„Dieses schmale Stück Himmel über Paris": der neue Roman von Marianne Ach
Die 140. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Literatur als Lebensmittel. Darin rezensiert Klaus Hübner den neuesten Roman von Marianne Ach.
*
Müde vom Leben ist diese Hannah, und zugleich begeistert davon. Erschöpft, aber nicht unglücklich. 55 ist sie nun schon, und vieles müsste sich ändern. Aber was genau, wie genau? Wenn einfache Antworten und konkrete Lösungen nicht in Sicht sind, wenn man tief und gründlich nachdenken muss, dann liegt es nahe, sich eine „Auszeit“ zu nehmen. „Wofür?“, fragt Jan, ihr labiler, manisch-depressiver Ehemann, mit dem sie seit dreißig Jahren zusammenlebt – was das bedeutet, eine nicht enden wollende Kette von niederdrückenden, beengenden Erfahrungen nämlich, erfährt man in einer mit „Rückblende“ überschriebenen Passage. Hannah steigt am Gare de l’Est aus dem Zug und taucht ein in die riesige Stadt. Sie hat Freunde in Paris und kann sich in deren Wohnung einrichten, und wenn sie aus dem Fenster blickt, sieht sie ein schmales Stück Himmel.
„Was kann schon passieren? Alles und jederzeit. Das Glück ist unzuverlässig, das Unglück zäh“. Der geliebte Jan, mit dem sie so viele Höhen und Tiefen erlebt hat, ist immer präsent: „Meine Liebe stirbt nicht“. Doch Hannah sagt auch: „Vielleicht gefalle ich einem Mann, den ich noch nicht kenne. Mich schämen? Wofür?“.
Mit Hannahs Ankunft in Paris beginnt das neue, ohne Gattungsbezeichnung auskommende Prosawerk der 1942 in Eslarn in der Oberpfalz geborenen Münchner Schriftstellerin Marianne Ach, die sich besonders mit ihren vier seit 2004 erschienenen Prosabänden ein kleines, aber treues Lesepublikum erschrieben hat.
Vorangestellt ist dem Text ein Motto von Marguerite Duras, und in ihrem kurzen Nachwort betont die Autorin, dass deren Bücher entscheidend waren für das Zustandekommen ihres eigenen schmalen Bandes. Wer den Ton von Marguerite Duras im Ohr hat und sich ans durchgängige Präsens des Textes gewöhnt, wird reich belohnt. Hannah streift durch die weltberühmte Metropole, Reminiszenzen an Künstler wie Celan oder Toulouse-Lautrec fehlen nicht – unruhig ist sie, auf der Suche, behutsam ist sie und nicht wirklich bereit für uferloses Loslassen. Auch wenn sie nur schlendert, zeichnet, fotografiert oder schreibt, auch wenn sie nur ein Museum besucht oder sich ins „Café Le Sans Souci“ setzt – Paris kann anstrengend sein.
Die Freunde, die wissen, dass Hannahs Leben neue Impulse braucht, nehmen sie mit in ihr Landhaus und lassen sie in Ruhe. „In meinem Inneren bewegen mich ständig Fragen, die vielleicht gar nicht schlüssig zu beantworten sind“, sagt Hannah. Zum Beispiel: „Was trägt wirklich? Das Wort oder Gott? Der Glaube oder das Nichts?“. Mit dem Ignorieren solcher Fragen, mit dem üblichen Verdrängen oder dem mehr oder weniger elegant Darüber-Hinweggehen macht Hannah konsequent Schluss. Das Flair von Paris, der Zauber der Kunst und die Unendlichkeit des Meeres tun ihre Wirkung. Am Ende kann sie ihrem Jan dann in der Tat schreiben: „Hier habe ich endlich gefunden, was ich in den letzten Jahren vergeblich gesucht habe. Wir werden erneut jenes Glück finden, das uns zeitweilig abhanden gekommen ist“.
Eine herzzerreißende, empfindsame, wahrhaftige und glaubwürdige Geschichte erzählt uns Marianne Ach, und das auf hohem literarischen Niveau. Ihr jüngstes Buch wird ihr noch mehr Bewunderer verschaffen.
