Ein Glücksfall: Über den Nachlass von Mirjam Pressler
Anfang des vergangenen Jahres ist die Schriftstellerin Mirjam Pressler im Alter von 78 Jahren in Landshut gestorben. Sie zählte zu den wichtigsten Kinder- und Jugendbuchautor*innen des Landes. Zum Schreiben gekommen war sie aus Geldnot und weil sie den neuen Ton, der in den 70ern in die bundesdeutsche Kinderliteratur Einzug gehalten hatte, prima fand. Von der Studentenbewegung beeinflusst, drang ein wenig Rotzigkeit auch in die Kinderbücher, bekamen kleine Helden und Heldinnen eine Stimme, die sich wacker durchs nicht immer ganz feine, dafür echte Leben schlugen. Dass diese Storys auf nicht doofe junge Leser*innen setzten, denen man gerne noch eine Portion Selbstbewusstsein gegenüber den Erwachsenen verpasste, gefiel Pressler richtig gut. Sie nahm am Schreibtisch Platz, legte los und bekam für ihre Problemgeschichten in deutlicher Sprache auf Anhieb Anerkennung.
Auf ein Happy-End per Zauberspruch und Glitzerregen durfte man bei ihr zwar nie hoffen, ein Hauch von Zuversicht wehte dennoch durch ihre Texte, oder mit einem Pressler-Titel aus dem Jahr 1995 gesagt: Wenn das Glück kommt, muss man ihm (eben) einen Stuhl hinstellen. Auch als Übersetzerin – vor allem aus dem Niederländischen und dem Hebräischen – hatte sich Mirjam Pressler einen Namen gemacht.
In Verbindung mit der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) in der Blutenburg in Obermenzing stand Mirjam Pressler über Jahre. Und wer weiß, vielleicht gab’s bereits erste Kontakte dorthin, als sie mit ihren drei heranwachsenden Töchtern, einem Hund, einem Haus voller Büchern inmitten eines wilden Gartens keine ganz kurze Zeit und eben auch noch in den 80er und 90er Jahren in München gelebt hat. Sie hat der IJB jedenfalls noch zu Lebzeiten ihre übersetzten Bücher zukommen lassen, darunter Arbeitsexemplare mit interessanten Bleistiftnotizen am Rand.
Dann, im Sommer 2018 hat Mirjam Pressler bei einem Besuch von Jutta Reusch, der Leiterin des bibliothekarischen Dienstes der IJB, bei ihr in Landshut mit ihrer Unterschrift bestimmt, dass ihr literarischer Nachlass in die IJB kommen sollte. „Das lag schon nahe; Frau Pressler war ja oft bei uns im Haus, machte Lesungen, nahm an Podiumsgesprächen teil …“, sagt Jutta Reusch.
Besuche bei ihr – und da ging es Journalist*innen nicht anders – brachte die Autorin gerne schnell hinter sich, wollte so rasch wie möglich wieder zurück in die Schaffenswelt ihrer Schreibprojekte, von denen meistens gleich mehrere parallel liefen. Sie versank in ihren Materialien und damit in andere Zeiten und Geschichten. Einen von Papierstapeln befreiten Stuhl bei ihr zu finden, war nicht immer ganz einfach. Und so passt es, dass der Nachlass, der nach dem Tod der Schriftstellerin in München angekommen ist, „jetzt nicht gerade einen total geordneten Eindruck“ machte. „Sie war nun mal nicht die Archivarin ihrer selbst“, sagt Jutta Reusch.
Was die IJB da an Dokumenten neu bereichert, gilt als „kleiner Nachlass“, würde mit acht richtig großen Umzugskartons aber durchaus schon ein kleines Zimmer füllen. Konvolute setzen sich aus Materialsammlungen zu einzelnen Büchern zusammen. Zum Beispiel gibt es da eines zu ihrem posthum veröffentlichen Jugendroman Dunkles Gold, in dem sie um den berühmten „Schatz von Erfurt“, zu dem als herausragender Fund auch ein jüdischer Hochzeitsring aus dem 14. Jahrhundert gehört, eine Geschichte bis ins Heute, das gegenwärtige jüdische Leben in Deutschland spann.
Auch Materialien zur Bitterschokolade, das Buch, das sie 1980 bekannt gemacht hat und das von einem Mädchen erzählt, das seinen Kummer in Form von Schokolade in sich hineinfrisst, sind im Nachlass zu finden. Im Ganzen umfasst er Manuskripte, handschriftliche, getippte, Computerausdrucke, auch welche mit für den Schulfunk bearbeiteten Stoffen, daneben Briefe von jungen Leserinnen und Lesern, Texte von ganzen „Autorenkollektiven“, Mädchen und Jungen, die sich von Mirjam Presslers Büchern haben zum Schreiben inspirieren lassen, Korrespondenzen mit Verlagen, Rezensionen.
„Wenn sich dann so ein Kreis schließt von der Materialsammlung übers Manuskript bis hin zur Rezension, dann ist das ein Glücksfall“, sagt Jutta Reusch. Alles, was mit Presslers Übersetzung der textkritischen wie erweiterten Neuausgabe von Anne Franks Tagebuch aus dem Jahr 1991 zu tun hat, ist allerdings nicht nach München, sondern ans „Jüdische Museum“ in Frankfurt am Main gegangen.
Noch ist man am Sichten, am Erstellen von Listen, damit Forschungsgelder fließen können … Ist der Nachlass von Josef Guggenmos in Gänze bearbeitet – „denn wir schaffen es immer nur, einen Nachlass zu erschließen“ –, kommt in aller Genauigkeit der von der wichtigen Kinder- und Jugendbuchautorin Mirjam Pressler dran.
