Briefe Viktor Manns an seinen Verleger
Die 141. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Schuld und... Holger Pils rezensiert darin den neuen Sammelband von Manfred Bosch, der die Briefe Viktor Manns an seinen Verleger herausgegeben hat.
*
Johannes Weyl bewies ein gutes verlegerisches Gespür. Der Leiter des Konstanzer Südverlags hatte im Juni 1947 Viktor Mann getroffen und ihm das Versprechen abgenommen, ein Erinnerungsbuch über sich und seine älteren Brüder Heinrich und Thomas Mann zu schreiben. Ein Coup, wie sich herausstellen sollte. Das Buch wurde ein großer Erfolg, wenn auch nicht unumstritten, was manche Deutung der Familiengeschichte betraf. Wir waren fünf, das Bildnis der Familie Mann ist bis heute vielgelesen. Weyl sollte recht behalten, als er nach ersten Textproben den Langzeiterfolg prophezeite: Die »große Thomas Mann-Welle« habe ja noch gar nicht begonnen, schrieb er, »Thomas Manns neue deutsche Zeit« werde »lange währen«, »der Name Mann, wird manche Wirtschaftskrise überstehen«. Entsprechend schlug er seinem neu gewonnenen Autor Viktor Mann während der Arbeit am Erinnerungsbuch eine ganze Reihe von Buchprojekten vor: die Edition von Erinnerungen der Mutter Julia Mann an ihre Kindheit in Brasilien, eine Publikation des Briefwechsels von Heinrich und Thomas Mann, einen Band über die Familie Mann in der Schweiz – lauter Bücher, die tatsächlich später einmal erscheinen sollten, allerdings ohne Zutun Viktor Manns. Und eines Tages, so Weyl, werde man aus den Briefen, die Viktor Mann mit seinem Verleger während der Arbeit an Wir waren fünf wechselte, »ein tausendseitiges Buch ›Korrespondenz mit Viktor Mann‹ machen«. Dieses Buch ist jetzt erschienen, im Südverlag, von Manfred Bosch sorgfältig ediert und kommentiert – und immerhin 450 Seiten stark.
Mit den Briefen wird die Entstehung des Buches von Viktor Mann in allen Einzelheiten begleitet. Was Viktor Mann zur Familie Mann sagen wollte, das hat er in seinem Erinnerungsbuch gesagt. Hier ist nun ergänzend zu erfahren, mit welcher Motivation und welcher Haltung er sich der Aufgabe annahm. Häufig beschreibt er sie in selbstironischen Wendungen, wenn er von seiner »Plauderkunst« oder seinem »epochemachenden Werk« spricht. Seine Formulierungen verraten Lust an der Sache, gepaart allerdings mit Unsicherheit und fortwährender Werbung um Zuspruch. Diesen spendete der Verleger reichlich: Nicht nur wunderte er sich, wo Viktor Mann das Schreiben eigentlich »gelernt« habe, und attestierte ihm eine solche Sicherheit, »dass ernstlich und in größerem Stil gar nichts mißraten kann«, sprach, mit Blick auf die Darstellung des Todes der Schwester, von einer Leistung, »die nur auf mitbekommene Gnade zurückzuführen ist«, – nein, bisweilen verglich er Passagen sogar mit dem Werk Thomas Manns. In jedem Fall motivierte Weyl Viktor Mann nach Kräften, versorgte ihn mit Vorschüssen und erfüllte Wünsche: nach Briefpapier, einem Notizkalender (»mit viel Raum für den einzelnen Tag«) und vor allem: nach Tabak. Kurz vor der Währungsreform herrschte Knappheit.
Die größte Unsicherheit bestand in der Reaktion der Brüder. Wie würden Heinrich und Thomas Mann die Erinnerungen des jüngsten, während des Nationalsozialismus in Deutschland gebliebenen Bruders auffassen? Viktor Mann schickte ihnen Auszüge der frühesten Kapitel in die USA. Heinrich Mann urteilte: »Alles ist wahr, heiter, anspruchslos, es wird überall willkommen sein.« Als Thomas Mann an Viktor schrieb, man könne »es nicht unprätentiöser, heiterer und sympathischer machen, und familiengeschichtlich gut fundiert ist es auch«, sich allerdings fragte, was Viktor denn über die späteren Leben der Brüder aus eigener Anschauung überhaupt schreiben wolle, überlas Viktor Mann diese Skepsis und war euphorisiert. Durch den Zuspruch motiviert, drängte auch Johannes Weyl ihn dazu, den Kontakt, insbesondere zu Thomas Mann, zu intensivieren. Seine Hoffnung war, dass die gesammelten Äußerungen » später einen hübschen Propagandabeitrag« abgeben würden.
