Die größte Sammlung neuer Kindergedichte
Die 142. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema kostbar. Uwe-Michael Gutzschhahn berichtet darin über die Kinderlyrik-Reihe auf dem Blog von DAS GEDICHT.
*
Alles begann mit der Erkenntnis, dass Kinder immer weniger Gedichte hören und erleben. Dabei ist es nicht so, dass sie Gedichte nicht wollen. Bei meinen Lesungen und Workshops in Grundschulen habe ich jedes Mal erlebt, welches Staunen, welche Begeisterung der spielerische Umgang mit Sprache auslösen kann und wie faszinierend die Erfahrung ist, was in der Sprache alles sagbar und vorstellbar ist. Wenn Kinder diese Erfahrung nicht mehr machen, verlieren sie jede Möglichkeit, sich zu artikulieren – außer in Form simpler Benennungen und gewohnheitsmäßig wiedergekäuter Sprachhülsen. Irgendwann 2014 diskutierte ich mit Anton G. Leitner aus Weßling dieses Problem. Leitner ist ein ebenso leidenschaftlicher Kämpfer für die Lyrik wie ich – und das nicht nur mit seiner jährlich erscheinenden Zeitschrift DAS GEDICHT, sondern auch mit dem vielfältigen Lyrikblog unter www.dasgedichtblog.de und allerlei anderen literarischen Aktivitäten.
Wir waren uns sehr schnell einig: Wer als Kind keine Gedichte kennenlernt, wird sich im Jugend- und Erwachsenenalter niemals freiwillig für Gedichte interessieren. Und so kam Leitner auf die Idee, in seinem Blog auch für Kinderlyrik Platz zu schaffen. Es sollte eine monatliche Rubrik für Kindergedichte geben. Im März 2015 war es dann soweit: Der erste Beitrag ging online. Ich hatte von der Witwe des 2008 viel zu früh verstorbenen Dichters Peter Maiwald noch unveröffentlichte Gedichte bekommen, um sie im Blog zu präsentieren. Es war ein Glücksfall, diesen wunderbaren Lyriker, den Marcel Reich-Ranicki als großes literarisches »Ereignis« gefeiert hatte, an den Anfang der Reihe stellen zu können. Denn der Blog sollte ja eine moderne Entdeckungsreise durch die Kinderlyrik der Gegenwart werden. Später kamen übrigens noch posthume Gedichte von Jürgen Spohn dazu, alles andere stammt von lebenden Dichterinnen und Dichtern.
Inzwischen sind über 60 Beiträge erschienen – an jedem 10. eines Monats stelle ich einen weiteren Autor, eine weitere Autorin mit Kindergedichten vor, die oft für diese Veröffentlichung eigens geschrieben oder doch zumindest dezidiert für den Blog ausgewählt wurden. Jeder Beitrag besteht aus minimal fünf und maximal acht Texten sowie einer Vita, in der die meisten Dichter auch schreiben, wieso sie Gedichte – und speziell Gedichte für Kinder – schreiben. Manchmal wird so ein Beitrag noch durch ein Audio- oder Video-Element ergänzt, vor allem bei solchen Autoren, die zweisprachig schreiben wie zum Beispiel der fränkische Mundartdichter Fitzgerald Kusz aus Nürnberg oder die Schweizer Autorinnen Angelika Overath und Leta Semadeni aus dem Engadin, die in Deutsch und Vallader, einer Sonderform des Rätoromanischen, dichten. Das ist ein Erlebnis für Kinder, die fremd klingende Sprache zu hören und dann in der vertrauteren Deutsch-Fassung Gleich- oder Ähnlich-Klänge zwischen den Sprachen auszumachen.
Im März 2020 konnte die Kinderlyrik-Reihe bereits ihr fünfjähriges Jubiläum feiern. Über 350 Gedichte ließen sich da schon im Blog nachlesen, damit ist sie die wohl größte Kindergedichtsammlung von Gegenwartsdichtern und -dichterinnen, die es weltweit gibt. Einmal, während der Fußball-WM 2018, entstanden auch für die zweimonatige Dauer der Spiele zwei Folgen nur mit Fußballgedichten. Solche Themen-Ausgaben wird es in Zukunft noch öfter geben.
