Zum 250. Jubiläum: Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel in Bayern
Vor 250 Jahren, am 27. August 1770, wurde Georg Wilhelm Friedrich Hegel in Stuttgart geboren, einer der bedeutendsten deutschen Philosophen seiner Zeit. Seine Metaphysik des „Weltgeistes“ ist bis heute Zentralgegenstand in der Philosophiegeschichte. Für Hegel bestand die gesamte historische Wirklichkeit aus steter Veränderung, als Prozess des Weltgeistes, wodurch sich der „Endzweck“ in der Weltgeschichte, die „Vernunft“, zum Ausdruck bringe.
Anlässlich von Hegels Jubiläum in diesem Jahr hat sich der Münchner Buchhändler Franz Klug mit dessen Zeit in Bayern beschäftigt. Der „Weltgeist“-Metaphysiker hat besonders in Franken seine Spuren hinterlassen.
*
Georg Wilhelm Friedrich Hegel wurde am 27. August 1770 in Stuttgart geboren und verbrachte dort die Schul- und Jugendjahre. Er studierte in Tübingen von 1788 bis 1793 Theologie und Philosophie und arbeitete dann als Hofmeister und Hauslehrer in Bern und in Frankfurt. In Tübingen lernte Hegel Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Johann Christian Friedrich Hölderlin kennen, mit denen er im Tübinger Stift das Zimmer teilte. 1801 ging er nach Jena und lehrte dort als außerordentlicher Professor bis 1806. Jena war um 1800 das geistige Athen der damaligen Zeit, man sprach auch von Saale-Athen. Neben Fichte waren unter anderem Schiller, Schelling, die Brüder Schlegel und Novalis in Jena. Da Weimar nicht weit war, gab es auch gute Kontakte zu Goethe und andere damalige wichtige Kulturmenschen. In der Jenaer Zeit entsteht Hegels erstes großes Werk, Die Phänomenologie des Geistes. Da Hegels Besoldung eher karg war, er keine Aussicht auf eine ordentliche Professur in Jena hatte und Jena durch den Einmarsch der Truppen Napoleons kurzzeitig ein unsicherer Platz geworden war – auch Hegels Wohnung wurde geplündert –, ging Hegel 1807 nach Bamberg. Mit dem Ortswechsel von Jena nach Bamberg wechselte er vom Herzogtum Sachsen-Weimar ins Königreich Bayern.
Hegel in Bamberg (1807/1808)
Hegel ging nach Bamberg, da sein Freund Friedrich Immanuel Niethammer ihm das Angebot, die Redaktion der Bamberger Zeitung zu übernehmen, vermittelt hatte. Hegel nahm dieses Angebot gerne an, um der eher tristen Situation in Jena zu entkommen. Zwischen Hegel und Niethammer hatte sich schon in der gemeinsamen Zeit in Jena eine enge Freundschaft entwickelt, die sich dann in der Bamberger und Nürnberger Zeit noch vertiefte. Die enge Freundschaft zwischen Hegel und Niethammer ist sehr gut dokumentiert im Briefwechsel aus der Jenaer, Bamberger und Nürnberger Zeit.
Niethammer, der auch ein gebürtiger Württemberger war, im Tübinger Stift studiert und in Jena gelehrt hatte, war dafür verantwortlich, dass der Weltgeist Hegel neun Jahre in Bayern verbrachte. Nach der Stelle in Bamberg besorgte er für Hegel die Stelle als Gymnasialdirektor in Nürnberg und half ihm, wann immer er konnte. Er bürgte zum Beispiel bei der Herausgabe der Phänomenologie des Geistes, die in Jena entstanden war und bei dem Bamberger Buchhändler und Verleger Joseph Anton Goebhardt gedruckt werden sollte. Es fehlten für den endgültigen Druck noch letzte Seiten und Niethammer erklärte sich bereit, die vollständige Auflage für je 12 Gulden pro Bogen zu kaufen, falls das Werk unvollständig bleiben sollte. Hegel brachte die letzten Seiten zum Druck und das große Werk Die Phänomenologie des Geistes erschien dann Ende März 1807 in Bamberg. Da Hegel ja noch im Dienste des Herzogs von Sachsen-Weimar stand, suchte er nun um Urlaub an und unterrichtete davon in einem Brief auch den Minister Goethe. Dem Schreiben legte er ein besonders fein gebundenes Exemplar seiner Phänomenologie des Geistes bei. Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe war zwar nicht direkt zuständig für die Universitätsbesetzungen, hatte aber als Mitglied der Regierung und Freund des Herzogs einen nicht unwesentlichen Einfluss auf politische Entscheidungen.
In der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes diagnostiziert Hegel eine große herrschende Geistesarmut und stellt fest: „An diesem, woran dem Geiste genügt, ist die Größe seines Verlustes zu ermessen.“ (G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geiste, S. 17, zit. n. Suhrkamp 1970) Ziel dieser Arbeit war für Hegel zu zeigen, dass die Philosophie nicht Liebe zum Wissen, sondern wirkliches Wissen ist. Mit diesem 600 Seiten starken Weltentwurf über Vernunft, Geist und Religion schrieb sich rückblickend Hegel an die Spitze der damaligen Philosophie.
Die Bamberger Zeitung war ein täglich erscheinendes, vierseitiges reines Textblatt und hatte einen Abonnentenstamm von ca. 2.000 Exemplaren. Zeitungsherausgeber war zu Hegels Zeit Konrad Schneiderbanger. Hegel organisierte die Texte für die Zeitung und meldete sich selbst nur mit ganz wenigen Beiträgen zu Wort. Thematisch behandelte Hegel vor allem Themen, die der Sieg Napoleons vorgegeben hatte. Die Textauswahl reichte von Fragen einer Staatsverfassung – hier bringt Hegel vor allem Vergleiche der existierenden europäischen Verfassungen – über die Vorstellung französischer Aufklärungsphilosophen bis zur Berichterstattung über den Verlauf der Napoleonischen Kriege und zur Propagierung der Wichtigkeit öffentlicher Bildung.