Marianne Ach: Dieses schmale Stück Himmel über Paris. lichtung verlag, Viechtach 2019, 111 S.
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Müde vom Leben ist diese Hannah, und zugleich begeistert davon. Erschöpft, aber nicht unglücklich. 55 ist sie nun schon, und vieles müsste sich ändern. Aber was genau, wie genau? Wenn einfache Antworten und konkrete Lösungen nicht in Sicht sind, wenn man tief und gründlich nachdenken muss, dann liegt es nahe, sich eine „Auszeit“ zu nehmen. „Wofür?“, fragt Jan, ihr labiler, manisch-depressiver Ehemann, mit dem sie seit dreißig Jahren zusammenlebt – was das bedeutet, eine nicht enden wollende Kette von niederdrückenden, beengenden Erfahrungen nämlich, erfährt man in einer mit „Rückblende“ überschriebenen Passage. Hannah steigt am Gare de l’Est aus dem Zug und taucht ein in die riesige Stadt. Sie hat Freunde in Paris und kann sich in deren Wohnung einrichten, und wenn sie aus dem Fenster blickt, sieht sie ein schmales Stück Himmel.
„Was kann schon passieren? Alles und jederzeit. Das Glück ist unzuverlässig, das Unglück zäh“. Der geliebte Jan, mit dem sie so viele Höhen und Tiefen erlebt hat, ist immer präsent: „Meine Liebe stirbt nicht“. Doch Hannah sagt auch: „Vielleicht gefalle ich einem Mann, den ich noch nicht kenne. Mich schämen? Wofür?“.
Mit Hannahs Ankunft in Paris beginnt das neue, ohne Gattungsbezeichnung auskommende Prosawerk der 1942 in Eslarn in der Oberpfalz geborenen Münchner Schriftstellerin Marianne Ach, die sich besonders mit ihren vier seit 2004 erschienenen Prosabänden ein kleines, aber treues Lesepublikum erschrieben hat.
Vorangestellt ist dem Text ein Motto von Marguerite Duras, und in ihrem kurzen Nachwort betont die Autorin, dass deren Bücher entscheidend waren für das Zustandekommen ihres eigenen schmalen Bandes. Wer den Ton von Marguerite Duras im Ohr hat und sich ans durchgängige Präsens des Textes gewöhnt, wird reich belohnt. Hannah streift durch die weltberühmte Metropole, Reminiszenzen an Künstler wie Celan oder Toulouse-Lautrec fehlen nicht – unruhig ist sie, auf der Suche, behutsam ist sie und nicht wirklich bereit für uferloses Loslassen. Auch wenn sie nur schlendert, zeichnet, fotografiert oder schreibt, auch wenn sie nur ein Museum besucht oder sich ins „Café Le Sans Souci“ setzt – Paris kann anstrengend sein.
Die Freunde, die wissen, dass Hannahs Leben neue Impulse braucht, nehmen sie mit in ihr Landhaus und lassen sie in Ruhe. „In meinem Inneren bewegen mich ständig Fragen, die vielleicht gar nicht schlüssig zu beantworten sind“, sagt Hannah. Zum Beispiel: „Was trägt wirklich? Das Wort oder Gott? Der Glaube oder das Nichts?“. Mit dem Ignorieren solcher Fragen, mit dem üblichen Verdrängen oder dem mehr oder weniger elegant Darüber-Hinweggehen macht Hannah konsequent Schluss. Das Flair von Paris, der Zauber der Kunst und die Unendlichkeit des Meeres tun ihre Wirkung. Am Ende kann sie ihrem Jan dann in der Tat schreiben: „Hier habe ich endlich gefunden, was ich in den letzten Jahren vergeblich gesucht habe. Wir werden erneut jenes Glück finden, das uns zeitweilig abhanden gekommen ist“.
Eine herzzerreißende, empfindsame, wahrhaftige und glaubwürdige Geschichte erzählt uns Marianne Ach, und das auf hohem literarischen Niveau. Ihr jüngstes Buch wird ihr noch mehr Bewunderer verschaffen.
Marianne Ach: Dieses schmale Stück Himmel über Paris. lichtung verlag, Viechtach 2019, 111 S.