Gerade wurde die Blog-Reihe übrigens beim diesjährigen Josef-Guggenmos-Preis für Kinderlyrik besonders lobend erwähnt. Und eine Auswahl von hundert Gedichten aus der Reihe gibt es gedruckt bei dtv junior in der Anthologie Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht mit wunderbaren Illustrationen von Sabine Kranz.
Friedrich Ani
Das macht Spaß
Ich sitz im Gras, das macht Spaß.
Um die Ecke
kriecht eine Schnecke, ich schau ihr zu.
Da kommt eine Kuh
und latscht über die Schnecke. Sie sinkt ins Gras,
das macht Spaß,
sie hat jetzt eine grüne Decke.
Jan Koneffke
Missionar in Afrika
Missionar in Afrika
stolperte mit Helm und Haar vor zwei faule Krokodile
die sich in der Pampe sielten grimmig Missionar anschielten
sprach das erste Krokodil: langsam wirds mir echt zu viel ewig Missionars zerreißen
die sich doof ins Wasser schmeißen nichts als Gottesmannsskelette ohne Schinkenschwabbelfette
schmutzen nur als Fliegenschiss mein nagelneues Drittgebiss ein
sprach das zweite: du hast recht Missionars bekomm mir schlecht wenn sie sich in meinem Rachen
schnatternd in die Hosen machen Amen sagen
Kreuze schlagen
halbverdaut in meinem Magen immer noch Gebete leiern muss ich reiern
Krokodile sachten nichts mehr Krokodile machten nichts mehr konnte Missionar entlaufen
und sich Haar und Hirn zerraufen warum er in Afrika
selbst Krokodilen zu fade war
Uwe-Michael Gutzschhahn: Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht. Hundert neue Kindergedichte. Mit Illustrationen von Sabine Kranz, dtv junior, München 2019, 176 s., € 16,95
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Die 142. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema kostbar. Uwe-Michael Gutzschhahn berichtet darin über die Kinderlyrik-Reihe auf dem Blog von DAS GEDICHT.
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Alles begann mit der Erkenntnis, dass Kinder immer weniger Gedichte hören und erleben. Dabei ist es nicht so, dass sie Gedichte nicht wollen. Bei meinen Lesungen und Workshops in Grundschulen habe ich jedes Mal erlebt, welches Staunen, welche Begeisterung der spielerische Umgang mit Sprache auslösen kann und wie faszinierend die Erfahrung ist, was in der Sprache alles sagbar und vorstellbar ist. Wenn Kinder diese Erfahrung nicht mehr machen, verlieren sie jede Möglichkeit, sich zu artikulieren – außer in Form simpler Benennungen und gewohnheitsmäßig wiedergekäuter Sprachhülsen. Irgendwann 2014 diskutierte ich mit Anton G. Leitner aus Weßling dieses Problem. Leitner ist ein ebenso leidenschaftlicher Kämpfer für die Lyrik wie ich – und das nicht nur mit seiner jährlich erscheinenden Zeitschrift DAS GEDICHT, sondern auch mit dem vielfältigen Lyrikblog unter www.dasgedichtblog.de und allerlei anderen literarischen Aktivitäten.
Wir waren uns sehr schnell einig: Wer als Kind keine Gedichte kennenlernt, wird sich im Jugend- und Erwachsenenalter niemals freiwillig für Gedichte interessieren. Und so kam Leitner auf die Idee, in seinem Blog auch für Kinderlyrik Platz zu schaffen. Es sollte eine monatliche Rubrik für Kindergedichte geben. Im März 2015 war es dann soweit: Der erste Beitrag ging online. Ich hatte von der Witwe des 2008 viel zu früh verstorbenen Dichters Peter Maiwald noch unveröffentlichte Gedichte bekommen, um sie im Blog zu präsentieren. Es war ein Glücksfall, diesen wunderbaren Lyriker, den Marcel Reich-Ranicki als großes literarisches »Ereignis« gefeiert hatte, an den Anfang der Reihe stellen zu können. Denn der Blog sollte ja eine moderne Entdeckungsreise durch die Kinderlyrik der Gegenwart werden. Später kamen übrigens noch posthume Gedichte von Jürgen Spohn dazu, alles andere stammt von lebenden Dichterinnen und Dichtern.