Hegel wohnte in Bamberg im Haus zu Krebs am Pfahlplätzchen am Fuße des Domberges. Wie bereits in Jena pflegte Hegel auch in Bamberg ein geselliges Leben. Hegel besuchte das Theater, begeisterte sich für fränkische Weine, liebte aber auch schwere französische und trank auch gern regionales Bier. Hegel verkehrte in verschiedenen Bürgerhäusern, vor allem im Haus Liebeskind, wo beide Ehepartner, Heinrich Liebeskind und seine Frau Meta Dorothea Forkel-Liebeskind, Anhänger der französischen Aufklärung waren.
Die Begeisterung für Bamberg und das Zeitungsmachen ließ jedoch bald nach, denn Hegels Ziel war es nach wie vor, eine Professorenstelle zu bekommen. Er arbeitete bereits an seinem weiteren großen Werk, der Wissenschaft der Logik. Dazu kam noch ein Streit mit der Zensur. Hegel musste sich dafür rechtfertigen, dass er einen Beitrag über den Erfurter Fürstenkongress veröffentlichte hatte, der vom bayrischen Königshaus missbilligt wurde. Nun will Hegel die Zeitungsgaleere wieder verlassen und teilt seine schwierige Situation auch Niethammer in Briefen nach München mit.
Hegel in Nürnberg (1808-1816)
Niethammer, den der bayerische Reformminister Maximilian von Montgelas nach München berief, um an der Reform des bayerischen Schulwesens mitzuarbeiten, war seit 1808 als Oberschulrat in München tätig. Er unterbreitete Hegel den Vorschlag, Rektor eines Gymnasiums zu werden. Hegel sagte zu und wurde 1808 vom König zum Rektor des ersten Nürnberger humanistischen Gymnasiums, des Egidiengymnasiums – dem Aigidianum – ernannt. Dieses Gymnasium war als lutherisch-protestantische Schule 1526 unter Philipp Melanchthon gegründet worden, daher heißt das Gymnasium heute auch Melanchthon Gymnasium und gilt als ältestes humanistisches Gymnasium Deutschlands.
Philipp Melanchthon war neben Martin Luther der wichtigste kirchenpolitische Akteur und Autor der Wittenberger Reformation. Er trug maßgebend dazu bei, dass sich der neue evangelisch-lutherische Glaube stark verbreitete und Nürnberg zu einer Hochburg des evangelisch-lutherischen Glaubens wurde. 1812 waren von den 26.569 Einwohnern der Stadt Nürnberg 25.313 evangelisch-lutherischer und 1.158 katholischer Konfession.
Kirche von St. Egidien und das Melanchthon-Gymnasium in Nürnberg. Kupferstich von Johann Adam Delsenbach (1687-1765). (c) Bayerische Staatsbibliothek, Porträt- und Ansichtensammlung.
Nürnberg, das bis 1806 freie Reichsstadt gewesen war, gehörte nun zum Königreich Bayern, das auf der Seite Napoleons stand. Daher musste Hegel, der nun offiziell in die Dienste des Königs von Bayern trat, Herzog Karl August um Entlassung aus dessen Diensten bitten, denn bis zu diesem Zeitpunkt war er nur beurlaubt. Er schrieb, nach seiner Ernennung im November 1808, an den Herzog Karl August:
Durchlauchtigster Herzog, Gnädigster Herzog und Herr! Des Doktors und außerord. Professors der Philosophie auf der Herzoglichen Gesamt-Universität zu Jena alleruntertänigste Bitte, seine Entlassung von dieser Stelle betreffend.
Nachdem Se. Königl. Majestät von Bayern allergnädigst geruht haben, durch ein Allerhöchstes Dekret vom 4ten dieses mich zum Rektor und Professor an dem Gymnasium zu Nürnberg zu ernennen, ich aber diese Stelle nicht annehmen kann, bevor ich nicht der Pflichten, in welchen ich als außerordentlicher Professor der Philosophie an der Herzoglichen Gesamt-Universität zu Jena stehe, entlassen bin, so geht mein alleruntertänigstes Gesuch an Euer Herzogliche Durchlaucht, mich von diesen Pflichten allergnädigst loszusagen. Erlauben mir Euer Herzogliche Durchlaucht hiebei, den Schmerz auszudrücken, den ich bei der Trennung von einer Akademie empfinde, auf welcher die erhabene Gunst ihrer Durchlauchtigsten Erhalter den Wissenschaften und denjenigen, welche sich demselben widmen, einen so großmütigen Schutz und Aufmunterung erteilt, welchen auch ich so vieles schuldig zu sein mit dem dankbarsten Gemüte mich immer allerehrerbietigst erinnern werde. In pflichtschuldigster Ehrfurcht verharre devotest
Euer Herzoglichen Durchlaucht alleruntertänigster Georg Wilhelm Friedrich Hegel
(Brief 142, Hegel an Herzog Karl August, November 1808. Briefe von und an Hegel. Bd. I 1785-1812, S. 263f., zit. n. Meiner 1969)
Die ersten Aufgaben von Hegel an der Schule bestanden darin, dafür zu sorgen, das Schulgebäude, das sich in einem schlechten Zustand befand, zu sanieren. Es war jahrelang nicht gestrichen worden und es gab keine Toiletten, damals Abtritte genannt. Auch seine Dienstwohnung, die sich im 1. Stock befand, brauchte einen neuen Anstrich. Neben diesen praktischen Tätigkeiten gab es auch die Herausforderung, den Unterricht neu zu organisieren. Hegel machte nicht nur praktische Verbesserungen für den laufenden Schulbetrieb, sondern schrieb auch Einführungstexte für den Philosophieunterricht. Die führten von der „Logik für die Mittelklasse“, über die „Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse“ bis zur „Begriffslehre für die Oberklasse“.