Schwierig war es für Viktor Mann, einen Weg zwischen der Autobiografie und dem Bericht über die Brüder zu finden. Er richte sich dabei nach seinem »Instinkt«, der »auf dem inneren Kontakt mit den Brüdern « beruhe, doch empfand er zugleich das Bedürfnis, auch die »eigenen Wege ein bisschen zu beleuchten«. Sein »bürgerliches Normalleben« sei »der Rahmen des Buches«, ließ er Thomas Mann wissen, doch vieles habe eben mit den Brüdern zu tun. Im Detail war die Abwägung schwierig und am Ende führte sie tatsächlich zum Konflikt mit dem Verleger, dem einiges zu persönlich auf ihn, Viktor Mann, bezogen war. Viktor Mann reagierte traurig, wütend, verletzt. Schließlich einigte man sich, der Verlag ließ ihn wohl gewähren. Für Viktor Mann ging es dabei nicht allein um eine Frage der literarischen Form, sondern um glaubwürdige Vermittlung, um das Einnehmen einer Mittlerposition zwischen den Brüdern im Exil und den daheimgebliebenen Deutschen. Viktor Mann war diplomierter Landwirt im Bankfach. Er glaubte, die Deutschen eher mit seinen Brüdern versöhnen zu können, wenn er sich durch Details seiner Biografie als einer der ihren, der »Normaldeutschen« zu erkennen gab. Er wolle und müsse »bei allem Humor den Leuten dies und das ›hinsagen‹. Gerade weil mein Leben so normaldeutsch verlaufen ist, weil ich mit diesem Volk Mist gefahren und Weizen gemäht habe, sein Rekrut und Offizier, Corpsier und Alter Herr gewesen bin, mit Hurra in seinen Ersten Krieg zog und schimpfender, aber nicht offen revoltierender Nazi-Zwangsbürger wurde, kann ich das.« Verteidigen wollte Viktor Mann Heinrich und Thomas Mann angesichts der Anfeindungen, die ihnen in Nachkriegsdeutschland entgegenschlugen: »Ich habe mich bei den Angriffen des Dritten Reiches gegen die Brüder weniger ärgern müssen als jetzt. Damals wusste man, dass es sich um die Wut von Untermenschen handelte, und war stolz. Was soll man aber sagen, wenn heute ein großer Teil der Presse mit allen Mitteln der Fälschung und des Verschweigens immer wieder Hass sät?« Viktor Mann dagegen wollte den Deutschen (in ihrer Sprache) die »Wahrheit« sagen über seine Brüder – so wie er sie sehen wollte, was neben den vielen wichtigen Informationen zu der einen oder anderen harmonisierenden Darstellung in seinem Familienporträt führte. Zur Wahrheit gehörte auch, dass er zu seinem Familienbekenntnis ansetzte, als die Sache entschieden war und der Nationalsozialismus besiegt. Und schließlich gehört zur Wahrheit auch, dass die Distanz zu den Brüdern durch das verteidigende Buch-Projekt bei aller vordergründigen Wiederbelebung des Kontakts, nicht einfach aufgehoben wurde. Zum 1947 erscheinenden Doktor Faustus, dessen Lektüre ein wichtiger Faktor in der Entstehung des Erinnerungsbuches ist, schrieb Thomas Mann an seinen jüngeren Bruder: »Du [...] gehörst zu den Leuten, deren Gefühle beim Lesen ich mir nur ungern vorstelle«. Tatsächlich offenbart der Briefwechsel Viktor Manns mit seinem Verleger, welchen Anteil diese Gefühle am Entstehen von Wir waren fünf hatten. Offensichtlich schrieb Viktor Mann gegen das schlechte Gewissen des »Mitläufers« an, der er für seine Familie immer blieb – was er wiederum nicht wahrhaben wollte: Dem Briefband ist zu entnehmen, dass er tatsächlich ernsthaft erwog, ausgerechnet Erika Mann könne seine, Viktors, Memoiren ins Englische übersetzen. Das war schlicht nicht denkbar.
Das Erscheinen von Wir waren fünf erlebte Viktor Mann nicht mehr. Er, der jüngste, starb am 21. April 1949 in München, vor seinen Brüdern und während der Korrekturen an seinem Buch.