Inzwischen sind über 60 Beiträge erschienen – an jedem 10. eines Monats stelle ich einen weiteren Autor, eine weitere Autorin mit Kindergedichten vor, die oft für diese Veröffentlichung eigens geschrieben oder doch zumindest dezidiert für den Blog ausgewählt wurden. Jeder Beitrag besteht aus minimal fünf und maximal acht Texten sowie einer Vita, in der die meisten Dichter auch schreiben, wieso sie Gedichte – und speziell Gedichte für Kinder – schreiben. Manchmal wird so ein Beitrag noch durch ein Audio- oder Video-Element ergänzt, vor allem bei solchen Autoren, die zweisprachig schreiben wie zum Beispiel der fränkische Mundartdichter Fitzgerald Kusz aus Nürnberg oder die Schweizer Autorinnen Angelika Overath und Leta Semadeni aus dem Engadin, die in Deutsch und Vallader, einer Sonderform des Rätoromanischen, dichten. Das ist ein Erlebnis für Kinder, die fremd klingende Sprache zu hören und dann in der vertrauteren Deutsch-Fassung Gleich- oder Ähnlich-Klänge zwischen den Sprachen auszumachen.
Im März 2020 konnte die Kinderlyrik-Reihe bereits ihr fünfjähriges Jubiläum feiern. Über 350 Gedichte ließen sich da schon im Blog nachlesen, damit ist sie die wohl größte Kindergedichtsammlung von Gegenwartsdichtern und -dichterinnen, die es weltweit gibt. Einmal, während der Fußball-WM 2018, entstanden auch für die zweimonatige Dauer der Spiele zwei Folgen nur mit Fußballgedichten. Solche Themen-Ausgaben wird es in Zukunft noch öfter geben.
Gerade wurde die Blog-Reihe übrigens beim diesjährigen Josef-Guggenmos-Preis für Kinderlyrik besonders lobend erwähnt. Und eine Auswahl von hundert Gedichten aus der Reihe gibt es gedruckt bei dtv junior in der Anthologie Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht mit wunderbaren Illustrationen von Sabine Kranz.
Friedrich Ani
Das macht Spaß
Ich sitz im Gras, das macht Spaß.
Um die Ecke
kriecht eine Schnecke, ich schau ihr zu.
Da kommt eine Kuh
und latscht über die Schnecke. Sie sinkt ins Gras,
das macht Spaß,
sie hat jetzt eine grüne Decke.
Jan Koneffke
Missionar in Afrika
Missionar in Afrika
stolperte mit Helm und Haar vor zwei faule Krokodile
die sich in der Pampe sielten grimmig Missionar anschielten
sprach das erste Krokodil: langsam wirds mir echt zu viel ewig Missionars zerreißen
die sich doof ins Wasser schmeißen nichts als Gottesmannsskelette ohne Schinkenschwabbelfette
schmutzen nur als Fliegenschiss mein nagelneues Drittgebiss ein
sprach das zweite: du hast recht Missionars bekomm mir schlecht wenn sie sich in meinem Rachen
schnatternd in die Hosen machen Amen sagen
Kreuze schlagen
halbverdaut in meinem Magen immer noch Gebete leiern muss ich reiern
Krokodile sachten nichts mehr Krokodile machten nichts mehr konnte Missionar entlaufen
und sich Haar und Hirn zerraufen warum er in Afrika
selbst Krokodilen zu fade war
Uwe-Michael Gutzschhahn: Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht. Hundert neue Kindergedichte. Mit Illustrationen von Sabine Kranz, dtv junior, München 2019, 176 s., € 16,95