello Sidara tot, der doch gerade noch den Pokal für die Kettensägen-Gaudi vor seinem »Grand Hotel Garibaldi« gestiftet hatte. Man könnte zahlreiche Episoden herausgreifen, in denen der Autor genüsslich mit gängigen Allgäu-Klischees spielt, und man könnte seine ätzende Gesellschaftskritik hervorheben, etwa an der Geldgier und der Eitelkeit mancher Figuren, die unbedingt zur »Butter- und Weißlackermafia« der Region gehören wollen und die moralische Integrität der Großvätergeneration nur noch verachten und verlachen. Auch die den Freistaat regierende Partei bleibt nicht ungeschoren, und auf welch zynische und perfide Art die Mafia das »blühende Migrationsbusiness« im Mittelmeer betreibt, erfährt man ebenfalls. Wie es ausgeht? Weshalb Bruno Ziegler sterben musste? Ach, lesen Sie doch selbst!
Gerhard Köpf: Palmengrenzen. Roman. Braumüller Verlag, Wien 2020.