Über seinen Unterricht verfasste Hegel ein schriftliches Protokoll. Im Unterrichtsjahr 1809/1810 unterrichtete Hegel in der Oberklasse vier Stunden wöchentlich Philosophie: „Zuerst wurde die Logik in ihrer ganzen Ausdehnung abgehandelt, jedoch mit Ausschließung der objektiven oder transzendentalen Logik; alsdann von der philosophischen Enzyklopädie der Teil, der die Naturwissenschaften in sich begreift.“ In der Mittelklasse vier Stunden wöchentlich Philosophische Vorbereitungswissenschaften: „Die Lehre von den Stufen des Bewußtseins, alsdann der theoretische Teil der Psychologie, nämlich die Lehre von der Intelligenz wurden nach diktierten Paragraphen so abgehandelt, daß die Schüler angeleitet wurden, abstrakte Vorstellungen aufzufassen und den ersten Begriff von einem systematischen Fortgange einer Wissenschaft zu erhalten.“ In der Unterklasse vier Stunden wöchentlich Philosophische Vorbereitungswissenschaften. „Rektor Hegel trug zuerst die allgemeinen Begriffe der Logik vor; dann ging er zu der Rechts-, Pflichten- und Religionslehre über, wovon gleichfalls die ersten Grundbegriffe abgehandelt wurden.“ (Berichte Hegels über seine Unterrichtsgegenstände. G.W.F. Hegel: Nürnberger und Heidelberger Schriften 1808-1817, S. 295, zit. n. Suhrkamp 2019)
Seine Bildungsideen präzisierte Hegel in seinen Gymnasialreden, die er immer am Abschluss eines Schuljahres hielt.
Gesellschaftlich war Hegel, wie bereits in Bamberg, in der reichhaltigen Nürnberger Kulturlandschaft, in den existierenden großbürgerlichen Vereinen und Gesellschaften gut verankert. Hegel war Mitglied im Verein Harmonie, im Verein Museum, in der Französischen Gesellschaft und in der Gesellschaft zur Beförderung der vaterländischen Industrie.
Im Vorgriff auf die sich Ende des 19. Jahrhundert etablierende Salonkultur des Bürgertums führten die reichen Nürnberger Kaufmannsfamilien schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein offenes Haus, in dem die ganze Woche über, mittags und abends Gäste ein und aus gingen. Rebekka Habermas, die die Familiengeschichte der angesehenen und reichen Nürnberger Kaufmannsfamilie Merkel näher untersucht hat, stellt fest: „Kaum ein Mittag oder Abend verging ohne Besuch, und von jedem wurde ausführlich berichtet – etwa in den Briefen der Mutter an die Tochter, in denen häusliche Geselligkeit breiten Raum einnahm. In einer einzigen Woche kamen im Merkelschen Hause drei Pfarrer, ein Kaufmannsehepaar, ein Rechtsgelehrter samt Gattin, ein Professor der Philosophie, eine Literatin, ein Arzt, Hegel höchstselbst, die Freundin Colmarin und andere Freunde und Bekannte zusammen.“ (Hermann Glaser: Georg Wilhelm Friedrich Wilhelm Hegel. Weltgeist in Franken, S. 106, zit. n. Schrenk 2008)
Hegel, der seit der Jenaer Zeit Vater eines unehelichen Kindes war, beschloss in Nürnberg in den Bund der Ehe einzutreten. Er hielt bei der angesehenen Kaufmannsfamilie Tucher um die Hand von Marie von Tucher an. Bei der Brautwerbung zeigte sich auch Hegels poetische Ader. Hegel hatte schon mit seiner Eloge Eleusis, die er für Hölderlin schrieb, bewiesen, dass er nicht nur in nüchterner Philosophenprosa bewandert war. Der Brief an seine Braut, An Marie, vom 17. April 1811 beginnt mit
Du Mein! solch Herz darf mein ich nennen,
In Deinem Blick
Der Liebe Widerblick erkennen,
O Wonne, o höchstes Glück!
Und endet mit
Der Kuß die tiefre Sprache ist,
Darin die Seelen sich erreichen,
Mein Herz in Deins hinüberfließt.
(Brief 180, Hegel an seine Braut, 17.4.1811, Briefe von und an Hegel. Bd. I 1785-1812, S. 355 f, zit. n. Meiner 1969)
Hegel heiratete am 15. September 1811 Marie Susanne Helene von Tucher. Die Ehe verlief glücklich und in gegenseitiger Achtung und Liebe bis zum Tode Hegels 1831. Marie Hegel, geb. Tucher, verstarb 1855. Der Ehe entstammten drei Kinder. Die Tochter, die Erstgeborene, starb bald nach der Geburt. Karl, der ältere Sohn, wurde Professor der Geschichte an der Universität Erlangen und Immanuel, der jüngere, wurde Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg. Hegels Verhältnis zu Ludwig, seinem unehelichen Sohn, war widersprüchlich. Einerseits bemühte er sich um eine gute Erziehung für ihn, andererseits zwang er ihn, den Namen Fischer zu tragen, nachdem der Junge 8 Groschen in der Kaufmannslehre veruntreut hatte. Hegel kaufte Ludwig ein Offizierspatent für den holländischen Kolonialdienst, und Ludwig Fischer verstarb am 28. August 1831 in Jakarta, zwei Monate und ein paar Tage bevor sein Vater überraschend starb.
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Titelblätter: Phänomenologie des Geistes, 1807 (Bamberg/Würzburg), und Wissenschaft der Logik, 1813 (Nürnberg).
Weder Schulamt noch Ehe hinderten Hegel daran, weiter an seinem System der Wissenschaften zu arbeiten. Von der Wissenschaft der Logik, die auf drei Bücher angelegt ist – die Lehre vom Sein, die Lehre vom Wesen und die Lehre vom Begriff – erscheint 1812 das erste Buch. 1813 erscheint das zweite Buch und 1816 das dritte Buch. Hegel fordert in seiner Vorrede, die Wissenschaft von der Logik neu zu denken, da die Umwandlungen in den Wissenschaften und der Philosophie bis jetzt noch nicht auf dem Gebiet der Logik angekommen seien. Über die Schwierigkeiten des Schreibens in Zeiten der Geldknappheit und einer fehlenden Professur schreibt Hegel am 5. Februar 1812 an Niethammer:
An meiner Logik sind 9 Bogen gedruckt. Vor Ostern sollen vielleicht noch 20 mehr gedruckt werden. Was kann ich vorläufig davon sagen, als daß die 25-30 Bogen nur der erste Teil sind, daß sie von der gewöhnlichen sogenannten Logik noch nichts enthalten, daß sie die metaphysische oder ontologische Logik sind: erstes Buch vom Sein, zweites vom Wesen, wenn anders das 2. noch in den ersten Teil kann. Ich stecke bis über die Ohren darin. Es ist keine Kleinigkeit, im ersten Semester seiner Verheuratung ein Buch des abstrusesten Inhalts von 30 Bogen zu schreiben. – Aber injuria temporum! Ich bin kein Akademikus; zur gehörigen Form hätte ich noch ein Jahr gebraucht, aber ich brauche Geld, um zu leben.
(Brief 198, Hegel an Niethammer, 5.2.1812. Briefe von und an Hegel. Bd. I 1785-1812, S. 393, zit. n. Meiner 1969)
Die finanzielle Situation verbesserte sich für Hegel etwas, als er 1813 Leiter des königlichen Referats für Schul- und Studiensachen wurde und damit die gesamte Aufsicht das Schulwesen im damaligen Nürnberg erhielt.
Über die Lehrerzeit von Hegel in Nürnberg gibt es rückblickend zahlreiche positive Erinnerungen. Der Hegelschüler Johann Georg August Wirth beschrieb die damalige Situation am Gymnasium und die Lehrtätigkeit Hegels folgendermaßen:
Von der unteren Gymnasialklasse an, wo man noch vier Jahresstufen bis zur Universität hatte, redete er jeden Schüler mit „Herr“ an und bemaß hiernach auch seinen Tadel oder seine Zurechtweisungen. Ein solches achtungsvolles Benehmen eines Mannes, dessen Ruf täglich stieg, gegen junge Leute erweckte in diesen ein ungemein hebendes Selbstgefühl, dem notwendig das Verlangen entsprechen mußte, durch anständiges Betragen einer solchen Auszeichnung sich würdig zu machen. Wie groß war deshalb die Verwunderung, welche die erste Unterrichtsstunde im Gymnasium zu Nürnberg hervorbrachte! Das urbane Benehmen eines gefeierten Lehrers, die ehrerbietige Aufmerksamkeit der Schüler, der letztern Bestreben nach feiner Sitte: der akademische Anstand des Ganzen! Das Beispiel von Hegel wurde allmählich auch von den übrigen Professoren befolgt, und so schien die Anstalt schon eine hohe Schule zu sein. Jetzt lernte ich die Einflüsse der Freiheit auf Geist und Herz begabter Jünglinge zum ersten Male kennen.
(Hermann Glaser: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Weltgeist in Franken, S. 76, zit. n. Schrenk 2008)
Nachdem verschiedene Versuche Hegels, eine Professur zu bekommen, gescheitert waren, erfolgte 1816 der akademische Durchbruch. 1816 erhielt Hegel gleich zwei Berufungen: eine nach Heidelberg und eine nach Berlin. Ausschlaggebend für die Berliner Berufung war Hegels Wissenschaft der Logik und seine hervorragende Lehrtätigkeit in Nürnberg. Hegel nahm die Berufung für Heidelberg an, nicht wissend dass ihn auch Berlin gern gehabt hätte, da der Berliner Ruf erst einlangte, als Hegel sich schon für Heidelberg entschieden hatte. Da ihn der bayerische König in Bayern halten wollte, bot er Hegel eine Professorenstelle für Philologie in Erlangen an. Hegel lehnte mit dem Hinweis ab, dass er bereits für Heidelberg zugesagt und inzwischen auch eine von Berlin gekommene Berufung abgelehnt habe. Er schreibt am 7. September 1816 seinen Ablehnungsbrief an das Königliche Kommissariat der Stadt Nürnberg. Der letzte Satz des Briefes lautet:
Aus demselben Grunde, wenn auch die andern untertänigst vorgelegten Umstände nicht damit verbunden wären, ist es mir schmerzlich, der allergnädigsten Intention meiner Versetzung nach Erlangen gleichfalls nicht mehr entsprechen zu können, und indem ich die in Sr. Königlichen Majestät Diensten mir seither zugeflossene und diese neueste Huld und Gnade zeitlebens mit dankerfüllten Gemüte erkennen werde, erlaube ich mir, ein Königl. Kommissariat untertänigst zu bitten, dieses mein ehrerbietigstes Dankgefühl als auch die alleruntertänigst hiemit verbundene Erneuerung meines von der Aussicht, in Zukunft ausschließlich mich meiner Berufswissenschaft widmen zu können, und der mir so wesentlichen Verbesserung meiner ökonomischen Lage und dann von meiner eingegangenen Verbindlichkeit abgenötigten Entlassungsgesuch Sr. Königlichen Majestät mit Hochdesselben gnädigster Unterstützung zu Füßen zu legen.
Womit ich in tiefer Ehrfurcht verharre
eines Königlichen Kommissariats untertänigster
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
seitheriger Rektor und Professor
am Königl. Gymnasium dahier.
(Brief 297. Hegel an das Nürnberger Stadtkommissariat, 7.9.1816, Briefe von und an Hegel. Bd. II 1813-1822, S. 129, zit. n. Meiner 1969)
Am 19. Oktober 1816 traf Hegel in Heidelberg ein und trat seine erste ordentliche Professorenstelle an. 1818 wurde Hegel erneut nach Berlin berufen. Er nahm diesmal die Berufung an und lehrte an der Berliner Universität bis zu seinem völlig unerwarteten Tod am 14. November 1831. Offiziell starb Hegel an der damals in Berlin wütenden Cholera. Genaue Nachforschungen zeigen jedoch, dass diese Diagnose nicht haltbar ist, wahrscheinlich starb Hegel an einem chronischen Magenleiden, das sich akut verschlimmerte. Begraben wurde Hegel neben Fichte auf dem Berliner Dorotheenstädter Friedhof.
Zum 250. Jubiläum: Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel in Bayern>
Vor 250 Jahren, am 27. August 1770, wurde Georg Wilhelm Friedrich Hegel in Stuttgart geboren, einer der bedeutendsten deutschen Philosophen seiner Zeit. Seine Metaphysik des „Weltgeistes“ ist bis heute Zentralgegenstand in der Philosophiegeschichte. Für Hegel bestand die gesamte historische Wirklichkeit aus steter Veränderung, als Prozess des Weltgeistes, wodurch sich der „Endzweck“ in der Weltgeschichte, die „Vernunft“, zum Ausdruck bringe.
Anlässlich von Hegels Jubiläum in diesem Jahr hat sich der Münchner Buchhändler Franz Klug mit dessen Zeit in Bayern beschäftigt. Der „Weltgeist“-Metaphysiker hat besonders in Franken seine Spuren hinterlassen.
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel wurde am 27. August 1770 in Stuttgart geboren und verbrachte dort die Schul- und Jugendjahre. Er studierte in Tübingen von 1788 bis 1793 Theologie und Philosophie und arbeitete dann als Hofmeister und Hauslehrer in Bern und in Frankfurt. In Tübingen lernte Hegel Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Johann Christian Friedrich Hölderlin kennen, mit denen er im Tübinger Stift das Zimmer teilte. 1801 ging er nach Jena und lehrte dort als außerordentlicher Professor bis 1806. Jena war um 1800 das geistige Athen der damaligen Zeit, man sprach auch von Saale-Athen. Neben Fichte waren unter anderem Schiller, Schelling, die Brüder Schlegel und Novalis in Jena. Da Weimar nicht weit war, gab es auch gute Kontakte zu Goethe und andere damalige wichtige Kulturmenschen. In der Jenaer Zeit entsteht Hegels erstes großes Werk, Die Phänomenologie des Geistes. Da Hegels Besoldung eher karg war, er keine Aussicht auf eine ordentliche Professur in Jena hatte und Jena durch den Einmarsch der Truppen Napoleons kurzzeitig ein unsicherer Platz geworden war – auch Hegels Wohnung wurde geplündert –, ging Hegel 1807 nach Bamberg. Mit dem Ortswechsel von Jena nach Bamberg wechselte er vom Herzogtum Sachsen-Weimar ins Königreich Bayern.
Hegel in Bamberg (1807/1808)
Hegel ging nach Bamberg, da sein Freund Friedrich Immanuel Niethammer ihm das Angebot, die Redaktion der Bamberger Zeitung zu übernehmen, vermittelt hatte. Hegel nahm dieses Angebot gerne an, um der eher tristen Situation in Jena zu entkommen. Zwischen Hegel und Niethammer hatte sich schon in der gemeinsamen Zeit in Jena eine enge Freundschaft entwickelt, die sich dann in der Bamberger und Nürnberger Zeit noch vertiefte. Die enge Freundschaft zwischen Hegel und Niethammer ist sehr gut dokumentiert im Briefwechsel aus der Jenaer, Bamberger und Nürnberger Zeit.
Niethammer, der auch ein gebürtiger Württemberger war, im Tübinger Stift studiert und in Jena gelehrt hatte, war dafür verantwortlich, dass der Weltgeist Hegel neun Jahre in Bayern verbrachte. Nach der Stelle in Bamberg besorgte er für Hegel die Stelle als Gymnasialdirektor in Nürnberg und half ihm, wann immer er konnte. Er bürgte zum Beispiel bei der Herausgabe der Phänomenologie des Geistes, die in Jena entstanden war und bei dem Bamberger Buchhändler und Verleger Joseph Anton Goebhardt gedruckt werden sollte. Es fehlten für den endgültigen Druck noch letzte Seiten und Niethammer erklärte sich bereit, die vollständige Auflage für je 12 Gulden pro Bogen zu kaufen, falls das Werk unvollständig bleiben sollte. Hegel brachte die letzten Seiten zum Druck und das große Werk Die Phänomenologie des Geistes erschien dann Ende März 1807 in Bamberg. Da Hegel ja noch im Dienste des Herzogs von Sachsen-Weimar stand, suchte er nun um Urlaub an und unterrichtete davon in einem Brief auch den Minister Goethe. Dem Schreiben legte er ein besonders fein gebundenes Exemplar seiner Phänomenologie des Geistes bei. Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe war zwar nicht direkt zuständig für die Universitätsbesetzungen, hatte aber als Mitglied der Regierung und Freund des Herzogs einen nicht unwesentlichen Einfluss auf politische Entscheidungen.
In der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes diagnostiziert Hegel eine große herrschende Geistesarmut und stellt fest: „An diesem, woran dem Geiste genügt, ist die Größe seines Verlustes zu ermessen.“ (G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geiste, S. 17, zit. n. Suhrkamp 1970) Ziel dieser Arbeit war für Hegel zu zeigen, dass die Philosophie nicht Liebe zum Wissen, sondern wirkliches Wissen ist. Mit diesem 600 Seiten starken Weltentwurf über Vernunft, Geist und Religion schrieb sich rückblickend Hegel an die Spitze der damaligen Philosophie.
Die Bamberger Zeitung war ein täglich erscheinendes, vierseitiges reines Textblatt und hatte einen Abonnentenstamm von ca. 2.000 Exemplaren. Zeitungsherausgeber war zu Hegels Zeit Konrad Schneiderbanger. Hegel organisierte die Texte für die Zeitung und meldete sich selbst nur mit ganz wenigen Beiträgen zu Wort. Thematisch behandelte Hegel vor allem Themen, die der Sieg Napoleons vorgegeben hatte. Die Textauswahl reichte von Fragen einer Staatsverfassung – hier bringt Hegel vor allem Vergleiche der existierenden europäischen Verfassungen – über die Vorstellung französischer Aufklärungsphilosophen bis zur Berichterstattung über den Verlauf der Napoleonischen Kriege und zur Propagierung der Wichtigkeit öffentlicher Bildung.
Hegel wohnte in Bamberg im Haus zu Krebs am Pfahlplätzchen am Fuße des Domberges. Wie bereits in Jena pflegte Hegel auch in Bamberg ein geselliges Leben. Hegel besuchte das Theater, begeisterte sich für fränkische Weine, liebte aber auch schwere französische und trank auch gern regionales Bier. Hegel verkehrte in verschiedenen Bürgerhäusern, vor allem im Haus Liebeskind, wo beide Ehepartner, Heinrich Liebeskind und seine Frau Meta Dorothea Forkel-Liebeskind, Anhänger der französischen Aufklärung waren.
Die Begeisterung für Bamberg und das Zeitungsmachen ließ jedoch bald nach, denn Hegels Ziel war es nach wie vor, eine Professorenstelle zu bekommen. Er arbeitete bereits an seinem weiteren großen Werk, der Wissenschaft der Logik. Dazu kam noch ein Streit mit der Zensur. Hegel musste sich dafür rechtfertigen, dass er einen Beitrag über den Erfurter Fürstenkongress veröffentlichte hatte, der vom bayrischen Königshaus missbilligt wurde. Nun will Hegel die Zeitungsgaleere wieder verlassen und teilt seine schwierige Situation auch Niethammer in Briefen nach München mit.
Hegel in Nürnberg (1808-1816)
Niethammer, den der bayerische Reformminister Maximilian von Montgelas nach München berief, um an der Reform des bayerischen Schulwesens mitzuarbeiten, war seit 1808 als Oberschulrat in München tätig. Er unterbreitete Hegel den Vorschlag, Rektor eines Gymnasiums zu werden. Hegel sagte zu und wurde 1808 vom König zum Rektor des ersten Nürnberger humanistischen Gymnasiums, des Egidiengymnasiums – dem Aigidianum – ernannt. Dieses Gymnasium war als lutherisch-protestantische Schule 1526 unter Philipp Melanchthon gegründet worden, daher heißt das Gymnasium heute auch Melanchthon Gymnasium und gilt als ältestes humanistisches Gymnasium Deutschlands.
Philipp Melanchthon war neben Martin Luther der wichtigste kirchenpolitische Akteur und Autor der Wittenberger Reformation. Er trug maßgebend dazu bei, dass sich der neue evangelisch-lutherische Glaube stark verbreitete und Nürnberg zu einer Hochburg des evangelisch-lutherischen Glaubens wurde. 1812 waren von den 26.569 Einwohnern der Stadt Nürnberg 25.313 evangelisch-lutherischer und 1.158 katholischer Konfession.
Kirche von St. Egidien und das Melanchthon-Gymnasium in Nürnberg. Kupferstich von Johann Adam Delsenbach (1687-1765). (c) Bayerische Staatsbibliothek, Porträt- und Ansichtensammlung.
Nürnberg, das bis 1806 freie Reichsstadt gewesen war, gehörte nun zum Königreich Bayern, das auf der Seite Napoleons stand. Daher musste Hegel, der nun offiziell in die Dienste des Königs von Bayern trat, Herzog Karl August um Entlassung aus dessen Diensten bitten, denn bis zu diesem Zeitpunkt war er nur beurlaubt. Er schrieb, nach seiner Ernennung im November 1808, an den Herzog Karl August:
Durchlauchtigster Herzog, Gnädigster Herzog und Herr! Des Doktors und außerord. Professors der Philosophie auf der Herzoglichen Gesamt-Universität zu Jena alleruntertänigste Bitte, seine Entlassung von dieser Stelle betreffend.
Nachdem Se. Königl. Majestät von Bayern allergnädigst geruht haben, durch ein Allerhöchstes Dekret vom 4ten dieses mich zum Rektor und Professor an dem Gymnasium zu Nürnberg zu ernennen, ich aber diese Stelle nicht annehmen kann, bevor ich nicht der Pflichten, in welchen ich als außerordentlicher Professor der Philosophie an der Herzoglichen Gesamt-Universität zu Jena stehe, entlassen bin, so geht mein alleruntertänigstes Gesuch an Euer Herzogliche Durchlaucht, mich von diesen Pflichten allergnädigst loszusagen. Erlauben mir Euer Herzogliche Durchlaucht hiebei, den Schmerz auszudrücken, den ich bei der Trennung von einer Akademie empfinde, auf welcher die erhabene Gunst ihrer Durchlauchtigsten Erhalter den Wissenschaften und denjenigen, welche sich demselben widmen, einen so großmütigen Schutz und Aufmunterung erteilt, welchen auch ich so vieles schuldig zu sein mit dem dankbarsten Gemüte mich immer allerehrerbietigst erinnern werde. In pflichtschuldigster Ehrfurcht verharre devotest
Euer Herzoglichen Durchlaucht alleruntertänigster Georg Wilhelm Friedrich Hegel
(Brief 142, Hegel an Herzog Karl August, November 1808. Briefe von und an Hegel. Bd. I 1785-1812, S. 263f., zit. n. Meiner 1969)
Die ersten Aufgaben von Hegel an der Schule bestanden darin, dafür zu sorgen, das Schulgebäude, das sich in einem schlechten Zustand befand, zu sanieren. Es war jahrelang nicht gestrichen worden und es gab keine Toiletten, damals Abtritte genannt. Auch seine Dienstwohnung, die sich im 1. Stock befand, brauchte einen neuen Anstrich. Neben diesen praktischen Tätigkeiten gab es auch die Herausforderung, den Unterricht neu zu organisieren. Hegel machte nicht nur praktische Verbesserungen für den laufenden Schulbetrieb, sondern schrieb auch Einführungstexte für den Philosophieunterricht. Die führten von der „Logik für die Mittelklasse“, über die „Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse“ bis zur „Begriffslehre für die Oberklasse“.
Über seinen Unterricht verfasste Hegel ein schriftliches Protokoll. Im Unterrichtsjahr 1809/1810 unterrichtete Hegel in der Oberklasse vier Stunden wöchentlich Philosophie: „Zuerst wurde die Logik in ihrer ganzen Ausdehnung abgehandelt, jedoch mit Ausschließung der objektiven oder transzendentalen Logik; alsdann von der philosophischen Enzyklopädie der Teil, der die Naturwissenschaften in sich begreift.“ In der Mittelklasse vier Stunden wöchentlich Philosophische Vorbereitungswissenschaften: „Die Lehre von den Stufen des Bewußtseins, alsdann der theoretische Teil der Psychologie, nämlich die Lehre von der Intelligenz wurden nach diktierten Paragraphen so abgehandelt, daß die Schüler angeleitet wurden, abstrakte Vorstellungen aufzufassen und den ersten Begriff von einem systematischen Fortgange einer Wissenschaft zu erhalten.“ In der Unterklasse vier Stunden wöchentlich Philosophische Vorbereitungswissenschaften. „Rektor Hegel trug zuerst die allgemeinen Begriffe der Logik vor; dann ging er zu der Rechts-, Pflichten- und Religionslehre über, wovon gleichfalls die ersten Grundbegriffe abgehandelt wurden.“ (Berichte Hegels über seine Unterrichtsgegenstände. G.W.F. Hegel: Nürnberger und Heidelberger Schriften 1808-1817, S. 295, zit. n. Suhrkamp 2019)
Seine Bildungsideen präzisierte Hegel in seinen Gymnasialreden, die er immer am Abschluss eines Schuljahres hielt.
Gesellschaftlich war Hegel, wie bereits in Bamberg, in der reichhaltigen Nürnberger Kulturlandschaft, in den existierenden großbürgerlichen Vereinen und Gesellschaften gut verankert. Hegel war Mitglied im Verein Harmonie, im Verein Museum, in der Französischen Gesellschaft und in der Gesellschaft zur Beförderung der vaterländischen Industrie.
Im Vorgriff auf die sich Ende des 19. Jahrhundert etablierende Salonkultur des Bürgertums führten die reichen Nürnberger Kaufmannsfamilien schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein offenes Haus, in dem die ganze Woche über, mittags und abends Gäste ein und aus gingen. Rebekka Habermas, die die Familiengeschichte der angesehenen und reichen Nürnberger Kaufmannsfamilie Merkel näher untersucht hat, stellt fest: „Kaum ein Mittag oder Abend verging ohne Besuch, und von jedem wurde ausführlich berichtet – etwa in den Briefen der Mutter an die Tochter, in denen häusliche Geselligkeit breiten Raum einnahm. In einer einzigen Woche kamen im Merkelschen Hause drei Pfarrer, ein Kaufmannsehepaar, ein Rechtsgelehrter samt Gattin, ein Professor der Philosophie, eine Literatin, ein Arzt, Hegel höchstselbst, die Freundin Colmarin und andere Freunde und Bekannte zusammen.“ (Hermann Glaser: Georg Wilhelm Friedrich Wilhelm Hegel. Weltgeist in Franken, S. 106, zit. n. Schrenk 2008)
Hegel, der seit der Jenaer Zeit Vater eines unehelichen Kindes war, beschloss in Nürnberg in den Bund der Ehe einzutreten. Er hielt bei der angesehenen Kaufmannsfamilie Tucher um die Hand von Marie von Tucher an. Bei der Brautwerbung zeigte sich auch Hegels poetische Ader. Hegel hatte schon mit seiner Eloge Eleusis, die er für Hölderlin schrieb, bewiesen, dass er nicht nur in nüchterner Philosophenprosa bewandert war. Der Brief an seine Braut, An Marie, vom 17. April 1811 beginnt mit
Du Mein! solch Herz darf mein ich nennen,
In Deinem Blick
Der Liebe Widerblick erkennen,
O Wonne, o höchstes Glück!
Und endet mit
Der Kuß die tiefre Sprache ist,
Darin die Seelen sich erreichen,
Mein Herz in Deins hinüberfließt.
(Brief 180, Hegel an seine Braut, 17.4.1811, Briefe von und an Hegel. Bd. I 1785-1812, S. 355 f, zit. n. Meiner 1969)
Hegel heiratete am 15. September 1811 Marie Susanne Helene von Tucher. Die Ehe verlief glücklich und in gegenseitiger Achtung und Liebe bis zum Tode Hegels 1831. Marie Hegel, geb. Tucher, verstarb 1855. Der Ehe entstammten drei Kinder. Die Tochter, die Erstgeborene, starb bald nach der Geburt. Karl, der ältere Sohn, wurde Professor der Geschichte an der Universität Erlangen und Immanuel, der jüngere, wurde Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg. Hegels Verhältnis zu Ludwig, seinem unehelichen Sohn, war widersprüchlich. Einerseits bemühte er sich um eine gute Erziehung für ihn, andererseits zwang er ihn, den Namen Fischer zu tragen, nachdem der Junge 8 Groschen in der Kaufmannslehre veruntreut hatte. Hegel kaufte Ludwig ein Offizierspatent für den holländischen Kolonialdienst, und Ludwig Fischer verstarb am 28. August 1831 in Jakarta, zwei Monate und ein paar Tage bevor sein Vater überraschend starb.
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Titelblätter: Phänomenologie des Geistes, 1807 (Bamberg/Würzburg), und Wissenschaft der Logik, 1813 (Nürnberg).
Weder Schulamt noch Ehe hinderten Hegel daran, weiter an seinem System der Wissenschaften zu arbeiten. Von der Wissenschaft der Logik, die auf drei Bücher angelegt ist – die Lehre vom Sein, die Lehre vom Wesen und die Lehre vom Begriff – erscheint 1812 das erste Buch. 1813 erscheint das zweite Buch und 1816 das dritte Buch. Hegel fordert in seiner Vorrede, die Wissenschaft von der Logik neu zu denken, da die Umwandlungen in den Wissenschaften und der Philosophie bis jetzt noch nicht auf dem Gebiet der Logik angekommen seien. Über die Schwierigkeiten des Schreibens in Zeiten der Geldknappheit und einer fehlenden Professur schreibt Hegel am 5. Februar 1812 an Niethammer:
An meiner Logik sind 9 Bogen gedruckt. Vor Ostern sollen vielleicht noch 20 mehr gedruckt werden. Was kann ich vorläufig davon sagen, als daß die 25-30 Bogen nur der erste Teil sind, daß sie von der gewöhnlichen sogenannten Logik noch nichts enthalten, daß sie die metaphysische oder ontologische Logik sind: erstes Buch vom Sein, zweites vom Wesen, wenn anders das 2. noch in den ersten Teil kann. Ich stecke bis über die Ohren darin. Es ist keine Kleinigkeit, im ersten Semester seiner Verheuratung ein Buch des abstrusesten Inhalts von 30 Bogen zu schreiben. – Aber injuria temporum! Ich bin kein Akademikus; zur gehörigen Form hätte ich noch ein Jahr gebraucht, aber ich brauche Geld, um zu leben.
(Brief 198, Hegel an Niethammer, 5.2.1812. Briefe von und an Hegel. Bd. I 1785-1812, S. 393, zit. n. Meiner 1969)
Die finanzielle Situation verbesserte sich für Hegel etwas, als er 1813 Leiter des königlichen Referats für Schul- und Studiensachen wurde und damit die gesamte Aufsicht das Schulwesen im damaligen Nürnberg erhielt.
Über die Lehrerzeit von Hegel in Nürnberg gibt es rückblickend zahlreiche positive Erinnerungen. Der Hegelschüler Johann Georg August Wirth beschrieb die damalige Situation am Gymnasium und die Lehrtätigkeit Hegels folgendermaßen:
Von der unteren Gymnasialklasse an, wo man noch vier Jahresstufen bis zur Universität hatte, redete er jeden Schüler mit „Herr“ an und bemaß hiernach auch seinen Tadel oder seine Zurechtweisungen. Ein solches achtungsvolles Benehmen eines Mannes, dessen Ruf täglich stieg, gegen junge Leute erweckte in diesen ein ungemein hebendes Selbstgefühl, dem notwendig das Verlangen entsprechen mußte, durch anständiges Betragen einer solchen Auszeichnung sich würdig zu machen. Wie groß war deshalb die Verwunderung, welche die erste Unterrichtsstunde im Gymnasium zu Nürnberg hervorbrachte! Das urbane Benehmen eines gefeierten Lehrers, die ehrerbietige Aufmerksamkeit der Schüler, der letztern Bestreben nach feiner Sitte: der akademische Anstand des Ganzen! Das Beispiel von Hegel wurde allmählich auch von den übrigen Professoren befolgt, und so schien die Anstalt schon eine hohe Schule zu sein. Jetzt lernte ich die Einflüsse der Freiheit auf Geist und Herz begabter Jünglinge zum ersten Male kennen.
(Hermann Glaser: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Weltgeist in Franken, S. 76, zit. n. Schrenk 2008)
Nachdem verschiedene Versuche Hegels, eine Professur zu bekommen, gescheitert waren, erfolgte 1816 der akademische Durchbruch. 1816 erhielt Hegel gleich zwei Berufungen: eine nach Heidelberg und eine nach Berlin. Ausschlaggebend für die Berliner Berufung war Hegels Wissenschaft der Logik und seine hervorragende Lehrtätigkeit in Nürnberg. Hegel nahm die Berufung für Heidelberg an, nicht wissend dass ihn auch Berlin gern gehabt hätte, da der Berliner Ruf erst einlangte, als Hegel sich schon für Heidelberg entschieden hatte. Da ihn der bayerische König in Bayern halten wollte, bot er Hegel eine Professorenstelle für Philologie in Erlangen an. Hegel lehnte mit dem Hinweis ab, dass er bereits für Heidelberg zugesagt und inzwischen auch eine von Berlin gekommene Berufung abgelehnt habe. Er schreibt am 7. September 1816 seinen Ablehnungsbrief an das Königliche Kommissariat der Stadt Nürnberg. Der letzte Satz des Briefes lautet:
Aus demselben Grunde, wenn auch die andern untertänigst vorgelegten Umstände nicht damit verbunden wären, ist es mir schmerzlich, der allergnädigsten Intention meiner Versetzung nach Erlangen gleichfalls nicht mehr entsprechen zu können, und indem ich die in Sr. Königlichen Majestät Diensten mir seither zugeflossene und diese neueste Huld und Gnade zeitlebens mit dankerfüllten Gemüte erkennen werde, erlaube ich mir, ein Königl. Kommissariat untertänigst zu bitten, dieses mein ehrerbietigstes Dankgefühl als auch die alleruntertänigst hiemit verbundene Erneuerung meines von der Aussicht, in Zukunft ausschließlich mich meiner Berufswissenschaft widmen zu können, und der mir so wesentlichen Verbesserung meiner ökonomischen Lage und dann von meiner eingegangenen Verbindlichkeit abgenötigten Entlassungsgesuch Sr. Königlichen Majestät mit Hochdesselben gnädigster Unterstützung zu Füßen zu legen.
Womit ich in tiefer Ehrfurcht verharre
eines Königlichen Kommissariats untertänigster
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
seitheriger Rektor und Professor
am Königl. Gymnasium dahier.
(Brief 297. Hegel an das Nürnberger Stadtkommissariat, 7.9.1816, Briefe von und an Hegel. Bd. II 1813-1822, S. 129, zit. n. Meiner 1969)
Am 19. Oktober 1816 traf Hegel in Heidelberg ein und trat seine erste ordentliche Professorenstelle an. 1818 wurde Hegel erneut nach Berlin berufen. Er nahm diesmal die Berufung an und lehrte an der Berliner Universität bis zu seinem völlig unerwarteten Tod am 14. November 1831. Offiziell starb Hegel an der damals in Berlin wütenden Cholera. Genaue Nachforschungen zeigen jedoch, dass diese Diagnose nicht haltbar ist, wahrscheinlich starb Hegel an einem chronischen Magenleiden, das sich akut verschlimmerte. Begraben wurde Hegel neben Fichte auf dem Berliner Dorotheenstädter Friedhof.