Briefe Viktor Manns an seinen Verleger>
Die 141. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Schuld und... Holger Pils rezensiert darin den neuen Sammelband von Manfred Bosch, der die Briefe Viktor Manns an seinen Verleger herausgegeben hat.
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Johannes Weyl bewies ein gutes verlegerisches Gespür. Der Leiter des Konstanzer Südverlags hatte im Juni 1947 Viktor Mann getroffen und ihm das Versprechen abgenommen, ein Erinnerungsbuch über sich und seine älteren Brüder Heinrich und Thomas Mann zu schreiben. Ein Coup, wie sich herausstellen sollte. Das Buch wurde ein großer Erfolg, wenn auch nicht unumstritten, was manche Deutung der Familiengeschichte betraf. Wir waren fünf, das Bildnis der Familie Mann ist bis heute vielgelesen. Weyl sollte recht behalten, als er nach ersten Textproben den Langzeiterfolg prophezeite: Die »große Thomas Mann-Welle« habe ja noch gar nicht begonnen, schrieb er, »Thomas Manns neue deutsche Zeit« werde »lange währen«, »der Name Mann, wird manche Wirtschaftskrise überstehen«. Entsprechend schlug er seinem neu gewonnenen Autor Viktor Mann während der Arbeit am Erinnerungsbuch eine ganze Reihe von Buchprojekten vor: die Edition von Erinnerungen der Mutter Julia Mann an ihre Kindheit in Brasilien, eine Publikation des Briefwechsels von Heinrich und Thomas Mann, einen Band über die Familie Mann in der Schweiz – lauter Bücher, die tatsächlich später einmal erscheinen sollten, allerdings ohne Zutun Viktor Manns. Und eines Tages, so Weyl, werde man aus den Briefen, die Viktor Mann mit seinem Verleger während der Arbeit an Wir waren fünf wechselte, »ein tausendseitiges Buch ›Korrespondenz mit Viktor Mann‹ machen«. Dieses Buch ist jetzt erschienen, im Südverlag, von Manfred Bosch sorgfältig ediert und kommentiert – und immerhin 450 Seiten stark.
Mit den Briefen wird die Entstehung des Buches von Viktor Mann in allen Einzelheiten begleitet. Was Viktor Mann zur Familie Mann sagen wollte, das hat er in seinem Erinnerungsbuch gesagt. Hier ist nun ergänzend zu erfahren, mit welcher Motivation und welcher Haltung er sich der Aufgabe annahm. Häufig beschreibt er sie in selbstironischen Wendungen, wenn er von seiner »Plauderkunst« oder seinem »epochemachenden Werk« spricht. Seine Formulierungen verraten Lust an der Sache, gepaart allerdings mit Unsicherheit und fortwährender Werbung um Zuspruch. Diesen spendete der Verleger reichlich: Nicht nur wunderte er sich, wo Viktor Mann das Schreiben eigentlich »gelernt« habe, und attestierte ihm eine solche Sicherheit, »dass ernstlich und in größerem Stil gar nichts mißraten kann«, sprach, mit Blick auf die Darstellung des Todes der Schwester, von einer Leistung, »die nur auf mitbekommene Gnade zurückzuführen ist«, – nein, bisweilen verglich er Passagen sogar mit dem Werk Thomas Manns. In jedem Fall motivierte Weyl Viktor Mann nach Kräften, versorgte ihn mit Vorschüssen und erfüllte Wünsche: nach Briefpapier, einem Notizkalender (»mit viel Raum für den einzelnen Tag«) und vor allem: nach Tabak. Kurz vor der Währungsreform herrschte Knappheit.
Die größte Unsicherheit bestand in der Reaktion der Brüder. Wie würden Heinrich und Thomas Mann die Erinnerungen des jüngsten, während des Nationalsozialismus in Deutschland gebliebenen Bruders auffassen? Viktor Mann schickte ihnen Auszüge der frühesten Kapitel in die USA. Heinrich Mann urteilte: »Alles ist wahr, heiter, anspruchslos, es wird überall willkommen sein.« Als Thomas Mann an Viktor schrieb, man könne »es nicht unprätentiöser, heiterer und sympathischer machen, und familiengeschichtlich gut fundiert ist es auch«, sich allerdings fragte, was Viktor denn über die späteren Leben der Brüder aus eigener Anschauung überhaupt schreiben wolle, überlas Viktor Mann diese Skepsis und war euphorisiert. Durch den Zuspruch motiviert, drängte auch Johannes Weyl ihn dazu, den Kontakt, insbesondere zu Thomas Mann, zu intensivieren. Seine Hoffnung war, dass die gesammelten Äußerungen » später einen hübschen Propagandabeitrag« abgeben würden.
Schwierig war es für Viktor Mann, einen Weg zwischen der Autobiografie und dem Bericht über die Brüder zu finden. Er richte sich dabei nach seinem »Instinkt«, der »auf dem inneren Kontakt mit den Brüdern « beruhe, doch empfand er zugleich das Bedürfnis, auch die »eigenen Wege ein bisschen zu beleuchten«. Sein »bürgerliches Normalleben« sei »der Rahmen des Buches«, ließ er Thomas Mann wissen, doch vieles habe eben mit den Brüdern zu tun. Im Detail war die Abwägung schwierig und am Ende führte sie tatsächlich zum Konflikt mit dem Verleger, dem einiges zu persönlich auf ihn, Viktor Mann, bezogen war. Viktor Mann reagierte traurig, wütend, verletzt. Schließlich einigte man sich, der Verlag ließ ihn wohl gewähren. Für Viktor Mann ging es dabei nicht allein um eine Frage der literarischen Form, sondern um glaubwürdige Vermittlung, um das Einnehmen einer Mittlerposition zwischen den Brüdern im Exil und den daheimgebliebenen Deutschen. Viktor Mann war diplomierter Landwirt im Bankfach. Er glaubte, die Deutschen eher mit seinen Brüdern versöhnen zu können, wenn er sich durch Details seiner Biografie als einer der ihren, der »Normaldeutschen« zu erkennen gab. Er wolle und müsse »bei allem Humor den Leuten dies und das ›hinsagen‹. Gerade weil mein Leben so normaldeutsch verlaufen ist, weil ich mit diesem Volk Mist gefahren und Weizen gemäht habe, sein Rekrut und Offizier, Corpsier und Alter Herr gewesen bin, mit Hurra in seinen Ersten Krieg zog und schimpfender, aber nicht offen revoltierender Nazi-Zwangsbürger wurde, kann ich das.« Verteidigen wollte Viktor Mann Heinrich und Thomas Mann angesichts der Anfeindungen, die ihnen in Nachkriegsdeutschland entgegenschlugen: »Ich habe mich bei den Angriffen des Dritten Reiches gegen die Brüder weniger ärgern müssen als jetzt. Damals wusste man, dass es sich um die Wut von Untermenschen handelte, und war stolz. Was soll man aber sagen, wenn heute ein großer Teil der Presse mit allen Mitteln der Fälschung und des Verschweigens immer wieder Hass sät?« Viktor Mann dagegen wollte den Deutschen (in ihrer Sprache) die »Wahrheit« sagen über seine Brüder – so wie er sie sehen wollte, was neben den vielen wichtigen Informationen zu der einen oder anderen harmonisierenden Darstellung in seinem Familienporträt führte. Zur Wahrheit gehörte auch, dass er zu seinem Familienbekenntnis ansetzte, als die Sache entschieden war und der Nationalsozialismus besiegt. Und schließlich gehört zur Wahrheit auch, dass die Distanz zu den Brüdern durch das verteidigende Buch-Projekt bei aller vordergründigen Wiederbelebung des Kontakts, nicht einfach aufgehoben wurde. Zum 1947 erscheinenden Doktor Faustus, dessen Lektüre ein wichtiger Faktor in der Entstehung des Erinnerungsbuches ist, schrieb Thomas Mann an seinen jüngeren Bruder: »Du [...] gehörst zu den Leuten, deren Gefühle beim Lesen ich mir nur ungern vorstelle«. Tatsächlich offenbart der Briefwechsel Viktor Manns mit seinem Verleger, welchen Anteil diese Gefühle am Entstehen von Wir waren fünf hatten. Offensichtlich schrieb Viktor Mann gegen das schlechte Gewissen des »Mitläufers« an, der er für seine Familie immer blieb – was er wiederum nicht wahrhaben wollte: Dem Briefband ist zu entnehmen, dass er tatsächlich ernsthaft erwog, ausgerechnet Erika Mann könne seine, Viktors, Memoiren ins Englische übersetzen. Das war schlicht nicht denkbar.
Das Erscheinen von Wir waren fünf erlebte Viktor Mann nicht mehr. Er, der jüngste, starb am 21. April 1949 in München, vor seinen Brüdern und während der Korrekturen an seinem Buch.