Gustav Landauer in Bayern (5): Landauers grausamer Tod
Gustav Landauer, geboren am 7. April 1870 in Karlsruhe, war eine außergewöhnliche und äußerst vielseitige Persönlichkeit: Als brillanter Vortragsredner und engagierter Publizist kämpfte er sein Leben lang gegen Ungerechtigkeit und soziale Missstände. Gleichzeitig war er als Literatur- und Theaterkritiker, Schriftsteller, Dramaturg und Übersetzer im kulturellen Bereich äußerst produktiv.
Die folgenden Ausführungen bilden den Abschluss unserer mehrteiligen Blogreihe zu Gustav Landauer in der Zeit von Mai 1917 bis Mai 1919, in der Landauer mit seiner Familie in Bayern lebte. Diese letzten zwei Jahre seines Lebens waren von dramatischen Ereignissen gekennzeichnet und endeten mit seiner brutalen Ermordung.
Ein Beitrag von Rita Steininger, deren neue Gustav-Landauer-Biografie soeben im Volk Verlag erschienen ist.
*
In der zweiten Aprilhälfte 1919 rücken Reichswehrsoldaten und Freikorpstruppen von allen Seiten nach München vor, um die Räterepublik niederzuschlagen. Zu diesem Zeitpunkt ist Gustav Landauer bereits zu Else Eisner nach Großhadern umgezogen, nachdem sein bisheriges Domizil, das Hotel Wolff am Hauptbahnhof, nicht mehr sicher für ihn war. Doch auch jetzt machen sich Landauers Freunde ernsthafte Sorgen um ihn und raten ihm zur Flucht. Nach einigem Zögern stimmt er zu – nur um kurz darauf seine Meinung zu ändern: Er will auf seine Verhaftung warten. Danach, so glaubt er, wird sich seine Sache klären.
Am 1. Mai dringt eine Einheit des von Südwesten vorrückenden 1. Württembergischen Freiwilligen-Regiments in das Haus von Else Eisner ein. Gustav Landauer, der in der Bibliothek am Schreibtisch sitzt, wird verhaftet und nach Starnberg gebracht, wo er eine Nacht im dortigen Amtsgefängnis zubringt. Am nächsten Morgen geht die Fahrt weiter in Richtung München-Stadelheim, wobei die letzten Kilometer wegen der anhaltenden Kämpfe in der Stadt zu Fuß zurückgelegt werden müssen.
Einer der Torwachen wird als Augenzeuge später berichten, was sich nach der Ankunft im Gefängnis Stadelheim abgespielt hat. Sein Bericht wird am 3. Juni 1919 in der USPD-nahen Neuen Zeitung erscheinen:
Im Hof begegnete der Gruppe ein Major in Zivil, der mit einer schlegelartigen Keule auf Landauer einschlug. Unter Kolbenschlägen und den Schlägen des Majors sank Landauer zusammen. Er stand jedoch wieder auf und wollte zu reden anfangen. Da rief ein Vizewachtmeister: „Geht mal weg!“ Unter Lachen und freudiger Zustimmung der Begleitmannschaften gab der Vizewachtmeister zwei Schüsse ab, von denen einer Landauer in den Kopf traf. Landauer atmete immer noch. Da sagte der Vizewachtmeister: „Das Aas hat zwei Leben, der kann nicht kaputt gehen!“ Ein Sergeant vom Leibregiment, der sich noch immer in Stadelheim befindet, rief: „Ziehen wir ihm doch den Mantel runter“ und wollte auf den Ring hin, den Landauer am Finger trug. Ich sagte dem Sergeanten, er möge Landauer den Ring lassen. Der Mantel wurde ihm jedoch von dem Sergeanten ausgezogen. Da Landauer immer noch lebte, legte man ihn auf den Bauch. Unter dem Ruf: „Geht zurück, dann lassen wir ihm noch eine durch!“ schoß der Vizewachtmeister Landauer in den Rücken, daß es ihm das Herz herausriß und er vom Boden wegschnellte. Da Landauer immer noch zuckte, trat ihn der Vizewachtmeister mit den Füßen zu Tode.