LiteraturSeiten München (wo dieser Artikel zuerst erschien)
Ein Glücksfall: Über den Nachlass von Mirjam Pressler>
Anfang des vergangenen Jahres ist die Schriftstellerin Mirjam Pressler im Alter von 78 Jahren in Landshut gestorben. Sie zählte zu den wichtigsten Kinder- und Jugendbuchautor*innen des Landes. Zum Schreiben gekommen war sie aus Geldnot und weil sie den neuen Ton, der in den 70ern in die bundesdeutsche Kinderliteratur Einzug gehalten hatte, prima fand. Von der Studentenbewegung beeinflusst, drang ein wenig Rotzigkeit auch in die Kinderbücher, bekamen kleine Helden und Heldinnen eine Stimme, die sich wacker durchs nicht immer ganz feine, dafür echte Leben schlugen. Dass diese Storys auf nicht doofe junge Leser*innen setzten, denen man gerne noch eine Portion Selbstbewusstsein gegenüber den Erwachsenen verpasste, gefiel Pressler richtig gut. Sie nahm am Schreibtisch Platz, legte los und bekam für ihre Problemgeschichten in deutlicher Sprache auf Anhieb Anerkennung.
Auf ein Happy-End per Zauberspruch und Glitzerregen durfte man bei ihr zwar nie hoffen, ein Hauch von Zuversicht wehte dennoch durch ihre Texte, oder mit einem Pressler-Titel aus dem Jahr 1995 gesagt: Wenn das Glück kommt, muss man ihm (eben) einen Stuhl hinstellen. Auch als Übersetzerin – vor allem aus dem Niederländischen und dem Hebräischen – hatte sich Mirjam Pressler einen Namen gemacht.
In Verbindung mit der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) in der Blutenburg in Obermenzing stand Mirjam Pressler über Jahre. Und wer weiß, vielleicht gab’s bereits erste Kontakte dorthin, als sie mit ihren drei heranwachsenden Töchtern, einem Hund, einem Haus voller Büchern inmitten eines wilden Gartens keine ganz kurze Zeit und eben auch noch in den 80er und 90er Jahren in München gelebt hat. Sie hat der IJB jedenfalls noch zu Lebzeiten ihre übersetzten Bücher zukommen lassen, darunter Arbeitsexemplare mit interessanten Bleistiftnotizen am Rand.
Dann, im Sommer 2018 hat Mirjam Pressler bei einem Besuch von Jutta Reusch, der Leiterin des bibliothekarischen Dienstes der IJB, bei ihr in Landshut mit ihrer Unterschrift bestimmt, dass ihr literarischer Nachlass in die IJB kommen sollte. „Das lag schon nahe; Frau Pressler war ja oft bei uns im Haus, machte Lesungen, nahm an Podiumsgesprächen teil …“, sagt Jutta Reusch.
Besuche bei ihr – und da ging es Journalist*innen nicht anders – brachte die Autorin gerne schnell hinter sich, wollte so rasch wie möglich wieder zurück in die Schaffenswelt ihrer Schreibprojekte, von denen meistens gleich mehrere parallel liefen. Sie versank in ihren Materialien und damit in andere Zeiten und Geschichten. Einen von Papierstapeln befreiten Stuhl bei ihr zu finden, war nicht immer ganz einfach. Und so passt es, dass der Nachlass, der nach dem Tod der Schriftstellerin in München angekommen ist, „jetzt nicht gerade einen total geordneten Eindruck“ machte. „Sie war nun mal nicht die Archivarin ihrer selbst“, sagt Jutta Reusch.
Was die IJB da an Dokumenten neu bereichert, gilt als „kleiner Nachlass“, würde mit acht richtig großen Umzugskartons aber durchaus schon ein kleines Zimmer füllen. Konvolute setzen sich aus Materialsammlungen zu einzelnen Büchern zusammen. Zum Beispiel gibt es da eines zu ihrem posthum veröffentlichen Jugendroman Dunkles Gold, in dem sie um den berühmten „Schatz von Erfurt“, zu dem als herausragender Fund auch ein jüdischer Hochzeitsring aus dem 14. Jahrhundert gehört, eine Geschichte bis ins Heute, das gegenwärtige jüdische Leben in Deutschland spann.
Auch Materialien zur Bitterschokolade, das Buch, das sie 1980 bekannt gemacht hat und das von einem Mädchen erzählt, das seinen Kummer in Form von Schokolade in sich hineinfrisst, sind im Nachlass zu finden. Im Ganzen umfasst er Manuskripte, handschriftliche, getippte, Computerausdrucke, auch welche mit für den Schulfunk bearbeiteten Stoffen, daneben Briefe von jungen Leserinnen und Lesern, Texte von ganzen „Autorenkollektiven“, Mädchen und Jungen, die sich von Mirjam Presslers Büchern haben zum Schreiben inspirieren lassen, Korrespondenzen mit Verlagen, Rezensionen.
„Wenn sich dann so ein Kreis schließt von der Materialsammlung übers Manuskript bis hin zur Rezension, dann ist das ein Glücksfall“, sagt Jutta Reusch. Alles, was mit Presslers Übersetzung der textkritischen wie erweiterten Neuausgabe von Anne Franks Tagebuch aus dem Jahr 1991 zu tun hat, ist allerdings nicht nach München, sondern ans „Jüdische Museum“ in Frankfurt am Main gegangen.
Noch ist man am Sichten, am Erstellen von Listen, damit Forschungsgelder fließen können … Ist der Nachlass von Josef Guggenmos in Gänze bearbeitet – „denn wir schaffen es immer nur, einen Nachlass zu erschließen“ –, kommt in aller Genauigkeit der von der wichtigen Kinder- und Jugendbuchautorin Mirjam Pressler dran.