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Hommage auf Jiři Gruša (1938-2011): Brückenbauer zwischen Böhmen und der Oberpfalz – Dichter, Journalist, Humanist, Diplomat und PEN-Präsident

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Jiři Gruša (Mitte) bei den 10. Weidener Literaturtagen im Mai 1994

„Einer der großen Brückenbauer ist tot“, betitelte Der neue Tag (Weiden i. d. OPf.) seine Kulturseite, die Prager Zeitung schrieb hommageartig „Ein hoch geschätzter Botschafter“ und die Süddeutsche Zeitung fasste resümeeartig zusammen „Die Sprachen der Freiheit“ – sie alle reagierten betroffen auf die plötzliche Nachricht vom Tode Jiři Grušas am 28. Oktober 2011. Ein literarischer, diplomatischer und humanistischer nobelman, der sowohl für die tschechische als auch für die deutsche Sprache stets höchste Wertschätzung und Verständnis empfand, war verstorben. Über Jahrzehnte hatte er entscheidend und wesentlich zur Verbesserung der deutsch-tschechischen Beziehungen beigetragen und sie persönlich stark geprägt.

20 politische Jahre wirkte Jiři Gruša als Diplomat (tschechischer Botschafter ab 1990 in Bonn und von 1998-2004 in Wien). Er war Bildungsminister in Prag (1997), Direktor der Diplomatischen Akademie Wien (2005-2009) und Internationaler PEN-Präsident (2004-2009). Es sind Stationen, die das Bild des kosmopolitischen und demokratischen Tschechen entscheidend geprägt haben. Als sprach- und schreibgewandter Grandseigneur hat er markante Akzente gesetzt.

Oft war Jiři Gruša Gast in der Oberpfalz, umso stärker wird seine bleibende Erinnerung auch auf uns nachwirken und sein Werk wird zukunftsweisend bleiben!

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Unfreiwillig kam Jiři Gruša in all in diese Ämter – aus brisanten zeitlich-politischen Gründen. Der katholische Tscheche Jiři Gruša, geboren 1938 in Pardubice/Pardubitz, den seine böhmischen Landsleute gerne „einen Deutschen“ nannten, weil er „in der deutschen Sprache schrieb“, hatte sich mit dem Literatur-Studium an der Prager Karls-Universität und der Promotion zum Dr. phil. (1962) einen anderen Lebensweg erhofft. Das kommunistische Regime versperrte ihm den Weg.

Ab 1960 publizierte er neben dem späteren tschechischen Staatspräsidenten Václav Havel in der renommierten, nichtkommunistischen Literaturzeitschrift Tvár (Gesicht). Mit seinem ersten Roman Mimner handelte er sich das Publikationsverbot ein. 1968 wird er Mitakteur des „Prager Frühlings“. Die Veröffentlichung seines Romans Dotaznik (dt. 1979 Der 16. Fragebogen) brachte ihn ins Gefängnis. Der deutsche Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll wollte ihm helfen und wandte sich an die tschechische Regierung, um seine Haftentlassung zu erreichen. Die Freiheit in der CSSR hat er nicht mehr als persönliche Freiheit empfunden: „Ich bin nicht mehr das Gefühl losgeworden […], im Gefängnis zu sitzen.“ Am 22. Dezember 1980 gelang Jiři Gruša die Ausreise in den Westen – nach sieben Stunden Fahrt von Böhmen nach Bayern. Zuerst ging es zu einem Freund nach München, später nach Toronto/Kanada. Von dort kam er über die USA wieder in die Bundesrepublik. Sein Wohnort wurde Bonn. Dissidenten passten für die Kommunisten in der Tschechoslowakei nicht zu ihrem Staatsverständnis. 1981 wurden ihm die tschechischen Bürgerrechte aberkannt.

Auf der historischen „Goldenen Straße“  gelangte Jiři Gruša erstmals im August 1981 nach Ostbayern, wo er am bayerischen Grenzübergang Waidhaus auf seine zweite Frau Ivana und Sohn Václav wartete, die ihn zwei Monate besuchen durften. Stundenlang hatte Jiři Gruša den Hügel auf tschechischer Seite beobachtet, über den die Straße hinunter nach Bayern, in die Bundesrepublik führt. Da er vergaß, Blumen zu kaufen, lief er einfach aufs Feld und pflückte Kornblumen. Jiři Grušas Frau Ivana hatte ihn hier überhaupt nicht erwartet. In einem Gasthof in Waidhaus fand Jiři Gruša wieder zu seiner Familie, bevor es zurück nach Bonn ging. Ein familiäres Happy-End, das es aber so nicht geben durfte. Am 27. Oktober 1981 fuhr Grušas Frau mit Sohn Václav wieder zurück nach Prag.