Ein Jahr später sind die Ermittlungs- und Prozessdokumente zu Landauers Ermordung plötzlich verschwunden. Sie tauchen erst hundert Jahre später, im Frühjahr 2019, im Generallandesarchiv Karlsruhe wieder auf. Die Akten berichten ausführlich über die Gerichtsverhandlung am 19. März 1920 in Freiburg gegen einen der Haupttäter, Eugen Digele, der zur Tatzeit Gefreiter bei den Ulanen der 1. Eskadron des 1. Württembergischen Freiwilligen-Regiments Abteilung Haas war. Digele gibt vor Gericht an, den zweiten der drei tödlichen Schüsse auf Landauer abgefeuert und später Landauers Uhr entwendet zu haben. Da er sich auf die Umsetzung des Befehls eines unbekannten Offiziers beruft, wird er nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Misshandlung und Hehlerei zu fünf Wochen Haft verurteilt. Die Strafe ist zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung schon durch die Untersuchungshaft verbüßt. Das Gericht begründet das milde Urteil damit, „dass der Angeklagte den Schriftsteller Landauer für den Urheber der Räterepublik und einen gewissenlosen Hetzer hielt.“
Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Urne mit Landauers Asche auf dem Münchner Nordfriedhof. Erst 1923 wird sie auf dem Münchner Waldfriedhof beigesetzt, wo zwei Jahre später auch ein Denkmal für Gustav Landauer entsteht. Dieses Grabdenkmal fällt 1933 der Zerstörung durch die Nationalsozialisten zum Opfer. Die Israelitische Kultusgemeinde erklärt sich gezwungenermaßen bereit, die Urne auf dem Neuen Israelitischen Friedhof im Münchner Norden „einstweilen der Erde zu übergeben“. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg findet Gustav Landauer dank der Bemühungen seiner Tochter Gudula seine letzte Ruhestätte in einem Doppelgrab neben Kurt Eisner auf dem Neuen Israelitischen Friedhof. Seit Juni 2017 existiert auch auf dem Münchner Waldfriedhof wieder ein Denkmal für Gustav Landauer.
Kellerhoff, Sven-Felix: „Wollen Sie mich nicht verhören?“ – „Nein, erschießen!“ In: Die Welt, 02.04.2019. URL: https://www.welt.de/geschichte/article191224543/Gustav-Landauer-Wollen-Sie-mich-nicht-verhoeren-Nein-erschiessen.html, (14.05.2020).
Leder, Tilman; Wolf, Siegbert (Hg.) (2014): Die Politik eines „Antipolitikers“. Eine politische Biographie Gustav Landauers. 2 Bde. Verlag Edition AV, Lich.
Linse, Ulrich (1974): Gustav Landauer und die Revolutionszeit 1819-1919. Karin Kramer Verlag, Berlin.
Steininger, Rita (2020): Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit. Volk Verlag, München.
Quelle:
Der Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde München an den Stadtrat München, z. Hd. des Herrn Rechtsrats Hörburger, 27.6.1933. Stadtarchiv München, Akte BUR-1659-3
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Gustav Landauer, geboren am 7. April 1870 in Karlsruhe, war eine außergewöhnliche und äußerst vielseitige Persönlichkeit: Als brillanter Vortragsredner und engagierter Publizist kämpfte er sein Leben lang gegen Ungerechtigkeit und soziale Missstände. Gleichzeitig war er als Literatur- und Theaterkritiker, Schriftsteller, Dramaturg und Übersetzer im kulturellen Bereich äußerst produktiv.
Die folgenden Ausführungen bilden den Abschluss unserer mehrteiligen Blogreihe zu Gustav Landauer in der Zeit von Mai 1917 bis Mai 1919, in der Landauer mit seiner Familie in Bayern lebte. Diese letzten zwei Jahre seines Lebens waren von dramatischen Ereignissen gekennzeichnet und endeten mit seiner brutalen Ermordung.
Ein Beitrag von Rita Steininger, deren neue Gustav-Landauer-Biografie soeben im Volk Verlag erschienen ist.
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In der zweiten Aprilhälfte 1919 rücken Reichswehrsoldaten und Freikorpstruppen von allen Seiten nach München vor, um die Räterepublik niederzuschlagen. Zu diesem Zeitpunkt ist Gustav Landauer bereits zu Else Eisner nach Großhadern umgezogen, nachdem sein bisheriges Domizil, das Hotel Wolff am Hauptbahnhof, nicht mehr sicher für ihn war. Doch auch jetzt machen sich Landauers Freunde ernsthafte Sorgen um ihn und raten ihm zur Flucht. Nach einigem Zögern stimmt er zu – nur um kurz darauf seine Meinung zu ändern: Er will auf seine Verhaftung warten. Danach, so glaubt er, wird sich seine Sache klären.
Am 1. Mai dringt eine Einheit des von Südwesten vorrückenden 1. Württembergischen Freiwilligen-Regiments in das Haus von Else Eisner ein. Gustav Landauer, der in der Bibliothek am Schreibtisch sitzt, wird verhaftet und nach Starnberg gebracht, wo er eine Nacht im dortigen Amtsgefängnis zubringt. Am nächsten Morgen geht die Fahrt weiter in Richtung München-Stadelheim, wobei die letzten Kilometer wegen der anhaltenden Kämpfe in der Stadt zu Fuß zurückgelegt werden müssen.
Einer der Torwachen wird als Augenzeuge später berichten, was sich nach der Ankunft im Gefängnis Stadelheim abgespielt hat. Sein Bericht wird am 3. Juni 1919 in der USPD-nahen Neuen Zeitung erscheinen:
Im Hof begegnete der Gruppe ein Major in Zivil, der mit einer schlegelartigen Keule auf Landauer einschlug. Unter Kolbenschlägen und den Schlägen des Majors sank Landauer zusammen. Er stand jedoch wieder auf und wollte zu reden anfangen. Da rief ein Vizewachtmeister: „Geht mal weg!“ Unter Lachen und freudiger Zustimmung der Begleitmannschaften gab der Vizewachtmeister zwei Schüsse ab, von denen einer Landauer in den Kopf traf. Landauer atmete immer noch. Da sagte der Vizewachtmeister: „Das Aas hat zwei Leben, der kann nicht kaputt gehen!“ Ein Sergeant vom Leibregiment, der sich noch immer in Stadelheim befindet, rief: „Ziehen wir ihm doch den Mantel runter“ und wollte auf den Ring hin, den Landauer am Finger trug. Ich sagte dem Sergeanten, er möge Landauer den Ring lassen. Der Mantel wurde ihm jedoch von dem Sergeanten ausgezogen. Da Landauer immer noch lebte, legte man ihn auf den Bauch. Unter dem Ruf: „Geht zurück, dann lassen wir ihm noch eine durch!“ schoß der Vizewachtmeister Landauer in den Rücken, daß es ihm das Herz herausriß und er vom Boden wegschnellte. Da Landauer immer noch zuckte, trat ihn der Vizewachtmeister mit den Füßen zu Tode.
Ein Jahr später sind die Ermittlungs- und Prozessdokumente zu Landauers Ermordung plötzlich verschwunden. Sie tauchen erst hundert Jahre später, im Frühjahr 2019, im Generallandesarchiv Karlsruhe wieder auf. Die Akten berichten ausführlich über die Gerichtsverhandlung am 19. März 1920 in Freiburg gegen einen der Haupttäter, Eugen Digele, der zur Tatzeit Gefreiter bei den Ulanen der 1. Eskadron des 1. Württembergischen Freiwilligen-Regiments Abteilung Haas war. Digele gibt vor Gericht an, den zweiten der drei tödlichen Schüsse auf Landauer abgefeuert und später Landauers Uhr entwendet zu haben. Da er sich auf die Umsetzung des Befehls eines unbekannten Offiziers beruft, wird er nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Misshandlung und Hehlerei zu fünf Wochen Haft verurteilt. Die Strafe ist zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung schon durch die Untersuchungshaft verbüßt. Das Gericht begründet das milde Urteil damit, „dass der Angeklagte den Schriftsteller Landauer für den Urheber der Räterepublik und einen gewissenlosen Hetzer hielt.“
Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Urne mit Landauers Asche auf dem Münchner Nordfriedhof. Erst 1923 wird sie auf dem Münchner Waldfriedhof beigesetzt, wo zwei Jahre später auch ein Denkmal für Gustav Landauer entsteht. Dieses Grabdenkmal fällt 1933 der Zerstörung durch die Nationalsozialisten zum Opfer. Die Israelitische Kultusgemeinde erklärt sich gezwungenermaßen bereit, die Urne auf dem Neuen Israelitischen Friedhof im Münchner Norden „einstweilen der Erde zu übergeben“. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg findet Gustav Landauer dank der Bemühungen seiner Tochter Gudula seine letzte Ruhestätte in einem Doppelgrab neben Kurt Eisner auf dem Neuen Israelitischen Friedhof. Seit Juni 2017 existiert auch auf dem Münchner Waldfriedhof wieder ein Denkmal für Gustav Landauer.
Kellerhoff, Sven-Felix: „Wollen Sie mich nicht verhören?“ – „Nein, erschießen!“ In: Die Welt, 02.04.2019. URL: https://www.welt.de/geschichte/article191224543/Gustav-Landauer-Wollen-Sie-mich-nicht-verhoeren-Nein-erschiessen.html, (14.05.2020).
Leder, Tilman; Wolf, Siegbert (Hg.) (2014): Die Politik eines „Antipolitikers“. Eine politische Biographie Gustav Landauers. 2 Bde. Verlag Edition AV, Lich.
Linse, Ulrich (1974): Gustav Landauer und die Revolutionszeit 1819-1919. Karin Kramer Verlag, Berlin.
Steininger, Rita (2020): Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit. Volk Verlag, München.
Quelle:
Der Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde München an den Stadtrat München, z. Hd. des Herrn Rechtsrats Hörburger, 27.6.1933. Stadtarchiv München, Akte BUR-1659-3