Info
13.08.2020, 19:27 Uhr
Klaus Hübner
Text & Debatte
images/lpbblogs/autorblog/2019/klein/huebner_164.jpg

Gedichte zur guten Nacht: voller Ohrwürmer und kindlicher Sprachfreude

Die 140. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Literatur als Lebensmittel. Darin rezensiert Klaus Hübner einen kürzlich erschienenen Gedichtband für Kinder.

*

„Von jedem Buch bleibt dir zum Glück / etwas in deinem Kopf zurück“, schreibt Friedbert Stohner, der Lisa Wheelers Gedicht Geschöpfe auf Papier ins Deutsche übertragen hat. „Geschöpfe, klar, nur auf Papier … / Dass sie leben, liegt an DIR!“ Die Verse finden sich in einer wunderschön aufgemachten Anthologie von „Gedichten zur guten Nacht“, die 2016 unter dem Titel One Minute till Bedtime in den USA erschienen ist und nun von sage und schreibe 115 meist recht bekannten Schriftstellern „übersetzt, übertragen oder ins Deutsche gebracht“ wurde, wie Michael Krüger im Vorwort schreibt.

Er selbst ist einer davon. Friedrich Ani ist dabei, Fatma Aydemir, Rotraut Susanne Berner, Nora Bossong, Ulrike Draesner, Franzobel, Durs Grünbein, Christoph Hein, Franz Hohler, Daniel Kehlmann, Navid Kermani, Michael Köhlmeier, Michael Lentz, Annette Pehnt, Monika Rinck, Raoul Schrott, Peter Stamm, Uljana Wolf und Juli Zeh sind es ebenfalls. Und noch viele andere, darunter auch der Hanser-Verleger Jo Lendle. Illustrer geht es kaum. Und doch wäre die Freude an den Gute-Nacht-Gedichten wesentlich geringer, wären da nicht die famose grafische Gestaltung und die kongenialen Illustrationen von Christoph Niemann. Sie erst machen diese Anthologie zu einer beglückenden runden Sache.

Ja, es sind Gedichte für Kinder. Aber nicht nur. „Gute-Nacht-Gedichte für die ganze Familie“, wie der Verlag sagt, trifft es genauer. Wer den lieben Kleinen an der Bettkante Fünf kleine Vögel von Charles Waters vorliest, kriegt die nur scheinbar simplen vier Gedichtzeilen selber kaum noch aus dem Kopf. In der Übersetzung von Ludwig Steinherr: „Fünf kleine Vögel in Frankfurt am Main. / Fünf kleine Vögel flattern und schrein. / Fünf kleine Vögel schlafen jetzt ein. / Fünf kleine Vögel in Frankfurt am Main.“

Ein Ohrwurm! Davon gibt es einige in diesem Band, ebenso wie sogenannte Unsinnsgedichte, die leidgeprüften Vätern absolut realistisch vorkommen müssen – etwa Scott Seegerts Abendessen, das sich auf Deutsch so anhört: „Meinem Papa wird’s zu dumm: / ‚Spiel nicht mit dem Essen rum!‘ / Blöd für ihn, dass ich nichts höre. / Ich hab in jedem Ohr ne Möhre.“

Oder Das Lamm sagt: „Miau“ von David L. Harrison, übersetzt von dem Münchner Lyriker Tristan Marquardt: „Die Kuh sagt ‚Muh.‘ / Der Hund sagt ‚Wau, wau.‘ / Der Frosch sagt ‚Quak.‘ / Das Lamm sagt ‚Miau.‘ // ‚Lamm‘, sagt die Katze / ‚hör damit auf. Als Lamm sagst Du mäh, / als Katze miau.‘ // ‚Summ‘, sagt die Biene. / ‚Pieps‘, sagt die Maus. / ‚Blubb‘, sagt der Fisch. / Das Lamm sagt ‚Miau.‘“

Man könnte schier endlos weiter zitieren. Entscheidend aber ist, dass hier auf höchstem literarischen Niveau etwas angestoßen wird, was für die Entwicklung und Lebenstüchtigkeit von Kindern unabdingbar ist: Sensibilität für Sprache, für angemessene, variantenreiche und, ja, schöne Sprache. Dafür, dass Sprache immer und grundsätzlich mehr ist als pure Informationsvermittlung. Freude am Klang und am Rhythmus, Freude am Wort und am Wortspiel. Freude an einem Leben, das nicht nur eine Wirklichkeit kennt.

Mit den poetischen Anregungen, die diese prächtige Anthologie schenkt, kann man bestens einschlafen. Obwohl – immer klappt das dann doch nicht. Siehe die letzte Strophe von Santino Panzicas Gedicht Schläfrig: „Mein Hirn ist im Kopf / Nur noch halb komplett. / Doch, Mama, ach bitte! / Ich will nicht ins Bett!“.

Sekundärliteratur:

Kenn Nesbitt (Hg.): Jetzt noch ein Gedicht, und dann aus das Licht! Gedichte zur guten Nacht. Mit Illustrationen von Christoph Niemann und einem Vorwort von Michael Krüger. Hanser Verlag, München 2019, 184 S.

 

Externe Links:

Literatur in Bayern
Jetzt noch ein Gedicht, und dann aus das Licht! im Hanser Verlag