Auf Einladung der Volkshochschule Weiden stellte Jiři Gruša am 24. November 1983 im Weidener Kulturzentrum „Hans Bauer“ seinen Foto-Text-Band Franz Kafka aus Prag vor. Dort kam es zu meiner ersten Begegnung, als ich – damals Abteilungsleiter im städtischen Sozialamt – diese Buchvorstellung mit einigen tschechischen Asylanten besuchte. Dieser ersten literarischen Bekanntschaft folgte – im April 1984 war ich städtischer Kulturamtsleiter geworden – meine persönliche Einladung an Jiři Gruša zu den 5. Weidener Literaturtagen im Mai 1989 mit dem markanten Thema „Tschechoslowakei – Literatur eines Nachbarlandes“. Für Jiři Gruša war dies sein erster öffentlicher Auftritt nach seiner tschechoslowakischen „Ausbürgerung“. Jiři Gruša hat dies sein Leben lang nie vergessen! Schon immer war für mich meine Heimatstadt Weiden geographisch, gastronomisch und menschlich „Tor und Brücke zu Böhmen“, wie sogar der tschechische Reformator Jan Hus in seinem Nürnberger Brief vom 24. Oktober 1414  positiv vermerkte.

Mai 1989: Exil-Autor Dr. Jiři Gruša begrüßt am Bahnhof, Gleis 2, in Weiden i.d.OPf. seine aus Prag angereiste Kollegin (und spätere Beraterin Václav Havels) Eda Kriseová. Rechts Kulturamtsleiter Bernhard M. Baron, der das Gepäck von Eda Kriseová schultert. (Foto: Zucchi)

Keiner konnte ahnen, dass wenige Monate später in Prag die „samtene Revolution“ ausbrechen sollte und viele der in Weiden teilgenommenen Autoren in ihrer böhmischen Heimat zu Ehren kommen sollten. Milan Uhde wurde tschechischer Kultusminister und auch die Schriftstellerin und Dissidentin Eda Kriseová zählte dazu. Sie war Sprecherin des Prager „Bürgerforums“ und wurde Assistentin, Beraterin und „Ombudsfrau“ des neuen Präsidenten Václav Havel. Am 1. Dezember 1991 kam es zu einer „Sternstunde in Zeitgeschichte“ im historischen Sitzungssaal des Alten Rathauses in Weiden, wo Eda Kriseová u.a. die 5. Weidener Literaturtage vom Mai 1989 noch vor der „Wende“ als richtiges und beispielhaftes „Ost-West-Forum“ bezeichnete. Vor zahlreichen prominenten Gästen – Landrat Kamil Baca (Tachov), Bürgermeister Reinhold Wetzler (Tachov), Verleger und Gruša-Berater Tomáš Kosta (Bonn) und Oberbürgermeister Hans Schröpf – las Eda Kriseová aus ihrer soeben erschienenen Rowohlt-Biographie Václav Havel. Es war mehr als nur eine Matinee.

Jiři Gruša – es war mittlerweile eine persönliche Freundschaft mit Briefwechsel und Telefonaten entstanden – folgte gerne den Einladungen nach Weiden. Er „sei gerne bereit“, schrieb mir Jiři Gruša im Januar 1991, „Sie persönlich in Ihrer schönen Stadt, die so mutig uns Literaten in schlechteren Zeiten beigestanden hat, zu besuchen.“ So kam Jiři Gruša auch im Mai 1994 als „Ehrengast“ zu den 10. Weidener Literaturtagen „Wo bleibt der Humor?“, diskutierte in der „Literarischen Talk-Runde“ und wurde als tschechischer Botschafter in der Bundesrepublik (mit Ehefrau Sabine) offiziell von Oberbürgermeister Hans Schröpf am 7. Mai 1994 im Neuen Rathaus in Weiden empfangen.

Botschafter Dr. Jiři Gruša, der erstmals im November 1983 nach Weiden kam, wird zusammen mit seiner Frau Sabine und dem Kulturamtsleiter Bernhard M. Baron von Oberbürgermeister Hans Schröpf am 7. Mai 1994 im Neuen Rathaus in Weiden empfangen. (Foto: Karin Wilck)

Zwei Jahre später, im Juni 1996, übernahm er die Schirmherrschaft über die 5. Bayerisch-Böhmischen Kulturtage der städtischen Regionalbibliothek. Bei den 16. Weidener Literaturtagen im Mai 2000 zum Thema „Erbe und Auftrag. Vergangenheit und Zukunft“ diskutierte er im Litera Talk unter Moderation von ZEIT-Journalistin Gisela Dachs mit Michel Friedman und Wolf Peter Schnetz.

Noch sehr präsent sind die 20. Weidener Literaturtage im Mai 2004 zum Thema „Mitten in Europa – eine Chance für die Literatur?“. Jiři Gruša diskutierte hier als Internationaler PEN-Präsident auf dem Podium der Regionalbibliothek unter versierter Leitung der ZEIT-Redakteurin Iris Radisch. „Provinz auf hohem Niveau“ lautete der Kommentar im Neuen Tag. Anwesend war auch der tschechische Generalkonsul Karel Boruvka.

Jiři Gruša stieg aber auch immer wieder gerne vom Literaturpodium herunter und suchte ganz besonders den Dialog mit jungen Leuten. Hier in Weiden natürlich war es im Augustinus-Gymnasium mit den „Gastschülern aus Westböhmen“, die ein Jahr an dieser humanistischen Bildungsstätte unter den Gefilden des rührigen Studiendirektors Hanns Wurm verbrachten. „20 Jahre Weidener Literaturtage 1985-2005“ würdigte der Internationale PEN-Präsident Jiři Gruša im Mai 2005 in einem anerkennenden „Grußwort“, das Grušas PEN-Sekretär und Schriftsteller Michael Stavarič übermittelte.

2009 jährten sich zum 20. Mal der Fall des „Eisernen Vorhangs“ und die „Samtene Revolution“. Dies war Anlass für das CENTRUM BAVARIA BOHEMIA in Schönsee unter Leitung des rührigen Geschäftsführers Hans Eibauer, Jiři Gruša zu einer öffentlichen Lesung am 15. Oktober einzuladen.

Lesung von Jiři Gruša am 15. Oktober 2009 im Centrum Bavaria Bohemia (Foto: CeBB)

Am Beginn der beeindruckenden Lesung standen Texte aus seinem noch unveröffentlichten Memoirenband. Anschließend stellte sich Jiři Gruša den Fragen des interessierten Publikums. Frei von diplomatischen Zwängen und Rücksichten sezierte Jiři Gruša das politische Innenleben des Nachbarlandes und die Befindlichkeiten von Politikern, exemplarisch auf die damals aktuelle Ratifizierungsdebatte zum EU-Lissabon-Vertrag bezogen.

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Sieben Romane, fünf Gedichtbände, ein Kinderbuch, zwei Anthologien, ein brisantes politisches Sachbuch (Benes als Österreicher, 2011, dt. 2012), zahlreiche Erzählungen und kulturpolitische Essays umfassen das respektable literarische Œuvre von Jiři Gruša. Er wurde dafür zu recht mit zahlreichen Auszeichnungen und Literaturpreisen, zuletzt noch mit dem österreichischen Manès-Sperber-Preis 2011, ausgezeichnet.

Jiři Gruša verkörperte als Intellektueller das Schicksal eines Mitteleuropäers mit multipler Identität im 20. Jahrhundert. Und er – der „aus seiner (tschechischen) Sprache vertrieben wurde“ und die (deutsche) „Sprache der individuellen Freiheit“ (als Literatur-Sprache) benutzte, hat sich als Internationaler PEN-Präsident besonders „für die kleinen Sprachen“ eingesetzt – zu denen auch das Tschechische gehört. Jiři Grušas bilinguales Zuhause war das geistige Unterwegssein – aber immer mit böhmischem Einschlag voll Witz und Hintersinn. Und welcher Deutsche noch Zweifel an dieser Einstellung hat, dem sei Jiři Grušas Gebrauchsanweisung für Tschechien und Prag (1999, 4. Aufl. 2011) wärmstens empfohlen!

Für das friedensstiftende Wirken zwischen Literatur und Politik und für die vielschichtigen Beiträge als Brückenbauer zwischen uns böhmischen und oberpfälzischen Nachbarn würdigte der Trägerverein des CeBB Schönsee, Bavaria Bohemia e. V., Leben und Werk von Dr. Jiři Gruša am 24. März 2010 verdient mit dem „Ehrenpreis“ des jährlichen Kulturpreises „Brückenbauer/Stavitel mostu 2010“. Die Laudatio hielt der tschechische Generalkonsul Ing. Josef Hlobil (München).

Für das friedensstiftende Wirken zwischen Literatur und Politik und für die vielschichtigen Beiträge als Brückenbauer zwischen uns Nachbarn erhält Jiři Gruša am 24. März 2010 den „Ehrenpreis“ des Kulturpreises „Brückenbauer/Stavitel mostu 2010“. Von links: Generalkonsul Ing. Josef Hlobil,CeBB-Manager Hans Eibauer, Preisträger Dr. Jiři Gruša, CeBB-Vorsitzende Anne Gierlach. (Foto: Ralf Gohlke)

Jiři Gruša ist von uns gegangen, vor uns eingezogen in den Parnass der Dichter. Jiři Gruša aber lebt fort in seinem Richtungsweisenden humanistischen Werk, in seinen Büchern, in seinen Wörtern – in uns.

Was aber bleibet, stiften die Dichter. (Hölderlin)

Sekundärliteratur:

Baron, Bernhard M. (2012): Jiri Grusa. Brückenbauer zwischen Böhmen und der Oberpfalz. In: Oberpfälzer Heimatspiegel 2013, hg. vom Bezirksheimatpfleger der Oberpfalz Dr. Franz Xaver Scheuerer, Pressath, S. 41-47.

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