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14.11.2019, 13:35 Uhr
Wolfgang Oppler
Text & Debatte
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Wolfgang Oppler (c) Dieter Schnöpf CC BY-SA 3.0

Wie die Zeitschrift DAS GEDICHT die Lyriklandschaft prägt

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Spiegel bayerischer Literatur und Kultur, fundiert und unterhaltsam, Essays, Prosatexte und Gedichte von prominenten und unbekannten Autoren: Das ist die Zeitschrift Literatur in Bayern. In der 136. Ausgabe schreibt der Autor Wolfgang Oppler über die Lyrikzeitschrift DAS GEDICHT.

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Unter dem Titel DAS GEDICHT gibt der Weßlinger Lyriker und Verleger Anton G. Leitner seit 1993 einmal im Jahr die buchstarke Zeitschrift für Lyrik, Essay und Kritik heraus. Was vom gewählten Namen her gleichzeitig nüchtern und ausgesprochen selbstbewusst anmutet, hat es bei näherem Hinsehen gewaltig in sich. Das Motto, das Leitner über seine Lyrikreihe stellt, lautet »Poesie rettet den Tag«. Was dieses Motto verspricht, hält der Inhalt der Zeitschrift in hohem Maße: Anspruchsvolle und dabei gut verdauliche Lyrik in enormer Qualität und Bandbreite macht aus jeder einzelnen Nummer ein Fest der Worte, der Bilder, der Phantasie. Nicht verwunderlich, dass die Zeitschrift von der WAZ als »Leitorgan der Poesie in Deutschland« bezeichnet wurde.

Pro Ausgabe sind es gut 100 Dichterinnen und Dichter, bei Jubiläumsnummern können es auch einmal 150 sein, die sich dem Leser präsentieren. Alles, was im Lyrikbetrieb hierzulande Rang und Namen hat, ist in DAS GEDICHT mit Texten vertreten. Dabei legt Leitner großen Wert darauf, dass die Auswahl nicht durch klangvolle Autorennamen bestimmt wird, sondern durch die Qualität und die Vielfalt der Texte. Jungautoren und Nebenerwerbspoeten erhalten ebenso eine Plattform wie preisgekrönte Dichterfürsten, vorausgesetzt die Güte der Gedichte überzeugt. Selbst Kinder hatten schon die Gelegenheit, ihre ersten Iyrischen Gehversuche hier gedruckt zu lesen.

Jede Nummer der Zeitschrift ist einem speziellen Thema gewidmet. Nicht immer sind es tagesaktuelle Aufreger, um die die Gedanken der Autoren kreisen. Doch stets bietet die Auswahl der Texte ein beeindruckendes literarisches Spiegelbild der Gesellschaft, eine kulturelle Standortbestimmung dicht am Puls ihrer Zeit. Gedichte gegen Gewalt, rezeptfreie Gedichte, heilige Gedichte, Reisegedichte, Gedichte über die Lust am Objekt, Leibes- und Liebesgedichte, Gedichte vom Essen und Trinken, über Religion, über die Heimat ... Oft merkt der Leser erst, wenn er das zentrale Thema aus 100 unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet erlebt hat, wie aktuell und naheliegend dieses Thema tatsächlich ist.

Seit drei Jahren sammelt Uwe-Michael Gutzschhahn für jede Ausgabe Gedichte für Kinder zum jeweiligen Jahresthema ein. Dadurch erwächst der ohnehin breit gefächerten Themenbehandlung noch eine zusätzliche, ganz unerwartete Dimension.

Die Gedichteinsendungen für jede Ausgabe liegen im vierstelligen Bereich, meist nicht einmal im unteren. Da braucht es Mut, Durchhaltevermögen und Fingerspitzengefühl, um daraus diejenigen 150 bis 190 Texte auszuwählen, die eine vielschichtige Mischung ergeben, eine furiose Bandbreite, einen fein gezogenen Spannungsbogen.

Um die Auswahl möglichst objektiv zu gestalten, bindet Leitner in die Arbeit an jeder Ausgabe einen Autor oder eine Autorin als namhaften Mitherausgeber ein. Auf diese Weise holt er sich eine veränderte Sichtweise in die Redaktion, einen immer anderen poetischen Geschmack, ein unterschiedliches literarisches Verständnis. Ludwig Steinherr hatte diese Rolle als erster inne, danach unter anderen Friedrich Ani, Matthias Politycki, Kerstin Hensel, Fitzgerald Kusz und zuletzt Melanie Arzenheimer.

Über die Jahre hat Leitner rund um seine Zeitschrift zusätzliche Vertriebswege für die Texte seiner Autorinnen und Autoren etabliert. Ein YouTube-Kanal bietet von den Verfassern selbst performte Gedichte. Ein rege gefütterter Blog wartet regelmäßig mit einer Vielzahl von Beiträgen zu unterschiedlichen Kategorien rund ums Thema Poesie auf. Die Buchreihe Edition DAS GEDICHT rundet mit ausgewählten Lyrikbänden das Programm der Zeitschrift ebenso ab wie die seit 2014 betriebene englischsprachige Ausgabe Das Gedicht chapbook. German Poetry Now. Hier unterstützt Paul-Henri Campbell als Übersetzer und Mitherausgeber.

Nicht nur über die gedruckten Ausgaben und die im Internet abrufbaren Seiten werden die Gedichte vermittelt. Jede einzelne Nummer wird mit Lesungen quer durch die Republik gefeiert, bei denen an einem Abend zwischen 30 und 60 Poetinnen und Poeten dem begeisterten Publikum ihre Texte vortragen.

Um all das über Jahrzehnte auf die Reihe zu bringen und mit immer neuem Schwung am Laufen zu halten, bedarf es nicht nur enormen Einsatzes an Kraft und Geld, sondern einer schier aberwitzigen Begeisterung für die Sache der Poesie. Wer Anton G. Leitner kennt, der weiß, dass sich sein Leben 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche um diese Sache dreht. Was immer in seinem Leben eine wichtige Rolle gespielt hat, die Liebe, die politische Auseinandersetzung, der Kontakt zu Freunden und Weggefährten, stets war die Lyrik seine treibende Kraft.

Kein Wunder, dass Anton G. Leitner und die Zeitschrift DAS GEDICHT bei so viel Engagement für die Poesie immer wieder mit Preisen geehrt wurden, zuletzt 2016 mit dem Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung.