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Anatol Regniers Buch über Schriftsteller im Nationalsozialismus

Foto: Dieter Schnöpf, CC BY-SA 3.0

Anatol Regnier ist Klassischer Gitarrist, Chansonsänger und freier Autor. Er wurde 2005 mit dem Ernst-Hoferichter-Preis und 2012 mit dem Schwabinger Kunstpreis ausgezeichnet. Sein aktuelles Buch Jeder schreibt für sich allein. Schriftsteller im Nationalsozialismus bespricht für uns der Schriftsteller Johano Strasser.

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Schon in dem Buch Wir Nachgeborenen. Kinder berühmter Eltern, das 2014 im C.H. Beck-Verlag erschien, ging es für Anatol Regnier auch um die Frage, wie sich die Generation der Eltern in den Jahren der Nazi-Diktatur durchgeschlagen hatte. In seinem neuesten Buch geht er nun dieser Frage am Beispiel der deutschen Schriftsteller systematisch nach. Wie reagierten sie auf die „veränderte geschichtliche Lage“ im Jahre 1933 und wie arrangierten sie sich mit dem Nazi-Regime?

Was wir zumeist im Großen und Ganzen wissen, ist, wie sich die vielen Schriftsteller verhielten, die das Land verlassen mussten und ins Exil gingen. Sie sind es, die das Bild der deutschen Literatur dieser Epoche bis heute prägen, und ihr Urteil über ihre Kollegen, die im Land blieben, fiel zumeist vernichtend aus. So klarsichtig Klaus Mann vorhersah, was die „völkische Revolution“ der Nazis bedeutete, manche seiner Polemiken gegenüber Kollegen, die nicht emigriert waren, waren allzu pauschal und bis zur Bösartigkeit ungerecht. Auch der Vater, Thomas Mann, der später als seine Kinder begriff, welchen Ungeistes das neue Regime wirklich war, urteilte nach dem Kriegsende zuweilen allzu schroff, z.B. als er in einem Brief schrieb: „Es mag Aberglaube sein, aber in meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an; sie sollten alle eingestampft werden.“

Aber ist ein solch pauschales Verdammungsurteil angemessen? Wie verhielten sich die anderen, die im Lande blieben, denn nun wirklich? Was taten und dachten, was verschwiegen und was schrieben sie, als die Meinungsfreiheit immer mehr eingeschränkt wurde, als Judenhass und Judenverfolgung schließlich in den Holocaust mündeten, der Größenwahn der Nazi-Führung immer groteskere Züge annahm, überall unter den Augen der deutschen Bevölkerung Menschen mit einem gelben Stern am Revers bespuckt und schikaniert wurden, KZs und KZ-Außenstellen errichtet wurden, Massen halbverhungerter Zwangsarbeiter die Wirtschaft in Gang hielten, als schließlich ein verbrecherischer Krieg Europa verwüstete und zum Untergang des Nazi-Regimes führte?

 

Kleidung im KZ Dachau (Foto: US-amerikanisches Nationalarchiv)

Anatol Regnier hat akribisch recherchiert, Tausende von Seiten Archivmaterial durchforstet, mit Zeitzeugen und Nachgeborenen gesprochen, Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Pamphlete gelesen, die heute zurecht vergessen, aber für die Verfasstheit des „geistigen Deutschlands“ in der Nazi-Zeit aufschlussreich sind. Herausgekommen ist ein ungemein spannendes und zuweilen durchaus überraschendes Porträt einer Gruppe von Schrifttellern, deren Namen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den meisten Deutschen heute nichts mehr sagen und deren Werke allenfalls noch einer kleinen Schar von Spezialisten bekannt sein dürften, ein Porträt, das uns Nachgeborenen aber den Blick schärfen kann für die Unwägbarkeiten der condition humaine im Allgemeinen und die Verführbarkeit und moralische Unzuverlässigkeit vieler, die sich als Hüter der höchsten Güter deutscher Kultur verstanden.

Gleich das erste Kapitel des Buches über die Gleichschaltung der Preußischen Akademie der Künste und ihrer Sektion für Dichtkunst zeigt, wie uneinheitlich und in der Mehrheit verworren die deutschen Dichter auf die Situation nach dem Reichstagsbrand und dem Wahlsieg der Nazis reagierten.

Als bei den Wahlen am 5. März 1933 die NSDAP und der Kampfbund Schwarz-Weiß-Rot mit 52% die absolute Mehrheit im Reichstag gewinnen, stimmen bis auf Ricarda Huch nahezu alle verbliebenen Mitglieder der Sektion Dichtkunst der Akademie der Künste einer von Gottfried Benn formulierten Erklärung zu, die „die öffentliche Betätigung gegen die Regierung“ ausschließt, unter ihnen die linksgerichteten Autoren Leonhard Frank, Fritz von Unruh und Georg Kaiser sowie die jüdischen Mitglieder Ludwig  Fulda,  Alfred Mombert und (nach telegrafischer Aufforderung) Franz Werfel. Als sich Hitler dann nach Hindenburgs Tod zum Reichspräsidenten ernennen lässt und damit sämtliche staatliche Macht in seiner Person vereinigt, haben die meisten regierungskritischen Mitglieder die Sektion Dichtkunst längst verlassen. Gottfried Benn, der die historische Notwendigkeit der völkischen Erhebung in öffentlichen Reden preist, hat eine weitere Erklärung verfasst, in der die Dichter sich bemüßigt fühlen, „Ihnen, Herr Reichskanzler, das Gelöbnis treuester Gefolgschaft feierlichst abzulegen“. Sie findet die Zustimmung praktisch aller Mitglieder.

Von diesem Zeitpunkt an gilt zumindest für die in Deutschland verbliebenen Schriftsteller, die noch einen Rest von Berufsethos haben, das, was der Titel des Buches aussagt: Jeder schreibt für sich allein. Das gilt zum Beispiel für Werner Bergengrün, der zwar aus der Reichs-Schrifttums-Kammer ausgeschlossen wird, aber trotzdem bis zuletzt unter den Nazis publizieren darf und dessen Roman Der Großtyrann und das Gericht sogar von vielen Deutschen als camouflierte Kritik am „Führer“ und seinem System gelesen wird. Das gilt auch für Ernst Wiechert, der lange einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller ist, bis er 1938 in KZ-Haft genommen wird und von da an nur noch für die Schublade schreiben kann. Und das gilt erst recht für Reinhold Schneider, der dem katholischen Widerstand angehört, aber schon bald Veröffentlichungsverbot erhält und dessen unmissverständlich antirassistische Szenenfolge Las Casas vor Karl V. dennoch im Deutschen Reich erscheinen darf.

Was Regniers Buch von den meisten anderen Darstellungen zu diesem Thema unterscheidet, ist, dass es vorschnelle Verdammungsurteile vermeidet. Dennoch wird hier nichts beschönigt. Der Autor schaut genau hin, sammelt belastende und entlastende Indizien, prüft sie und überlässt es dem Leser, sich sein Urteil zu bilden. Insbesondere vermeidet er das hochfahrende und pauschale Aburteilen, das uns Nachgeborenen so leicht fällt und das oft doch nur dazu dient, uns selbst im Strahlenkranz makelloser Rechtschaffenheit erscheinen zu lassen.

Regnier trägt eine Fülle von Belegen zusammen, die zeigen, wie kompliziert, wie widersprüchlich, wie wenig heroisch, wie feige, niederträchtig und zugleich auch tragisch und menschlich verständlich das Verhalten vieler Schriftsteller war, die während der zwölf Jahre der Nazidiktatur in Deutschland blieben und meist auch – zumindest eine Zeit lang – weiter publizieren konnten. Der expressionistische Lyriker und langjährige Lektor des S. Fischer Verlags Oskar Loerke blieb, obwohl ihm die Nazis zuwider waren, und ist, wie wir wissen, am Grauen der Nazi-Herrschaft und an der eigenen Unfähigkeit, sich politisch klar zu positionieren, menschlich zerbrochen. Wenn der Begriff der „inneren Emigration“, den Frank Thies nach 1945 in einer öffentlichen Antwort auf Thomas Mann für sich in Anspruch nahm, überhaupt auf einen der im Land gebliebenen Schriftsteller zutrifft, dann auf Loerke.

 

Bernward Vesper auf dem Umschlagbild seines posthum erschienenen Romans „Die Reise"

Im letzten Kapitel unter dem Titel Die Reise fügt der Autor dem Buch noch eine Episode an, die den Leser in die jüngere Vergangenheit der Bundesrepublik führt. Er ist auf einer seiner Recherchereisen auf die noch lebende, mittlerweile achtzigjährige Tochter des Nazi-Dichters Will Vesper getroffen. Sie überlässt ihm das Gästebuch, das die Familie Vesper auf ihrem Gutshof in Triangel bei Wolfsburg führte. Darin stößt der Autor neben launigen Grußbotschaften vieler alter Kameraden auch auf einige Eintragungen von Gudrun Ensslin, die eine Zeitlang mit Bernward Vesper, dem Sohn von Will Vesper, zusammenlebte, ein Kind von ihm bekam, sich aber später mit Andreas Baader verband und Mitglied der RAF wurde. Hier schließt sich nun ein Kreis. „Aus Wut und Enttäuschung über ihre Eltern, die in der Nazi-Zeit passiv geblieben waren“, so Regnier, „suchten die Kinder einen Feind, an dem sie zeigen konnten, was ihre Eltern hätten tun sollen. Aber den Feind, der ihre Kriterien erfüllte, gab es nicht. Die Bundesrepublik, bei allem, was man ihr vorwerfen konnte, war nicht das Dritte Reich und die deutsche Polizei trotz ihres rüden Vorgehens nicht Gestapo, SA oder SS.“

Anatol Regnier hat, wie Wilhelm von Sternburg in der Frankfurter Rundschau geschrieben hat, „ein wichtiges, kluges, vorzüglich recherchiertes, aber auch deprimierendes Buch“ geschrieben. Ich füge hinzu: Es ist, auch wenn das bei diesem Thema und der Fülle der Informationen vielleicht gar nicht zu erwarten wäre, zudem ein geradezu elegant geschriebenes Buch. Das liegt unter anderem daran, dass der Autor die vielen Zitate aus Büchern, Zeitungsartikeln und Briefen auf dieselbe Weise in den laufenden Text integriert, wie dies vor ihm Sigrid Damm in ihren zahlreichen Monographien über Goethe, Schiller und andere Weimarer Größen getan hat: Zitate kursiv, Anmerkungen und Verweise auf Quellen gesammelt am Ende des Buches. Das erhöht die Lesbarkeit des Buches ungemein und sorgt bei aller bedrückenden Schwere des Themas doch auch für ein veritables Lesevergnügen.